Das Ähnlichkeitsprinzip der Homöopathie oder: Was ist die „Wirkungsumkehr“?

Lesedauer / Reading Time: 5 min

Zusammenfassung

Eine Substanz soll in der Homöopathie einmal "symptomenauslösend", einmal "heilend" wirken. Woraus leitet die homöopathische Lehre dies ab?

In homeopathy, a substance is said to have a "symptom-triggering" effect at one time and a "healing" effect at the other. On what principles is this derived in homeopathic thought?

Hahnemanns Ähnlichkeitsprinzip, das „Ähnliches möge Ähnliches heilen“, ist der Grundstein der homöopathischen Lehre. Es besagt, dass eine Substanz, die bei einem Gesunden bestimmte Symptome auszulösen imstande ist, bei Menschen, die unter solchen Krankheitssymptomen leiden, eben diese heilen könne.

Erinnern wir uns zunächst daran, dass Hahnemann keine „Krankheiten“ im Sinne typisierender Phänomene kannte, wie wir sie heute als Diabetes, Influenza, Schilddrüsenfehlfunktion usw. diagnostizieren und – möglichst ursächlich – behandeln. Eine Ausnahme machte er nur für “der Chirurgie anheimfallende Krankheiten” – immerhin! Er sah die Symptome (das individuelle Symptomenbündel) als „alles, was von einer Krankheit zu wissen sei“ und schrieb dem als „Ursache“ allein eine „verstimmte geistige Lebenskraft“ zu. Hierauf beruht auch die immer wieder gehörte Behauptung der Homöopathen, die „Schulmedizin“ behandle nicht ursächlich, sondern nur Symptome und nur die Homöopathie sei eine ursächliche Therapie. Wie wir sehen, vom homöopathischen Standpunkt durchaus so erklärbar – aber nur von diesem aus und deshalb falsch.


Es gilt aber, Hahnemanns Gedankengang richtig zu verstehen. So findet man immer wieder die Ansicht, das Ähnlichkeitsprinzip könne deshalb nicht richtig sein, weil z.B. Arnika ja in höherer (pharmazeutisch wirksamer) Dosierung nicht zum Erzeugen von Schwellungen verwendet wird, sondern zu deren Behandlung – genauso wie die potenzierten Arnika-Globuli. So etwas gibt es bei einer ganzen Reihe von Substanzen. Woraus der Schluss zu ziehen sei, hier sei eine „Schwachstelle“ der homöopathischen Lehre, speziell des Ähnlichkeitsprinzips, zu verorten. Schließlich könne eine Substanz doch nicht gleichsinnig (kurierend) in homöopathischer wie in pharmazeutisch wirksamer Dosis wirksam sein?! Es gebe doch in der homöopathischen Lehre eine an die Dosierung gebundene „Wirkungsumkehr“ von auslösend (hohe Dosierung / niedrige Potenz) zu heilend (niedrige Dosierung / hohe Potenz). Etwa so, wie eine optische Linse ein kopfstehendes Bild des Originals erzeuge.

Die homöopathische „Wirkungsumkehr“ mit der Dosierung (genauer: der Potenzierung) der Mittel in Verbindung zu bringen, ist aber eine Fehlannahme. Hahnemann sprach nirgendwo „allopathischen“ Dosen eine Wirkung im Sinne des Ähnlichkeitsprinzips ab. Die homöopathische „Wirkungsumkehr“ beruht allein auf dem Ähnlichkeitsprinzip als der ersten und ursprünglichen Grundlage von Hahnemanns Gedankengebäude und macht sich nur daran fest, ob ein Mittel einem Gesunden oder einem Kranken verabreicht wird.

Es gibt kein Postulat von Hahnemann, mit dem er die grundsätzliche homöopathische „Wirkung“, das “similia similibus curentur”, von der „Dosierung“ (Verdünnung bzw. Potenzierung) abhängig macht. Angefangen hat er ja selbst mit – ziemlich hohen – „allopathischen Dosen“. Schon bei seinem eigenen Chinarindenversuch, aus dem er das Ähnlichkeitsprinzip ableitete, nahm er selbst eine Dosis Chinarindenpulver, die nicht zu knapp “allopathisch” bemessen war. Dazu passt, dass Hahnemann selbst darauf hinwies, „Heilerfolge“ seiner allopathischen Kollegen seien eigentlich nur dadurch zu erklären, dass sie zufällig ein passendes homöopathisches Mittel – jedoch in allopathischer Dosierung – verabreicht hätten.


