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Die Zeitschrift „Science & Pseudo-Sciences“ der französischen Skeptiker-Organisation Association française pour l’information scientifique (AFIS) hat in ihrer Ausgabe April-Juni 2018 einen umfangreichen Artikel zu Dr. Natalie Grams und der Homöopathiekritik in Deutschland veröffentlicht. Wir freuen uns, ihn hier mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der SPS / AFIS in deutscher Übersetzung veröffentlichen zu dürfen:
Science & Pseudo-Sciences – Nr. 324 – April / Juni 2018
Zeitschrift der Association française pour l’information scientifique (AFIS)
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Natalie Grams: Von der praktizierenden Homöopathin zur Wissenschaftsaktivistin
von Ariane Beldi – SPS Nr. 324, April / Juni 2018
Die Homöopathie, wie auch andere sogenannte alternative oder komplementäre Medizin, erfreut sich in Europa seit mehreren Jahrzehnten wachsender Beliebtheit. Doch auch in Deutschland, dem Land, in dem der Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann, im 18. Jahrhundert geboren wurde, beginnen kritische Stimmen laut zu werden, nicht ohne erheblichen Wirbel zu verursachen.
Unter diesen Kritiken erregte vor allem eine Person die Aufmerksamkeit der Medien: Natalie Grams. Die seinerzeit in Heidelberg sehr geschätzte praktizierende homöopathische Ärztin wurde von zwei Journalisten interviewt, die 2012 ein Buch veröffentlichten, das eine große Debatte auslöste: „Die Homöopathie-Lüge“ [1].
Die Lektüre des dann veröffentlichen Buches brachte sie außerordentlich in Rage. Sie beschloss, eine Antwort zu verfassen, um Punkt für Punkt und auf der Grundlage wissenschaftlicher Beweise zu widerlegen, was sie für völlig falsche Behauptungen der beiden Autoren hielt. Ihre Lektüre der wissenschaftlichen Literatur und ihre Treffen mit Experten führten jedoch zu einem völlig anderen Ergebnis als sie selbst erwartet hatte. Was eine rigorose Verteidigung der Homöopathie sein sollte, ist zu einer wissenschaftsbasierten Demontage der Homöopathie geworden (in ihrem ersten Buch „Homöopathie neu gedacht – Was Patienten wirklich hilft) [2].
Wir stellen hier eine Zusammenfassung dieser intellektuellen und beruflichen Laufbahn vor, wie sie Grams in der deutschen und schweizerischen Presse selbst berichtet hat. In der Tat verdient diese für eine Homöopathin ebenso überraschende wie ungewöhnliche Entwicklung unsere Aufmerksamkeit.
Von der Homöopathie zur Wissenschaft
Mit „Gesundheit!“, ihrem zweiten Buch, trat Natalie Grams in eine neue Phase ihres hektischen Lebens als skeptische Aktivistin ein.
Schon seit etwas mehr als einem Jahr (vor Erscheinen dieses zweiten Buches) löste jeder ihrer Medienauftritte eine Lawine wütender Kommentare auf Online-Portalen oder sozialen Netzwerken im deutschsprachigen Raum aus. Sie hatte etwas getan, was ihre Kollegen und einen Großteil der Öffentlichkeit zutiefst schockiert hat: Sie veröffentlichte eine Infragestellung der Prinzipien der Homöopathie. Zuvor hatte sie diese fast zehn Jahre lang selbst erfolgreich ausgeübt.
Die Veröffentlichung dieses Buches nach dem Buch „Die Homöopathie-Lüge“ (erschienen 2012) löste umso heftigere Reaktionen aus, als es -anders als im Falle der Autoren der „Homöopathie-Lüge“ – viel schwieriger war, ihr Inkompetenz vorzuwerfen, da sie selbst lange Zeit homöopathisch praktiziert hatte. Im Gegensatz zu dem, was manche Kritiker glauben machen wollen, war sie keineswegs eine gescheiterte und frustrierte Homöopathin, die in einem leeren Sprechzimmer vegetierte und von Patienten verachtet wurde. In Handschuhsheim, einem wohlhabenden Stadtteil Heidelbergs, war sie ganz im Gegenteil sehr beliebt und erhielt sogar höchste Punktzahlen auf einer Ärztebewertungsseite [3]. Die Heftigkeit der Reaktionen auf ihr Buch entspricht dem, dass manche sie für eine regelrechte Verräterin halten. [4].
