Einwand: Homöopathie ist doch Naturheilkunde!

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Das Bild zeigt links sattgrüne Blätter und rechts eine Hand, die einen Globulus hält. Scheinbar wird die Zusammengehörigkeit von Natur und Homöopathie demonstriert, dies ist aber gerade nicht der Fall, wie der Artikel ausführt.

 

Ohne Zweifel ist der Trugschluss, Homöopathie sei mit Naturheilkunde gleichzusetzen bzw. mit dieser identisch, eine der am meisten verbreiteten Fehlannahmen über die Homöopathie. Zudem eine der wirkmächtigsten, die sicherlich nicht unerheblich zu ihrem Ruf als angeblich sanfte und natürliche Heilmethode beiträgt.

Was ist unter Naturheilkunde überhaupt zu verstehen?

Eine allgemeingültige Definition gibt es nicht, es ist aber möglich, sich auf ein Minimum an Gemeinsamem in dem Sinne zu einigen, wie der Begriff wohl überwiegend verstanden wird.

Naturmedizin im allgemeinen Verständnis nutzt die Wirkung real vorhandener „natürlicher“ Dinge wie Luft, Sonne, Wasser, körperliche Bewegung, Pflanzenauszüge (Phytotherapie), Ernährungsumstellung (Diätetik) und dergleichen.
Wirkungen der so verstandenen Naturheilkunde sind wissenschaftlich belegbar, d. h. sie können gemessen und reproduziert werden. In vielen Fällen ist auch der physiologische Wirkprozess bekannt und beschrieben und sie unterliegen auch eindeutig der physikalisch begründeten Dosis-Wirkungs-Beziehung (wenige Sekunden Sonne nützen gar nichts, angemessener Aufenthalt im Sonnenlicht stößt die Vitamin-D-Produktion des Körpers an, zu langer Aufenthalt in der Sonne führt zu Sonnenbrand und Hitzschlag).

Naturheilkunde hat eine nachweisbare Wirkung …

Den Sinn solcher naturheilkundlicher Verfahren trotz ihrer begrenzten Einsatzmöglichkeiten wird kein Mediziner leugnen. Ein großer Teil der Naturheilkunde kommt aus der überlieferten Erfahrungsmedizin. Diese Überlieferung konnte aber überhaupt nur entstehen, wenn die Mittel oder Methoden bei den gleichen Beschwerden oder Krankheiten immer wieder die gleiche Wirkung gezeigt und damit ein einigermaßen belastbares Erfahrungswissen hervorgebracht haben. Damit lagen die Voraussetzungen dafür vor, diese Mittel und Methoden mit Aussicht auf Erfolg wissenschaftlich zu untersuchen und sie im Beweisfall ohne weiteres in den Kanon der evidenzbasierten Medizin aufzunehmen. Es ist wenig bekannt, dass viele heute synthetisch hergestellte Arzneimittel der evidenzbasierten Medizin aus der Untersuchung der Wirkmechanismen von lange bekannten Pflanzenheilmitteln hervorgegangen sind.
Naturheilkunde in dem Sinne, wie sie überwiegend verstanden werden dürfte, bedient sich Methoden und Mittel, die der realen, materiellen Welt entstammen und deshalb zunächst einmal für sich in Anspruch nehmen können, im physikalischen Sinne auch reale Wirkungen auf den menschlichen Körper zu erzeugen. Ob diese Wirkungen stets die beabsichtigten Heilwirkungen bzw. die angestrebte Stärkung der Selbstheilungskräfte mit sich bringen, kann in vielen Fällen mit wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen werden.

… Homöopathie nicht.

