Zu Homöopathie-Kostenstudien: Nichts ist immer zu teuer

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Das Bild zeigt Geldscheine und Globuli zur Kernaussage des Beitrages: Nichts ist immer zu teuer
Nichts ist immer zu teuer

 

Die Homöopathievertreter und auch die Krankenkassen, die Erstattungen für Homöopathie in ihre Satzungsleistungen aufgenommen haben, behaupten gern, dass die Anwendung von Homöopathie gegenüber wissenschaftsbasierten Mitteln und Methoden einen Kostenvorteil zeige. Steht dies auf ausreichend sicheren Füßen?

Bereits im Jahre 2015 haben Forscher an der Charité (unter Beteiligung der Versorgungsforscherin Claudia Witt, durch ihrer frühere Lehr- und Forschungstätigkeit für komplementäre Medizin an der Berliner Charité der Benachteiligung der Homöopathie unverdächtig), hierzu eine recht umfangreiche Studie vorgelegt:  „Can Additional Homeopathic Treatment Save Costs? A Retrospective Cost-Analysis Based on 44500 Insured Persons“. Dies war die damals bislang umfassendste und langfristigste Untersuchung einer Kosteneffektivität der Homöopathie überhaupt. In Zusammenarbeit mit einer namhaften Krankenkasse. Und zu welchem Ergebnis kommt sie?

„Für die Analyse standen Daten von 44.550 Patienten (67,3 % Frauen) zur Verfügung. Aus gesellschaftlicher Sicht analysiert waren die Gesamtkosten nach 18 Monaten in der Homöopathiegruppe (adj. Mittelwert: 7.207,72 EUR) höher als in der Kontrollgruppe (5.857,56 EUR), wobei die größten Unterschiede zwischen den Gruppen beim Produktivitätsverlust (Homöopathie 3.698,00 EUR vs. Kontrolle 3.092,84 EUR) und bei den Kosten für ambulante Pflege (Homöopathie 1.088,25 EUR vs. Kontrolle 867,87 EUR) bestanden. Die Gruppenunterschiede nahmen im Laufe der Zeit ab. Bei allen Diagnosen waren die Kosten in der Homöopathiegruppe höher als in der Kontrollgruppe, obwohl dieser Unterschied nicht immer statistisch signifikant war.“

Die homöopathieaffine Gruppe, die Hälfte der Gesamtstudienteilnehmer, verursachte also über 18 Monate rund 1,350 Euro pro Kopf Mehrkosten gegenüber den Patienten der Gruppe ohne Inanspruchnahme von Homöopathie. Das sind nur für diese Gruppe Mehrkosten insgesamt von sage und schreibe rund 30 Millionen Euro. Das entspricht auf ein Jahr heruntergerechnet ziemlich genau dem, was von allen Krankenkassen insgesamt für Homöopathika über Satzungsleistungen jährlich  verausgabt wird (etwa 20 Mio. Euro).

Hatte dieses Ergebnis Konsequenzen, beispielsweise für Krankenkassen, die ja das Gebot der Zweckmäßigkeit, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit -wie das Bundessozialgericht eindeutig festgestellt hat- auch bei Leistungen der sogenannten „besonderen Therapierichtungen“ zu beachten haben? Es sind jedenfalls keine solchen Konsequenzen erkennbar geworden.

Einer der Kritikpunkte an der Studie aus dem Jahr 2015 war die angeblich zu kurze Beobachtungszeit von 18 Monaten. Nun liegt eine Folgestudie von Ostermann / Witt / Reinhold  vor, die die Datenbasis auf einen Beobachtungszeitraum von 33 Monaten erweitert hat (A retrospective cost-analysis of additional homeopathic treatment in Germany: Long-term economic outcomes).

Es überrascht nicht, dass das Ergebnis aus dem Jahre 2015 weitgehend unverändert geblieben ist:

„Die Daten von 21.939 Patienten der Homöopathie-Gruppe (67,4% Frauen) und 21.861 Patienten der Kontrollgruppe (67,2% Frauen) wurden analysiert. Die Gesundheitskosten in den 33 Monaten betrugen 12.414 EUR in der Homöopathie-Gruppe und 10.428 EUR  in der Kontrollgruppe. Die größten Kostenunterschiede waren Produktivitätsverluste (Homöopathie: EUR 6.289, Kontrolle: EUR 5.498 und ambulante Kosten (Homöopathie: EUR 1.794, Kontrolle: EUR 1.438). Obwohl sich die Kosten der beiden Gruppen im Zeitablauf annäherten, blieben die Kostenunterschiede über die gesamten 33 Monate hinweg bestehen. Bei allen Diagnosen verursachten homöopathische Patienten höhere Kosten als Kontrollpatienten.“