Das Potenzierungsprinzip war also zunächst noch gar nicht im Spiel. Wir werden aber noch sehen, wie es sich mit der Wirkungsumkehr “verheddert” und welche Folgen das hat.

Wie kam Hahnemann nun zur Verdünnung und zur “Potenzierung”? Er verdünnte zunächst rein pragmatisch wegen der häufigen toxischen Wirkungen seiner Mittel und gelangte erst später zum Potenzierungsprinzip, als er glaubte zu erkennen, dass höhere Verdünnungen eine immer bessere Wirkung zeigten. Vermutlich ging er sich damit selbst auf den Leim, indem er nicht erkannte, dass diese “bessere” Wirkung wohl nur das Ausbleiben toxischer und anderer, nicht bekannter Nebenwirkungen war. So wie auch die “Überlegenheit” seiner Homöopathie über die medizinischen Methoden seiner Zeit sich allein aus deren weit geringerer Schädlichkeit ergab.

Als er sich dabei in scheinbar immer wirksamere hohe Potenzgrade verstieg, nahm er Abschied von der Vorstellung „materieller Wirkungen“ seiner Arzneien und führte das Begriffspaar der „verstimmten geistigen Lebenskraft“ und der sie korrigierenden „geistigen Arzneikraft“ seiner Substanzen ein. Er rettete damit das homöopathische Gebäude vor den “sich weise dünkenden Atomisten”, wie er sie abfällig nannte, die die Möglichkeit einer Wirkung solch hoher Verdünnungsgrade schon damals für unmöglich hielten. Und vielleicht vor seinen eigenen Zweifeln, Hahnemann war alles andere als ein Dummkopf.

Welche „Dosierung“ von Substanzen bei der homöopathischen Arzneimittelprüfung am Gesunden heute verwendet werden, ist nicht verbindlich vorgeschrieben, weder von Hahnemann noch von heutigen Verfahrensregeln. Es werden durchaus auch reine Ausgangsstoffe und nach homöopathischen Vorschriften hergestellte Ursubstanzen neben potenzierten Präparaten verwendet. Oft wird darauf hingewiesen, dass Hahnemanns bevorzugte „Prüfpotenz“ die C30 gewesen sei. Diese Empfehlung (nicht Vorschrift) gab Hahnemann aber erst in späteren Jahren, als er bereits in weit höheren Potenzierungsgraden angekommen war (Stichwort Q- und LM-Potenzen).


Die strikte Trennung des Hahnemann’schen Ähnlichkeitsprinzips von der Frage der Dosierung gelingt auch Homöopathen durchaus nicht immer. So wird das (ungelöste und mangels Kriterien unlösbare) Dosierungsproblem auch bei Homöopathen oft mit der Wirkungsumkehr vermischt. Manche Homöopathen lehren, eine veränderte Potenz bedeute auch ein verändertes Arzneimittelbild, was sich auch in zahlreichen Repertorien (den Verzeichnissen der Ergebnisse homöopathischer Arzneimittelprüfungen) wiederfindet.

Aber nicht nur das! Obwohl der Einfluss der Dosierung auf das Arzneimittelbild nach Hahnemann ausgeschlossen ist, gibt es Homöopathen, die das nicht nur ignorieren, sondern der Dosierung auch absolut gegensätzliche Auswirkungen auf das Ähnlichkeitsprinzip zuordnen. Der Homöopath Meili schreibt zunehmend höheren Potenzen zunehmende spezifische Wirkungen zu, sodass die Anforderungen an die Ähnlichkeiten wachsen – bis hin zur Unmöglichkeit, ein derart spezifisches Arzneimittelbild überhaupt finden zu können. Bönninghausen vertritt das Gegenteil: Er schreibt zunehmend höheren Potenzen eine zunehmend unspezifische Wirkung zu, die im Extremfall ganz ohne Repertorisierung und damit ohne das Ähnlichkeitsprinzip auskommt – einfach, weil bei extrem hohen Potenzen jedes homöopathische Remedium alle Arzneimittelbilder in sich vereinigt. Mehr Widersprüchlichkeit geht kaum.

