Solange die Debatte um die Erstattung von Homöopathie durch gesetzliche Krankenkassen andauert, solange hören wir immer wieder, dass es wahrlich andere Dinge gebe, die sich die Versicherten statt der als Arzneimittel wirkungslosen Zuckerkugeln wünschen. So stellte beispielsweise die ZEIT schon 2017 konkret die Frage, was sich der Versicherte denn stattdessen eher als erstattungsfähig von der GKV wünschen würde. Ganz vorn dabei, häufig als alleinige Wünsche: Erweiterung der Erstattungsmöglichkeiten für Sehhilfen und Zahnersatz. Eine Umfrage der BKK Siemens hat dieses Ergebnis sehr eindeutig schon vor einiger Zeit erbracht.
Höhere Zahnersatzzuschüsse und Sehhilfen statt Homöopathie?
Auch wir vom INH haben uns Gedanken gemacht, wie denn so ein Umbau des Leistungskatalogs der Krankenkassen etwa aussehen könnte. Wir sind dabei auf überraschende Tatsachen gestoßen:
Selbst wenn die gesetzlichen Kassen von sich aus ihr Angebot bei Sehhilfen und Zahnersatz erweitern wollten – sie dürfen es gar nicht.
Neben den für alle Kassen gleichermaßen geltenden Regelleistungen haben die Kassen die Möglichkeit, bestimmte Leistungen (§ 11 Abs. 6 SGB V) zusätzlich zur Regelleistung anzubieten – das Paket heißt dann “Satzungsleistung” und ist insgesamt und ohne Wahlmöglichkeit Grundlage des Tarifs bzw. des Beitrages der jeweiligen Kasse. Genau auf diesem Wege ist die Homöopathie in den Leistungskatalog der meisten Kassen geraten – per Satzungsleistung, nachdem 2012 durch das 3. GKV-Versorgungsstrukturgesetz die Möglichkeit der Erstattung nicht verschreibungspflichtiger Mittel in den Katalog der Satzungsleistungen aufgenommen wurde.
Was im Rahmen von Satzungsleistungen angeboten werden kann, regelt das Sozialgesetzbuch V im Paragrafen 11 sehr genau. Und dort finden wir beispielsweise: Zahnärztliche Behandlung ohne (!) die Versorgung mit Zahnersatz (§ 28 Abs. 2 SGB V).
Die Regelversorgung mit Zahnersatz richtet sich unmittelbar nach den gesetzlichen Bestimmungen und den Festlegungen des Gemeinsamen Bundesausschusses. Die Versorgung mit Zahnersatz darüber hinaus darf also überhaupt nicht im Rahmen von Satzungsleistungen der gesetzlichen Krankenkassen angeboten werden. Nicht als Regelleistung, nicht als Satzungsleistung. Das ist gesetzlich ausgeschlossen. Nicht aber beispielsweise eine medizinische Zahnreinigung, die ist ja kein “Zahnersatz”.
Und wie sieht es mit einer erweiterten Erstattung für Sehhilfen aus, die sich als Regelleistung bekanntlich auf Kinder und extrem sehbehinderte Erwachsene beschränkt?
Der § 11 (6) SGB V bestimmt auch, dass keine Leistungen als Satzungsleistungen angeboten werden dürfen, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss ausgeschlossen wurden. Nun ist es aber so, dass alles, was als Versicherungsleistung für Sehhilfen heute nicht unter die Regelleistung fällt, vom GBA ausgeschlossen wurde. Das ergibt sich direkt aus dem “Heilmittelparagrafen” 33 des SGB V, der regelt nämlich:
“Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in Richtlinien nach § 92, bei welchen Indikationen therapeutische Sehhilfen verordnet werden.”
Eben das hat der G-BA getan – das Ergebnis ist die derzeitige Situation, de facto ein Ausschlusskatalog. Und damit ist alles aus Regel- wie auch aus Satzungsleistungen raus, was der GBA nicht ohnehin schon für die Regelleistungen als erstattungsfähig befunden hat.
Ein “Tausch” innerhalb von Satzungsleistungen “Homöopathie gegen Zahnersatz und / oder Brillen” ist also gesetzlich ausgeschlossen und liegt daher außerhalb der Entscheidungssphäre der gesetzlichen Krankenkassen.
Und nun?
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- Erstens sehen wir hieran, dass die Gesetzgebung zum öffentlichen Gesundheitswesen inzwischen ein Drahtverhau voller Fallstricke ist, den nur noch Spezialisten (einigermaßen) durchschauen.
- Zweitens aber heißt all dies natürlich nicht, dass die Homöopathie per Satzungsleistung der gesetzlichen Krankenkassen von diesen weiterhin als erstattungsfähig angeboten werden müsste. Dies nämlich liegt durchaus im Entscheidungsbereich der einzelnen Kasse.
- Besser wäre natürlich die grundsätzliche Lösung, indem der Gesetzgeber die besonderen Therapieeinrichtungen und deren Privilegierung durch den Binnenkonsens aufhebt. Damit wären alle Misshelligkeiten beseitigt – und der Homöopathie bliebe wie jedem anderen Therapeutikum die Möglichkeit, unter den üblichen Voraussetzungen Arzneimittelzulassungen zu beantragen. Gleiches Recht für alle – nicht mehr als recht und billig, finden wir.
