Corona, Krankenkassen und Homöopathie – Nichts ist immer noch zu teuer!

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Viele (alle?) Krankenkassen verschicken derzeit Erhöhungsmitteilungen zu den Beiträgen im Jahre 2021. Die Mehrkosten infolge der Corona-Krise werden vielfach als (Teil-)Begründung angegeben, fraglos ist das zutreffend und soll hier auch nicht Gegenstand der Kritik sein.

Jedoch lässt dieser Vorgang einen schon oft behandelten Sachverhalt wieder in den Vordergrund rücken: Die Übernahme von Kosten für homöopathische Behandlungen und homöopathische Mittel per Satzungsleistung durch die Krankenkassen. Was – dies sei nochmals ausdrücklich hervorgehoben – die eigene Entscheidung jeder einzelnen Kasse selbst ist, ein „Muss“ gibt es hier nicht.

Im September 2019 befand Gesundheitsminister Spahn 20 Millionen Euro für Homöopathie als „so okay“. Abgesehen davon, dass die immer wieder genannten 20 Mio Euro sicher nicht die  gesamten Kosten für homöopathische Therapien und Mittel in der GKV sind, haben wir auch auf dieser Seite dargelegt, dass durch eine solche „Entscheidung“ grundlegende Prinzipien einer allgemeinen Versicherung auf Solidarbasis ebenso verletzt werden wie elementare gesundheitsökonomische Regeln.

Kurz: Es gibt keinen, überhaupt keinen Grund, an der Erstattung von Kosten für homöopathische „Behandlungen“ als Versicherungsleistung festzuhalten, keinen medizinischen, keinen ökonomischen, nicht als Satzungsleistung, nicht als Regelleistung (die es in Form der Erstattung für Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und bestimmter als „Therapiestandard“ geltender Mittel auch gibt) und auch nicht in Wahltarifen.

Viele Stimmen haben uns erreicht, die ihren Unmut darüber ausdrücken, dass nun Beitragserhöhungen anstehen, das Thema Homöopathie aber trotz erdrückender Gegenargumente offenbar in der Erstattungspraxis der Kassen unberührt bleibt. Dem können wir nur beipflichten – auch ganz ohne hierbei Pfennigfuchsereien anzustellen. Denn die Einwände gegen die Erstattung von  Homöopathieleistungen sind elementar und lassen sich in einem Satz zusammenfassen:

Nichts ist immer zu teuer.

Zudem wird dieses Nichts immer teurer, wenn andere Kosten im System zusätzlich entstehen und abgedeckt werden müssen.

Und noch schlimmer: Mit der Erstattung durch die GKV-Kassen wird nach wie vor der Patientenschaft vorgegaukelt, Homöopathie sei eine reale medizinische Option. Man könnte angesichts der derzeitigen Diskussion über Irrationalität und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen auch sagen:

Homöopathie im Gesetz und in den Leistungen der Krankenkassen sind amtlich legitimierte FakeNews.

Können und wollen wir uns das leisten? Wir finden: Nein.

Deshalb: Nötige Beitragserhöhungen erst dann, wenn der Kostenblock durch Unnötiges wie die Homöopathie bereinigt worden ist. Schlichtes  ökonomisches Handeln. Auf dem freien Markt würden dem Wettbewerber, der Preise erhöht, ohne die Aufwendungen zu durchforsten, ganz schnell die Kunden weglaufen. Angeblich gibt es doch auch Wettbewerb zwischen den GKV-Kassen… ?

In Zeiten hoher, wenn nicht höchster Belastungen des Solidarsystems sind  „Geschenke“ auf Kosten aller Beitragszahler schlicht ein Unding.


Unser Follower Janosch Rydzy,  bei Twitter als J. R. (@Der_Prometheus) unterwegs, hat als Versicherter die Initiative ergriffen und seine Kasse angeschrieben. Mit seiner freundlichen Genehmigung veröffentlichen wir hier diesen Text – vielleicht fühlt sich ja jemand angeregt, es ihm gleichzutun… ?


An die …

Sehr geehrte Damen und Herren,

unter Bezugnahme auf Ihr kürzlich versandtes Schreiben, in dem Sie Ihre Mitglieder auf eine Erhöhung der Beiträge im Jahr 2021 hinweisen, wende ich mich mit der Frage an Sie, warum Sie einerseits die Beiträge anheben, anderseits aber nicht Satzungsleistungen aus Ihrem Katalog streichen, für die es keinerlei Wirksamkeitsnachweis gibt.

