Prof. Ernst informiert: So schützen Sie sich vor falschen Heilsversprechen der „Alternativmedizin“

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Beiträge, wie dieser hier, machen Spaß. Zumindest dem, der sie schreibt. Aber ich hoffe natürlich in erster Linie, dass meine Texte für diejenigen meiner Leser nützlich sind, die mit dem Gedanken spielen, einen Heilpraktiker oder eine andere Art von Alternativmediziner zu konsultieren.

Mit diesem Beitrag möchte ich die Fähigkeit der Leser zum kritischen Denken anregen und eine Art Leitfaden für Patienten schaffen, mit dem sie erkennen können, um welche Art von Heilpraktikern und anderen Alternativmedizinern sie einen großen Bogen machen sollten.

In diesem Sinne hier nun drei „Tipps und Tricks für Eingeweihte“:

Natürlich ist gut

Jeder Werbefachmann wird bestätigen, dass das Label „Natürlich“ ein echter Verkaufsmotor für Dinge aller Art ist. Anbieter alternativmedizinischer Methoden kennen diese Tatsache seit langem und nutzen sie zu ihrem Vorteil. Sie unterstreichen die Natürlichkeit ihrer Behandlungen bis zum „Geht-Nicht-Mehr“ und nicht selten verwenden sie den Begriff auch irreführend.

  • Zum Beispiel ist nichts „Natürliches“ daran, die Wirbelsäule eines Patienten über den normalen physiologischen Bewegungsbereich hinaus zu manipulieren (Chiropraktik)
  • es gibt nichts „Natürliches“ in unendlich verdünnten und geschüttelten Substanzen (Homöopathie), mögen diese auch – oder auch nicht – einen „natürlichen“ Ursprung gehabt haben
  • es ist nichts „Natürliches“ dabei, Patienten Nadeln in die Haut zu stechen (Akupunktur)

Darüber hinaus ist der Begriff einer stets guten und wohlwollenden „Mutter Natur“ ebenso naiv wie irreführend. Fragen Sie dazu mal Menschen, die während eines Sturms auf See gewesen sind oder die von einem Blitz getroffen worden.

Mein Rat: Durchschauen Sie derart durchsichtige Werbeslogans! Und schießen sie denjenigen, der auf diese Weise wirbt, mitsamt der „Natürlichkeit“ seiner Therapie in den Wind.

Energie

Bei Treffen von Heilpraktikern wird der Begriff „Energie“ häufiger erwähnt als bei einer Vorstandssitzung von EDF (Électricité de France, zweitgrößter Stromerzeuger weltweit – d. Übers.). Der Unterschied besteht darin, dass die alternative Brigade nicht wirklich vom klar umrissenen Begriff Energie spricht; für sie bedeutet Energie irgendeine „Lebenskraft“ oder etwas Ähnliches aus dem Begriffsvorrat anderer „Traditionen“.
Heilpraktiker verwenden den Begriff „Energie“ so gern, weil das in den Ohren potenzieller Kundschaft modern und beeindruckend klingt. Entscheidend ist aber, dass mit diesem „modernen“, scheinbar jedermann geläufigen Begriff, wunderbar verdeckt werden kann, wie tief durchdrungen diese Therapeuten vom Vitalismus und von vitalistischen Ideen der vorwissenschaftlichen Zeit sind.
Während rationale Denker solche Konzepte schon vor weit mehr als einem Jahrhundert aus guten Gründen verworfen haben (man nennt das Einführung der wissenschaftlichen Methode), fällt es Befürwortern alternativer Medizin offensichtlich schwer, das gleiche zu tun – denn wenn sie es täten, gäbe es nur noch wenig bis nichts, was ihre unterschiedlichen „Philosophien“ untermauern könnte.

Mein Rat: Vermeiden Sie Therapeuten und Mediziner, die sich auf einen wie auch immer gearteten „Vitalismus“, ein Konzept einer mehr oder weniger unbestimmten „Lebenskraft“, berufen, denn das Festhalten an längst überholten und widerlegten Konzepten ist ein sicheres Zeichen für ein gefährliches „Rückwärtsdenken“.

Stimulierung des Immunsystems

„Ihr Immunsystem muss stimuliert werden!“ – Wie oft hört man das von Vertretern alternativer Medizin? Der wissenschaftlich orientierte Mediziner hat da eine sehr reservierte Haltung; er versucht Stimulationen des Immunsystems nur unter ganz bestimmten, sehr seltenen Umständen. Sehr viel häufiger geht es vielmehr darum, die entgegengesetzte Wirkung zu erzielen und starke Medikamente zu verwenden, um das Immunsystem zu unterdrücken (z. B. bei lebensgefährlichen Autoimmunerkrankungen). Aber selbst wenn Mediziner im Einzelfall einmal darauf abzielen, das Immunsystem eines Patienten zu stimulieren, würden sie mit Sicherheit keine der Behandlungsmethoden von Heilpraktikern und sonstigen Alternativmedizinern verwenden.
Warum nicht? Es gibt eine Reihe von Gründen:

  • Die in der Alternativmedizin als „Immunstimulanzien“ verwendeten Mittel haben gar nicht die erwünschte Wirkung.
  • Stimulation des Immunsystems ist nur sehr selten ein wünschenswertes therapeutisches Ziel.
  • Ein normales, durchschnittliches Immunsystem zu stimulieren ist generell kaum möglich.
  • Aus der Patientensicht kann eine „Stimulierung des Immunsystems“ sogar eine sehr riskante Sache sein (wenn es überhaupt machbar wäre). Bei einer nicht ausgewogenen Funktion des Immunsystems, für die der Körper in aller Regel selbst sorgt, besteht beispielsweise die Gefahr, dass es sich gegen den Körper selbst wendet.

Mein Rat: Fragen Sie Ihren Arzt oder Therapeuten, der ihr Immunsystem behandeln will, ganz genau, warum er die Notwendigkeit dazu sieht. Auch wenn er ihnen einen „Grund“ nennen kann, der zunächst einmal etwas für sich zu haben scheint: Fragen Sie ihn, ob er bereit ist, zunächst sein eigenes Immunsystem einer solchen Stimulation zu unterziehen und dann einen nachvollziehbaren Beweis zu führen, dass seine Therapie überhaupt so etwas bewirken kann.

 

Autor: Prof. em. Edzard Ernst. Mehr zu den oft fatalen „Tipps und Tricks der Alternativmediziner“ auch unter: http://edzardernst.com/2016/07/the-tricks-of-the-quackery-trade-part-4/ und Dr. Natalie Grams

Vom Englischen ins Deutsche: Udo Endruscheit

Bild: Andreas Weimann

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