Als die Homöopathie als rationale Alternative erschien
Denn Natalie Grams war schon lange eine überzeugte Homöopathin. Sie fand zu dieser Therapiemethode in den 1990er Jahren während ihres Medizinstudiums in München. Damals war sie in einen Autounfall verwickelt, den sie zwar ohne schwere Verletzungen überstand, aber gleichwohl mit belastenden Folgen, die ihr das Leben schwer machten. Auf Anraten von anderen Fakultätsmitgliedern begann sie, eine Homöopathin wegen ihrer Beschwerden und Ängste zu konsultieren. Ihre Probleme verschwanden recht schnell nach Beginn der Behandlung [5].
Sie schloss daraus auf eine Wirksamkeit der Homöopathie. Dies erschien ihr umso faszinierender, als sie damals mit der zunehmenden Rationalisierung der konventionellen Krankenhausmedizin konfrontiert wurde. Sie sagte der ZEIT, dass sie während ihres praktischen Jahres jedem Patienten, den sie während ihrer Arbeitszeit sah, nur zwei bis drei Minuten widmen konnte. Ein solcher Konsultationsrhythmus entsprach einfach nicht dem, was sie zu diesem langen Studium veranlasst hatte: Dem Wunsch, anderen zu helfen. So entschied sie sich nach ihrem Medizinstudium, sich ausschließlich auf die Praxis der Homöopathie zu konzentrieren [5].
Sie berichtet auch, dass das Medizinstudium, jedenfalls in ihrer Zeit, viel „Auswendiglernen“ war. Die wissenschaftliche Methodik wurde nicht wirklich gelehrt. Das Paket des medizinischen Wissens wurde ihr präsentiert, mit der Autorität der Wissenschaft, ohne dass sie dazu ermutigt wurde, dessen Entstehung, Grundlagen und Zusammenhänge zu verstehen. Die homöopathische Lehre, die sie parallel zu ihrem Medizinstudium erlernte, erschien ihr daher gar nicht grundlegend anders (als die als reines Wissen gelehrte Hochschulmedizin) [3].
Der schwierige Weg zur Rationalität
Natalie Grams hat ihre so erfolgreiche Karriere – wie einige Kritiker behaupten – durchaus nicht aufgegeben, weil sie nichts von Homöopathie verstanden hätte. In Wirklichkeit hat sie einfach einen Schritt vollzogen, den Homöopathen eher vermeiden: Die Konfrontation mit der Wissenschaft. Sie begriff, dass dieser fast 200 Jahre alte Therapieansatz heute keine wissenschaftliche Grundlage hat. Obwohl tief erschüttert, warf sie einen traurigen Blick zurück auf ihre bisherige Karriere und beschloss, die Sache völlig neu zu überdenken [2].
So entschied sie sich, ihre Praxis zu schließen. Heute befindet sie sich in keiner einfachen beruflichen Situation. Außerdem ist sie mit Verbindlichkeiten aus ihrer alten Praxis belastet. Sie musste mit ihrer Familie ihre frühere Wohnung aufgeben. Diejenigen, die behaupten, dass sie von Big Pharma bezahlt wird, um Anti-Homöopathie-Propaganda zu machen, haben ersichtlich keine Vorstellung davon, wie völlig deplatziert ihre Anschuldigungen sind. [3]
Aber diese Position der Ex-Homöopathin, die eigene Prinzipien und eigene Überzeugungen in Frage gestellt hatte, erlaubte es ihr auch, das Informationsnetzwerk Homöopathie ins Leben zu rufen [6]. Nachdem sie lange selbst an die Wunder der homöopathischen Therapie geglaubt hatte, weiß sie genau, wie dieses Milieu funktioniert und welche Motivationen diejenigen haben, die sie selbst anwenden oder therapeutisch aktiv sind. Sie weiß daher sehr gut, wie man Informationen zur Homöopathie präsentiert, um deren Anhänger anzusprechen – einerseits ohne sie zu entmutigen, andererseits, um eine wissenschaftliche, besonnene und objektive Perspektive zu vermitteln [7].
