Was sagt die Physik zur Homöopathie? (Und warum hat sie etwas dazu zu sagen?)

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Zusammenfassung

Physik und Homöopathie - ein Feld unauflöslicher Widersprüche.

Physics and homeopathy - a field of irresolvable contradictions.

Entstehung eines Higgs-Bosons (Simulationsdarstellung)
Entstehung eines Higgs-Bosons (Simulationsdarstellung)

Einer der prominentesten Befürworter der Homöopathie, Prof. Dr. Dr. Harald Walach, ehemaliger Leiter des Instituts für transkulturelle Gesundheitswissenschaften (IntraG) an der Universität Frankfurt/Oder erklärt: „Homöopathie ist meiner Meinung nach einfach sehr systematisierte Magie“ und „Homöopathie ist zunächst einmal Nichtstun mit Wohlwollen“.

Dieser Erklärung kann ich als Physiker voll zustimmen. Demnach wird bei der Behandlung die Suggestivwirkung des Arztes durch den Glauben an das Medikament unterstützt. Darüber hinaus betrachtet Walach die Homöopathie jedoch keineswegs nur als Placebo, sondern nimmt ihre spezifische Wirksamkeit an, die auf einer „Anomalie“ gegenüber der bisherigen Wissenschaft beruhen soll.

Ich sage als Wissenschaftler grundsätzlich nicht: Das geht nicht, oder das gibt es nicht, sondern ich nehme an, die Gegenseite habe recht. Ich zähle dann, wie viele Nobelpreise im Falle der Richtigkeit fällig wären. Ein Nobelpreis ist fällig, wenn der Entdecker etwas herstellt, das es nach der bisherigen Lehrmeinung gar nicht geben sollte. Beispiel: Es war allgemein akzeptierte Lehrbuchaussage, dass es keine Kristalle mit fünfzähliger Symmetrie gibt. Dann zeigte Dan Shechtman, dass bestimmte Stoffe bei bestimmten Temperaturen doch fünfzählig sind und erhielt den Nobelpreis.

Worin besteht die Spannung zwischen Physik und Homöopathie?

Viele von der Homöopathie bemühte Phänomene fallen in den Bereich der Physik.

    • Succussionsphänomen

Hahnemann nimmt an, dass durch die „Potenzierung“, d.h. stufenweises Verdünnen mit dazwischen geschaltetem Schütteln (lat. succussio) etwas qualitativ anderes entsteht als durch einfaches Verdünnen in einem Zug. Er nennt dies „geistartige Kraft“. Ein derartiges Phänomen ist der heutigen Physik und Chemie unbekannt.

    • Abwesenheitsphänomen

Betrachten wir das häufig verwendete Homöopathikum Belladonna D30. D30 heißt, dass 30 mal 1:10 verdünnt wurde.

Diese Verdünnung entspricht dem Auflösen eines Zuckerstückchens in einer Wassermenge, die in tausend Erdkugeln Platz hat. Vergleichen Sie das Becken, in dem Gläser gespült werden, mit dem Volumen von tausend Erdkugeln, dann verstehen Sie meinen Satz: In keinem Restaurant wird Ihr Glas von den Spuren des vorigen Getränks und des vorigen Trinkers so perfekt befreit, wie ein Fläschchen Belladonna D30 von Belladonna. Wo Belladonna D30 draufsteht, ist kein Belladonna drin. Wichtig für die Homöopathie sind die Präparate in der Potenz C30, weil nach Hahnemann (§ 128 Organon) damit meist die Arzneimittelbilder festgestellt werden. Diese Arzneimittelbilder sind die Grundlage der homöopathischen Therapie. Die Homöopathie steht und fällt also mit der Herstellbarkeit und Wirksamkeit der C30-Präparate. C30 heißt, dass 30 mal 1:100 verdünnt wurde. Hier reicht nicht mehr das Wasser in Erdkugeln, hier kann man nur noch mit Milliarden von Galaxien rechnen.

    • Reinheitsphänomen

Nachdem wir wissen, dass in einem Hochpotenz-Homöopathikum „nichts drin“ ist, stelle ich die umgekehrte Frage: „Was ist drin?“ Was drin ist, sagt das Homöopathische Arzneibuch. Es schreibt vor, dass „gereinigtes Wasser“ und „Alkohol“ zu verwenden sind.

