FAQ 07 – “Wer heilt, hat recht” – und das bedeutet was?

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Zusammenfassung

"Wer heilt hat Recht" ist im Wortsinne richtig, genauer betrachtet aber eine falsche Allaussage
"He who heals is right" may be a correct wording, but lacking any senseful meaning.

Aussage richtig – Interpretation falsch

Die Lorbeeren für eine Heilung (besser: Genesung), erhält immer derjenige “Profi”, der dabei gerade in der Nähe ist. Dadurch bekommt das “rituelle Abwarten, bis es von selbst gut wird”, die Qualität der Verursachung.

Der sicherlich am häufigsten gebrauchte Satz in Diskussionen um die Homöopathie ist “Wer heilt, hat recht”. Wenn dieser Satz fällt, scheint dann jede weitere Diskussion über theoretische und praktische Mängel der Homöopathie erledigt. Es scheint schwer, diesem Argument etwas entgegen zu setzen. Der Grund hierfür ist allerdings hauptsächlich, dass es sich gar nicht um ein echtes, stichhaltiges Argument handelt. Denn die Aussage “Wer heilt, hat recht” setzt voraus, dass 1. tatsächlich jemand von etwas geheilt wurde und dass 2. die Heilung ursächlich auf eine bestimmte, genau bezeichnete und stattgefundene Therapie zurückgeführt werden kann. Jedoch wird oft gefragt: Wenn ein Patient geheilt ist, was zählt es da noch, dass es Mängel in der Theorie gibt oder ob die beiden zitierten Bedingungen erfüllt sind?

Wer heilt, hat recht – zunächst einmal ist das ja ganz richtig. Wenn mir mein Arzt bei einer starken Bronchitis, Lungen- oder Mittelohrentzündung ein Antibiotikum verschreibt, das die Bakterien und damit die Ursache der Entzündung beseitigt und sich daraufhin meine Genesung einstellt, dann hat er selbstverständlich “recht” in dem Sinne, dass seine Behandlung die richtige war. Selbstverständlich hat auch ein Chirurg “recht”, mein gebrochenes Bein einzugipsen und mein Augenarzt “recht”, wenn er mir gegen eine Bindehautentzündung die richtigen Tropfen verschreibt. Und auch mein Automechaniker hatte recht, als er meinen alten Peugeot durch Auswechseln eines alten, defekten Ventils vom Öltröpfeln “heilte”.

Nur wer den Ursache-Wirkungs-Zusammenhang seiner Behandlung mit der Heilung belegen kann, hat Recht

Also hat der Homöopath doch auch recht, wenn ich nach der Einnahme von Globuli gesund werde?! Dazu folgende Überlegung: Wenn – wie man weiß – ca. 80 % aller Beschwerden (von chronischen Diagnosen wie z.B. Diabetes, Bluthochdruck, etc. mal abgesehen) von alleine wieder verschwinden und ein Homöopath während des Verschwindens zugegen war – hat er dann recht?

Mitnichten. Ganz und gar nicht. Denn er heilt nicht. Die Homöopathie besteht in aller Regel aus Zuckerkugeln, die mit inhaltsleerem Wasser oder inhaltsleerer Alkohollösung besprüht worden sind, oder gleich nur aus inhaltsleerem, verdünntem Alkohol. In aller Regel enthält ein Homöopathikum nichts mehr von dem, was ursprünglich, vor der Verdünnung (Entschuldigung, Potenzierung! Warum das aber keinen Unterschied macht, lesen Sie hier), sich einmal “Urtinktur” nennen durfte (und schon in diesem Zustand aus naturwissenschaftlich-medizinischer Sicht leider Humbug war).

