„Zur Wirksamkeit der Homöopathie“ – das INH zu Veröffentlichungen im Journal der KV Hamburg

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Hamburg, das RathausDass auch bei der Ärzteschaft in Sachen Homöopathie einiges in Bewegung kommt, sieht man allein an den inzwischen neun Landesärztekammern, die innerhalb der letzten zwölf Monate neue Weiterbildungsordnungen ohne Homöopathie verabschiedet haben (darunter auch Hamburg). Die Haltung der Ärzteschaft ist zweifellos zentral für das Ziel, der Öffentlichkeit Fakten statt Mythen über die Homöopathie nahezubringen und den Gesetzgeber endlich zu einem Umdenken zu veranlassen, was die Rolle der Homöopathie im Gesundheitswesen angeht. Man denke nur an das Beispiel Frankreichs.

Von daher begrüßen wir die Diskussion auch und  gerade innerhalb der Ärzteschaft.

Auf einen kritischen Artikel von Prof. Andreas Sönnichsen (MedUni Wien) zur Wirksamkeit der Homöopathie in der Zeitschrift der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH-Journal) ist im Folgeheft eine Replik dreier homöopathischer Ärzte erschienen. Diese Replik ist wenig geeignet, die Leser über die wirkliche wissenschaftliche Verortung der Homöopathie zu informieren (Links zu den Beiträgen im untenstehenden Text).

Wir haben deshalb  die nachfolgende Stellungnahme an die Redaktion des KVH-Journals mit der Bitte um Weitergabe an die Autoren der Replik gesandt. Herr Prof. Sönnichsen als Autor des ursprünglichen Artikels hat den Text ebenfalls erhalten.


Stellungnahme des Informationsnetzwerks Homöopathie
zum Artikel im KVH-Journal 03/2020
„Zur Wirksamkeit der Homöopathie – Replik zum Artikel ‚Homöopathie – teure Plazebos‘ von Prof. Dr. Andreas Sönnichsen (KVH- Journal 2/2020, Seite 24)“

(https://www.kvhh.net/media/public/db/media/1/2009/10/71/03_20_kvh_journal.pdf /
https://lv-shh.dzvhae.de/wpshh/wp-content/uploads/2020/03/BERGER-Replik-Zur-Wirksamkeit-der-Hom%C3%B6opathie___-KVH-Journal-1.pdf)

 

Als medizinischer Laie wird man öfters aufgefordert: „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!“ Dies sicher zu Recht, denn der Staat tut mit Approbationsordnung und anderen Verordnungen einiges, um in der Ärzteschaft einen hohen Kompetenzgrad zu sichern, damit der Bürger sich darauf verlassen kann, dass er auf Basis des bestmöglichen Kenntnisstandes informiert und behandelt wird. Umso befremdlicher ist es, wenn es aus diesem Kreis Stimmen gibt, die entweder nicht in der Lage oder nicht willens sind, einen wissenschaftlichen Sachstand zu erfassen und/oder zu beschreiben. Dies gilt ganz besonders dann, wenn dabei Standpunkte vertreten werden, die im Widerspruch zu den wissenschaftlichen Fakten und den Inhalten des Medizinstudiums stehen.

In der Zeitschrift der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg ist im März 2020 ein Beitrag erschienen, mit dem drei homöopathische ÄrztInnen zu einem Artikel von Prof. Sönnichsen [1] Stellung nehmen [2]. Im Artikel beklagen die Autoren, auf der Seite der Kritiker der Homöopathie fehle eine „angemessene, objektiv nicht von Vorfestlegungen geprägte Berücksichtigung von Fakten, die dem Leser eine eigene Beurteilung ermöglicht.“ Dies erfordere naturgemäß eine „vertiefende Recherche oder Beschäftigung mit dem Thema“, was die Kritiker nach Meinung der Autoren ebenfalls nicht geleistet haben.

Kernpunkt ist: Die Autoren werden ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht:

Wenn die Autoren eine objektive Darstellung zum Ziel haben, dann sollten sie folgende Fragen beantworten und aufgrund der Antworten ihre Stellungnahme nochmals überdenken:

    • Warum verweisen Sie auf den Titel des im Schweizer „Tagesanzeiger“ erschienenen Interviews mit Frau Prof. Witt? Und zitieren dann aus dem Zusammenhang gerissen und sinnentstellend, dass bei chronisch Erkrankten große Effekte aufgetreten seien? Wollen Sie damit die Leser bewusst in die Irre führen und den Eindruck entstehen lassen, dass Witt die folgenden Aussagen nicht getätigt hätte?

