Am 11. Mai 2024 fassten die Delegierten des 128. Deutschen Ärztetages in Mainz den folgenden Beschluss:
- Der 128. Deutsche Ärztetag 2024 stellt fest, dass die Anwendung von Homöopathie in Diagnostik und Therapie in der Regel keine mit rationaler Medizin, dem Gebot der bestmöglichen Behandlung sowie einem angemessenen Verständnis medizinischer Verantwortung und ärztlicher Ethik vereinbare Option darstellt.
- Der Gesetzgeber wird aufgefordert, Maßnahmen dahingehend zu ergreifen, dass Homöopathie weder als Kassenleistung zur Abrechnung kommen kann noch als Entität mit Sonderstatus in der GOÄ Erwähnung findet.
- Die rechtliche Bewertung von Homöopathika als Arzneimittel, einhergehend mit einer Apothekenpflicht, soll beendet werden. Eine Revision der Arzneimitteleigenschaft von Homöopathika und der Binnen-Konsens-Regelung im Arzneimittelgesetz (AMG) ist erforderlich.
Die Bedeutung dieses Beschlusses liegt auf der Hand: Nachdem es der Politik bislang nicht gelungen ist, auch nur einen Schritt beim Thema Homöopathie und ihrer Verankerung im Arznemittel- und Sozialrecht vorwärts zu kommen (auch, weil sie immer wieder einen Schritt rückwärts macht), nimmt die Ärzteschaft die Sache in die Hand. Dieser zentrale Beschluss geht in seiner Intention noch weit über die Streichungen der Homöopathie aus den Weiterbildungsordnungen (inzwischen bei 15 von 17 Landesärztekammern und in der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer) hinaus.
Es ist wichtig, zwischen dem ersten und den beiden folgenden Punkten zu unterscheiden. Der zweite und der dritte Punkt sind Appelle an Politik und Gesetzgebung, die geltenden Regeln des Arzneimittel- und des Sozialrechts, die die Homöopathie „against all odds“ massiv privilegieren, endlich den Fakten – der medizinischen Irrelevanz der Homöopathie – entsprechend zu gestalten und deren Rolle im Gesundheitssystem zu beenden. Hierauf hat selbstredend die Ärzteschaft keinen eigenen Einfluss (obwohl es kaum vorstellbar ist, dass die Politik diese Botschaft überhört).
Hier die Beschlussvorlage, die den Delegierten vorgelegen hat:
Die von den Antragstellern ergänzend eingereichte Anlage zum Beschlussantrag ist aber weit umfangreicher und begründet die Intention des Antrages im Detail und mit zahlreichen Quellenangaben – sehr lesenswert! Auch sind Aspekte enthalten, die im Beschlussvorschlag nicht oder nur am Rande angesprochen wurden:
Insofern ist der erste Punkt des Beschlusstextes unserer Ansicht nach der wichtigste. Hier dokumentiert die Ärzteschaft aus eigenem Willen ihre Position, dass die Homöopathie in der Regel keinen Platz in der ärztichen Praxis haben kann, und das gleich in mehrfacher Hinsicht.
Was bedeutet das nun genau?
- Kein Berufsverbot, was bereits während der Sitzung des DÄT befürchtet wurde. Sondern eine Positionierung der Ärzteschaft, eine fachliche und berufspolitische Stellungnahme der höchsten Ärztevertretung. Sie zeigt wohlbegründet die fachlichen und vor allem die ethischen Grenzen der Therapiefreiheit auf. Die Juristen der Bundesärztekammer haben den Beschlusstext geprüft und sehen darin keinen Ansatz für ein „Berufsverbot“. Der Beschluss „verbietet“ auch keine homöopathischen Therapien. Allerdings: Jede Ärztin, jeder Arzt, die/der weiterhin Homöopathie in der Praxis anwendet, muss sich klar darüber sein. dass er/sie einer klaren Positionierung der Ärzteschaft und des höchsten Gremiums ihrer/seiner Berufsorganisation zuwiderhandelt. Vor den tiefgreifenden ethischen Problemen der ärztlichen Anwendung von Homöopathie warnt der Beschluss ausdrücklich. Das kann bei Schäden natürlich konkrete Auswirkungen haben, denn der Ärztetag hat damit klargestellt, dass die Homöopathie nicht zum „state of the art“ der Medizin gehört.
