„Was sagen Sie zu der Studie von der Securvita? Da steht doch jetzt wirklich schwarz auf weiß, dass ….“
Diese in letzter Zeit häufiger an uns herangetragene Frage nimmt Bezug auf eine Studie, über die die Securvita, eine in Würzburg ansässige Betriebskrankenkasse, in ihrem Mitgliedermagazin 4/2020 unter dem Titel „Wirtschaftlich und wirksam“ berichtet. Nun, was immer in dieser Studie Gutes über die Homöopathie steht – wir werden es möglicherweise nie erfahren. Denn die Securvita, die sich schon in der Vergangenheit als eine der Homöopathie sehr aufgeschlossen gegenüberstehende GKV-Kasse präsentiert hat, berichtet zwar darüber, die Studie selbst aber wurde bislang nicht veröffentlicht. Auch auf Anfrage wird kein Termin einer Veröffentlichung genannt. Auch einen Abzug bekommt man nicht.
Was also in der Studie „schwarz auf weiß“ steht, wissen wir nicht. Nur das, was die Securvita für berichtenswert hält, und wie sie es berichtet. Wie wenig aussagekräftig das ist, sei hier aufgezeigt, indem den Kernaussagen die Vorbehalte gegenübergestellt werden, die das Ergebnis mehr als zweifelhaft erscheinen lassen.
Basis der Untersuchung waren die Daten von mehr als 15.700 Versicherten der Securvita, die mindestens drei Jahre lang regelmäßig bei homöopathischen Kassenärzten in Behandlung waren.
Waren das alle Versicherten, die diese Bedingung erfüllten? Oder nur ein Teil? Wenn ja, was waren die Auswahlkriterien?
Mussten die Testpersonen die Bedingung bereits VOR dem Start der Erhebung erreicht haben, oder ergab sich diese einfach daraus, dass die Beobachtungszeit drei Jahre betrug? Da auch Neugeborene in die Betrachtung einbezogen wurden, dürfte letzteres der Fall sein. Dann hat aber auf diese Weise bereits eine Vorauswahl der Studienpopulation stattgefunden, die das Ergebnis ins Positive verfälscht, denn Patienten, die sich aufgrund einer erlebten Wirkungslosigkeit nur noch konventionell behandeln ließen, sind nicht erfasst worden. Und es ist offen, ob dies nicht vielleicht sogar die Mehrzahl war.
Diesen hat man eine gleich große Kontrollgruppe gegenübergestellt.
Ein ganz wesentlicher Aspekt wird nicht genannt, nämlich nach welchen Kriterien diese Kontrollgruppe zusammengestellt worden ist. Sinnvoll wäre gewesen, jedem einzelnen Homöopathiepatienten einen „statistischen Zwilling“ gegenüberzustellen, also Testpersonen, die in ihren relevanten Lebens- und Gesundheitsdaten den homöopathischen Probanden glichen. Man darf vermuten: Wenn dies geschehen wäre, was mit einigem Aufwand verbunden und ein wesentliches Qualitätsmerkmal der Erhebung gewesen wäre, dann hätte man das berichtet.
Andererseits werden aber auch keine demografischen und gesundheitliche Daten genannt, die für die Beurteilung der Vergleichbarkeit essenziell sind.
Welche Daten ausgewertet wurden und auf welche Weise das geschehen ist, wissen wir nicht.
Man verweist etwas nebulös auf „gesundheitsökonomische Verfahren“, was der Definition nach Verfahren wären, Angebot und Nachfrage nach Gesundheitsleistungen zu analysieren. Wie man diese auf Krankenakten anwendet, ist unklar. Man darf nach Lage der Dinge vermuten, dass hier lediglich Untergruppen betrachtet wurden und für die erhobenen Merkmale lediglich arithmetische Durchschnitte errechnet worden sind. Weitere Auswertungen, etwa in Form eines Signifikanztests, wurden offenbar nicht durchgeführt, da keine einzige Zahl genannt wird, die in diese Richtung weisen würde, also etwa Fehlerbalken, Konfidenzintervalle oder Betrachtungen zur statistischen Signifikanz der Ergebnisse.