Die Tabus der Homöopathie brechen
Grams‘ Buch trägt nicht umsonst den Titel „Homöopathie neu gedacht“ [8]. In ihrer Präsentation vor der Presse betont sie den im Grunde unverständlichen Dogmatismus der Erben von Samuel Hahnemann (1755-1843), dem Begründer der Homöopathie. Er kannte damals weder Bakterien noch Viren noch Parasiten. Als er seine Methode entwickelte, die er 1810 in seinem „Organon der Heilkunst“ beschrieb, suchte er eine Alternative zu den medizinischen Behandlungen, die damals oft gefährlicher waren als das Übel, das sie heilen sollten. Aber er tat es mit den Mitteln, die er damals hatte. In den nächsten 200 Jahren hat die Wissenschaft, insbesondere die Medizin, bedeutende Fortschritte gemacht und Paradigmen entwickelt, die den Grundlagen der Homöopathie völlig widersprechen. Davon ist Natalie Grams überzeugt: Würde Hahnemann heute wieder auferstehen und moderne Medizin studieren, würde er den homöopathischen Ansatz als völlig überholt und auf falschen Prinzipien beruhend ablehnen [3].
Alte Prinzipien, nie bewiesen, aber von der Wissenschaft widerlegt
Gleiches gilt für die seit Aristoteles bekannte und von großen Namen wie Paracelsus (1493-1541), dem berühmten Renaissance-Arzt,-Chirurgen und Alchemisten, vertretene Signaturenlehre, auf die sich Hahnemann [1] stützte. Diese postuliert, dass die unsichtbare „Natur einer Sache“ durch ihre äußere Form erkannt werden kann und dass bei Dingen der gleichen Form „sympathische“ Beziehungen untereinander bestehen. So sollen Pflanzen oder Gegenstände, die einem Organ ähneln, für die Behandlung von Erkrankungen dieser Organe verwendet werden können. Beispielsweise wurden Nüsse, die wie Gehirne aussehen, als mögliche Mittel gegen Kopfschmerzen angesehen. Paracelsus leitete daraus ein (erweitertes) Ähnlichkeitsprinzip ab, mit dem er postulierte, dass eine Krankheit durch eine Substanz geheilt werden kann, die (beim Gesunden) die gleichen Symptome verursacht (similia similibus curantur)[1]. Mit anderen Worten, es geht darum, das Übel mit dem Üblen zu behandeln, daher der Begriff „Homöopathie“ (aus „Gleiches“ und „Leiden“).
Außerdem widerspricht die moderne Medizin völlig dem Prinzip der Verdünnung (Dilution), das mit dem Prinzip der Ähnlichkeit Hand in Hand geht. Tatsächlich erkannte Hahnemann schnell, dass es gefährlich oder zumindest unzweckmäßig sein kann, bestimmte Stoffe in hohen Konzentrationen anzubieten. Er stellte sich dann einen Verdünnungsprozess der Urtinktur vor (bekanntlich letzten Endes so weit, dass nichts von dem ursprünglichen Wirkstoff in der Lösung verbleibt). Um den Verdünnungsgrad zu quantifizieren, erfand er das Hahnemannsche Zentesimal (CH) [2]. Ein solcher Ansatz steht im Widerspruch zu den Grundprinzipien der modernen Chemie, die postulieren, dass von einer Substanz umso weniger vorhanden ist, je stärker sie verdünnt wird – und umso weniger Wirkung kann sie haben, da eine Wirkung aus der Wechselwirkung zwischen Molekülen resultiert.
