Ein Gespräch mit Dr. Natalie Grams
Spanien eilt uns davon in Sachen Homöopathie im Gesundheitssystem, England ist noch weiter, Frankreich ist bald gleichauf – und Deutschland? Nun ja… nähere Ausführungen an dieser Stelle erübrigen sich wohl.
Wir freuen uns angesichts dessen sehr über das Interesse von eldiario.es an der Situation in Deutschland und den Beitrag über das Gespräch mit Dr. Natalie Grams, den wir nachfolgend übersetzt wiedergeben:
Natalie Grams, die Wissenschaftlerin, die Deutschland vom Einfluss der homöopathischen Lobby „befreien“ will.
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- Die Aktivistin, die sich der Verbreitung der Wissenschaft verschrieben hat, stellt sich der Aufgabe, in Deutschland, dem gesellschaftlichen Einfluss der Homöopathie entgegen zu treten – in dem Land, in dem die Homöopathie erfunden wurde.
- Die homöopathische Industrie hat 2018 in Deutschland 670 Millionen Euro umgesetzt; ihre Produkte gehören zu den Leistungskatalogen vieler gesetzlicher Krankenversicherungen.
Von Aldo Mas – 02/11/2019 – 20:45h
Natalie Grams ist Ärztin und hatte sich früher auf den Einsatz von Homöopathie spezialisiert. Sie ist jedoch längst zu einer der prominentesten Stimmen im Chor derer geworden, die sich in Deutschland gegen die Behauptung zur Wehr setzen, Homöopathika seien wirksame Arzneimittel. Grams hat bereits mehrere homöopathiekritische Bücher verfasst und ist nutzt auch öffentliche Auftritte, um die Thesen, die sie selbst einmal verteidigt hat, zu entkräften.
Deutschland ist das Land der Homöopathie, in der sie im 18. Jahrhundert erfunden wurde: „Viele sehen die Homöopathie als eine Art Kulturgut. Eine Tradition, die als etwas Effektives, Althergebrachtes verkauft wird, das den Menschen besser gerecht werde als „böse und kalte Schulmedizin“, sagt Grams. „Aber selbst unter den Nationalsozialisten wurde die Homöopathie untersucht und keine Belege dafür gefunden, dass sie funktioniert“.
Sie kennt das „Denkschema“ der Homöopathie und ihrer Fürsprecher sehr gut, so dass sie für die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), eine Organisation zur Förderung von Wissenschaft und wissenschaftlichem Denken, als Referentin zu diesem Thema tätig geworden ist. „Homöopathie ist keine Medizin. Wenn jemand sagt: ‚Ich nehme es, weil ich mich einfach gut dabei fühle, ich nehme es, weil ich vom Placebo-Effekt profitiere‘, oder wenn es jemand mit einem Husten oder einer Erkältung nimmt, also bei Erkrankungen der Art, die von allein wieder vergehen, dann hat die Homöopathie eine Berechtigung“, erklärt Grams gegenüber eldiario.es. „Aber in Deutschland wird die Homöopathie weithin immer noch als etwas angesehen, das der wissenschaftlichen Medizin gleichwertig ist, ja, als die bessere Medizin, ohne Nebenwirkungen. Und das sind falsche Attribute“, sagt sie.
„Nebenwirkungen“ haben jedoch Grams‘ Diskurs und ihr Auftreten gegen die Vorstellung, dass Homöopathie Medizin sei. Im vergangenen Frühjahr erhielt Grams eine E-Mail von einem Hersteller homöopathischer Produkte mit der Aufforderung, nicht mehr – wie sie es in einem deutschen Presseinterview getan hatte – öffentlich zu äußern, dass homöopathische Produkte „nicht über den Placebo-Effekt hinaus“ wirken. Das sind per Definition diejenigen Substanzen, denen es an spezifischer therapeutischer Wirkung mangelt, die aber bei Patienten dann zu einer gewissen Verbesserung führen, wenn sie überzeugt sind, dass diese Substanzen imstande sind, ihnen zu helfen.
Das fragliche Unternehmen, Hevert, forderte von Grams eine schriftliche Verpflichtung, künftig keine kritischen Aussagen gegen die Homöopathie (im beschriebenen Sinne) mehr zu tätigen. Sonst müsse sie dem Unternehmen für jede weitere entsprechende Äußerung 5.100 Euro zahlen. „Ich werde dieses Dokument nicht unterschreiben. Wenn es nötig ist, werde ich damit vor Gericht gehen. Was ich tue, ist einfach, zu verbreiten, was die Wissenschaft heute über die Homöopathie sagt“, erklärt Grams.
In den sozialen Netzwerken twitterte Grams an Hevert: „Was sagen wir, wenn die Homöopathie-Pharma versucht, uns mundtot zu machen? Not today.“ „Viele Menschen denken, dass die Homöopathie eine irgendwie „gute“ Medizin ist, bei der alles anders funktioniert als bei der Pharmaindustrie. Aber in der Homöopathie greifen die gleichen Mechanismen wie in der Pharmaindustrie“, erklärt Grams. „Marketing und Werbung werden genauso eingesetzt, und das Ziel ist in erster Linie Gewinnorientierung und nicht, dass Patienten die bestmögliche Medizin erhalten“, fügt sie hinzu.