Insbesondere für die Homöopathie liegen mittlerweile zahlreiche Metastudien und Übersichtsarbeiten [1] [2] [3] vor, die allesamt zu dem Ergebnis kommen, dass homöopathische Präparate nicht über den Placeboeffekt hinaus wirken. Das wäre auch gelinde gesagt äußerst erstaunlich – immerhin widerspricht die zugrundeliegende Idee fundamental den Gesetzen der Physik [4]. Ein Stoff, der in reiner Form bestimmte Symptome hervorruft, soll in verdünnter („potenzierter“) Lösung umso stärker gegen dieselben Symptome helfen, je stärker er verdünnt wird, d.h. je weniger vom Ausgangsstoff im fertigen Präparat enthalten ist. Bereits ab einer „Potenz“ von D24 (1:1024) ist rein rechnerisch kein einziges Molekül der Ausgangsstoffes mehr übrig [5]; üblich sind in der Homöopathie Potenzen bis C60 (1:10060) und darüber hinaus.

Ihre Beitragserhöhung zeigt – neben zahlreichen anderen Faktoren –, wie knapp bemessen und wertvoll die zur Verfügung stehenden Ressourcen gerade in unserem solidarischen Gesundheitssystem sind. Somit ist es umso wichtiger, dass das ausschlaggebende gesundheitsökonomische Kriterium für die Erstattung von Therapiemitteln oder -methoden der allgemeine Nutzen für die Menschen in unserer Gesellschaft ist, die dieses System finanzieren. Darüber sollte sich niemand mehr im Klaren sein, als eine Krankenkasse, die innerhalb des Systems agiert und sich zwangsläufig permanent mit solchen gesundheitsökonomischen Aspekten auseinandersetzt. Die Äußerung von Herrn Spahn, 20 Millionen Euro seien „so okay“, ist völlig unangemessen und muss zynisch erscheinen.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass eine Krankenkasse einiger Alleinstellungsmerkmale bedarf, um im – politisch gewünschten – Wettbewerb zwischen den Kassen erfolgreich zu sein, gibt es hierzu zweifellos sinnvollere Maßnahmen als die Erstattung nachweislich wirkungsloser Mittel, etwa im Bereich „Digital Health“.

Bei alledem geht es nicht um die Frage, ob Homöopathie „billig“ ist oder homöopathieaffine Patienten „weniger Kosten verursachen“ (was angesichts der bislang durchgeführten Studien als äußerst zweifelhaft gelten darf [6]). Es geht um die auch gesundheitsökonomisch zu beachtende Grenze zwischen Nutzen und Nicht-Nutzen. Ich verweise dazu auf den Grundlagenartikel von Prof. Dr. Tina Salomon (Bremen) auf der Webseite des Informationsnetzwerks Homöopathie [7].

Angesichts der oben angeführten Sachlage fordere ich Sie als Ihr(e) Versicherte(r) hiermit dazu auf, homöopathische Behandlungen und Präparate sowie alle anderen Therapieleistungen ohne wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweis aus dem Katalog Ihrer Satzungsleistungen zu streichen.

Ich bitte um Weiterleitung dieses Schreibens an den Vorstand der Techniker Krankenkasse und um dessen schriftliche Stellungnahme.

Mit freundlichen Grüßen
_____________________

[1] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12492603/
[2] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(05)67177-2/fulltext
[3] https://www.medizin-transparent.at/streitthema-homoopathie
[4] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.2042-7166.2012.01162.x
[5] https://www.homöopedia.eu/index.php/Artikel:Avogadrogrenze
[6] https://netzwerk-homoeopathie.info/zur-neuen-homoeopathie-kostenstudie-nichts-ist-immer-zu-teuer/
[7] https://netzwerk-homoeopathie.info/von-wegen-so-okay-herr-spahn-ein-gastbeitrag-von-pharmaoekonomin-prof-dr-tina-salomon/


Wir danken Janosch für sein Engagement!


Liebe Kassenvorstände, wir dürfen daran erinnern, dass sich sowohl der Leiter des Bundesversicherungsamtes als auch der Leiter des AOK-Bundesverbandes schon vor einiger Zeit für ein Ende der Erstattung wissenschaftlich unbelegter Mittel und Methoden ausgesprochen haben. Letzterer in der Erkenntnis, das keiner den „ersten Schritt“ wagen wolle – und der logischen Konsequenz daraus, der Gesetzgeber möge dem Ganzen ein Ende machen. Beide Herren im Wissen darum, dass es – mit gelegentlichen  „Überzeugungstätern“ als unrühmlichen Ausnahmen – den Kassen dabei nur um Marketing geht. Mitgliederwerbung auf Kosten der Gesundheitskompetenz? Nein, danke!

Aber es liegt eben bei jeder Kasse selbst – es ist angezeigt, in der jetzigen Situation nicht darauf zu warten, dass sich der Gesetzgeber besinnt. Wie wäre es, wenn jemand als Alleinstellungsmerkmal die „schwurbelfreie Krankenkasse“ etabliert? Risiko? Das glauben wir nicht – die Sache mit der Beliebtheit, dem Haupt“argument“ der Homöopathielobby, scheint doch längst nicht mehr tragfähig zu sein. Aufklärung wirkt! Abgesehen davon, dass dies nun wahrlich kein Sachargument darstellt. Also bitte!


Bild von Steve Buissinne auf Pixabay

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