„Meine Aussage – dass nicht belegt ist, dass homöopathische Arzneimittel mehr als ein Placebo sind – gilt auch heute noch! Die Studienergebnisse zur Wirksamkeit sind uneinheitlich, und meine Einschätzung basiert auf der zumeist schlechten Qualität der Studien. […] Es konnte nicht gezeigt werden, dass homöopathische Arzneimittel besser wirken als Placebo.“ [3]

„Wir haben in einer großen Beobachtungsstudie die gesamte homöopathische Behandlung mit Arztgespräch und Diagnosestellung untersucht und bei chronisch kranken Patienten große Effekte gefunden. Bringe ich das zusammen mit der bereits geschilderten Evidenzlage, wird klar: Da muss was anderes wirken als die Arzneimittel. Die Homöopathie hat eine besondere Arzt-Patienten-Interaktion.“ [3]

„Prinzipiell ist dies aber eher eine akademische Diskussion, die wichtige versorgungsrelevante Information ist: Es konnte nicht gezeigt werden, dass homöopathische Arzneimittel besser wirken als Placebo.“

    • Warum zitieren Sie aus der Arbeit von Witt zu den in vitro-Ergebnissen zur Homöopathie, dass zwar Effekte gefunden und repliziert wurden, lassen aber den nächsten wichtigen Satz weg, nach dem kein Ergebnis „stabil genug gewesen wäre, von allen Forschern repliziert zu werden“ [4]? Was ist das anderes als die Umschreibung von Nicht-Reproduzierbarkeit?
    • Warum verzichten Sie auf jede Erläuterung des Unterschiedes zwischen experimentellen und Beobachtungsstudien für den Leser, insbesondere dazu, dass diesen völlig unterschiedliche Wertigkeiten für die Beurteilung einer spezifischen Wirksamkeit der beobachteten Intervention (Evidenz) zukommen?
    • Welchen zusätzlichen Erkenntnisgewinn wollen Sie im Übrigen mit der ausdrücklichen Hervorhebung dessen hinzufügen, dass Prof. Sönnichsen für sein Zitat von Witts Quintessenz die Veröffentlichung „im Blog einer Kritiker-Organisation“ zitiert hat (das seinerseits ein korrektes Zitat aus dem Schweizer „Tagesanzeiger“ ist [3])?
    • Warum zitieren Sie als Nachweis für die Qualität der Evidenz der Homöopathie ein für die Frage der Wirksamkeit der Homöopathie eher unbedeutendes Review von Stub et al. [5], und erwähnen nicht, dass dies nur eine kleinere Untergruppe von ausgewählten Studien betrifft, in denen unerwünschte Effekte („adverse effects“) aufgetreten sind? Warum erwähnen Sie auch nicht, dass das Ergebnis der methodischen Bewertung von Stub im Widerspruch zu allen anderen systematischen Reviews steht? Auch zur Einschätzung der von Ihnen zitierten Frau Prof. Witt? Und auch einschließlich der von Ihnen später zitierten Reviews von Mathie et al. vom Homeopathy Research Institute, der von über 135 Studien nur drei (!) fand, die er nach den Cochrane-Kriterien als „low risk of bias“ einstufen konnte? [6a-d]
    • Was wollen Sie mit dem Vergleich der Studienqualität zwischen Homöopathie und evidenzbasierter Medizin eigentlich aussagen? Welche Schlussfolgerungen zur Wirksamkeit der Homöopathie sind daraus abzuleiten? Wollen Sie damit andeuten, dass daraus zu schließen wäre, die Homöopathie sei zur evidenzbasierten Medizin gleichwertig?
    • Warum verweisen sie auf nebulöse, für den Laien in ihrer Bedeutung nicht annähernd einschätzbare „statistisch signifikante Therapieeffekte aus Sensitivitätsanalysen“, die Hamre und Kiene [7] etwas akademisch aus verschiedenen Reviews herausdestilliert haben, erklären aber nicht, was das bedeutet? Nämlich nichts, was für den Patienten relevant wäre, wie man hier nachlesen kann [8 insbes. Pkt. 2]. Warum weisen Sie stattdessen nicht darauf hin, dass noch in keinem der inzwischen elf vorliegenden indikationsübergreifenden Reviews auch nur ein einziges Krankheitsbild identifiziert werden konnte, bei dem der Einsatz der Homöopathie von Vorteil ist? Details finden Sie auf der Homöopedia des INH [9, insbes. Abschnitt „Wirksamkeit“].
    • Ist es nicht eine geradezu irreführende falsche Gewichtung, sich darüber zu verbreiten, dass eine in [1] zitierte Übersichtsarbeit nicht placebokontrolliert war – aber die Aussage selbst, nachdem es keine Nachweise gibt, dass die Homöopathie über Placebo hinaus wirkt, dann nicht zu widerlegen?

