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Eine klare Botschaft aus der französischen Ärzteschaft
Sie „sei für die Beibehaltung der Erstattung der Homöopathie, einer Medizin, die wahrscheinlich einen Placebo-Effekt hat, aber keinen Schaden anrichtet. Es gibt eine laufende Bewertung dessen, was wir Komplementärmedizin nennen. (…) Wenn sie (die Methoden der „Komplementärmedizin“) weiterhin nützlich sind (?), ohne schädlich zu sein, werden sie weiterhin von der Sozialversicherung erstattet. (…) Die Franzosen hängen an der Homöopathie, sie hat wahrscheinlich (!) einen Placebo-Effekt. Wenn sie den Gebrauch toxischer Mittel (sie meint ganz offensichtlich pharmazeutische Medikamente…) verhindern kann, denke ich, dass das ein Gewinn für die Allgemeinheit ist, es schadet ja nicht„.
Eine bemerkenswerte Stellungnahme für eine onkologische Ärztin, sei angemerkt.
Das INH berichtete auf seiner Facebook-Seite.
Was aber – zumindest in Deutschland – nirgendwo so recht deutlich geworden war, das ist der Anlass zu diesem Statement von Frau Buzyn – und den halten wir für weitaus bedeutsamer als dieses Statement selbst.
Sie reagierte nämlich damit nämlich auf eine Intervention des Nationalen Rates der Ärztekammer vom 22. März d.J., mit der diese die wissenschaftlichen (Nationale Akademie der medizinischen Wissenschaften) und politischen Instiutionen (Gesundheitsministerium) auffordert, über die wissenschaftliche Relevanz „alternativer und komplementärer Methoden, namentlich der Homöopathie“ zu entscheiden – unter ausdrücklichem Bezug auf die Stellungnahme der EASAC vom September 2017.
In diesem Kontext gibt es die Aktivität einer Ärztegruppe, die sich „Kollektiv #NoFakeMed“ nennt und mit einer Presseerklärung vom 28. März 2018 hervorgetreten ist, die an Deutlichkeit zum Thema Pseudomedizin, insbesondere zur Homöopathie, nichts zu wünschen übrig lässt und eine Reihe sehr konkreter Forderungen an die Ärztekammer aufstellt. Wir nehmen mit großem Interesse und ebensolcher Zustimmung zur Kenntnis, dass sich auch in unserem Nachbarland Kräfte formieren, die die anhaltende und sich ausweitende Legitimation von Scheintherapien, insbesondere der Homöopathie, nicht länger unwidersprochen hinnehmen wollen.
Man darf diese Erklärung als eine Art Parallele zum Münsteraner Memorandum Homöopathie ansehen, das einen Appell an die Bundesärztekammer und den kommenden Ärztetag darstellt, mit dem vergleichsweise bescheidenen Ziel, die „ärztliche Zusatzbezeichnung Homöopathie“ abzuschaffen.
Wegen der Bedeutung der Erklärung aus Frankreich geben wir sie hier leicht gekürzt übersetzt wieder:
Pressemitteilung vom 28. März 2018:
Heftige Debatte über alternative Praktiken
Das Kollektiv #FakeMed schlägt vor:
Der Hippokratische Eid ist eine der ältesten bekannten ethischen Verpflichtungen. Er fordert einen Arzt, der seine Patienten ebenso ehrlich als auch bestmöglich versorgt.
Diese beiden Verpflichtungen verlangen von einem Arzt, sein (medizinisches) Wissen ständig zu verbessern und seine Patienten darüber zu informieren, was er vernünftigerweise anbieten kann und welche Behandlungen unnötig oder gar kontraindiziert sind.
Es ist keine große Kunst – und meist lohnend – sein Wissen zu demonstrieren. Es ist aber viel schwieriger, seine Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren. Man kann deshalb leicht versucht sein, eine medizinische Versorgung ohne wissenschaftliche Grundlage anzubieten. Diese Versuchung gab es schon immer. Sie wurde und wird von Scharlatanen aller Art genährt, die das moralische Aushängeschild ihrer Qualifikation und Reputation nutzen, um Scheintherapien mit illusorischer Wirksamkeit zu befördern.
Die Verpflichtung zur Ehrlichkeit ist in den ethischen Kodizes der medizinischen Berufe und im französischen Gesundheitsgesetz verankert. Diese Regeln verbieten Scharlatanerie und Täuschung, sie verlangen die Verordnung und Durchführung von Behandlungen, für die eine Wirksamkeit festgestellt wurde. Sie verbieten die Verwendung von obskuren Mitteln oder Mitteln, deren Inhaltsstoffe nicht eindeutig deklariert sind. Der Nationale Rat der Ärztekammer ist dafür verantwortlich, dass ihre Mitglieder nicht Praktiken zu fördern, für die es keinen wissenschaftlichen Nutzennachweis gibt oder die sogar gefährlich sein können. Der Rat muss sicherstellen, dass Ärzte nicht zu Handelsvertretern skrupelloser Branchen werden. Sie muss diejenigen sanktionieren, die die ethischen Anforderungen ihrer Profession aus den Augen verloren haben. Dennoch toleriert die Ärztekammer auch noch im Jahre 2018 Praktiken, die im Widerspruch zu ihrem eigenen Ethikkodex stehen; öffentliche Institutionen fördern solche Praktiken oder tragen sogar zu ihrer Finanzierung bei.
Wir sehen uns nun gezwungen, deutlich und nachdrücklich auf die Verbreitung dieser esoterischen Praktiken und das wachsende Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber der evidenzbasierten Medizin zu reagieren.