Die Homöopathie hat dagegen gar nicht das Ziel, auf den menschlichen Körper im physikalisch-materiellen Sinne und unter Beachtung des damit untrennbar verbundenen Dosis-Wirkungs-Prinzips einzuwirken. Bei den Hochpotenzen mit ihren Verdünnungen bis zu der Grenze, wo nur noch Lösungsmittel mit Lösungsmittel verschüttelt wird, ist dies offenkundig. Aber auch bei den Tiefpotenzen, also etwa bis D4, widerspricht die Homöopathie sich selbst, wenn sie eine physiologische Wirkung wegen des messbaren Vorhandenseins eines Wirkstoffes für sich in Anspruch reklamiert. Denn Samuel Hahnemann selbst führte in seinem Organon (§ 16) mit wünschenswerter Deutlichkeit aus:

„Von schädlichen Einwirkungen auf den gesunden Organism, durch die feindlichen Potenzen, welche von der Außenwelt her das harmonische Lebensspiel stören, kann unsere Lebenskraft als geistartige Dynamis nicht anders denn auf geistartige (dynamische) Weise ergriffen und afficirt werden und alle solche krankhafte Verstimmungen (die Krankheiten) können auch durch den Heilkünstler nicht anders von ihr entfernt werden, als durch geistartige (dynamische, virtuelle) Umstimmungskräfte der dienlichen Arzneien auf unsere geistartige Lebenskraft, percipirt durch den, im Organism allgegenwärtigen Fühlsinn der Nerven. Demnach können Heil-Arzneien, nur durch dynamische Wirkung auf das Lebensprincip Gesundheit und Lebens-Harmonie wieder herstellen und stellen sie wirklich her…“

Es kommt also nach der homöopathischen Lehre überhaupt nicht auf physiologische Wirkungen an. Bei allen ihren Mitteln beruft sie sich auf „geistartige Umstimmungskräfte der dienlichen Arzneien“, nicht auf eine Wirkung, die mit pharmakologischen Mechanismen zu tun hat. Auch Hersteller von Niedig- und Tiefpotenzen, die meist tatsächlich auf Pflanzenauszügen beruhen, sind also nach der homöopathischen Lehre nicht berechtigt, sich auf pharmakologische Wirkungen ihrer Mittel – auf „Naturheilkunde“ – zu berufen. (Abgesehen davon, dass es keine Grundlage für die Annahme gibt, dass die gewählte Ursubstanz überhaupt geeignet ist, im homöopathischen Sinne zu wirken.) Was hat dies mit der Nutzung von „Kräften der Natur“ und deren Einwirkung auf den menschlichen Körper zu tun? Reinweg nichts.

Kurz gesagt: Wo nichts drin ist, kann auch nichts Natürliches wirken.

Die Homöopathie kann somit der Naturheilkunde nicht zugerechnet werden, denn sie setzt gerade nicht auf den physikalisch-materiellen Zusammenhang zwischen ihren Mitteln und dem menschlichen Körper, sondern vollständig auf eine Wechselwirkung „geistartiger Kräfte“ (die nicht nachweisbar oder auch nur erklärbar sind). Sie ist daher ganz sicher keine Naturheilkunde, im Wortsinne auch keine „Alternativmedizin“ – sie ist eine Pseudomethode. Eine spezifische Wirkung über Placebo-Effekte hinaus konnte sie bis heute nicht nachweisen.

Ähnlich verhält es sich mit den Verfahren, die ebenfalls zu Unrecht der Naturheilkunde zugerechnet werden: Aromatherapie, Bach-Blütentherapie, Traditionelle Chinesische Medizin, Akupunktur, Ayurvedische Medizin und Anthroposophische Medizin. Sie alle haben eines mit der Homöopathie gemeinsam: den fehlenden Wirkungsnachweis und großenteils, teils vollständig auch die Berufung auf nicht-materielle, physikalisch nicht fassbare Wirkungsmechanismen. Diesen Teil der Begrifflichkeit „Naturmedizin“ dürfte allerdings auch die Mehrzahl der Konsumenten nicht als solche verstanden wissen. Um mit Prof. Edzard Ernst zu sprechen: Was hat das Einstechen von Nadeln in die Haut von Patienten mit „Natürlichkeit“ zu tun?


Lesen Sie mehr dazu: Homöopathie ist doch sanft und natürlich, wieso sollte sie schaden können? und Globuli sind natürlich und pflanzlich


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