- Gäbe es noch andere Möglichkeiten, die Homöopathie aus den Satzungsleistungen auszuschließen? Ja, der Gesetzgeber könnte den Katalog der zulässigen Satzungsleistungen in § 11 Abs. 6 SGB V ändern – aber dort steht gar nichts von Homöopathie, die ist nur in der Möglichkeit zur Erstattung nicht verschreibungspflichtiger Mittel (die ja seit 2004 keine Regelleistung mehr sind) “untergeschlüpft”. Nun, auch das könnte man mit ensprechendem Willen seitens des Gesetzgebers ändern. Warum sollte dort nicht, ähnlich wie beim Zahnersatz, stehen “ohne Mittel der besonderen Therapierichtungen”?
- Es ginge aber grundsätzlich auch ganz ohne den Gesetzgeber. Der Gemeinsame Bundesausschuss könnte, wenn er den Hebel richtig ansetzt, hier einwirken. Wir haben ja gerade gehört, dass den Kassen all das als Satzungsleistung verwehrt ist, was der G-BA per Beschluss nach § 11 SGB V ausschließt. Schlösse demnach der G-BA die Homöopathie aus (wie er erweiterte Leistungen für Sehhilfen ausgeschlossen hat), so wäre die Erstattungsfähigkeit beendet. Genau wie bei den Brillen und beim höheren Zuschuss für Zahnersatz. Welche Chancen im G-BA dafür bestehen, das können wir freilich nicht beurteilen.
Zurück zur Homöopathie und der Gesetzeslage
Wir haben ja schon kurz erwähnt, dass es auch derzeit in der Entscheidungsfreiheit der einzelnen Kasse liegt, die Homöopathie nicht zu erstatten. Vielfach wird aber so getan, als schreibe der Gesetzgeber dies praktisch vor. So schrieb die TK in Ihrem Statement nach dem legendären “missglückten Tweet” zur Unwirksamkeit der Homöopathie 2017:
“Übrigens: Der Gesetzgeber hat den besonderen Therapierichtungen – also der Homöopathie, der Anthroposophie und der Pflanzenheilkunde – ausdrücklich einen Platz in der gesetzlichen Krankenversicherung eingeräumt: Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen”.
Das Gesetz ist zwar richtig abgeschrieben, aber falsch interpretiert. Was hier präsentiert wird wie eine ultimative Ermächtigung, eine Rechtfertigung mit einer Absicht des Gesetzgebers, ist beides ersichtlich nicht – sondern eher eine Öffnungsklausel unter Vorbehalt. Und da kommt die Rechtsprechung ins Spiel.
In einem Bundessozialgerichts-Urteil aus dem Jahr 2016 heißt es dazu
“Dass an den Nachweis der Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit homöopathischer Arzneimittel keine geringeren Anforderungen zu stellen sind als bei allopathischen Arzneimitteln, hat der Senat bereits ausdrücklich entschieden (BSGE 117, 129 = SozR 4-2500 § 34 Nr 16, RdNr 56 ff; BSGE 110, 20 = SozR 4-2500 § 92 Nr 13, RdNr 34 ff). Der therapeutische Nutzen von NN® und seine Zweckmäßigkeit müssen sich an denselben Kriterien messen lassen wie Allopathika.”
Und weiter:
“… eine Begünstigung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen mit der Folge, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, kommt nicht in Betracht.”
In einem früheren Urteil, auf das sich das BSG ausdrücklich bezog, heißt es ähnlich:
“Hiermit übereinstimmend wird auch im Schrifttum zu dem Gebot, der therapeutischen Vielfalt und damit der spezifischen Wirkungsweise der homöopathischen, phytotherapeutischen und anthroposophischen Arzneimittel Rechnung zu tragen, betont, dass auch bei den besonderen Therapierichtungen “Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Qualitätssicherung zu beachten” sind und ihnen “keine Sonderstellung eingeräumt” ist (R. Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung – SGB V, § 27 RdNr 307 ). “Weder eine Begünstigung noch eine Benachteiligung der Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen ist gewollt. … Eine Begünstigung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen mit der Folge, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse … entsprechen, widerspricht … den gesetzlichen Vorgaben” (E. Hauck in Peters, aaO, § 34 RdNr 33 ).”
Die Formulierung “… sind nicht ausgeschlossen” bedeutet nach einhelliger Rechtsprechung des BSG daher nur, dass sie nicht *von vornherein* ausgeschlossen sind, also nur “nicht grundsätzlich verboten”, ganz deutlich ausgedrückt. Das sollten sich die Krankenkassen noch einmal vor Augen halten, denn diese Regelung weist ihnen Verantwortung im Rahmen eigenen Handelns zu.
Und wie bitte sollen die Anforderungen “wirtschaftlich, notwendig und zweckmäßig” (das sind nämlich die vom Gericht angesprochenen zu erfüllenden Kriterien) von Mitteln erfüllt werden, die in über 200 Jahren keinen belastbaren Wirkungsnachweis erbringen konnten und die sich auch noch als unwirtschaftlich erwiesen haben (abgesehen davon, dass Nichts immer zu teuer ist)?
Eben.
Also kann man durchaus der Ansicht sein, dass bei einer unvoreingenommenen Gesamtschau auf die Sach- und Rechtslage die jetzt geübte Praxis der Homöopathieerstattung durch die GKV-Kassen auf sehr, sehr schwachen Beinen steht.
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