Der Webseite des mit der Durchführung beauftragten Dienstleisters, die Gesundheitsforen Leipzig GmbH, zeigt, dass die Durchführung von klinischen Vergleichsstudien nicht zum Leistungsspektrum gehört, wie man auch den aufgeführten eigenen Veröffentlichungen unschwer entnehmen kann (https://www.gesundheitsforen.net/portal/de/veroeffentlichungen/startseite_veroeffentlichungen.xhtml) Entsprechend findet man in dem Artikel der Securvita keine Hinweise, die auf eine tiefer gehende statistische Auswertung hindeuten.
Wenn aber kein Signifikanztest durchgeführt wurde – oder die Ergebnisse nicht genannt werden – ist es nicht möglich zu beurteilen, ob es sich bei den Resultaten um Zufallsprodukte handelt oder ob doch ein systematischer Unterschied aufgetaucht sein könnte
Es wurden „insbesondere Neugeborene, Kinder und Jugendliche untersucht, außerdem Erwachsene mit bestimmten Krankheitsbildern wie Krebs und Depressionen.“
Warum hat man sich darauf beschränkt? Warum nicht auch Patienten aus vielen anderen denkbaren Gruppen, multimorbide Patienten etwa, oder Patienten mit psychischen Störungen, mit Suchtproblematiken, Schwangere, Herzkranke, chronisch Kranke, Raucher, ältere Menschen, etc, etc. Was waren die Gründe für die Beschränkung auf die genannten Felder? Cherrypicking?
„Die Analyse zeigt an einer Reihe von Beispielen aus der Gesamtheit der Daten, wie untersuchte Versichertengruppen von der Teilnahme am Homöopathie-Vertrag profitierten.“
Es ist ein schwerer Fehler, zur Bewertung einer Therapie nur beispielhafte Ergebnisse zu liefern. Auch wenn es die positiven Resultate wirklich gegeben haben sollte – offen bleibt, ob es nicht vielleicht viel tiefgreifendere negative Entwicklungen gegeben hat. Etwa bei Krankheitsbildern, die den Einsatz wirksamer Mittel tatsächlich erfordern.
Es habe sich gezeigt, dass der Einsatz von Antibiotika reduziert werden konnte. Im Kasten wird noch erwähnt, dass in der Homöopathiegruppe weniger Antidepressiva oder Schmerzmittel verwendet wurden.
Dies ist ein Zirkelschluss. Die homöopathische Therapie zeichnet sich dadurch aus, dass Homöopathika anstelle von konventionellen Arzneimitteln verabreicht werden. Das ist das Kriterium der Gruppeneinteilung hier. Und nun stellt man fest, dass in der Gruppe derjenigen, die weniger konventionelle Mittel verordnen, tatsächlich weniger konventionelle Arzneimittel angewandt werden. Ein triviales Ergebnis ohne weitere Aussage! Überspitzt: Ein vergleichbares Ergebnis wäre etwa, dass alte Menschen durchweg ein höheres Lebensalter aufweisen als junge.
Weiter zeigten sich positive Entwicklungen: Die Zahl der Krankenhauseinweisungen, die Dauer der Klinikaufenthalte und die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bei Patienten mit Depressionen hätten sich im Gegensatz zur Kontrollgruppe vorteilhaft entwickelt.
Man darf annehmen, dass die Krankenhauseinweisung aufgrund von Depressionen ein nicht sehr zahlreich aufgetretener Vorgang ist. Warum wird also dieses sicher für den klinischen Alltag nicht eben typische Ergebnis herausgestellt? Es wird nicht genannt, wie groß diese Untergruppe war – also wie viele Fälle in dieses Ergebnis eingeflossen sind. Wenn die Anzahl, wie zu vermuten, nur sehr klein war, dann ist das Ergebnis sehr stark von den individuellen Eigenheiten der Versuchspersonen geprägt und stellt keine „typischen Verläufe“ dar.
