Unterdrückt die mächtige Pharmaindustrie die Homöopathie ?

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… und stehen die Homöopathiekritiker in den Diensten der Pharmaindustrie?

Grafitti, where the orginal text
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Beides sind offenbar unausrottbare Narrative, die uns täglich begegnen. Hinter dieser Vorstellung stehen Annahmen, die mit der Realität schlicht nichts zu tun haben.

Und warum sagen wir hier so ausführlich etwas dazu? Weder, um die Pharmaindustrie zu „promoten“  noch um die Homöopathie „schlecht aussehen“ zu lassen. Wir wissen sehr wohl, dass es viele Ursachen dafür gibt, dass Menschen der Homöopathie trotz aller wissenschaftlichen Argumente anhängen. Auch diese würden wir sehr gern mit unseren Informationen erreichen, denn wir glauben an die Überzeugungskraft von validen Argumenten. Zu diesen Ursachen und Motiven, bestimmte Positionen für „wahr“ zu halten – das zeigen die ständigen Hinweise in unseren Diskussionen auf die „böse“ Pharmaindustrie und die „gute“ Homöopathiefabrikation – gehört immer wieder die Geschichte vom Unterdrückten und vom Starken, die kognitiv einen großen Reiz bei der Meinungsbildung ausübt. Zudem hat sie auch oft die Funktion, wichtigen Argumenten auszuweichen und eine scheinbar höhere moralische Position einzunehmen. Das verstehen wir durchaus.

Aber das ist nicht nur grundsätzlich ein Problem bei der Beurteilung von komplexen Dingen und der Suche nach einer persönlichen Position, sondern im Falle der Homöopathie schlicht und einfach auch eine grob falsche Annahme. Das möchten wir im Nachfolgenden sachlich belegen.

Erstens wird man bei der wissenschaftlich fundierten Homöopathiekritik, wie sie das INH vertritt, nirgends irgendeine „Parteinahme“ für die Pharmaindustrie finden. Homöopathiekritik dient nicht Einzelinteressen, sondern zielt auf eine insgesamt bessere, am Wohl des Patienten orientierte Medizin ab.

Zweitens kann man in vielen homöopathiekritischen Artikeln immer wieder lesen, dass es nicht um „mehr Chemie“, sondern um ein größeres Vertrauen in die Selbstheilungskräfte und die so oft selbstregulierenden natürlichen Krankheitsverläufe geht. Wo Homöopathika scheinbar „wirken“, nutzen sie nur die Selbstheilungskräfte und die Kontexteffekte der Behandlung. Dort sind pharmazeutische Medikamente in der Regel genau so überflüssig wie Homöopathie. Wo Homöopathie bei einer Überforderung der Selbstheilungskräfte nichts bewirken kann, beginnt die Domäne der wissenschaftlich fundierten Medizin. Mit „Pharma statt Homöopathie“ hat das ersichtlich nichts zu tun.

Drittens rechnen die Homöopathiehersteller sich selbst zur (herstellenden und vertreibenden) Pharmaindustrie – und vice versa (kein Thema sind hier Verbände der forschenden Pharmaindustrie – was sollten Homöopathen dort auch für eine Interessenlage haben). Niemand stellt sich dort gegenseitig in Frage. Das belegt allein die Mitgliedschaft der Homöopathiehersteller in den großen Verbänden der Pharmaindustrie. Diese Verbände selbst treten offensiv pro Homöopathie auf. Sie unterhalten in ihren Webauftritten umfangreiche Info-Seiten zur Homöopathie, einer der großen Verbände betreibt darüber hinaus ein gesondertes eigenes Homöopathie-Portal.

Und viertens stehen die Pharmaverbände den Kritikern der Homöopathie recht unfreundlich gegenüber. Eine der schärfsten Attacken gegen das Statement des EASAC (des Beirats der Vereinigung der europäischen Wissenschaftsakademien) zur Homöopathie im Jahre 2017 stammt vom Bundesverband der pharmazeutischen Industrie. Darin werden nicht nur hochrangige Wissenschaftler auf persönlicher Ebene zu diskreditieren versucht, der BPI versteigt sich sogar zu der Aussage, es sei sein „Ziel (…), die Kritik an (…) wissenschaftlichen Argumenten gegen homöopathische Produkte zu stärken“.  Man lese dies ruhig zwei Mal. Das sagt ein Verband, dessen hauptsächliches Geschäftsfeld auf stringenter wissenschaftlicher Methodik beruht.

