Wahr ist es, ohne Lüge und sicher: Was oben ist, ist gleich dem, was unten ist, und was unten ist, ist gleich dem, was oben ist. (Tabula Smaragdina des Hermes Trismegistos)
Der Begriff Esoterik entstammt dem altgriechischen „ἐσωτερικός“, was so viel wie „nach innen gerichtet“ bedeutet. Esoterik galt einst als Geheimlehre, die aber längst in der alternativen Glaubensszene überall anzutreffen und der Allgemeinheit zugänglich ist.
Heutzutage wird unter Esoterik praktisch jede Disziplin verstanden, die weder empirisch noch rational überprüfbar ist und daher nicht mit wissenschaftlichen Erkenntnissen übereinstimmt – ihnen zum Großteil auch widerspricht – und sich mit mythischen und spirituellen Themen befasst. Esoterik und Okkultismus (lat. „occultus“ = verborgen, geheimnisvoll, dunkel) sind eng miteinander verwandt. Meist wird Okkultismus als der mehr praktische Teil derselben Weltanschauung definiert. Inzwischen kommt es zu einer zunehmenden Vermischung von Esoterik mit uralten Weisheitslehren diverser Kulturen und vorwiegend fernöstlicher Religionen.
Viele Vorstellungen des archaischen Weltbildes finden sich in der „Alternativmedizin“ wieder. Esoteriker aller Fraktionen vertreten uralte Vorstellungen, die allen heute bekannten wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen und angeblich auf Hermes Trismegistos zurückgehen. Hermes Trismegistos war (möglicherweise) ein Priester, der im dritten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung lebte. Manche sprechen von einer Gottheit, einer synkretistischen Verschmelzung (also einer Vermischung religiöser Ideen zu einem neuen Weltbild) der Götter Hermes und Thot. Esoteriker zitieren immer wieder die hermetische Philosophie, sprich die fünfzehn Sätze, die Trismegistos angeblich auf Smaragdtafeln niederschrieb. Esoteriker glauben, dass in diesen Sätzen „alles Wissen der Menschheit zusammengefasst ist“, wobei der zweite und zentrale Satz lautet: „Wie oben, so auch unten“.
Kernstück des esoterischen Weltbildes ist die Zuordnung der zehn ewig vorhandenen Urprinzipien. Diese verkörpern für die symbolische Astrologie die Grundbausteine allen Lebens im Universum – zu den „zehn Planeten“ (den „himmlischen Repräsentanten“ Sonne, Mond, Venus, Merkur, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, Pluto) und den vier, beziehungsweise fünf Elementen. Demnach ist die Welt im Verständnis der symbolischen Astrologie aus zehn ewig vorhandenen, göttlichen Urprinzipien (Archetypen) aufgebaut, die sich in allen Seinsschichten – vom Makrokosmos bis hinab zum Mikrokosmos, von oben nach unten und von innen nach außen – in Hierarchien wiederfinden.
So argumentierte auch der bekannte österreichische Homöopath Clemens Fischmeister in seinem Artikel „Wie denkt ein klassischer Homöopath?“ (veröffentlicht im „Facharzt“ 2002). Dort schreibt er: „Die Heilung verläuft in Hierarchien, von oben nach unten … vom wichtigsten zum weniger wichtigen Organ“ (Hering´sche Regel), wobei er (völlig widerspruchslos) die Haut als das „unwichtigste Organ des Menschen“ bezeichnete!
Eine weitere Grundlage der Homöopathie ist das „Ähnlichkeitsprinzip“ (Similia similibus curentur). Damit verbunden ist die fantasievolle Vorstellung, dass es möglich sei, Krankheitssymptome durch Verdünnen und Schütteln (Potenzieren) von Ursubstanzen – z. B. Arsen -, die bei gesunden Testpersonen eine ähnliche Symptomatik auslösen, wie sie der Kranke zeigt, zu beseitigen. Dieses „Ähnlichkeitsprinzip“, das in der etablierten Medizin nicht die geringste Rolle spielt, basiert auf der mittelalterlichen „Signaturlehre“, die eng mit dem analogen Denken aller Esoteriker verbunden ist. Es ist die Lehre von den „Zeichen in der Natur“, die angeblich auf innere Zusammenhänge und Ähnlichkeiten im Rahmen der gesamten göttlichen Schöpfung hinweisen. Diese Signaturen sind somit ein Werk Gottes, die der Mensch lediglich erkennen muss. Demnach bestehen Analogien zwischen Form, Farbe, Geruch, Standort und astrologischen Zuordnungen. In der Logik der Gläubigen sind vor allem die Ähnlichkeiten von großer Bedeutung. So sollen beispielsweise die nierenförmige Bohne mit der Niere, die gehirnförmige Walnuss mit dem Gehirn, herzförmige Blätter der Melisse mit dem Herzen, die Mistel als Halbschmarotzer mit Krebserkrankungen, der Frauenmantel mit weiblichen Organen und Lungenkraut mit der Lunge zusammenhängen. Bitter schmeckende Pflanzen sollen einen Bezug zum „Element“ Feuer, das mit der Sonne in Verwandtschaft steht, haben und somit Stoffwechselprozesse anregen.
Diese uralte, fantasievolle und völlig unwissenschaftliche Lehre, die in ihrer konkreten Formulierung auf Paracelsus und den neapolitanischen Arzt und Alchemisten Giambattista della Porta zurückgeht, vermittelt auch den Glauben daran, dass die Farbe von Arzneimitteln einen Hinweis darauf gibt, für welche Erkrankungen sie eingesetzt werden sollen. Die Farbe Rot etwa bei Herzerkrankungen, Blau zur Verminderung von Unruhe. Die Lehre von den „göttlichen Signaturen“ ist außerdem Teil vieler esoterischer Behandlungsverfahren wie etwa der Ayurveda-Medizin, der traditionellen China-Medizin und der Homöopathie.