Die Homöopathie  kann einen solchen Kausalzuammenhang nicht belegen

Daher heilt der Homöopath aus vielerlei Sicht nicht:

  • Das Mittel, das er gibt, ist inhaltsleer und hat daher keine Wirkung (die übergroße Mehrzahl an wissenschaftlich relevanten Studien ergibt, dass homöopathische Mittel lediglich den Placeboeffekt auszulösen helfen).
  • Daher ist es auch vollkommen egal, welches Homöopathikum gegeben wird. Auch in dieser Hinsicht hat der Homöopath mit der Heilung also reinweg gar nichts zu tun, außer, dass er letztlich den Placeboeffekt auszulösen hilft.
  • Der Homöopath ist also an der Heilung nicht beteiligt in der Hinsicht, dass er (als “Experte”) oder seine Pseudo-Medikamente nachvollziehbar ursächlich einen Heilungseffekt auslösen würden. Er kann daher auch nicht recht gehabt haben. Denn die Entwicklung, die der Genesende erlebt hat, hätte in gleicher Form auch von jemand anderem auf einem ganz anderen Wege ausgelöst werden können (Placeboeffekt).
  • In den meisten Fällen aber wäre die Heilung sogar ganz von selbst eingetreten. Kügelchen, die bei Fieber helfen sollen, bei Schnupfen, gegen blaue Flecken oder gegen Husten, brauchen keinen Placeboeffekt auszulösen, um beim Patienten eine Heilung “zu bewirken”. Die kommt nämlich auch von ganz allein – ganz ohne Hokuspokus. Da braucht man keine Kügelchen, die “den Körper wieder ins energetische Gleichgewicht bringen” (was auch immer das heißen mag). Man braucht nur Zeit.

Also: Wer heilt, hat recht. Stimmt schon. Aber der, der heilt, muss dann auch belegbar die klare Ursache für die Heilung gesetzt haben, wenn er das sachliche Rechthaben beanspruchen will. Aber beim Homöopathen gibt es keinen “Wer”, es gibt keinen “Wer oder was, der oder das heilt”, also gibt es auch kein “Rechthaben”.

Der schöne einfache Satz entpuppt sich als Luftblase. Er ist nichts anderes als der Versuch, die Erfolge der naturwissenschaftlich begründeten Medizin oder die Selbstheilungskräfte des Körpers für sich, seine Ziele, sein Weltbild, seine Religion und/oder gar sein Geschäftsmodell zu kapern.

Vor einiger Zeit war ich übrigens mit meinem alten Auto beim “Heilmechaniker”, weil es eine Fehleranzeige gab, die gelegentlich anging und dann wieder aus. Da war keine Regelmäßigkeit zu erkennen. Der Mechaniker ging einmal ums Auto, fragte nach dem Baujahr und sagte mir dann, ohne weitere Untersuchung, das sei ein bekanntes Problem. Da gäbe es ein Ventil, das ganz selten mal klemme und sich aber von selbst wieder “losrapple”. Dann ginge die Fehleranzeige von selbst auch wieder aus. Unverrichteter Dinge fuhr ich also wieder weg von der Werkstatt. Das Lämpchen ist danach nie wieder angegangen. Mein Auto war genesen. Ohne dass der Mechaniker irgendwas gemacht hätte. Tja, wer heilt, hat eben recht, nicht wahr?

Wenn der Satz fällt, sollte nicht etwa aufgehört werden mit der Diskussion. Es sollte angefangen werden, darüber zu sprechen: Ist eine Heilung plausibel und nachweislich erfolgt? Lag überhaupt ein krankhafter Zustand vor? Wenn ja, wurde er überhaupt zutreffend erkannt (diagnostiziert)? Kann nicht auch Zufall oder der natürliche zeitliche Verlauf der Erkrankung verantwortlich für die Verbesserung gewesen sein, die Regression zur Mitte? Welche Nachweise gibt es für die angeführte Methode bezüglich ihrer theoretischen und praktischen Erkenntnisse? Gibt es Studien? Und gibt es Hinweise, jenseits der eigenen (Einzel-) Erfahrung, dass wirklich eine Heilung stattgefunden hat? Aber diese Fragen sind verwirrend, sie rufen mitunter ein unbehagliches Gefühl hervor. Es ist menschlich verständlich, sich dann schnell zu retten mit diesem Satz, der drauf abzielt, dass ja letztlich nur das Ergebnis wichtig ist.


Mehr zu “Wer heilt, hat recht” hier.

Ausführlicher Vortrag von Prof. Edzard Ernst (5. Juni 2019, München, 33:30 min)  zu “WHHR”:  https://youtu.be/JvFvI2YzvgY

Bild: imagine.art AI

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