Unterstrichen wird all dies dadurch, dass anlässlich der Kritik von Prof. Hecken (Gemeinsamer Bundesausschuss) an der Erstattungsfähigkeit von Homöopathie durch Krankenkassen sich diese Verbände geschlossen gegen jegliche Beschränkung der Homöopathie im öffentlichen Gesundheitswesen ausgesprochen haben.

Das hört sich nun nicht danach an, als sei man der wissenschaftlich fundierten Homöopathiekritik wohlgesonnen. Und so hat uns auch bislang niemand die Gegenfrage beantworten können, was überhaupt die Pharmaindustrie bewegen sollte, Homöopathiekritiker als „Lohnschreiber“, „Knechte“ oder was es da an noch stärkeren Ausdrücken gibt, in Dienst zu nehmen und zu honorieren.

Übrigens, fünftens: Fehler, Mängel und auch Skandale der Pharmaindustrie relativeren in keiner Weise die Homöopathiekritik und machen die Homöopathie keinen Deut wirksamer; der Fingerzeig hierauf ist ein Ablenkungsmanöver, man nennt das „Whataboutism“ .

Und sechstens üben viele bekannte Homöopathiekritiker in Artikeln, Interviews und Büchern auch immer wieder deutliche und fundierte Kritik an Pharmaindustrie und Gesundheitswesen – entsprechend dem Ziel, für eine insgesamt bessere Medizin einzutreten. Es gibt dort keine Einseitigkeit, die gibt es nur in den reflexartigen Abwehrmechanismen, die leider gegen alle Fakten und jede Logik der Homöopathiekritik immer wieder entgegenschlägt.

Böse Pharmaindustrie – gute Homöopathiehersteller – das scheinmoralische „Argument“

Auch das scheinmoralische Pseudoargument, die Produkte der Pharmaindustrie seien für -zig Todesfälle und zusätzliche Erkrankungen verantwortlich und das gebe es eben bei der sanften und nebenwirkungsfreien Homöopathie nicht, gehört in den Bereich des Whataboutism: Der Umstand, dass mit der Homöopathie eine komplette Therapierichtung auf der Grundlage spezifisch unwirksamer Mittel existiert und damit als solche selbst als potenzielles Risiko angesehen werden muss, wird unterschlagen. Bei allen kritisierbaren Mängeln (und unvermeidlichen Fehlschlägen) produziert die klassische pharmazeutische Industrie viele wirksame, oft lebensnotwendige Arzneimittel für Abermillionen Menschen und bewegt sich bei der Arzneimittelentwicklung oft auf wirtschaftlich wie medizinisch unsicherem Terrain. Die Homöopathie vermarktet dagegen Mittel, die nie einen Beleg für eine spezifisch arzneiliche Wirkung nachweisen konnten – ihre „Forschung“ ist obsolet, da sie vorrangig der Selbstrechtfertigung ihrer Methode dient („Bestätigungsforschung“) und vom Ansatz her keine „Fortschritte“ als Beitrag zur Medizin hervorzubringen imstande ist.

Aber die Macht des Geldes …

Dessen ungeachtet beschwören Befürworter der Homöopathie oft das vermeintliche Argument, wonach „die Pharma-Lobby“ aus rein gewinnorientiertem Eigeninteresse die Homöopathie unterdrücken würde. Hier vermischen sich viele Aspekte, insbesondere die generelle Kritik an „den Konzernen“ mit allgemeiner Kapitalismuskritik und mit dem imaginierten Gegenbild einer eher romantischen Vorstellung vom „einfachen Leben“ und „zurück zur Natur“, mit „altem Wissen“ und „Tradition“.

