In kaum einer Diskussion um die Homöopathie bleibt es aus, dass jemand anführt: „Mir hat die Homöopathie aber geholfen! Da könnt ihr mir lange erzählen, warum sie nicht wirken kann, ich weiß doch, dass sie es bei mir getan hat!“.
Einzelschicksale machen Abstraktes fühlbar
Homöopathen und auch Journalisten, die über Therapien berichten, lieben solche positiven Einzelschicksale, an denen entlang sie eine Geschichte aufbauen können. Statt auf Studien setzen sie lieber auf die Kraft der Geschichten einzelner Personen. Das mag manchem hilfreich sein, um das Abstrakte einer Erkrankung nachzuvollziehen. Das Leiden ebenso wie das Glück von Heilung und Genesung machen die Wirkung einer Therapie, eines Medikaments oder eines OP-Verfahrens erst anschaulich, nachvollziehbar, verständlich. Und natürlich berichtet auch jeder Patient in erster Linie von sich selbst. Das ist es ja, was er erlebt und gefühlt hat!
Doch in Berichten über medizinische Therapien, Verfahren oder Medikamente gibt es immer dann ein Problem, wenn ein solcher Einzelfall alleine (oder zwei oder drei – oder noch mehr) als Beleg für die Wirksamkeit der ganzen medizinischen Methode herhalten soll. Ganz nach dem Motto: „Seht her, dieser Person hat’s geholfen, also hilft es auch allen anderen.“ So haben auch schon die Heiler und Scharlatane auf den Jahrmärkten des Mittelalters argumentiert. So argumentieren heute noch all jene, die Wundertherapien gegen jede nur erdenkliche Krankheit anpreisen.
Das eigene Erleben ist leicht zu täuschen
Die unbequeme Wahrheit ist: Nur weil bei einer Person eine Krankheit verschwindet oder sich deren Symptome bessern, nachdem ein Arzt oder Heiler ein paar Kügelchen oder einen Saft verabreicht haben, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass die Intervention auch die tatsächliche Ursache für die gesundheitliche Entwicklung war. Ganz im Gegenteil, die Wahrscheinlichkeit, dass es so ist, ist gering. Auch wenn dies der eigenen Erfahrung zuwider läuft, denn was könnte es Überzeugenderes geben als das persönliche Erleben? Doch schon von einer Erkältung ist bekannt, dass sie sieben Tage dauert, egal ob mit oder ohne ärztlicher Unterstützung.
Leider lassen wir uns nur allzu leicht täuschen – so unangenehm uns diese Erkenntnis auch ist. Jahrzehnte psychologischer Forschung belegen dies immer wieder. Kaum etwas ist so fehlbar wie die menschliche Wahrnehmung. Es gibt sogar eigene Fachbegriffe für solche Phänomene von Selbsttäuschung und Fehlschlüssen.
Bei erfolgreichen Krankheitsgeschichten spielen z.B. folgende Umstände eine Rolle, die zu Fehlschlüssen führen können:
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- Die zeitliche Nähe von Arztbesuch und Therapieerfolg bedingt scheinbar einen kausalen Zusammenhang. Dieses Empfinden liegt in der menschlichen Natur. Betroffene – und ebenso die Homöopathen, die solche Fälle als Beleg berichten – übersehen oder ignorieren, dass und warum eine Erkrankung sich auch aus vielen anderen Gründen bessert oder gar ganz verschwindet.
- Der natürliche Verlauf der Krankheit: Wir gehen zum Arzt, wenn es uns besonders schlecht geht, auf dem Höhepunkt der Krankheit (jedenfalls der Beschwerden). Wenn es uns danach besser geht, schreiben wir das dem Arzt und seiner Therapie zu, nicht dem natürlichen Auf und Ab einer Krankheit. Unser Körper hat die Krankheit selbst überwunden. Da wir aber beim Arzt waren, halten wir seine Therapie für den Grund der Besserung.
- Nicht die Globuli haben uns geholfen, sondern allein die Konsultation des Therapeuten, das ärztliche Setting, dessen Zuwendung, das Umkümmert werden – die sogenannten Kontexteffekte, von denen der Placebo-Effekt nur einer ist – haben zur Besserung unseres Leidens geführt.
Einzelfälle „beweisen“ keine Methode
Weil Mediziner irgendwann verstanden haben, dass einzelne Berichte von Patienten nicht aussagekräftig für allgemeine Schlussfolgerungen sind, entwickelten sie Methoden, um Aussagen zu Nutzen und Risiken einer medizinischen Intervention auf ein verlässliches Fundament zu stellen: Studien mit einer bestimmten Zahl von Teilnehmern, mit Kontrollgruppe (die ein Placebo, also ein Scheinmedikament bekommt) und zufälliger Zuteilung (Fachbegriff „randomisiert“), bei denen weder Arzt noch Teilnehmer wissen, wer was bekommt (doppelt verblindet). Man nennt das den aktuellen Goldstandard einer Studie für die medizinische empirische Forschung: doppelt-verblindete, randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie, kurz RCT (Abkürzung des englischen Begriffs randomised controlled trial).