Allerdings scheint das Ergebnis besonders gut gewesen zu sein, sonst hätte man es nicht so deutlich herausgestellt. Woraus man wieder schließen kann, dass die Entwicklungen in den Bereichen mit höheren Fallzahlen wohl eher nicht so positiv waren.
Es wird erwähnt, „dass sich bei fast allen untersuchten Indikationen und Gruppen eine positive Entwicklung zeigte.“ Es seien auch große Unterschiede bei Krebs und mehrfachen schweren Erkrankungen deutlich geworden.
Aber warum werden dann die Ergebnisse anhand der Daten eines ziemlich exotischen Vorgangs präsentiert und nicht irgendetwas, was in höherer Zahl vorkommt?
Daraus folgert man nun, dass die geschilderten positiven Entwicklungen auf die Homöopathie zurückzuführen seien, die der Securvita-Kunde völlig ohne Mehrkosten in Anspruch nehmen könne, und dass diese Therapieform einen angemessenen Platz in der Gesundheitsversorgung verdiene.
Selbst wenn die Ergebnisse valide wären, was sie aufgrund der vielen fehlenden Angaben bei weitem nicht sind, wäre immer noch unklar, ob es sich um Effekte der Homöopathie handelt, oder ob Unterschiede in den demografischen Daten der Grund sein könnten. Schließlich gelten Homöopathieanhänger als jünger, mit einem höheren Bildungsstand und höherem Einkommen, was sie als Mitglieder für eine Krankenversicherung attraktiv macht. Dass deren Krankengeschichte dann anders verläuft als im Durchschnitt über alle Patientengruppen, ist zu erwarten und eigentlich kein Wunder.
Natürlich soll die Homöopathie ihren angemessenen Platz erhalten. Man wird nur diskutieren müssen, welcher Platz für eine Therapieform, die auf Arzneimitteln aus den Verdunstungsrückständen von geschütteltem Wasser und Alkohol auf Zucker beruht, angemessen ist.
Zusammengefasst:
Bei dieser Securvita-Studie handelt es sich nach allem, was in dem veröffentlichten Artikel erkennbar ist, um ein pseudowissenschaftliches Papier, denn es erfüllt keine der Kriterien, die an eine nachvollziehbare wissenschaftliche Arbeit nach geltenden Standards zu stellen sind. Es mag allein Marketingzwecken dienen, besitzt aber keinerlei wissenschaftliche Validität.
Die Vergleichbarkeit der Gruppen kann nicht beurteilt werden, und es ist anzunehmen, dass schon die Auswahl der Probanden der Homöopathiegruppe ein positives Ergebnis fördert, indem nur erfolgreiche Patienten eingeschlossen wurden. Die untersuchten Gruppen sowie die präsentierten Ergebnisse lassen auf eine gezielte Positivauswahl schließen. Eine sinnvolle statistische Auswertung scheint nicht stattgefunden zu haben, denn es werden keinerlei Angaben gemacht, die darauf schließen lassen würden, wie sie allerdings für eine für eine aussagekräftige Studie erforderlich sind. Wie will man sonst Zufall von einem systematischen Effekt unterscheiden? Mittelwerte alleine haben praktisch keine Aussagekraft. Man denke an ein gegrilltes Tiefkühlhähnchen: außen verbrannt, innen noch gefroren, aber im Durchschnitt gut.
Die Schlussfolgerung, dass die berichtete positive Entwicklung auf den Gebrauch der Homöopathie zurückzuführen sei, ist nicht gerechtfertigt, da im Wesentlichen nur über Zirkelschlüsse und über Ergebnisse in für den Klinikalltag eher untypischen Konstellationen berichtet wird.
Bild von Gerd Altmann auf Pixabay
Eine Antwort auf „Neue Securvita-Studie in Sachen Homöopathie – spektakulär oder business as usual?“
Kommentare sind geschlossen.