„In Handarbeit“ hergestellte Produkte werden idealisiert, industrielle Produktion hingegen wird als „seelenlos“ angesehen und damit „dämonisiert“. Dass es sich jedoch bei Homöopathika-Herstellern genauso um industrielle Wirtschaftsbetriebe und Großunternehmen handelt, wird dabei völlig übersehen. Homöopathie-Anhänger scheinen zu glauben, dass die Globuli in Kleinbetrieben – angesiedelt irgendwo auf dem Lande in unberührter Natur, mit einem Kräutergarten gleich hinter dem Haus – hergestellt würden. Bei der Homöopathie-Werbung wird häufig sogar geradezu assoziiert, Globuli wüchsen auf kleinen Bäumchen und würden dort von feenartigen Wesen sanft heruntergestreichelt.

Nur die Realität sieht völlig anders aus und bietet keinen Anhalt für verklärende Assoziationen. Nach in der Europäischen Union üblichen Standards gelten Unternehmen mit bis zu 250 Mitarbeitern als sogenannte KMU (kleine und mittlere Unternehmen). Die bedeutendsten Unternehmen, die Homöopathika herstellen, liegen jedenfalls deutlich über dieser Grenze.

Besonders bemerkenswert in dieser Branche ist die Dominanz zweier Konzerne, des Schwabe-Konzerns und der Delton AG.

  • Die Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co. KG ist das Mutterunternehmen des Schwabe-Konzerns mit 3.600 Mitarbeitern und einem Umsatz von 900 Mio. EUR (1, 3). Zum Schwabe-Konzern gehören gleich eine ganze Reihe der bekanntesten Homöopathie-Unternehmen. So z. B. die Deutsche Homöopathie-Union DHU Arzneimittel (DHU), Karlsruhe und die ISO-Arzneimittel GmbH & Co. KG, Ettlingen. Auch die namhafte österreichische Firma Dr. Peithner KG ist eine hundertprozentige Tochter des Schwabe-Konzerns.
  • Alleiniger Aktionär der Delton AG ist Stefan Quandt. Zur Delton AG (4) gehört die Biologische Heilmittel Heel GmbH, ein weiterer bekannter Vertreter der Homöopathie-Branche (2). Stefan Quandt ist Mitglied der gleichnamigen deutschen Unternehmerfamilie, Milliardär und zählt zu den reichsten Deutschen (5). Die homöopathischen Produkte dieser Unternehmen machen den ganz überwiegenden Teil des Umsatzes auf dem deutschen Markt aus.

Natürlich gibt es auch Mittelständler (KMU) unter den Homöopathie-Herstellern. Diese oft spezialisierten Hersteller erzielen aber auch Umsätze im zweistelligen Millionenbereich und sind strikt als produzierende Wirtschaftsunternehmen – auch in den genannten Verbänden – organisiert.

Das idyllisch verklärte Bild von der Homöopathie-Branche, das sich viele Globuli-Konsumenten machen und das von der Homöopathie-Werbung zusätzlich geschürt wird, muss deshalb als eine schönfärberische Illusion bezeichnet werden. Tatsächlich handelt es sich ganz einfach um eine nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten organisierte Homöopathie-Industrie und zu großen Teilen um nichts anderes als Big Business.

Vergegenwärtigt man sich außerdem noch die Rohstoff-Seite der Homöopathie, so wird einem auch klar, welch große Gewinne in dieser Branche erwirtschaftet werden können.

Dass sich die Homöopathie wegen mangelnder Wirtschaftskraft von irgendeiner Seite bedroht fühlen muss, kann also auch leicht dem Reich der Märchen und Legenden zugerechnet werden.

Kleiner Nachtrag, Oktober 2022:

Wer immer noch nicht überzeugt ist, schaue sich einmal diese aktuelle Meldung an, die eindrücklich das Verhältnis zwischen der Pharmaindustrie und den „alternativen“ Herstellern zeigt:
Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie verleiht der Firma Weleda seinen Nachhaltigkeitspreis. Na, dann Glückwunsch! 


Die Transparenzerklärung des Informationsnetzwerks Homöopathie finden Sie hier.

Mehr über die Branchenverbände der Pharmaindustrie in Deutschland finden Sie in unserer Homöopedia.


Autoren für das INH: Dipl.-Ing. Karl Payer, Physiker; Udo Endruscheit


(1) Webseite der Fa. Willmar Schwabe, abgerufen am 23.05.2020
(2) http://www.heel.de/de/facts-and-figures.html
(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Dr._Willmar_Schwabe
(4) https://de.wikipedia.org/wiki/Delton
(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Stefan_Quandt


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