Die Kritik an der Homöopathiekritik – Teil III: „Wissenschaftler sagen, Homöopathie ist nicht möglich“

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„Wissenschaftler sagen, Homöopathie ist nicht möglich“ 

… behauptet jedenfalls das Homeopathy Research Institute.

Time for Facts - dritter Teil

Im dritten Teil unserer Antwortserie zur „Kritik an der Homöopathiekritik“ zu den Statements auf der Webseite des Homeopathy Research Institute geht es um das richtige Verständnis dessen, was Wissenschaftler zur Homöopathie sagen. Das HRI formuliert knapp, dass „Wissenschaftler sagen, Homöopathie ist nicht möglich“. [1] Stimmt das?

Wir bezweifeln, dass es eine Quelle für eine solche Aussage gibt. Kein ernstzunehmender Wissenschaftler würde so von einer „Unmöglichkeit“ sprechen. Dies wäre nämlich der vergebliche Versuch des Beweises der Nichtexistenz von etwas. Was Wissenschaftler tatsächlich sagen, ist Folgendes:

    • [Wir schließen aus unseren Untersuchungen,] dass die Behauptungen zur Homöopathie unplausibel sind und im Widerspruch zu den etablierten wissenschaftlichen Grundlagen stehen.
    • Wir erkennen an, dass bei einzelnen Patienten ein Placebo-Effekt auftreten kann, aber wir stimmen früheren ausführlichen Untersuchungen zu und schließen daraus, dass keine Krankheiten bekannt sind, für die es robuste und replizierbare Nachweise gäbe, dass die Homöopathie über diesen Placebo-Effekt hinaus wirksam sei. [2]

Das Wort „unmöglich“ kommt nicht vor. Dafür beinhaltet aber diese Aussage, dass die Homöopathie sehr vielem widerspricht, was wir aus Wissenschaft, Technik und dem täglichen Leben über die Funktionsweise von Naturvorgängen wissen. Das ist der Abgleich der Behauptungen der Homöopathie mit dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnis und mit der erkennbaren Realität. Mehr kann und will die Wissenschaft darüber gar nicht aussagen.

Das öffnet aber keineswegs Tür und Tor für Spekulationen im Sinne von „alles ist möglich“ oder „die Wissenschaft ist noch nicht so weit“. Nicht jede Position ist „gleichberechtigt“, das wäre das Gegenteil von Wissenschaft, nämlich ein kritikloser Pluralismus, der eine Eintrittspforte für jede Form von Beliebigkeit darstellen würde. Die Bedeutung („Richtigkeit“) einer Position hängt auch davon ab, inwieweit sie von anderen wissenschaftlichen Erkenntnissen gestützt wird und inwieweit sie sich in der Realität, ob technische Anwendung oder Alltagserfahrung, bewährt. Bewährung gegen Behauptung – das ist kein Postulat von „Unmöglichkeit“, aber eine starke plausible Position und erst recht kein Grund für Beliebigkeit und Spekulation.

Und weshalb ist die Homöopathie in diesem Sinne unplausibel?

Die Homöopathie ist voller innerer Widersprüche. Außerdem gibt es keine auch nur halbwegs plausible Erklärung eines Wirkungsmechanismus, die nicht im (äußeren) Widerspruch zu bewährtem Wissen stünde.

All dies zu behandeln, sprengt den Rahmen eines Übersichtsartikels. Diese Webseite führt in vielen Beiträgen eine ganze Reihe solcher Sachverhalte auf. Deshalb hier nur etwas Grundlegendes:

– Innerer Widerspruch „Ähnlichkeitsprinzip“:

Die Homöopathie erhebt den Anspruch, mit Mitteln Beschwerden zu „heilen“, die genau diese Beschwerden bei einem Gesunden hervorrufen (Ähnlichkeits- oder Simileprinzip). Nach Hahnemanns Vorschrift soll die dem Mittel spezifische Wirkung mit der „Arzneimittelprüfung am Gesunden“ festgestellt werden, also durch „Auslösung“ der Symptome, die beim Kranken entsprechend behandelt werden sollen.

Logisch gedacht, müsste dies zu einer enormen Gefährlichkeit homöopathischer Mittel führen. Bei einer „falschen“, also nicht richtig zum Symptombild des Kranken passenden Mittelgabe würde das Mittel demgemäß ja nicht auf eine Erkrankung „treffen“, die es „heilt“, sondern vielmehr den Probanden aus seiner spezifischen Sicht als „Gesunden“ ansehen und bei ihm Krankheitssymptome auslösen. Da die Homöopathen es als selbstverständlich ansehen, nicht immer gleich das „richtige“ spezifische Mittel zu finden, müsste das in sehr vielen Fällen so sein. Nach der homöopathischen Logik muss also jede Mittelgabe eine „Wirkung“ auf den Probanden  wie auf den Patienten haben, woraus sich wiederum wichtige Folgerungen ergeben.