Der Vitalist Hahnemann glaubte, genau wie viele heutige Astrologen und Homöopathen, an das „geistige Wesen der Ursubstanz“ – die durch den Vorgang des Potenzierens (Verdünnen und Schütteln zum Erdmittelpunkt hin) sich immer stärker entfaltet und als Hochpotenz am stärksten wirkt -, an die „kosmische Urkraft“ und an die „Uridee, die alle Ebenen von oben bis unten durchzieht“. Das nennen Astrologen und andere Esoteriker „senkrechtes Denken“.
In Anlehnung an den alten Götterglauben der Antike steht im senkrechten Weltbild der Astrologie beispielsweise das Urprinzip Mars („der Kriegsgott und Herrscher über den wilden Widder“) in Analogie zu Aggression und Wildheit, zu bestimmten Organen und Körperbestandteilen wie etwa Blut, Kopf, Zähnen, Nägeln, Galle, quergestreifter Muskulatur, dem „Element“ Feuer, zur roten Farbe des Blutes und zu bestimmten Marspflanzen.
In der Homöopathie werden daher die oft stacheligen „Marspflanzen“ der Astrologen mit bestimmten menschlichen Organen (Blutgefäßen, Gallenblase, Muskeln und Kopf), der Farbe Rot und dem Element Feuer in Verbindung gebracht. Deswegen verordnen Homöopathen die Ursubstanzen Aconitum, Allium cepa und Belladonna – alles „Marspflanzen“ – gegen heftige, fiebrige, feurige Entzündungen, bei Gallensteinleiden sowie bei hochrotem Kopf, Blutungen und Blutstau. Genau solche unsinnigen Empfehlungen zur Behandlung von heftigen fiebrigen Erkrankungen mit der Marspflanze Belladonna findet man immer wieder in verschiedensten Zeitschriften und Online. So auch in einem Artikel der deutschen Homöopathin Barbara Stelzer in den „Salzburger Nachrichten“ vom 17. 10. 2011.
Auch andere Planeten und deren irdische Pflanzen und Metalle spielen im Denken der Homöopathen eine große Rolle. Der Planet Saturn steht in der Astrologie stets in Verbindung mit der Farbe Bleigrau, dem Metall Blei, mit Kalkablagerungen, Reduktion und Steinleiden. Zusätzlich sehen Astromediziner eine Verbindung zwischen dem Urprinzip Saturn zu Skelett, Niere, Galle und Milz. Es wundert daher nicht, dass die „Ursubstanz“ Lycopodium (eine „Saturnpflanze“) und das metallische Blei von Homöopathen bei Patienten mit reduziertem Allgemeinzustand, schmutzig-grauer Hautfarbe und „Verhärtungen“, ausgelöst durch Gicht, Arteriosklerose, Erkrankungen von Galle, Niere (Nephrosklerose) und Skelett eingesetzt werden. Der Planet Uranus steht im senkrechten Weltbild der Astrologie mit Krampfadern, Nerven und dem Sexualtrieb in Verbindung. Folgerichtig wird die wichtigste „Uranuspflanze“ der Astrologie – Hamamelis – von Homöopathen bei der Behandlung von Symptomen, ausgelöst durch Krampfadern, venösen Blutungen, Nervenentzündungen und Hodenerkrankungen, eingesetzt.
Dazu noch weitere Beispiele: In enger Anlehnung an astrologische (pseudomedizinische) Vorstellungen verordnen Homöopathen das Venusmetall Kupfer für Krämpfe aller Art und Störungen des Nervensystems; das Sonnenmetall Gold bei Herz-Kreislaufstörungen, erhöhtem Blutdruck und Depression; das Jupitermetall Zinn bei nervöser Erschöpfung, Neuralgien und Leberschmerz; oder das Mondmetall Silber gegen Unruhe und Neurasthenie.
Bemerkenswert auch die gemeinsamen „heiligen“ Zahlen aller Esoteriker:
Die 12 steht in manchen Schulen der Homöopathie für die Modalitäten (12 Umwelteinflüsse), in anderen esoterischen Pseudowissenschaften für Tierkreiszeichen und Häuser in der Astrologie, den 12 Jüngern und 12 Sinnen des Rudolf Steiner. Die 10 steht in der Homöopathie oft für Organ- und Emotionshierarchien, ansonsten für Himmelsstämme, Zahl der Vollkommenheit und regionale Zentren der Anthroposophie, den 10 Geboten und 10 Planeten (incl. Mond und Sonne). Die Zahl 5 ist die oft empfohlene Dosiseinheit bei der Einnahme von Globuli, außerdem steht sie für das Pentagramm, die 5 Elemente, 5 Jahreszeiten und 5 Organe der Chinamedizin. Die Zahl 4 steht in der Homöopathie teilweise für die 4 Konstitutionen (entsprechend der Vier-Säfte-Lehre des Hippokrates) und die 4 Grundqualitäten; in der übrigen Esoterik für die Quadranten im Horoskop, die 4 Veden der Ayurveda, die 4 Wesensglieder der Anthroposophie, die 4 Evangelien und Erzengel.
Wer daher meint, dass Homöopathie nichts mit Esoterik (Kabbala, Numerologie, Astrologie, Ayurveda oder Anthroposophie etc.) zu tun hat, der irrt.
(Autor: Dr. Theodor Much ist Autor des Buchs Der große Bluff: Irrwege und Lügen in der Alternativmedizin, Goldegg Verlag, 2013)
Foto: Wikipedia Commons Shuishouyue (Gemälde: John William Waterhouse)
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