Wasser und Alkohol sind aber keineswegs völlig reine Substanzen. In manchen Gebieten enthält Wasser Kalk, in anderen Eisen. Der Alkohol enthält unterschiedliche Nebenbestandteile, je nachdem, ob er aus Weintrauben, Roggen, Kartoffeln, Reis, Mais, Zuckerrohr usw. hergestellt wurde. Auch die Art der Hefe hat einen Einfluss. Diese Nebenbestandteile werden mitpotenziert. Nach dem Europäischen Arzneibuch darf beim „gereinigten Wasser“ der Verdampfungsrückstand je 100 ml 1 mg betragen. Das entspricht D5. Außerdem darf gereinigtes Wasser je ml 100 Mikroorganismen enthalten.

Beim Alkohol beträgt der erlaubte Verdampfungsrückstand 2,5 mg je 100 ml. Dazu kommen die flüchtigen Bestandteile. Insgesamt darf die Summe der flüchtigen Bestandteile 300 ppm betragen. Das ist mehr als D4. Dies ist kein billiger Schnaps, sondern der Apotheker-Alkohol, mit dem die Homöopathika hergestellt werden.

Der Hersteller wird als Wasser bzw. Alkohol immer die Produkte verwenden, die am billigsten verfügbar sind. Je nach Marktlage ergeben sich so z.B. „Eisen in Kartoffel mit Mikroorganismen aus der Spree“ oder „Kalk in Zuckerrohr mit Mikroorganismen aus der Donau“.

Werden Streukügelchen korrekt nach § 270 Organon hergestellt, sind auch noch die Nebenbestandteile des Milchzuckers und des Fließpapiers enthalten.

Es entstehen somit völlig unterschiedliche Präparate, die nur zwei Dinge gemeinsam haben: Es steht Belladonna drauf. Es ist kein Belladonna drin. Also sind die auf diese Weise ermittelten Arzneibilder und die darauf beruhenden Bücher (materia medica und Repertorienbücher) falsch. Daher formuliere ich meine falsifizierbare These:

Im Hochpotenzbereich arbeiten die Homöopathen nicht nur mit falschen Medikamenten, sondern auch mit falschen Büchern

    • Medizin-Rezeptorenphänomen

Die heutige Medizin geht davon aus, dass die Medikamente als Materie im Körper an bestimmte Rezeptoren andocken. Da C30-Präparate keine Materie der Ausgangssubstanz enthalten, müsste der Körper über irgendwelche Sensoren für die „geistartige Kraft“ verfügen. Diese sind der heutigen Medizin unbekannt.

Dr. Ulrike Keim, Dozentin für Homöopathie im IntraG, hat das Arzneimittelbild von Marmor ermittelt, und zwar korrekt nach Hahnemann in der Potenz C30. Sie hat festgestellt, dass Marmor C30 Träume von Feen hervorruft.

Hierdurch ist der Weg zu einer Revolution von Physik, Chemie und Medizin frei. Ich habe mehrfach zu einer Reproduktion des Ergebnisses aufgerufen. Bei Erfolg sind die zugehörigen Nobelpreise fällig und Frankfurt (Oder) geht in die Geschichte der Wissenschaft ein wie Berlin-Dahlem durch die Entdeckung der Kernspaltung.

Zur Verdeutlichung: Wenn die Hochpotenzen keine für die Ausgangssubstanz spezifische Wirkung haben, können die Homöopathie-Pharmafirmen ihre Fabriken zuschließen. Man braucht nur noch ein großes Fass mit Lösungsmittel, aus dem man die Fläschchen ohne Etikett abfüllt. Je nach Verordnung des Arztes druckt dann der Apotheker das Etikett mit Natrium muriaticum D60 oder Luesinum C200. Das wirkt durch „Nichtstun mit Wohlwollen“.

Das Argument der falschen Bücher ist unabhängig vom Placebo-Effekt und trifft die Homöopathie ins Mark. Wenn meine These falsch ist, dann muss die Physik stärker geändert werden als durch Planck und Einstein, die Medizin stärker als durch Semmelweis und Koch – und zahlreiche Nobelpreise sind fällig.

Ich schreibe bewusst: „stärker geändert werden als durch …“. Planck und Einstein haben die Physik der Phänomene, die sie vorgefunden haben, nicht verändert; Dampfmaschine und Elektromotor funktionieren noch genauso wie vorher. Sie haben das Anwendungsgebiet der Physik erweitert auf Phänomene, die man vorher gar nicht herstellen konnte, weil man nicht die Geräte dafür hatte. Planck erweiterte die Physik auf die ganz kleinen Phänomene, Einstein auf die ganz großen.