Von „nebenwirkungsfrei“ könnte also keine Rede sein, träfe das Ähnlichkeitsprinzip zu. Vielmehr würde der homöopathischen Therapie ein Risiko innewohnen, das wohl kaum ein Therapeut ohne Weiteres auf sich nehmen würde. Man bedenke, dass die Homöopathen den Anspruch erheben, auch schwere und chronische Krankheiten erfolgreich behandeln zu können!

Ist das Prinzip der Arzneimittelprüfung richtig, hantieren die Homöopathen mit hochgefährlichen Mitteln, deren Wirkung beim konkreten Patienten letztlich unvorhersehbar ist. Das Risiko wäre nur tragbar, wenn vollständig sichergestellt ist, dass das ausgewählte Mittel auf das Symtombild des Patienten exakt passt (was wir angesichts der Unüberschaubarkeit der homöopatischen Symptom- und Mittelverzeichnisse für nahezu ausgeschlossen halten). Ist das Prinzip falsch, sind auch die Mittel unwirksam und damit die homöopathische Lehre einer „Säule“ beraubt. Eines ist so fatal wie das andere.

– Äußerer Widerspruch „Potenzierung“:

Die Homöopathie behauptet, dass die Wirksamkeit eines Ausgangsstoffes durch schrittweises Verdünnen und Schütteln verstärkt wird („Potenzierung“). Schon hierfür kann sie kein sinnvolles und widerspruchsfreies Erklärungsmodell anbieten. In der Folge würde es zusätzlich noch Erklärungen dazu bedürfen, wie sich die „Wirksamkeit“ aus dem endgültigen Mittel, das nichts vom Ausgangsstoff mehr enthält, auf den Patienten überträgt und woher das Mittel „weiß“, ob der Konsument krank ist oder nicht (ob es „heilen“ oder „Symptome hervorrufen“ soll).

Nur einmal angenommen – damit aber keineswegs zugegeben-, diese Umstände seien erklärbar. Dann wäre aber immer noch offen, warum außerhalb der Homöopathie unter den gleichen Bedingungen bei ähnlichen Prozessen in Alltag und Technik diese Effekte nicht auftreten.

Verdünnen ist ebenso ein im Alltagsleben wie in der anwendenden Technik ständig vorkommender Vorgang. Er dient dazu, die Wirksamkeit eines Stoffes in einer Lösung herabzusetzen. Beispiele sind die Aufbereitung von Trinkwasser, die Sterilisation von Wasser für medizinische Zwecke, die Herstellung von entkoffeiniertem Kaffee, alkoholfreiem Bier, entrahmter Milch etc. Beim Verdünnen ist zudem – mit dem Ziel einer gleichmäßigen Verteilung der Ausgangssubstanz in der Lösung – Schütteln oder Rühren eine verbreitete alltägliche Nebenerscheinung, die z.B. in jedem Bach oder Fluss pausenlog geschieht. Nie ist aufgefallen, dass dabei der Effekt der Verdünnung ganz oder teilweise aufgehoben oder gar umgekehrt worden wäre.

Genau dies müsste aber nach der homöopathischen Lehre geschehen. Schließlich schafft man es angeblich in der Homöopathie mit nur zehn Schüttelschlägen, nicht nur die Wirksamkeit auf die 99-fache Menge Lösungsmittel zu übertragen, sondern sie dabei auch noch – enorm – zu verstärken. Und was ist mit den unvermeidlichen Verunreinigungen der Lösungsmittel? Woher „wissen“ diese, dass sie bei dieser Wirkungszunahme nicht „mitmachen“ sollen?

–  Was folgt nun daraus?

Eine „Unmöglichkeit“ von irgendetwas zu postulieren, ist weder wissenschaftlich redlich noch erforderlich.  Angezeigt ist, sich zu fragen, welche Konsequenzen es für das aktuelle bewährte naturwissenschaftliche Wissen hätte, gäbe es eine Erklärung für die behauptete Wirkungsweise der Homöopathie (Prüfkriterium der Widerspruchsfreiheit). Selbst dann bliebe noch offen, wie das Nichteintreten dieser Effekte außerhalb des homöopathischen Umfeldes erklärt werden könnte.

