Der Zentralverein homöopathischer Ärzte hat es sich nicht nehmen lassen, auf seiner Webseite das Memorandum „Über die Pseudowissenschaft Homöopathie“ der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAS) zu kommentieren und natürlich heftig zu kritisieren. Was ist nun von den Argumenten der homöopathischen Ärzte zu halten? Schauen wir uns die Kernaussagen einmal an:
Berlin, 8. Februar 2017. Die Forderung nach einem Homöopathie-Verbot in Russland löst starke Kritik aus.“
Und wieder der ständige rhetorische Trick, Dinge zu unterschieben, von denen gar keine Rede ist. Niemand redet von einem „Homöopathie-Verbot“. Es geht darum, der Homöopathie im öffentlichen Gesundheitswesen Russlands keinen Platz mehr einzuräumen. Dies wird zudem von der Akademie der Wissenschaften nicht gefordert, sondern dem Gesundheitsministerium zur Umsetzung empfohlen. Immerhin handelt es sich um ein Statement der führenden wissenschaftlichen Institution Russlands auf der Grundlage eines in breitem wissenschaftlichem Konsens getragenen Gutachtens. Wer Homöopathie als Konsument möchte, kann sie weiterhin in den Apotheken erhalten – aber ohne Beratung und mit dem Pflichthinweis, dass es keinen wissenschaftlich gesicherten Wirkungsnachweis gibt.
„Es fehle an einer glaubwürdigen ‚theoretischen Begründung der unterstellten Wirkmechanismen‘ der Homöopathie, so die Kommission. Eine eigene Studie führte sie allerdings nicht durch.“
Zu allererst einmal stellt die Akademie fest, dass es keinen Nachweis für eine spezifische Wirkung der Homöopathie gebe. Der Aspekt der Wirkungsmechanismen wird – völlig zutreffend – im Nachgang behandelt. Memorandum und Gutachten legen auf der Grundlage des weltweiten wissenschaftlichen Konsens dar, dass und warum die Homöopathie eine unwissenschaftliche Scheintherapie ist. Richtig, die RAS legt deshalb auch „keine eigene Studie“ vor, denn sie führt ja sozusagen eine Metaanalyse durch. Dem altbekannten Ruf nach „mehr Forschung“ erteilt die Akademie dabei eine klare Absage – sie stellt sich eindeutig auf den Standpunkt, dass die Gesamtschau der vorliegenden Ergebnisse ein sicheres Urteil darüber erlaube, dass die Homöopathie als Pseudowissenschaft einzustufen sei. Dem pflichten wir uneingeschränkt bei. In dem ständigen Ruf nach „mehr Forschung“ sieht die Akademie eher einen der Gründe, weshalb es der Homöopathie bislang immer wieder gelungen ist, ihre Fortexistenz zu sichern. Dieser Argumentation verweigert sich die Akademie jedoch – mit guten Gründen.