Im Falle der Homöopathie sollen Phänomene auftreten, die seit 200 Jahren durch einfaches Verdünnen und Schütteln in jeder Apotheke hergestellt werden können. Wenn diese erklärt werden sollten, müsste die Physik stärker geändert werden als durch Planck und Einstein. Semmelweis hat gelehrt, dass an Leichen gebildete Stoffe Kindbettfieber verursachen; Koch hat gelehrt, dass einige Bakterien Krankheiten hervorrufen. In jedem Fall handelt es sich um die Wirkung von Materie. Bei der Homöopathie handelt es sich jedoch nicht um Materie, sondern nach § 128 Organon um „schlafend gelegne Kräfte“ oder in heutiger Ausdrucksweise um „Information“ oder „Schwingung“. Sollten diese auf den Menschen wirken können, müsste die Medizin stärker geändert werden als durch Semmelweis und Koch.

Die obigen Ausführungen bezogen sich auf den Mechanismus der Homöopathie. Wie steht es mit ihrem Wirkungsnachweis?

Hier argumentieren Befürworter und Kritiker der Homöopathie mit aufwändigen Studien und Metastudien, die sie mit großem Aufwand an Wissenschaftslogik und Statistik unterschiedlich interpretieren. Ich sehe die Sache einfacher:

Gibt es Beweise für die Wirksamkeit der Homöopathie? Das frage ich nicht die Skeptiker, sondern drei Wissenschaftler, die sich in einer sehr homöopathiefreundlichen Umgebung befinden:

    1. Die Carstens-Stiftung hat an der Charité in Berlin einen Stiftungslehrstuhl eingerichtet. Sie finanzierte für fünf Jahre eine Professur. Diese Professur hatte Claudia Witt, die in ihrer Habilitationsschrift feststellt: „Ein eindeutiger Wirknachweis homöopathischer Arzneimittel und die Formulierung eines Wirkmechanismus der homöopathischen Potenzen liegen bis heute nicht vor.“. Das ist ein Satz wie ein Hammerschlag. Offenbar haben weder die beiden Berichtenden, noch der Institutsdirektor Prof. Willich diesen Satz beanstandet.
    2. Vier Jahre später schreiben Witt und Willich in einer gemeinsamen Erklärung: „Bisher ist nicht eindeutig belegt, dass sich homöopathische Arzneimittel von Placebo unterscheiden.“. Ich gehe davon aus, dass Witt und Willich kompetente Wissenschaftler sind. Sie wissen, dass ein Wirkungsnachweis der Homöopathie die heutige Wissenschaft radikal umwerfen würde. Sie behaupten nichts dergleichen.
    3. Witt bedankt sich beim Dipl.-Statistiker Rainer Lüdtke, der jetzt beim Stifterverband für die deutsche Wissenschaft tätig ist. Bis 2011 hat er 18 Jahre lang für die Carstens-Stiftung gearbeitet. Er hat zahlreiche Studien über die Homöopathie, auch Dissertationen, wissenschaftlich begleitet. Vermutlich ist er derjenige mit dem größten Überblick über die Studienlage. Man könnte also erwarten, dass er sagt: „In der Studie X haben wir die Wirksamkeit der Homöopathie zweifelsfrei festgestellt und warten jetzt auf die Nobelpreise.“. Weit gefehlt! Was tut Lüdtke nach 18 Jahren bei der Carstens-Stiftung? Er schreibt in der von ihm mit herausgegebenen Zeitschrift „Forschende Komplementärmedizin“ ein Editorial, in dem er darüber nachdenkt, auf welche Weise Placebo-Effekte entstehen. Nach 18 Jahren Nachdenkens über Placebo – das ist wohl das Schlimmste, was man über Homöopathie sagen kann.

Kurz: Wenn selbst Witt, Willich und Lüdtke keinen Wirkungsnachweis der Homöopathie gefunden haben, dann gibt es (bisher) keinen!


(Autor: Prof. Dr.-Ing. Martin Lambeck †, Physiker und Autor des Buches „Irrt die Physik“, C. H. Beck-Verlag, 2015)

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Foto: Lucas Taylor / CERN / CC BY-SA via Wikimedia Commons

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