Um die „heilenden Kräfte“ zu erhalten, schlug er die Technik der Dynamisierung (Potenzierung) vor, die darin bestand, zwischen den einzelnen Verdünnungen die Lösungsflaschen gegen lederne Bucheinbände zu schlagen. Er dachte, dass die „spirituelle Kraft“ der Substanz so an das Wasser weitergegeben würde. Diese Übertragung der vermeintlichen „therapeutischen Tugenden“ der Urtinktur auf das Wasser ist jedoch trotz zahlreicher Versuche (u.a. des 2004 verstorbenen Jacques Benveniste in den 80er Jahren, was 2009 von Luc Montagnier aufgegriffen wurde) nie wissenschaftlich nachgewiesen worden. Außerdem, wie Natalie Grams ironisch bemerkt, bleibt am Ende des Herstellungsprozesses der homöopathischen Mittel in Form von Globuli nichts als Zucker übrig, da die endgültige Lösung (aus den Potenzierungsschritten), mit denen sie besprüht werden, vollständig verdunstet. Wenn wir nicht nachweisen können, dass Zucker ein Gedächtnis hat, ist nicht einsichtig, wie die Urtinktur, von der nichts mehr vorhanden ist, noch auf den Körper wirken könnte [2].
Ein Placebo, das sich nicht zu erkennen gibt
Obwohl ihre Anhänger duchaus denken, dass es (noch) nicht möglich ist, den Wirkmechanismus der Homöopathie nachzuweisen, bleiben sie dennoch von ihrer Heilkraft überzeugt. Laut Natalie Grams ist dies eines der großen Missverständnisse der Homöopathie. Für sie wie für andere Kritiker liegt die scheinbare Wirksamkeit des homöopathischen Ansatzes vor allem in der im Arzt-Patienten-Verhältnis und im Zuhören des Patienten, nicht in den arzneilichen Heilmitteln. Häufig kommt es zu einer ganzen Reihe homöopathischer Konsultationen, bis der Homöopath herausfindet, was er für die „richtige Behandlung“ hält. Zwischen zwei Konsultationen kann die Erkrankung sich zurückbilden oder sogar zum Verschwinden kommen, spontan oder unter der verzögerten Wirkung einer früheren „allopathischen “ Behandlung. Grams schätzt das so ein, dass Menschen die Ursache ihrer (so) verbesserten Gesundheit fälschlicherweise der Homöopathie zuschreiben [2].
Die Globuli oder andere Darreichungsformen wären deshalb nur Träger eines realen Placebo-Effekts. Das funktioniert entgegen landläufiger Meinung auch bei Haustieren und Babys. In der Tat sind Neugeborene sehr empfänglich für den Ausdruck und die Stimmung ihrer Eltern, genau wie Tiere für diejenigen ihrer Besitzer [7]. Aus diesem Grund glaubt Norbert Aust, einer der Mitbegründer von Grams‘ Informationsnetzwerk Homöopathie, dass Homöopathie allenfalls als eine Art sprechende Psychotherapie verstanden werden kann, aber nicht als mehr. [10].
Eine Disziplin, beherrscht von „künstlerischer Freiheit“ und Beliebigkeit
Das andere große Problem der Homöopathie, so Grams, liegt in der künstlerischen Freiheit (oder Unschärfe), die die Methode sowohl in der Praxis als auch in der Forschung dominiert. Ihr zufolge tut jeder Homöopath ein wenig, was er will und das, was er eben kann. In Deutschland gibt es weder eine Kontrollinstanz noch eine Referenz, die definiert, was gute oder schlechte Praxis ist. Diese Laissez-faire-Haltung zeigt sich besonders deutlich in der Art und Weise, wie homöopathische Forschung betrieben wird. Grams erklärt dem STERN, dass eine Substanz an Freiwillige verabreicht wird, deren Anzahl von zufälligen Kriterien abhängt, um zu sehen, welche Symptome sie nach der Einnahme entwickeln. Auf dieser Grundlage zieht der Arzt Schlüsse darauf, welche Substanz in der Lage sein soll, welche bestimmte Erkrankung mit diesen (bei den Probanden aufgetretenen) Symptomen zu behandeln sei. Variablen werden nicht kontrolliert, Ergebnisse basieren auf selbstberichteten Empfindungen von Freiwilligen, etc. Kurz gesagt, es gibt eine große Beliebigkeit in der Art und Weise, wie homöopathische Behandlungen konzipiert werden [3].