Vorab zum Nachfolgenden: Haben Sie die Arbeit von Mathie [6a] womöglich selbst keiner tieferen Recherche unterzogen, wie Sie es den Kritikern unterstellen? Sollte dies der Fall sein, können Sie sich hier eingehend informieren: [10]

    • Warum erklären Sie das Ergebnis von OR = 1,53 falsch? OR (Odds Ratio) ist eben etwas anderes als „Risk Ratio (RR)“, für das Ihre Erklärung zutreffen würde. Das gefundene OR bedeutet nichts weiter, als dass zwischen 0 und allerhöchstens 10 %, also im Mittel vielleicht 5 % der Patienten, die sich einer homöopathischen Behandlung unterziehen, davon auch profitieren. Warum das so ist, können Sie hier nachlesen [11].
    • Man könnte auch sagen, wenn man sich in allen zwanzig Krankheitsbildern, die in diesem Review betrachtet wurden, einer homöopathischen Behandlung unterzieht, hat man die Chance, in einem davon einen Nutzen daraus zu ziehen – es ist halt nur nicht vorhersagbar, in welchem das der Fall sein wird.
    • Warum erwähnen Sie nicht, dass Mathie selbst dieses eher kümmerliche Ergebnis nur mit einigen doch recht ungewöhnlichen „Tricks“ erzielen konnte [10]? Etwa indem er Pilotstudien einschloss – etwa ein Drittel der betrachteten Arbeiten sind solche Pilotstudien -, die schon per definitionem keine Evidenz darstellen können? Insbesondere, wenn man in Betracht zieht, dass trotz „hoffnungsvoller Ergebnisse“ auch nach vielen Jahren, manchmal mehreren Jahrzehnten, keine Hauptstudien dazu veröffentlicht wurden? Oder indem Mathie nicht die von den Autoren der Einzelstudien festgelegten Ergebniskriterien nutzte, sondern dass er andere definierte, dann aber bei den Autoren nicht nach den entsprechenden Daten nachfragte? Warum erwähnen Sie nicht, dass durch dieses Vorgehen zwei hochwertige Studien ausgeschlossen wurden (Walach (1997), White (2003)), die, wenn sie eingeschlossen worden wären, das ohnehin schwache Ergebnis zugunsten der Homöopathie vollends zunichte gemacht hätten [10]?
    • Warum erwähnen Sie nicht, dass Mathie selbst darauf hinweist, dass selbst dieses außerordentlich schwache Ergebnis „nur vorsichtig interpretiert werden kann“, weil die Qualität der Einzelstudien zu schlecht ist [6a]? Was heißt das anderes, als dass dieses Ergebnis nicht belastbar ist? Es scheint in der Homöopathie nahezu regelhaft zu sein, dass angebliche Zeugnisse pro Homöopathie sehr selektiv zitiert werden – nicht nur die Arbeit Mathie 2014.
    • Warum erwähnen Sie nicht spätestens in Ihrer Zusammenfassung, dass alle indikationsübergreifenden systematischen Reviews die unzureichende Qualität der eingeschlossenen Studien bemängeln und eventuelle positive Ergebnisse aus einer Gesamtbetrachtung deswegen als nicht belastbar einstufen [9]? Warum kaprizieren Sie sich auf eine für den Laien unverständliche statistische Signifikanz (die nicht viel über reale klinische Effekte aussagt) und erwähnen nicht spätestens hier, dass es bislang nicht gelungen ist, auch nur ein Krankheitsbild zu finden, bei dem die Homöopathie zweifelsfrei von Nutzen wäre?

Quintessenz:
Die Autoren sollten den zweiten Absatz ihres eigenen Artikels nochmals gründlich lesen und ihre Position noch einmal überdenken. Sie würden dabei sicher auch erkennen, dass ihr Artikel ihren eigenen Ansprüchen an eine „unvoreingenommene Beurteilung“ nach erfolgter „vertiefter Recherche“ nicht gerecht werden kann. „Unvoreingenommen“ ist nun einmal anders definiert als „bestätigt meinen Standpunkt“. Und deshalb ist der Beitrag auch nicht geeignet, den mit der Materie weniger Vertrauten, geschweige denn medizinischen Laien, ein auch nur annähernd zutreffendes Bild der Gesamtevidenz zur Homöopathie zu vermitteln: nämlich, dass sie in der Tat den Nachweis einer spezifischen arzneilichen Wirkung bislang schuldig geblieben ist.