Wenn man sich die Konsequenzen vor Augen hält, die mit einem solchen Erklärungsmodell verbunden wären, muss man sich klarmachen, dass es dabei nicht um die Revision von „Kleinigkeiten“ ginge. Der Physiker Martin Lambeck hat einmal aufgezeigt, wieviele Nobelpreise fällig wären, wenn die Aussagen der Homöopathie tatsächlich wissenschaftlich nachgewiesen würden – dies sind geschätzt derzeit etwa 90! Das wäre schon so etwas wie eine Komplettrevision des derzeitigen wissenschaftlichen Weltbildes.

Was Wissenschaftler wirklich sagen

Seitens der Homöopathie werden gerne Wissenschaftler als Kronzeugen für ihre Wirksamkeitsbehauptung herangezogen. Prüft man die dabei zitierten Aussagen, fällt allzu oft ins Auge, dass diese Zitate sinnentstellend oder unvollständig sind. So kommt es auch immer wieder zu ausdrücklichen Distanzierungen von Wissenschaftlern von ihrer „Vereinnahmung“ durch die Homöopathie, beispielsweise im Falle des Quantenphysikers Prof. Anton Zeilinger, der sich ausdrücklich dagegen verwahrte, dass seine Arbeiten zur „quantenphysikalischen“ Rechtfertigung homöopathischer Behauptungen herangezogen wurden. [3]

Ein Beispiel, wie sich ohnehin umstrittene wissenschaftliche Arbeiten dann auch noch mit solchen unvollständig-sinnentstellenden Zitaten mischen, ist das des Virologen Luc Montagnier. Dieser Forscher wurde 2008 für seine Arbeiten zum Aids-Virus mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. In einer von ihm veröffentlichten  – hoch umstrittenen – Arbeit fand er, dass die DNA mancher Bakterien elektromagnetische Wellen abstrahlen würden – und diese in der Lösung auch noch feststellbar seien, wenn man die Bakterien abfiltriert und die Lösung weiter verdünnt. [4] Das HRI zitiert aus einem Interview der Zeitschrift Science mit dem Wissenschaftler [5] – aber eben verkürzt und dadurch sinnentstellend. Vollständig lautet die Passage (der vom HRI zitierte Auszug ist hervorgehoben):

F: Denken Sie auch, dass etwas für die Homöopathie spricht?
L.M.: Ich kann nicht sagen, dass die Homöopathie in allem Recht hätte. Was ich jetzt sagen kann, ist, dass die starken Verdünnungen richtig sind. Starke Verdünnungen von etwas sind nicht Nichts. Sie sind Wasserstrukturen, die die originalen Moleküle nachahmen. Wir haben herausgefunden, dass wir mit DNA nicht mit den extrem starken Verdünnungen arbeiten können wie in der Homöopathie gebräuchlich. Wir kommen nicht weiter als bis zu einer Verdünnung von 1:1018, oder wir verlieren das Signal. Aber sogar bei 1:10
18 kann man ausrechnen, dass kein einziges DNA-Molekül mehr übrig ist, und doch erhalten wir ein Signal.

Dies versuchte das HRI als „wissenschaftlichen Beweis“ bzw. „eine wissenschaftliche Grundlage für die Homöopathie“ zu propagieren. Den zitierten Satz hat Montagnier zwar tatsächlich gesagt, aber praktisch gleichzeitig die Distanz seiner Ergebnisse zur Homöopathie betont. Hätte das HRI wirklich die Absicht gehabt, seine Leser über den wahren Hintergrund von Montagniers Arbeit zu informieren, dann hätte es weitaus mehr erklären müssen. Beispielsweise, dass die Verdünnungsgrade in den Versuchen weit unterhalb der in der Homöopathie verwendeten Hochpotenzen lagen und der Effekt nur kurzfristig (nicht länger als 48 Stunden) nachweisbar war – und mehr. Dann allerdings wäre für den Leser offensichtlich gewesen, dass da nichts ist, was die Homöopathie hätte stützen können.

Details zur Auseinandersetzung um Montagnier und die Homöopathie finden sich hier und hier.

Der wissenschaftliche Wandel – ein „Argument“?

Als „Argument“ gegen eine angebliche „Unmöglichkeit“ wird auch immer wieder (so auch vom HRI) ins Feld geführt, dass die Wissenschaft einem beständigen Wandel unterworfen sei. Dies allerdings in der Form von

„Was das wissenschaftliche Establishment zu einem Zeitpunkt für unmöglich hält, ist zu einem späteren Zeitpunkt eine bewiesene Tatsache“.

Diese Aussage suggeriert ein völlig falsches Wissenschaftsverständnis.