Aber diese Unschärfe und Beliebigkeit spiegelt sich auch in der Schwierigkeit wider, die Homöopathen damit haben, die Grenzen ihres Ansatzes zu erkennen. Obwohl sie bereitwillig verkünden, dass Homöopathie „viel, aber nicht alles kann“[11], scheinen sie nicht imstande zu sein, klar festzulegen, wie weit die Homöopathie gehen kann. In der Tat, wie Grams bemerkt, glauben sie meist, dass Homöopathie in erster Linie „die Abwehrkräfte des Körpers stärken“ soll. Es sollte daher logischerweise in den Heilungsprozess jeder Krankheit eingreifen können. Außerdem wird man nur sehr selten Widerspruch der Homöopathen untereinander finden. Im Gegenteil, sie neigen dazu, zusammenzuhalten. Daher hinterfragen sie ihre Praxis nur sehr selten, im Gegensatz zu dem, was in der wissenschaftlichen Medizin ständig geschieht [5].
Homöopathie, eine Branche, die sich lohnt
Trotz all dieser Mängel ist die Homöopathie eine recht florierende Branche, wie die Ex-Homöopathin der ZEIT erläutert. In Deutschland beläuft sich der Umsatz mit alternativen Heilmitteln (Anthroposophische Medizin, Phytotherapie und Homöopathie) auf insgesamt 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Grams fügt hinzu, dass die Homöopathie entgegen der landläufigen Meinung durchaus teuer ist. Während sich ein konventioneller deutscher Hausarzt meist mit einer Gebühr von 35 Euro pro Patient und Quartal begnügen muss, kann ein Homöopath für die erste Sitzung bis zu 120 Euro verlangen, dann 60 Euro pro zusätzlicher Konsultation, von denen ein Großteil von der Krankenversicherung erstattet wird [5].
Die Erstattung der Homöopathie durch die Krankenversicherung: Risiko der Irreführung
Der Grund dafür, dass Krankenkassen bereit sind, homöopathische Behandlungen und Beratungen zu erstatten, ist in der Regel, dass ihre bevorzugten Kunden junge, gutverdienende und gesundheitsbewusste Menschen sind. Solche Kunden sind profitabel und stellen sogenannte gute Risiken dar. Der Umstand, dass die Homöopathie versichert wird, stellt aber ein weiteres Problem dar: Die Vermischung von Dingen, die nicht zusammengehören. Wenn eine medizinische Behandlung oder Beratung zu den Leistungen der Krankenkassen gehört, dann (im Regelfall) deshalb, weil sie von Zulassungsbehörden auf der Grundlage objektiver medizinischer und wirtschaftlicher Kriterien bestätigt worden ist. Laut Norbert Schmacke, einem Medizinwissenschaftler an der Universität Bremen, wird das Interesse der Versicherer an diesen Therapien daher von den Kunden als Beweis von deren Seriosität interpretiert [5].
Deshalb fordern einige Fachleute, wie der Bremer Mediziner Gerd Glaeske, zunehmend, dass homöopathische Arzneimittel mit Hinweisen auf die fehlende wissenschaftliche Grundlage und zum fehlenden Wirksamkeitsnachweis bei Tests gegen Placebo gekennzeichnet werden sollten.
Darüber hinaus hat die deutsche Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) den Wunsch geäußert, dass die Krankenkassen die Erstattung homöopathischer Leistungen einstellen mögen. Für den Direktor der KBV bedeutet die Erstattungspraxis, „Geld aus dem Fenster zu werfen“ [10].
Für diese kritischen Stimmen ist es unlogisch, dass ein Ansatz, der seine Wirksamkeit nicht bewiesen hat, derart von finanzieller Unterstützung profitieren soll. Dies ist umso absurder, als das deutsche Gesundheitswesen gleichzeitig erhebliche Einsparungen vornehmen muss [10]. Die Hersteller von homöopathischen Mitteln müssen zudem nicht den gleichen finanziellen und wissenschaftlichen Aufwand treiben wie konventionelle Arzneimittelhersteller, die beträchtliche Summen ausgeben, um die Sicherheits- und Wirksamkeitsstandards zu erfüllen und nachzuweisen. Dieses Privileg führt also zusätzlich zu Marktverzerrungen [2].