Bemerkenswert ist, dass die neue Studie erheblichen Aufwand betrieben hat, um die Vergleichbarkeit zwischen den Gruppen herzustellen. Homöopathie- und Kontrollpatienten wurden nach Möglichkeit im Verhältnis 1:1 auf der Grundlage der Fallsituation verglichen. Die Kosten (ohne die überall anfallenden Basiskosten wie Gemeinkostenzuschläge der Kassen u.ä.) wurden zwischen den Gruppen sowohl über Diagnosen hinweg als auch für gezielt für bestimmte Diagnosen analysiert. Zu den spezifischen Diagnosen zählten Depressionen, Migräne, allergische Rhinitis, Asthma, Neurodermitis und Kopfschmerzen (also klassische „homöopathische Indikationen“).

Natürlich sind mögliche Ursachen hierfür über eine gewisse Bandbreite hinweg denkbar. Es ist ist aber zu berücksichtigen, dass durchweg die Krankenkassen mit ihren Satzungsleistungen eine jüngere, gesündere Klientel ansprechen wollen und sich natürlich von dieser Gruppe auch durchweg niedrigere Aufwendungen versprechen. Dies scheint offensichtlich nicht zu funktionieren. Was prospektiv die Frage aufwirft, wie weit sich dies noch zu Lasten der Kostenträger entwickelt, wenn diese derzeit noch „junge und gesunde“ Klientel in eine Altersgruppe hineinwächst, bei der die Inanspruchnahme von Kassenleistungen zwangsläufig einem durchweg sich verschlechternden Gesundheitszustand folgt. Dann werden die Vergleichsgruppen bei einer ähnlich angelegten Untersuchung wohl divergieren statt konvergieren.

Es liegt auf der Hand, dass „Vorlaufkosten“ für eine spezifisch unwirksame Behandlung immer dann als sinnlos „abgeschrieben“ werden müssen, wenn es aufgrund der Schwere des Krankheitsbildes zur Notwendigkeit einer Folgebehandlung auf evidenzbasierter Grundlage kommt. Dabei wären eventuelle Mehrkosten durch eine verschleppte, mithin später intensivere und längerdauernde Behandlung noch hinzuzurechnen. Ebensowenig ist aber auch ein „Ansprüchigkeitseffekt“ völlig auszuschließen, der sich aus der Bereitschaft zur Inanspruchnahme von Kassenleistungen auch für geringfügige Gesundheitsstörungen bei der homöopathisch orientierten Klientel richtet. Die Größenordnung der Kostenunterschiede dürfte hieraus allerdings nicht annähernd zu begründen sein. 

Es darf allerdings nicht unbeachtet bleiben, dass dies nur ein Teil der Kalkulation der homöopathieerstattenden Kassen ist, der sich allein auf die Kostenentwicklung bezieht. Da die in den Fokus genommene homöopathieaffine Klientel auch in der Regel gutverdienend sein wird, erwarten sich die Kassen aus der Marketingsicht von diesen Beitragseinnahmen im oberen möglichen Spektrum. Das hat sicher noch irgendwie einen betriebswirtschaftlichen Sinn, bleibt aber angesichts der Erkenntnisse zur korrespondierenden Kostenseite Spekulation. Inwieweit es durchaus fragwürdig sein kann, anderen Kassen des gleichen Solidarsystems damit „gute Risiken“ abspenstig zu machen, sei dahingestellt. Zumal über den Risikostrukturausgleich des Systems ohnehin relative Mehreinnahmen jedenfalls teilweise wieder abgeschöpft werden. Interessanterweise lassen die Studien erkennen, dass die Mehrkosten zum größten Teil auf überdurchschnittlich hohen Produktivitäts-Ausfallzeiten (Arbeitsunfähigkeitszeiten) und Kosten für ambulante Pflege beruhten, was die Annahme, homöopathieaffine Versicherte wiesen einen insgesamt besseren Gesundheitszustand auf, zumindest realativiert.

Fundiertere Analysen sind nicht möglich, weil die Studienergebnisse nicht „patientenscharf“ erhoben worden sind. Bei der breiten Datenbasis und der Bestätigung der bereits vorher gewonnenen Erkenntnisse schmälert dies die Grundaussage jedoch nicht: Homöopathie kann auch bei einer betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweise nicht als „wirtschaftlich“ angesehen werden, zumal sie als spezifisch unwirksame Methode ohnehin weder ausreichend noch zweckmäßig sein kann. Sie erfüllt damit keine einzige der Voraussetzungen, unter denen die gesetzliche Sozialversicherung nach § 12 des Sozialgesetzbuches Leistungen erbringen darf. Entsprechend der Erkenntnis, dass ein Preis für Nichts immer zu hoch ist.


Updated und präzisiert: Juli 2022


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