Vorsitzende und Sprecher des INH:

Prof. Dr. med. Jutta Hübner, Jena
Dr.-Ing. Norbert Aust. Schopfheim
Udo Endruscheit, Essen
Dr. med. Christian Lübbers, Weilheim

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Quellen und weiterführende Literatur:

[1] Sönnichsen A: Homöopathie – teure Placebos; KVH-Journal Ausgabe 2/2020: 24-27, https://www.kvhh.net/media/public/db/media/1/2009/10/71/02_20_kvh_journal_web.pdf

[2] Berger M, Rentrop R, Hoffmann S: Zur Wirksamkeit der Homöopathie – Replik zum Artikel „Homöopathie – Teure Placebos“, KVH Journal, Ausgabe 3/2020: p. 20-21, https://www.kvhh.net/media/public/db/media/1/2009/10/71/03_20_kvh_journal.pdf

[3] Straumann F, Witt C: Ist das bei Chirurgen so anders? – Interview im Tagesanzeiger , veröffentlicht 25.06.2015, https://www.tagesanzeiger.ch/wissen/medizin-und-psychologie/ist-das-bei-chirurgen-so-anders/story/17098489

[4] Witt et al.: The in vitro evidence for an effect of high homeopathic potencies – a systematic review of the literature. Complement Ther Med 2007;15:128–138, http://www.hiscia.ch/uploads/media/Witt2007.pdf

[5] Stub T, Musial F et al.: Adverse effects of homeopathy #, what do we know? A systematic Review and meta-analysis of randomized controlled trials, Complementary Therapies in Medicine (2016);26:146-163, https://munin.uit.no/bitstream/handle/10037/10908/article.pd?sequence=4

[6a] Mathie RT et al.: „Randomised placebo-controlled trials of individualised homeopathic treatment: systematic review and meta-analysis“, Systematic Reviews 2014;3:142, https://systematicreviewsjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/2046-4053-3-142

[6b] Mathie RT et al.: „Randomised, double-blind, placebo-controlled trials of non-individualised homeopathic treatment: Systematic review and meta-analysis“, Systematic Reviews 2017;6:663 https://systematicreviewsjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13643-017-0445-3

[6c] Mathie RT et al.: „Systematic Review and Meta-Analysis of Randomised, Other-than-Placebo Controlled, Trials of Individualised Homeopathic Treatment“, Homeopathy (2018); 107(4):229-243, https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0038-1667129

[6d] Mathie RT et al.: „Systematic Review and Meta-Analysis of Randomised, Other-than-Placebo controlled, Trials of Non-Individualised Homeopathic Treatment“, Homeopathy (2019); 108(02):088-101; https://pdfs.semanticscholar.org/3cfe/ed6c547adc8532f9b2dad1030833cb15b37a.pdf

[7] Hamre HJ, Kiene H: Wissenschaftliches Gutachten zum Antrag V-01 „Echter Patient*innenschutz: Bevorteilung der Homöopathie beenden!“ www.ifaemm.de/F11_homeo.htm

[8] Grams N, Aust N, Endruscheit U: Stellungnahme des INH zum „Wissenschaftlichen Gutachten“ betr. Homöopathie-Antrag bei Bündnis90/Die Grünen, https://netzwerk-homoeopathie.info/stellungnahme-des-inh-zum-wissenschaftlichen-gutachten-betr-homoeopathie-antrag-bei-buendnis90-die-gruenen/

[9] NN: Systematische Reviews zur Homöopathie – Übersicht; Artikel auf der Homöopedia des Informationsnetzwerks Homöopathie, https://www.homöopedia.eu/index.php/Artikel:Systematische_Reviews_zur_Homöopathie_-_Übersicht

[10] NN: Systematische Reviews zur Homöopathie – Mathie (2014); Artikel auf der Homöopedia des Informationsnetzwerks Homöopathie, https://www.homöopedia.eu/index.php/Artikel:Systematische_Reviews_zur_Homöopathie_-_Mathie_(2014)

[11] NN: Effektstärke, Artikel auf der Homöopedia des Informationsnetzwerks Homöopathie, https://www.homöopedia.eu/index.php/Artikel:Effektstärke


Foto: UE für das INH

 

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