Ablehnung der Vermengung von „magischem Denken“ und Rationalität
Als Antwort auf diese Kritik fordern viele Homöopathen, allen voran deren Organisationen, einen „Dialog“ mit der Schulmedizin, um das Augenmerk auf eine „Komplementarität“ der beiden Therapieansätze zu richten. Für Natalie Grams ist dieser Dialog nicht nur unmöglich, er wäre auch überhaupt nicht zielführend. Tatsächlich lehnen Homöopathen die Ergebnisse wissenschaftlicher Evaluationen ab, die in der modernen Medizin grundlegend sind [11]. Wie sollte man unter dieser Voraussetzung eine gemeinsame Basis finden können, wenn eine der Parteien das ablehnt, was für die andere essentiell ist? Zudem sei es nutzlos, moderne medizinische Ansätze durch homöopathische Anwendungen zu ergänzen. Es wäre wie die Kombination von Vernunft und magischem Denken. Der Patient würde nicht effektiver behandelt werden, im Gegenteil [5].
Zurück zum ärztlichen Zuhören
Natalie Grams glaubt, dass die Menschen dennoch gute Gründe haben, sich von der konventionellen Medizin abzuwenden. Wie sie der ZEIT erklärte, hat die intensive Rationalisierung der Patientenbetreuung das Arzt-Patienten-Verhältnis grundlegend verändert [5]. Für Eckart von Hirschhausen, einen weiteren Arzt, der im August 2017 vom STERN befragt wurde [10], vermittelt der zunehmende Einsatz fortschrittlicher Technologien den Patienten das Gefühl, dass die Ärzte sie nicht einmal mehr anschauen und sich lieber auf Informationen verlassen, die ihnen die Medizintechnik liefert. Für ihn wirkt sich dies zerstörerisch auf das Vertrauen in die Ärzteschaft aus.
Grams glaubt, dass nicht unbedingt alles von der Homöopathie verworfen werden sollte. Die Schulmedizin sollte sich davon inspirieren lassen, wie die Homöopathie den Patienten in den Mittelpunkt des Behandlungsprozesses stellt und ihn in erster Linie als Menschen betrachtet [2].
Zum Abschluss
Natalie Grams bleibt optimistisch, dass es möglich ist, Vernunft und Wissenschaft wieder in die Debatte über alternative Medizin, insbesondere die Homöopathie, einzubringen. Sie ist jedoch der Ansicht, dass dies ohne eine Reihe von Maßnahmen nicht möglich ist.
Erstens sei es unerlässlich, dass eine Reform des öffentlichen Gesundheitswesens den Patienten wieder in den Mittelpunkt rückt, anstatt sich ausschließlich auf eine wirksame Behandlung der Krankheit zu konzentrieren, insbesondere in Bezug auf deren Kosten und Dauer. Sie ist der Meinung, dass es sich wirklich lohnt, die Erkrankung des Patienten in einen größeren Zusammenhang zu stellen, um die Betreuung besser an die Bedürfnisse des Patienten anzupassen und nicht nur auf einen passiven Konsumenten von Gesundheitsdienstleistungen zu reduzieren. Ihrer Meinung nach wäre dies eine Möglichkeit, die Zahl der medizinischen Fehler zu verringern, die trotz der außerordentlichen Fortschritte der modernen Medizin nach wie einen gewissen Anlass zur Sorge geben. Eine größere Aufmerksamkeit gegenüber dem Patienten, seinem Umfeld, seiner Lebenssituation, seinen Schwierigkeiten aller Art sollte es nach ihren Worten ermöglichen, Diagnose und Behandlungsoptionen schneller und genauer zu bestimmen.
