Ist Homöopathie eine „Reiz-Regulationstherapie“?

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Die Homöopathie wird gelegentlich als „Reiz-Regulationstherapie“ bezeichnet, wodurch die Existenz eines entsprechenden Erklärungsmodells unterstellt wird. Der Leser (oder Zuhörer) wird mit diesem Begriff allein gelassen – eine genaue Erklärung, wie die Homöopathie als Reiz-Regulationstherapie wirken könnte, wird nicht gegeben.

Was ist überhaupt „Regulation“?

In dem Begriff „Reiz-Regulationstherapie“ ist das Wort „Regulation“ enthalten. In der Technik und in der Natur werden viele Größen (Eigenschaften, Parameter) „geregelt“, das heißt sie werden von einem „Regelkreis“ konstant gehalten.

Teil eines technischen Regelkreises als Symbolbild
Teil eines technischen Regelkreises

Ein bekanntes Beispiel aus der Technik ist die Regelung der Zimmertemperatur. Im Zimmer gibt es einen Messfühler für die Temperatur („Thermometer“), es gibt ein Gerät („Aktor“), das die Zimmertemperatur verändern kann („Heizung“ oder „Kühlaggregat“) und es gibt eine Schaltung, die anhand des Messwerte aus dem Thermometer den Aktor so beeinflusst, dass die Temperatur konstant bleibt. Das Thermometer mit eingebauter Schaltung hält also die Temperatur durch Aktivierung der Aktoren konstant (statisch), deswegen heißt es auch „Thermostat“. Wenn die Zimmertemperatur sinkt, dann wird aus der Heizung mehr Wärme abgegeben. Wenn die Zimmertemperatur steigt, dann wird über das Kühlaggregat ein Wärmeüberschuss abgeführt.

Auch in unserem Körper gibt es viele Parameter, die konstant gehalten werden müssen. Der Bereich erlaubter Schwankungen ist üblicherweise sehr klein; zu große Abweichungen sind mit dem Leben nicht vereinbar. Das Prinzip heißt „Homöostase“. Dieses Wort hat zwar Ähnlichkeit mit dem Wort „Homöopathie“, bedeutet aber etwas ganz anderes. Die Vorsilbe „homöo-“ bedeutet – in beiden Fällen – „gleich“ und „-stase“ beschreibt, dass ein Zustand „stehend“, „statisch“ bzw. konstant ist. (Das Wort „Homöopathie“ heißt eigentlich, dass eine Krankheit mit einer „gleichen“ Krankheit geheilt werden soll – und ist damit falsch gewählt, denn in der Homöopathie gilt nicht das „Gleichheitsprinzip“, sondern das „Ähnlichkeitsprinzip“ – „Simileprinzip“ – auf diese Unterscheidung legte Hahnemann großen Wert).

Einige Beispiele für Homöostase im Körper seien nachfolgend genannt:

    • Die Sauerstoffsättigung im Blut. Sinkt der Messwert, wird die Atmung forciert.
    • Damit verbunden, der Kohlendioxidgehalt im Blut. Steigt der Messwert, wird die Atmung forciert.
    • Der Salzgehalt im Blut. Steigt er, bekommt man Durst und trinkt Wasser zur Verdünnung und die Niere scheidet mehr Salz aus. Sinkt er, bekommt man Appetit auf Salziges und die Niere scheidet mehr Wasser aus.
    • Der Blutzuckerspiegel. Steigt er, wird mehr Insulin ausgeschüttet. Sinkt er, bekommt man Heißhunger auf Süßes.
    • Die Körpertemperatur. Sinkt sie, beginnen die Muskeln zu zittern („Frieren“) und versuchen damit, Bewegungswärme zu erzeugen, steigt sie, wird Schweiß ausgeschieden, um durch Verdunstungskälte den Körper zu kühlen.

Die Liste ist natürlich längst nicht vollständig, aber für das Verständnis sollen diese Beispiele genügen.

Regelkreise folgen dem allopathischen, nicht dem homöopathischen Prinzip

Was man bei allen diesen Beispielen erkennen kann: Die Regelung wirkt gegenteilig auf die störende Veränderung, um sie auf diese Weise aufzuheben. Steigt der Blutdruck, wird er gesenkt. Steigt der Blutzucker, wird er gesenkt. Steigt die Körpertemperatur, wird sie gesenkt. Steigt der Säuregehalt im Blut, wird er gesenkt. Dieses Prinzip entspricht dem, was Hahnemann verächtlich als „Allopathie“ bezeichnet hat. Auch heute noch wird es von Homöopathen abwertend als „Symptomunterdrückung“ bezeichnet.

Das Prinzip der Homöopathie ist aber – in Missachtung des falsch gewählten Begriffs „Homöo“-Pathie – eine Störung durch eine ähnliche Störung zu beseitigen. Was soll man sich – in Bezug auf den Begriff „Reiz-Regulationstherapie“ darunter vorstellen? Soll beispielhaft ein erhöhter Salzgehalt im Blut durch „noch mehr Salz“ (ggf. einer anderen Sorte) korrigiert werden? Das würde die Homöostase zusätzlich belasten, selbst, wenn die zugeführte Salzmenge klein ist. Zudem ist das „Anstubsen“ des Regelkreises nicht erforderlich, die Regelkreise sind grundlegende Lebensfunktionen. Bei einem Nierenschaden zum Beispiel misst der Regelfühler durchaus korrekt den hohen Salzgehalt – es ist die kranke Niere, die den Salzüberschuss nicht ausscheiden kann. Eine Reiz-Regulation unter der Prämisse des Ähnlichkeitsprinzips kann es nicht geben.

Hahnemann erklärt die Homöopathie jedoch keineswegs über eine „Reiz-Regulation“. Hahnemann unterstellt, dass ein Körper niemals zwei ähnliche Krankheiten gleichzeitig haben könne. Er müsse sich in so einem Fall von einer der beiden Krankheiten trennen: von der schwächeren. Das Ziel der Homöopathie ist also, einem erkrankten Körper eine zweite Krankheit zuzuführen („Kunstkrankheit“, ausgelöst durch das Homöopathikum, das ein ähnliches „Arzneimittelbild“ hat wie das „Symptomenbild“ der Krankheit). Dabei muss diese zweite Krankheit vom Wesen her stärker sein (sie soll ja die Originalkrankheit vertreiben, welche dazu schwächer sein muss), aber von den Symptomen her schwächer (sonst würde sich niemand behandeln lassen wollen, wenn die Behandlung mehr Beschwerden produziert als die Krankheit). In dieses Erklärungsmodell von Hahnemann passt der Begriff „Reiz-Regulation“ nicht hinein.

Falsche Etiketten

Wir beobachten in der Homöopathie, dass die vorwissenschaftlichen Erklärungen Hahnemanns mit modernen Begriffen aus der Wissenschaft erklärt, „nachträglich gedeutet“ werden sollen, was aber nicht möglich ist. Hahnemanns Krankheitslehre aus der vorwissenschaftlichen Zeit kennt unsere heutigen Begriffe wie „Zellularpathologie“, „Physiologie“, „Biochemie“, „Biomechanik“, „Mikrobiologie“ nicht. Das Ähnlichkeitsprinzip der Homöopathie und die Homöostase von Körpergrößen schließen sich gegenseitig aus. Will man Reize regulieren, benötigt man das „Allopathie-Prinzip“. Will man am „Homöopathie-Prinzip“ festhalten, bleibt der Begriff „Reiz-Regulation“ inhaltsleer.


Autor: Dr. med. Wolfgang Vahle

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