Samuel Hahnemann, der Erfinder der Homöopathie, wäre heute 269 Jahre alt geworden.
Von Dr. Natalie Grams
Als ich das erste Mal einen Satz von Samuel Hahnemann, dem Begründer der Homöopathie, hörte, war ich eine junge Medizinstudentin – und total begeistert: „Das höchste Ideal der Heilung ist schnelle, sanfte, dauerhafte Wiederherstellung der Gesundheit oder Hebung und Vernichtung der Krankheit in ihrem ganzen Umfange auf dem kürzesten, zuverlässigsten, unnachteiligsten Wege, nach deutlich einzusehenden Gründen.“. Wow! Das war genau das, was ich als angehende Ärztin gerne erreichen wollte: zu verstehen, wirklich zu verstehen, was meine Patienten krank machte und ihnen auf die sanfteste und doch bestmögliche Weise zu helfen, wieder gesund zu werden. Kurz: ich fand dieses Ideal großartig.
An meiner Universität fand ich noch während des Studiums Gleichgesinnte und lernte die Homöopathie dort in Studentenkreisen und in Kursen und Wochenendseminaren. Ich las die Texte von Hahnemann, insbesondere seine Grundlagenwerke „Organon der Heilkunst“ und „Die chronischen Krankheiten“ und hatte wirklich das Gefühl, damit eine besonders heilbringende Form der Medizin gefunden zu haben. Später eröffnete ich eine Privatpraxis für Homöopathie, behandelte meine eigene Familie und meine Patienten vorwiegend homöopathisch und freute mich über die Erfolge. Zwar hörte ich hier und da von der Kritik an der Homöopathie, aber ich tat sie – ohne mich näher damit zu befassen – als unbegründet ab und schwor auf Hahnemann. Seine Idee, dass Krankheit nur entstünde, weil die immaterielle Lebenskraft im Menschen gestört sei und diese wiederum nur durch ebenfalls immaterielle Medikamente in einen gleichmäßigen Fluss gebracht werden könne, faszinierte mich. Die Erfolge, die ich zudem in der Praxis und in meinem Bekanntenkreis sah, überzeugten mich davon, dass an diesem Konzept einfach etwas dran sein müsse. Ich hätte mir vorstellen können, diese Arbeit und Medizin bis an mein Lebensende weiter hochzuhalten. Hahnemann erschien mir als ein Genie, ein großer Denker und Vorreiter seiner Zeit.
Um die Homöopathie und ihren Begründer wirklich zu verstehen, müssen wir uns aber vor Augen halten, zu welcher Zeit Hahnemann gelebt hat und wie er zu seinen Ideen und der Entwicklung seiner eigenen „Medizin“ kam. In den letzten 200 Jahren haben sich Medizin und Wissenschaft enorm weiterentwickelt. Hahnemann hatte noch keine Vorstellung von Bakterien, von Infektionswegen, dem Immunsystem in all seiner Komplexität und unseren Einflussmöglichkeiten darauf. Seine Ideen – so innovativ sie damals waren – haben vor dem Hintergrund des heutigen Wissens keinen Bestand mehr. Zudem war er von Anfang an einem Denkfehler erlegen. Der bekannte China-Rinden-Selbstversuch, mit dem er das zentrale, für die Homöopathie konstituierende Ähnlichkeitsprinzip gefunden zu haben glaubte, hat sich schließlich nie wiederholen lassen.
Als Alternative zur damaligen Medizin mag die Homöopathie ein Segen gewesen sein, heute ist sie dies nicht mehr (weder Alternative noch Segen). Durch die Abwendung von den damals üblichen brachialen Methoden wie Aderlässen oder Brechkuren hat Hahnemann sicherlich zu einer besseren Medizin beigetragen. Dies ist immer noch sein Verdienst und sein Vermächtnis – so hat er u.a. reale Verdienste auf dem Gebiet der Hygiene und der Bedeutung einer ausführlichen Anamnese. Seine Tragik ist aber, dass er nicht für diese unbestrittenen Beiträge zum Fortschritt der Medizin, sondern für seinen größten Irrtum, die Homöopathie, in Erinnerung geblieben ist.
Das Wissen in der Physik und Chemie reicht heute völlig aus, um sagen zu können, dass bei der Herstellung der Homöopathika nichts anderes passiert als eine sehr, sehr starke Verdünnung, die dazu führt, dass oft überhaupt kein Wirkstoff mehr vorhanden ist (und ansonsten nicht genug, um eine physiologische Wirkung hervorzurufen) – und es entsteht auch keine “Energie” oder “Information” durch diesen Vorgang. Immerhin können die Globuli so nicht direkt schaden, sie wirken aber eben auch nicht wirklich, also spezifisch (intrinsisch, aus sich heraus).
Das macht die Homöopathie, wie andere Scheinmethoden auch, in der Wahrnehmung vieler Anwender nicht völlig “unwirksam” und so erklären sich dann die Erfolge, die auch ich wahrgenommen habe: Eine sogenannte „Scheintherapie“ bedeutet nicht, dass nichts passiert. Allein der Gedanke und die Hoffnung, dass jemand uns gut behandelt, kann bei uns Menschen dazu führen, dass tatsächlich auch körperliche Verbesserungen folgen. Man nennt das den Placebo-Effekt. Das ist nicht nichts, es ist aber eben auch ganz sicher keine Arzneitherapie – und ersetzt auch keine solche, wenn man richtig krank ist. Hahnemann selbst konnte das nicht wissen, denn er hatte weder das Wissen der Naturwissenschaften von heute, noch die statistischen Möglichkeiten, die Wissenschaftstheorie und auch nicht unsere heutigen komplexen Methoden („klinische Studien“), um Wirksamkeit von Medikamenten und Methoden in der Medizin zu überprüfen. Ihm können wir also keinen Vorwurf machen! Wer heute jedoch immer noch eins zu eins an seine Aussagen glaubt, der täuscht sich mit dem vor 181 Jahren Verstorbenen. Wo nichts ist, kann nichts wirken – außer der gute Glaube und die verständliche Hoffnung.
Auch heute, wo ich mich weit von der Homöopathie entfernt habe und sie an vielen Stellen kritisiere, denke ich, dass Hahnemann ein Vordenker seiner Zeit war. Allerdings eben einer von so vielen früherer Zeiten, der im Laufe der Zeit in vielen seiner Gedanken widerlegt wurde. Es ist nun aber kein Anzeichen von Toleranz, an Widerlegtem festzuhalten. Danken wir ihm für das, was er zu seiner Zeit Gutes getan hat und bleiben wir realistisch: Auch 269 Jahre nach Hahnemanns Geburt kommt Heilung nicht von nichts. Und so schön der Satz der sanften und umfassenden dauerhaften Heilung von innen heraus klingt, so wenig belegt werden konnte in knapp 200 Jahren Forschung, dass er in Bezug auf die Homöopathie als spezifische Arzneimittelanwendung, wie Hahnemann sie verstand und seine Nachfolger sie noch heute verstehen, auch stimmt. Und forderte Hahnemann nicht selbst „deutlich einzusehende Gründe“? Man kann aus gutem Grund annehmen, dass er – lebte er heute noch – seine Lehre selbst nicht mehr vertreten würde und vom wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt begeistert wäre.
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