Zweitens sei es wichtig, alle medizinischen Akteure den gleichen Anforderungen zu unterwerfen. Wenn Hersteller von homöopathischen Arzneimitteln Zulassungen erhalten wollen, müssen sie ihre Wirksamkeit nach den gleichen Standards nachweisen wie die Hersteller von konventionellen Arzneimitteln. Es sei auch nicht akzeptabel, dass Behandlungen ohne belegte Wirksamkeit von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden.
Schließlich und zugleich sei es notwendig, die Öffentlichkeit besser über die Prinzipien und das Wirkungsweise der verschiedenen Arten von Therapien zu informieren, aus denen sich das aktuelle medizinische Angebot zusammensetzt, damit die Menschen eine fundierte Entscheidung treffen können. Mit dieser Perspektive haben Grams und andere deutsche und österreichische Skeptiker das Informationsnetzwerk Homöopathie geschaffen [6]. Diese Plattform hat zwei Ziele: Erstens soll sie als Datenbasis für zuverlässige wissenschaftsfundierte Referenzen zu Fragen der Untersuchung der Wirksamkeit und der vermeintlichen Mechanismen der Homöopathie dienen können. Darüber hinaus will sie auch die Öffentlichkeit und vor allem diejenigen, die noch keine nicht mehr erreichbaren Adepten der Homöopathie sind, objektiv informieren.
Dem widmet sich Natalie Grams trotz der Verunglimpfung durch viele Kritiker, allen voran die deutschen Homöopathieverbände. Ihr neuestes Buch bietet deshalb verständnisvolle, empathische Unterstützung für Patienten, die sich im deutschen Medizindschungel nur schwer zurechtfinden. [12].
Referenzen
[1] Weymayr C, Heißmann N, Die Homöopathie-Lüge – So gefährlich ist die Lehre von den weißen Kügelchen , Piper, 2012, 336 p. [2] Prösser C, “Es war mein Lebenstraum”, Die Tageszeitung, 8. April 2016. Auf taz.de [3] Albrecht B, “Warum Natalie Grams mit der Homöopathie gebrochen hat, Stern, 25 .November 2015. Auf stern.de [4] Schmitz T, “Die Globulisierungsgegnerin” , Tages Anzeiger, 25.Januar 2017. Auf tagesanzeiger.ch [5] Grabar E, “Die Nestbeschmutzerin” , Die Zeit Online, 15. Mai 2016. Auf zeit.de [6] Informationsnetzwerk Homöopathie). netzwerk-homoeopathie.eu [7] Locker T, « Derrière le rideau du lobby homéopathique », Motherboard Vice, 18 Juli 2017. Auf motherboard.vice.com [8] Grams N, Homöopathie neu gedacht – Was Patienten wirklich hilft , Springer-Verlag, 2015, 225 p. [9] Brissonnet J, « Qu’est-ce que l’homéopathie ? », August 2008. Auf pseudo-sciences.org [10] Kriesl L, Fuchs S, “Streit um Homöopathie – wirken Globuli oder nicht ?”, Stern, 11. August 2017. Auf stern.de [11] Weber N, “Humbug” , Spiegel Online, 14. Juni 2017. Auf spiegel.de [12] Grams N, Gesundheit ! Ein Buch nicht ohne Nebenwirkungen , Springer-Verlag, 2017, 336 p.[1] Anmerkung INH: Das ist nicht ganz zutreffend. Paracelsus war nicht der Erfinder des so präzisierten Simileprinzips, dafür war es damals noch zu früh. Paracelsus‘ Ähnlichkeits- oder Sympathielehre war weitaus „primitiver“. Allerdings gab es 60 Jahre vor Hahnemann bereits Literatur über Medikation mit einem verfeinerten Ähnlichkeitsprinzip, Hahnemann ist aber der gesamten Ähnlichkeits- und Sympathielehre verpflichtet. Was führende Homöopathen bestreiten und Hahnemann eine völlig originäre „Entdeckung“ zuschreiben wollen. (Anm. d. Übers.)
[2] Französische Schreib- und Ausdrucksweise (Anm. d. Übers.)
Der Originalbeitrag ist unter http://www.pseudo-sciences.org/spip.php?article3014 zu finden.
Bildnachweis: Springer, Heidelberg 2015/2017