Tatsache ist, dass sich die Wissenschaft ständig weiterentwickelt und ein immer besseres und umfassenderes Verständnis von den Vorgängen in der Natur erarbeitet. Das tut sie insbesondere durch das Finden von Fehlern und Unzulänglichkeiten des jeweils aktuellen Kenntnisstands, durch das allmähliche Hinausschieben der Grenzen des Wissens durch das Verbessern des Unzureichenden und das Ersetzen von Falschem durch Richtig(er)es. Sie schafft sozusagen „hinter sich“ ein gesichertes Gebäude, das nicht unantastbar ist durch neue Erkenntnisse, das aber zunehmend an Sicherheit und Annäherung an die „Wirklichkeit“ gewinnt. Ein „alles ist möglich“ kennt die Wissenschaft deshalb auch nicht.

Zudem gibt es Naturgesetze, die weder beeinflussbar sind noch durch etwas anderes ersetzt werden können. Diese Naturgesetze sind die absolute Barriere für Spekulationen auf „alles ist möglich“ und „die Wissenschaft kann noch nicht…“. Perpetua mobilia sind unmöglich und werden es bleiben, ebenfalls Geschwindigkeiten oberhalb der Lichtgeschwindigkeit und manches andere.

Weit eher als die Spekulation, alles sei womöglich irgendwann später einmal eine „bewiesene Tatsache“, trifft ein Zitat des Schweizer Arztes und Forschers Wilhelm Löffler zu: „Fast alle Irrtümer der Medizin, die im Volksglauben weiterleben, waren einst wissenschaftlich akzeptierte Theorien“.

Fazit

Auch wenn unser Wissen über die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge der Welt bei Weitem noch nicht vollständig ist, ist es doch in hohem Grade unwahrscheinlich, dass eines Tages eine arzneiliche Wirksamkeit homöopathischer Präparate erklärbar wird. Der Widerspruch der homöopathischen Lehre zu dem im alltäglichen Leben, in Wissenschaft und Technik gesicherten Wissen ist zu groß. Deshalb ist es ja mit Erklärungsmodellen für die Homöopathie nicht einmal getan: Es müsste zudem noch erklärt werden, warum die Effekte bei ähnlichen Vorgängen außerhalb der Homöopathie nicht auftreten – und das auch noch insgesamt widerspruchsfrei. Was bedeutet, das für große Teile von Physik, Biologie und Chemie komplett neue in sich widerspruchsfreie Erklärungsmodelle vorgelegt werden müssen (der Physiker und Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhn forderte für einen solchen Fall  ausdrücklich den Ersatz des alten Paradigmas „inklusive zentraler Begriffe“).

Das ist so unwahrscheinlich, dass es als faktische Unmöglichkeit angesehen werden kann – etwa vergleichbar mit der Wahrscheinlichkeit, in einem Fläschchen einer C200-Potenz ein Atom/Molekül der Urtinktur wiederzufinden. 1:10380 (die Verdünnung einer C200-Potenz) ist als Zahl nicht identisch Null – aber für alle Belange des praktischen Lebens mit Sicherheit gering genug, um mit Null gleichgesetzt zu werden.


Referenzen:

[1] HRI FAQ (https://www.hri-research.org/de/homeopathy-faqs/scientists-say-homeopathy-is-impossible/)

[2] EASAC-Positionspapier (http://www.easac.eu/fileadmin/PDF_s/reports_statements/EASAC_Homepathy_statement_web_final.pdf)

[3] http://www.sueddeutsche.de/wissen/umstrittenes-heilverfahren-homoeopathie-missbrauchte-studien-1.1267699

[4] http://gnusha.org/~nmz787/biological%20radio%20research/LucMontaigner2009.pdf

[5] Newsmaker Interview ‚French Nobelist Escapes ‚intellectual Terror‘ to Persue Radical Ideas in China‘, Science 330 (2010) p. 1732


Eine ausführliche Version dieses Beitrages erscheint auf dem Blog „Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie“, eine weitere Zusammenfassung auf der INH-Webseite „Susannchen braucht keine Globuli“.

In der Reihe „Zur Kritik an unserer Homöopathiekritik“ erschienen außerdem:

Teil I: Wissenschaftliche Nachweise

Teil II: „Positive Studien fehlen“

Teil IV: „Das sind nur Zuckerkügelchen

Grundsätzliches zur naturwissenschaftlichen Erkenntnisfähigkeit:
Was bedeutet schon „bewiesen


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2 Antworten auf „Die Kritik an der Homöopathiekritik – Teil III: „Wissenschaftler sagen, Homöopathie ist nicht möglich““

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