„Gennadi Onischtschenko war oberster Amtsarzt Russlands und bis Ende 2013 Leiter der „Föderalen russischen Behörde für den Schutz von Konsumentenrechten und das menschliche Wohlergehen“. Er warnt laut „Deutsche Welle“ davor, „gegen die Homöopathie mit dem Schwerte zu fuchteln.“ Es gebe in der Medizin vieles, was „nicht erklärbar“ sei. Auch innerhalb der RAW gibt es Kritik am geforderten Homöopathie-Verbot. Wadim Zilow – ein Neurophysiologe von der Moskauer Universität und Mitglied der RAW – sprach sich für eine „Existenzberechtigung“ der Homöopathie aus.“
Ja, und? Jemanden mit einer Meinung pro Homöopathie wird es immer geben. Schon deshalb, weil es erst gerade 20 Jahre her ist, als die Homöopathie in Russland ins öffentliche Gesundheitswesen aufgenommen wurde, Leute aus dieser Ära sind zweifellos noch aktiv. Angesichts des geballten wissenschaftlichen Sachverstandes der Akademie, der Kommission und des Gutachter-Arbeitskreises ist das aber nicht einmal als Autoritätsargument brauchbar. Und wieder die Geschichte mit dem, was es noch alles zwischen Himmel und Erde gibt…
Es folgt nun noch der Hinweis auf die fehlende Patientenbeteiligung, natürlich verbunden mit dem Hinweis auf die so hervorragenden Ergebnisse der Versorgungsforschung. Patientenbeteiligung? An einer hochrangigen Beurteilung einer Methode durch ein nationales Wissenschaftsgremium? Hier liegt offensichtlich ein Missverständnis beim DZVhÄ zugrunde, was den Charakter des russischen Memorandums angeht. Es ist ebensowenig eine „Studie“ wie das Statement des EASAC, des Zusammenschlusses der europäischen Wissenschaftsgemeinschaften. Und sich dabei auch noch auf „Versorgungsforschung“ zu berufen – nun, es ist fast müßig, zu wiederholen, dass die Versorgungsforschung kein Instrument ist, um die Wirksamkeit einer spezifischen Methode nachzuweisen. Was die WissHom in Teil 1 ihres Readers selbst so sieht.
Natürlich darf auch der Hinweis auf eben den Forschungsreader der WissHom nicht fehlen, der bekanntlich den selbstgesetzten Anspruch, einen Nachweis für die spezifische Wirkung der Homöopathie zu erbringen, nicht einmal im Ansatz einlösen konnte. Allen Ernstes führt der DZVhÄ aus: „Das russische Gesundheitsministerium, das nach dem Vorstoß der RAW eine Nutzenbewertung der Homöopathie angekündigt hat (was nicht zutrifft, es hat angekündigt, zu reagieren – und zwar im Sinne des Memorandums), sollte diese Studien und den WissHom Forschungsbericht berücksichtigen. ‚Die Homöopathie zu verbieten (sic!), weil ihr Wirkmechanismus unbekannt ist (sic!), würde wissenschaftlich zu kurz greifen. Und es wäre ein herber Schlag gegen die Therapiefreiheit in Russland‘, erklärt Bajic (seinerzeit 1. Vorsitzende des DZVhÄ).“
Richtig lesen hätte sicher geholfen – denn all das steht nirgends, nicht im Memorandum und nicht im Gutachten.
Die weltweit führenden und anerkannten Veröffentlichungen zur Homöopathie sind sämtlich in der Referenzliste des Akademie-Gutachtens aufgeführt. Dass der WissHom-Reader fehlt, dürfte nur aus der Sicht des DZVhÄ ein Mangel sein. Nochmal: Die Homöopathie wird nicht verboten, sondern aus dem öffentlichen Gesundheitssystem Russlands verbannt. Und dies geschieht nicht, weil ihr Wirkungsmechanismus unbekannt ist, sondern explizit, weil sie jeden Nachweis einer spezifischen arzneilichen Wirkung überhaupt schuldig geblieben ist. Was die Therapiefreiheit angeht, so findet die Akademie der Wissenschaften:
„Dieses Memorandum stellt fest, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft Homöopathie heute als Pseudowissenschaft betrachtet. Ihre Verwendung in der Medizin steht im Gegensatz zu den grundlegenden Zielen der nationalen Gesundheitspolitik, daher sollte ihr öffentlicher Widerstand entgegengesetzt werden. “
Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer, dass auch die Therapiefreiheit Grenzen hat. Nämlich medizinethische.
Autor: Udo Endruscheit
Weitere Details, auch zu den vom DZVhÄ zitierten russischen Gewährsleuten, finden sich in diesem Beitrag des Scienceandsense-Blogs.
Bildnachweis: Photograph, with permission, by Nataliya Sadovskaya, aus: Gelfand M: Doing Science in Uncertain Times. PLoS Biol 2/7/2004: e214. doi:10.1371/journal.pbio.0020214, CC BY 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1374399