Die Homöopathie ist, wie auch andere sogenannte „alternative Medizin“, keineswegs wissenschaftlich. Ihre Methoden basieren auf Überzeugungen, die eine „wunderbare, sanfte und sichere Genesung“ versprechen. Im September 2017 veröffentlichte der Wissenschaftliche Rat der Akademien der Europäischen Wissenschaften (EASAC) einen Bericht, der die fehlende Wirksamkeit der Homöopathie bestätigt. In den meisten entwickelten Ländern ist es Ärzten verboten, homöopathische Arzneimittel zu verschreiben.
Die so genannten „alternativen“ Therapien sind über den Placebo-Effekt hinaus wirkungslos und können sich sogar als gefährlich erweisen. Sie können gefährlich sein, weil sie irrelevante Symptome behandeln, die Bevölkerung über-medizinisieren (Konditionierung auf Einnahme, Behandlung reiner Befindlichkeitsstörungen und nicht behandlungsbedürftiger leichter Erkrankungen) und die Illusion erwecken, dass jede Situation mit einer ihrer „Behandlungen“ gelöst werden könne. Sie können gefährlich sein, weil sie sich auf ein grundlegendes Misstrauen gegenüber der konventionellen Medizin stützen, wie die ungerechtfertigte Polemik um Impfstoffe zeigt. Schließlich können sie gefährlich sein, weil ihre Anwendung notwendige Diagnosen und Behandlungen verzögert, was manchmal zu dramatischen Folgen führt, insbesondere bei der Behandlung schwerer Krankheiten wie Krebs.
Diese Praktiken sind auch für die öffentlichen Kassen kostspielig. Die Ausbildungen für solche Praktiken erfolgen in öffentlich geförderten Strukturen. „Alternative“ Sprechstunden werden in Krankenhäusern auf Kosten anderer medizinischer Dienste eröffnet. Einige dieser Behandlungen werden von der (defizitären) französischen Krankenkasse erstattet. In Frankreich können homöopathische Arzneimittel zu 30 % (bis zu 90 % in der Region Elsass-Mosel) erstattet werden und genießen einen Ausnahmestatus, der sie vom Nachweis ihrer Wirksamkeit befreit. Damit wird eine wohlhabende Industrie finanziert, deren Vertreter nicht zögern, diejenigen, die sie kritisieren, massiv zu beleidigen („Es gibt einen Ku-Klux-Klan gegen die Homöopathie“, äußerte der Präsident des weltweit führenden Unternehmens der Branche, Christian Boiron, in der Zeitung „Le Progrès“ vom 15. Juli 2016) oder die unbestreitbaren wissenschaftlichen Beweiserfordernisse einfach beiseite zu schieben.
Wir wollen uns umfassend von diesen Praktiken distanzieren, die weder wissenschaftlich noch ethisch, sondern irrational und gefährlich sind.
Wir fordern die französische Ärztekammer und die französischen Behörden auf, alles in ihrer Macht Stehende zur Umsetzung dieser Forderungen zu tun:
- Ärzten oder medizinischem Fachpersonal ist es nicht mehr gestattet, diese „alternativmedizinischen“ Praktiken mit ihren beruflichen Qualifikationen weiter zu fördern.
- Homöopathie-, Mesotherapie- oder Akupunkturdiplome werden in keiner Weise mehr als medizinische Hochschulabschlüsse oder Qualifikationen anerkannt.
- Es ist sicherzustellen, dass Medizinische Fakultäten oder Institute, die Gesundheitstrainings durchführen, keine Diplome für die ärztliche Praxis mehr ausstellen dürfen, die Methoden ohne wissenschaftlichen Wirkungsnachweis betreffen.
- Keine Kostenerstattung mehr für Gesundheitsfürsorge, Medikamente oder Behandlungen aus Disziplinen, die sich einer strengen wissenschaftlichen Bewertung verweigern.
- Förderung von Initiativen, die darauf abzielen, Informationen über die Art der alternativen Therapien, ihre schädlichen Auswirkungen und ihre tatsächliche Wirksamkeit zu liefern.
Alle Angehörigen der Gesundheitsberufe müssen sich an die mit ihrem Beruf verbundenen ethischen Folgerungen halten, die sich zwingend aus der Unwirksamkeit und Irrationalität pseudomedizinischer Methoden ergeben, indem sie sich weigern, nutzlose oder unwirksame Behandlungen durchzuführen. Sie müssen statt dessen Behandlungen gemäß den Empfehlungen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften und den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen anbieten, ihren Patienten gegenüber Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit demonstrieren und statt „alternativer Methoden“ ein empathisches Zuhören offerieren.
Ende des Zitats.
Wir freuen uns sehr, dass fundierte und entschiedene Kritik an der Pseudomedizin, in erster Linie an ihrem „Zugpferd“ Homöopathie, inzwischen zu einer internationalen Aktivität zusammenwächst. Für Deutschland bedeutet dies, wie wir schon öfter dargelegt haben, erhöhten Handlungsdruck, will man nicht international und vor allem innerhalb der EU in ein gesundheitspolitisches Abseits geraten.
Deutsche Gesundheitspolitik, Bundesärztekammer, Ärzteschaft: Wir warten!
Zum Weiterlesen bei Respectful Insolence: https://respectfulinsolence.com/2018/04/13/fake-medicine-science-based-medicine-versus-homeopathy-france/
Bildnachweis: Screenshot fakemedecine.org