Ein 670 Millionen-Euro-Geschäft
Die Homöopathie ist ein Millionengeschäft. Nach Angaben des Zentralvereins der homöopathischen Ärzte (DZVhÄ) hat die Homöopathie im Land von Angela Merkel 2018 einen Umsatz von 670 Millionen Euro erzielt. Im deutschen Gesundheitswesen ist in der Regel jeder Bürger Beitragszahler in der gesetzlichen Krankenversicherung. Es gibt gut 100 Krankenkassen, die die gesetzliche Versicherung anbieten und dafür einstehen, dass die dem Patienten verordneten Medikamente ganz oder teilweise bezahlt werden. Es ist der Normalfall, dass die Krankenkassen homöopathische Mittel in ihre Erstattungskataloge aufgenommen haben, obwohl es, wie Grams betont, „keinen wissenschaftlichen Beweis dafür gibt, dass sie wirken“.
„Den Versicherern steht es frei, dies zu tun, und über die Homöopathie betreiben sie viel Marketing, indem sie für Produkte bezahlen, die besonders gutsituierte jüngere Menschen als Mitglieder anziehen. Und dabei ist die Homöopathie ein ‚Bestseller‘“, sagt Grams. Sie gehört zu denen, die es für vernünftig halten, dass homöopathische Mittel nicht in die Liste der erstattungsfähigen Mittel bei gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden. „Wir wollen nicht, dass die Homöopathie verboten wird. Aber wir hätten uns gewünscht, dass mit Gesundheitsminister Jens Spahn diese Situation ein Ende gefunden hätte“, sagt die GWUP-Expertin.
Grams bezieht sich auf den konservativen Minister Jens Spahn, mit dessen Haus sie bereits mehr als ein Gespräch zum Thema Homöopathie geführt hat. Offensichtlich konnte Grams Spahn und sein Ministerium bislang nicht davon überzeugen, dass es sinnvoll ist, den Umgang des deutschen Gesundheitssystems mit homöopathischen Produkten zu ändern. Und das, obwohl Spahn schon 2010 zur Homöopathie sagte: „Wann immer die SPD es will, können wir sie streichen, da es keinen wissenschaftlichen Beweis für ihre Wirksamkeit gibt.“
Eine Lobby mit mehr als „homöopathischen Effekten“
Spahn machte diese Aussagen, bevor er Gesundheitsminister im Kabinett der Großen Koalition von Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde, eine Position, die er seit Anfang letzten Jahres innehat. Angesichts seines Etats sagte Spahn im vergangenen September, dass das System „ok“ sei. „Ich habe entschieden, dass es okay so ist, wie es ist“, sagte Spahn. Sein Argument scheint wie folgt zu sein: Im Gesundheitswesen zahlen die gesetzlichen Kassen für Behandlungen in einer Größenordnung von 40 Milliarden Euro pro Jahr, die 20 Millionen, die sie für homöopathische Arzneimittel zahlen, sind nicht so wichtig. „Aber wichtig ist nicht das Geld, viel wichtiger ist das Prinzip“, beschwert sich Grams.
Sie sagt, sie sei „überrascht“, wie „gut vernetzt“ die homöopathische Lobby mit der Politik sei. „Die Politik hat offenbar wirklich Angst vor diesen Unternehmen. Politiker lassen häufig erkennen, dass sie gegen diese Lobby nicht initiativ werden“, sagt sie. Ein radikal entgegengesetztes Beispiel ist das der französischen Position. In Frankreich kündigte Gesundheitsministerin Agnès Buzyn in diesem Sommer an, dass die gesetzliche Krankenversicherung bis 2021 die Zahlung für homöopathische Arzneimittel einstellen werde.
Die französische Entscheidung fiel zu einem Zeitpunkt, als sich die öffentliche Debatte über die Homöopathie auf deutschem Boden intensivierte. In diesem Zusammenhang erregte der Moderator Jan Böhmermann, verantwortlich für die satirische und sehr populäre öffentlich-rechtliche Sendung „Neo Magazin Royale“, Aufmerksamkeit damit, dass er mit Hunderten der typischen homöopathischen weißen Globuli in seiner Sendung in einer Art Demonstration zeigte, dass homöopathische Mittel nicht mehr Folgen haben als die, die sich aus dem Placebo-Effekt ergeben.
Die Debatte in Deutschland scheint mit dem jüngsten „ok“ von Merkels Gesundheitsminister derzeit abgeschlossen zu sein, ein Vorgang, den Grams bedauert. Aber diese Widrigkeiten werden sie sicherlich nicht in ihrem Engagement bremsen. Sie wird weiter Öffentlichkeitsarbeit für die Wissenschaft betreiben, wird erklären, was wissenschaftsbasierte Medizin ist und was nicht. Sie weiß natürlich – zu ihrem Bedauern -, dass es genug derer gibt, die bereitstehen, „die Aufklärung der Öffentlichkeit zu attackieren“. Nämlich unter anderem eine Homöopathie-Lobby, deren Druck sich durchaus über den Placebo-Effekt hinaus bemerkbar macht.
Originaltext: https://www.eldiario.es/sociedad/cientifica-quiere-liberar-Alemania-homeopatico_0_957855206.html
(unter Lizenz CC-BY-SA)
Übersetzung: INH
Bildnachweise: Screenshot eldiario.es / Dorothee Pirouelle
Eine Antwort auf „Die spanische Online-Zeitung eldiario.es über Homöopathiekritik in Deutschland“
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