Jedes Mal, wenn ein Homöopath oder ein Homöopathie-Patient den „Beweis“ für die Homöopathie auf die trügerische Aura des Einzelfalls stützt, zuckt irgendwo ein Mediziner zusammen, weil wieder einmal zweihundert Jahre Entwicklung in der Medizin und der Erforschung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit ignoriert wurden, die stattgefunden haben, um die Wirksamkeit von Heilmitteln verlässlich und fair überprüfen zu können. (Einen guten Wegweiser durch den Dschungel der Studientypen finden Sie hier.)
Mir hat es geholfen bedeutet nur: „MIR“ hat es geholfen
Wenn man also als Homöopathie-Anhänger glaubt, dass sich im Laufe einer homöopathischen Therapie etwas verändert, dann gilt es genau hinzuschauen: Wenn Schmerzen verschwinden, Hämatome heilen, Ödeme zurückgehen oder sogar Depressionen sich bessern, dann heißt das nicht automatisch, dass das homöopathische Mittel dafür verantwortlich ist. Für eine verlässliche Aussage muss man den Blick weiten und schauen, was bei anderen Betroffenen mit einer solchen Erkrankung im Laufe der Zeit passiert ist; genau das wird in medizinischen Studien versucht. Generell gibt es nämlich vier Möglichkeiten für den Verlauf einer Erkrankung mit oder ohne Behandlung:
1. Nach der Einnahme verbessern sich Beschwerden
2. Nach der Einnahme verändert sich nichts
3. Eine Verbesserung tritt auch ohne die Einnahme eines Medikamentes auf
4. Man nimmt kein Medikament und es verändert sich auch nichts
Zu sagen „Mir hat es geholfen“, bedeutet lediglich, dass man in der ersten Gruppe war. Um zu beurteilen, wie gut eine medizinische Methode ist, ist es nun aber ganz entscheidend zu wissen, wie groß die anderen drei Gruppen sind. Wenn man nun feststellt, dass wir in Gruppe Zwei viel mehr Fälle zählen, ist das sicher ein Hinweis, dass das Mittel offenbar nicht so gut oder gar nicht wirkt.
Für viele Homöopathen wäre dies hingegen nicht so: Klar, sagen sie, es , hat sich nichts verändert, weil es eben nicht das richtige Medikament war. Oder: Das richtige Medikament zeigt seine Wirkung erst nach einer langen Zeit, da könne man gar nicht so schnell beurteilen, wenn sich erstmal nichts tut. Oder: Es war die Erstverschlechterung, die Verbesserung folgt dann auf dem Fuße. Oder: Der Patient hat störende Agenzien (Kaffee, die falsche Zahnpasta) genommen, also konnte es ja gar nicht wirken. Oder: Die Homöopathie heilt von innen nach außen, da muss sich erst innerlich was tun, das ist äußerlich erstmal nicht zu sehen. Oder: Die Homöopathie heilt von oben nach unten, der Haarausfall ist schon mal weg, das wird schon noch. Oder: Der Homöopath war einfach der Falsche, er hat die falsche homöopathische Schule/Ausbildung/Auffassung, er war gar kein „richtiger Homöopath“. Oder, oder, oder… Ausreden und Möglichkeiten gibt es viele, oft regelrecht eingebaut im Gedankensystem der Homöopathie.
Nur ein Argument hört man nicht: „Nach der Einnahme passierte nichts, weil das Mittel nicht wirkt. Weil es nicht wirken kann.“
Zu der Aussage, eine bestimmte Maßnahme / Therapie habe geholfen, kann man verlässlich nur kommen, wenn wir die Maßnahme / Therapie unter fairen Bedingungen in Studien testen, um unter anderem herauszufinden, welche der vier Gruppen am größten war. (Erklärungen zur fairen Untersuchung von medizinischen Verfahren und Medikamente finden sie hier)
Subjektive Erfahrungen sind wertvoll – aber kein Beweis
Subjektive Erfahrungen und Erfolge sind ohne Zweifel höchst wertvoll und sollen keinem genommen oder überhaupt bestritten werden. Doch es ist wichtig, in der Medizin nicht beim Subjektiven stehen zu bleiben. Wie wollen wir Behandlungen und Medikamente nutzen, wenn es rein vom persönlichen Empfinden abhinge, wann und wie man sie einsetzt?
Ein Beispiel kann vielleicht helfen, die Problematik zu verstehen: Ibuprofen ist ein bekanntes und bewährtes Schmerzmittel, das Ihnen vielleicht auch schon einmal geholfen hat. Ganz sicher ist, dass es nicht gegen Fußpilz hilft. Stellen Sie sich nun vor, jemand sagt zu Ihnen: „Jetzt habe ich schon so lange Fußpilz, ich nehme nun täglich eine halbe Tablette Ibuprofen.“ Eine Woche später, treffen Sie die Person wieder und fragen nach dem Fußpilz. Der sei inzwischen weg, beteuert die Person, das Ibuprofen habe offensichtlich geholfen. Glauben Sie, dass das am Ibuprofen gelegen hat?
Medizin muss möglichst objektiv sein. Und um objektiv zu sein, brauchen wir Studien, die viele, viele Einzelerfahrungen zusammenfassen und nach einer kritischen Gesamtschau eine Beurteilung aussprechen. Für die Homöopathie ist diese vielfach belegt und lautet: Eine Wirkung über Placeboniveau konnte nie sauber belegt werden.
Lesen Sie mehr zu „Warum Anekdoten keine Daten sind“ (externer Link, in englischer Sprache).
9 Antworten auf „FAQ 06 – Aber die Homöopathie hat mir geholfen!“
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