Wir berichteten über die Forderung des Nationalen Rates der Ärztekammer vom 22. März d.J., dass die Nationale Akademie der medizinischen Wissenschaften und das Gesundheitsministerium über die wissenschaftliche Relevanz „alternativer und komplementärer Methoden, namentlich der Homöopathie“ befinden mögen. Flankiert wurde dieser Vorstoß durch die Ärzteinitiative #FakeMed, die sich sehr deutlich gegen Pseudomedizin im Gesundheitswesen und alle Formen ihrer direkten und indirekten Anerkennung und Förderung aussprach.
Die öffentliche Diskussion – auch in den Medien – ist danach intensiv aufgenommen worden. Gesundheitsministerin Buzyn, die sich nach der Wortmeldung des Nationalen Rates der Ärztekammer öffentlich einigermaßen indifferent geäußert hatte, geriet in die Kritik. Aber auch die Gegenstimmen ließen nicht auf sich warten: Die Homöopathielobby in Frankreich begann, den Ärzteverbund #FakeMed als das vermeintlich schwächste Glied der Kette der Kritiker ins Visier zu nehmen und zu versuchen, die Sache sowohl auf eine standesrechtliche wie auf eine juristische Ebene zu verlagern. Die Presse, auch führende Blätter wie Libération, Le Monde und Le Figaro, berichteten teilweise umfangreich.
Le Monde war am 25. Mai 2018 zu entnehmen, dass unter dem 18. Mai die Akademie der medizinischen Wissenschaften unter Bezugnahme auf ihre frühere Stellungnahme aus 2004 die Homöopathie als „eine Methode, die vor zwei Jahrhunderten auf der Grundlage von a priori-Konzepten ohne wissenschaftliche Grundlagen entwickelt wurde“, bezeichnet hat. Das ist zwar kein direktes Verdikt, aber immerhin eine sehr starke Positionsbestimmung, zumal als Antwort auf die Initiative der Obersten Ärztekammer. Le Monde lässt keinen Zweifel daran, dass dieses Verdikt einer Einstufung der Homöopathie als „unwissenschaftlich“ gleichkommt. Dabei dürfte es nur noch eine Randnotiz sein, dass die Vereinigung der französischen homöopathischen Ärzte dagegen die von der Fa. Boiron finanzierte EPI3-Studie ins Feld führt, zu der wir bereits hier einige Anmerkungen gemacht haben (lesenswerte ausführliche Besprechung zu EPI3 von Dr. Norbert Aust hier). Le Monde bezeichnet diese ohne Umschweife als „schlechte Studie“ und zitert den Pharmakologie-Professor François Chast: „Wir sind in der Welt des Glaubens“.
Nun berichtet Le Figaro, dass der Nationale Rat der Ärztekammer sich erstmals selbst positioniert hat – mit einer Neufassung eines Teils des ärztlichen Ehrenkodexes der Kammern, die zwar – wie Le Figaro findet – „die Tür für die Homöopathie nicht völlig zuschlägt“. Aber pseudomedizinische Mittel und Methoden werden hier mit bisher nicht dagewesener Deutlichkeit von wissenschaftlicher Medizin abgegrenzt. Der Text lässt keinen Zweifel daran, dass die Kammer es nicht ins Belieben von Ärzten stellt, nicht belegte Methoden an die Stelle wissenschaftlich nachgewiesener Therapien zu setzen. Nachstehend geben wir diesen Beschluss in deutscher Übersetzung wieder:
Aktualisierung des allgemeinverbindlichen Ethikrahmens durch den Nationalrat der französischen Ärztekammern:
Die mediale Verwendung der Begriffe „alternative und komplementäre Medizin“, insbesondere im Hinblick auf die Homöopathie, hält eine Zweideutigkeit aufrecht, die zu Verwirrung und Interpretationsstreitigkeiten führt.
Ohne die Freiheit kritischer oder divergierender Meinungen jedes Einzelnen im öffentlichen Raum in Frage zu stellen, fordert der Nationalrat der Ärztekammer:
- dass der Begriff „Medizin“ als Voraussetzung für jedes therapeutische Vorgehen als erstes einen medizinischen Prozess der klinischen Diagnose beinhaltet, der gegebenenfalls durch zusätzliche Untersuchungen unter Hinzuziehung kompetenter Dritter ergänzt wird;
- dass jeder Arzt Medizin nach wissenschaftlich gewonnenen Erkenntnissen und Daten sowohl bei der Erstellung der Diagnose als auch beim Therapievorschlag praktizieren muss;
- dass, da die aus der Wissenschaft gewonnenen Daten im Wesentlichen auf ständiger Fortentwicklung beruhen, Kontroversen über eine bestimmte Behandlungsmethode, ob medizinisch oder nicht, zu einer aktuellen, unparteiischen und rigorosen Bewertung der erbrachten medizinischen Leistung durch die medizinische und wissenschaftliche Gemeinschaft führen müssen.
[…]
Eine ärztlich empfohlene Behandlung kann in keinem Fall eine Alternative zu den aus der Wissenschaft und dem Stand der Technik gewonnenen Erkenntnissen sein, wohl kann sie eine adjuvante oder komplementäre, medizinische oder andere Verschreibung beinhalten, über die der Arzt in der individuellen Situation, nachdem er dem Patienten eine faire, klare und angemessene Information gegeben hat, nach bestem Wissen und Gewissen entscheidet.
Der Nationalrat erinnert jedoch daran, dass der Kodex für medizinische Ethik es verbietet, unbelegte Behandlungen oder Therapien als sicher und therapeutisch sinnvoll darzustellen.
Das ist der ethische Rahmen, der für die gesamte Ärzteschaft gilt.
Im Plenum des Nationalrates der Ärztekammer am 14. Juni 2018 angenommener Text (Original hier)
Es dürfte trotz des auflebenden Widerstandes der Lobby vermutlich bald sehr eng für die Homöopathie im französischen Gesundheitswesen werden. Man darf die ebenso höflichen wie unmissverständlichen Positionierungen von oberster Ärztekammer und oberster wissenschaftlicher Autorität als einen „Wink mit dem Zaunpfahl“ in Richtung Gesundheitsministerium verstehen, aus dieser gemeinsamen Positionierung von praktischer und forschender Medizin nun die politischen Konsequenzen zu ziehen.
Wir nehmen zur Kenntnis: Die Ärzteschaft Frankreichs bzw. ihr oberstes Organ hat von sich aus die Initiative ergriffen, sich von pseudomedizinischen Methoden, insbesondere der Homöopathie, abzusetzen. Und die höchste medizinwissenschaftliche Instanz des Landes folgt ihr dabei. Und das, nachdem in unserem Land der Ärztetag es nicht einmal für notwendig befand, über die vorher öffentlich intensiv diskutierte Abschaffung der „ärztlichen Zusatzbezeichnung Homöopathie“ auch nur zu debattieren oder gar abzustimmen.
Zum wiederholten Male fragen wir: Und bei uns? Den Wettbewerb um die rote Laterne in Sachen Homöopathie haben wir in Deutschland fast gewonnen! Richtet es die Ärzteschaft nicht selbst: Schauen Sie hin, Herr Spahn! Und schauen Sie sich um in Europa!
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