Wir haben aber eben gesehen, dass all dies nicht sein kann (beides falsch sein muss) – es kommt nur darauf an, ob die ausgewählte Substanz Gesunden oder Kranken verabreicht wird, nicht auf den Potenzierungsgrad. Dieser kann im Sinne der Hahnemann’schen Lehre nur für die „Stärke“ der Wirkung eines Remediums verantwortlich sein. Was wiederum ein eigener Quell von Unklarheiten und Widersprüchen ist.

Und das bedeutet?

Macht das nun die Homöopathie „richtiger“? Natürlich nicht. Da die Homöopathie keinen festen Krankheitsbegriff nach Diagnosekriterien kennt, ist schon die Frage, wer ein „Gesunder“ und wer ein „Kranker“ ist, ein Problem. Und zwar nicht erst bei einer homöopathischen Behandlung, sondern schon bei der Arzneimittelprüfung. Sie setzt eine Art „vollständiger Gesundheit“ voraus, um ein „unverfälschtes“ Ergebnis hervorbringen zu können. Gibt es so etwas? Ab wann handelt es sich um eine „Verstimmung der geistigen Lebenskraft“? Ein Beispiel dafür ist z.B. der Streit darüber, ob Muskelkater im homöopathischen Sinne eine solche Verstimmung und damit „behandlungsfähig“ sei oder nicht. Die bekannte Studie Shang/Egger aus dem Jahre 2005 führte zu einem solchen, niemals wirklich aufgelösten, Disput, weil sie für „Muskelkater“ keine signifikante Wirkung feststellen konnte.

Abgesehen davon, dass das Ähnlichkeitsprinzip nicht existiert (sonst wäre die pharmazeutische Industrie längst mit fliegenden Fahnen auf die Homöopathie umgeschwenkt, weil es ihr gewaltigen Forschungsaufwand ersparen würde). ist es als diagnostisch-therapeutisches Prinzip viel zu unbestimmt, als dass es reproduzierbare Ergebnisse hervorbringen könnte. Und noch einmal der Hinweis, dass wir froh sein können, dass es das Hahnemannsche Ähnlichkeitsprinzip nicht gibt: wenn es sogar ganz unabhängig von der Dosis seine Wirkung, vor allem die krankmachende beim Gesunden, entfalten würde, dann müsste die Menschheit –  ständig konfrontiert mit unzähligen solcher Substanzen –  eigentlich längst am Rande des Untergangs vor sich hinsiechen, in einem irgendwie ständig oszillierenden Zustand zwischen gesund und krank. Und eine hochwirksame homöopathische Potenz wäre geeignet, bei der geringsten falschen Einschätzung der Symptome einer „verstimmten geistigen Lebenskraft“ schwerste Schäden hervorzurufen.

Dies gilt auch und gerade bei der homöopathischen Arzneimittelprüfung am Gesunden, wo eine hohe Prüfpotenz (z.B. C30) wohl vor einer materiellen Giftwirkung des Prüfstoffes schützen, aber auf die dosisunabhängigen Symptome im homöopathischen Sinne keinen Einfluss haben kann. Das würde in letzter Konsequenz heißen: je gesünder der Proband ist, desto gefährlicher ist für ihn die Arzneimittelprüfung.

Nichts davon wird in der homöopathischen Gemeinde geklärt und ausdiskutiert. Wie ist das möglich? Die Homöopathie hat von Anfang an keine Faktenbasis, und genau deshalb können solche Luftschlösser entstehen, sich halten und nebeneinander existieren – jedem Homöopathen seine Homöopathie. Ein weiterer Beleg für völlige Unwissenschaftlichkeit.

Die Homöopedia meint dazu:

“Die Hilflosigkeit und das Chaos innerhalb des Gedankengebäudes der Homöopathie sind unübersehbar. Das „Gesamtkunstwerk Homöopathie“ ist in sich voller Widersprüche. Diese Widersprüche können nur dann gleichzeitig nebeneinander bestehen, wenn der Gegenstand der Homöopathie irreal ist und die Widersprüche sich nicht auf Fakten beziehen, sondern lediglich auf Meinungen – und auch dann nur, wenn man bereit ist, widersprüchliche Meinungen gleichzeitig zuzulassen.
Die Wissenschaft kann das nicht – sie darf es nicht einmal, sonst gäbe es keinen Erkenntnisgewinn.” 


Bild von Tumisu auf Pixabay


Top