- Keine Auswirkungen auf Heilpraktiker. Auch das wurde, kaum war der Beschluss gefasst, bereits im Netz fälschlich behauptet. Es geht um die Verpflichtung der Ärzteschaft, stets die bestmögliche Behandlung anzubieten und die Patientenschaft aktiv vor Irrtümern in Sachen Pseudomedizin zu schützen, wie es z.B. der Weltärztebund (zitiert in der Antragsbegründung) fordert. Das Problem „Heilpraktiker“ als solches ist wohl noch größer als das der Homöopathie und bedarf endlich auch der Aufmerksamkeit des Gesetzgebers, dazu hat sich der Ärztetag auch schon mehr als einmal positioniert.
- Und vor allem:“Die Homöopathie“ wird nicht „verboten„, auch das tauchte kurz nach Bekanntwerden des Beschlusses in z.T. krassen Formulierungen im Netz auf. Das ist und bleibt Unsinn. Das kann der Ärztetag gar nicht und wer richtig liest, wird sehr leicht erkennen, dass die Intention des Beschlusses eine standes- und berufsrechtliche Stellungnahme ist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
- Auch war noch auf dem Ärztetag von einer „Neiddebatte“ die Rede, die gegen die Homöopathie geführt werde, weil die nicht Homöopathie praktizierende Ärzteschaft „neidisch“ auf die gute Honorierung „sprechenden Medizin“ im Rahmen der Homöopathie sei. Hier wird zwar ein reales Problem angesprochen, aber gleichzeitig als Argument auf den Kopf gestellt. Und das auf eine „Neiddebatte“ der Ärzteschaft gegen die homöopathischen KollegInnen herunterzubrechen, das ist – wir bitten um Enschuldigung – einfach lächerlich.
- Müssen wir noch etwas zur Studienlage und zum angeblichen wissenschaftlichen Wirkungsnachweis sagen? Angesichts unserer langjährigen Aufklärungsarbeit doch wohl nicht mehr – auch hier auf unseren Seiten kann man sich umfassend informieren. Wie sah es denn aus nur in letzter Zeit? Eine von den Homöopathen gefeierte Studie steht unter dem Verdacht der Datenmanipulation und ist überfällig für ein Zurückziehen der Publikation. Ein Review, das mit dem Ergebnis aufwartete, Homöopathie sei eine nützliche Therapieoption bei ADHS, wurde komplett zurückgezogen. Und ein Meta-Review früherer Arbeiten zur Homöopathie wurde und wird herumgereicht – mal wieder als angeblicher ultimativer Beleg dafür, dass ein Wirkungsnachweis längst geführt worden sei – jedoch krankt dieser Meta-Review an einem massiven methodischen Fehler, der ihn gänzlich unbrauchbar macht.
- Eine weitere Erwartung an den Beschluss ist, dass er dazu beitragen sollte, das unbegründete Vertrauen der Allgemeinheit in die Homöopathie zu erschüttern, das sich in den letzten Jahrzehnten so verfestigt hat. Er stellt klar, dass es nicht ärztliche Aufgabe ist, die Menschen in ihren Irrtümern zu Scheinmedizin wie Homöopathie zu belassen oder gar zu bestärken. Vielmehr sollte die Patientenschaft aufgeklärt und damit in ihrer Gesundheitskompetenz gestärkt werden. Dem Beschluss ist deshalb eine weite Verbreitung in der Allgemeinheit zu wünschen.
Gleichwohl, Wir dürfen wohl noch auf deutlich mehr „Argumente“ gegen den Beschluss gefasst sein. Wetten, dass dabei nichts Neues zutage treten wird? Und dass sich auf unseren Seiten, auf den Blogs unserer Mitglieder und bei anderen kritischen Stimmen längst die Widerlegungen und Kommentierungen finden werden?
Wir werden sehen. Es bleibt der laute Appell an die Politik, nun nicht weiter Augen und Ohren davor zu verschließen, dass Homöopathie schlicht und einfach kein Teil des Gesundheitssystems sein KANN – aus Gründen, die die deutsche Ärzteschaft nicht anders sieht als wir vom INH. Und wir appellieren ernstlich auch an die homöopathische Szene, insbesondere die ärztliche, sich aus Anlass des Beschlusses ihrer eigenen Standesvertretung endlich ihre irrationale Haltung zur Homöopahie zu hinterfragen, den eindeutigen Stand der Wissenschaft zur Kenntnis zu nehmen und auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren – auf dem nach einem Bonmot von Dr. Natalie Grams zwar weit weniger Glitzer liegt als in Luftschlössern, der aber dafür guten und soliden Stand bietet.
Hut ab vor dem Initiator des Antrages (der, es sei ruhig erwähnt, langjähriges INH-Mitglied ist) und den Mitantragstellern (darunter ein Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer) beim 128. Deutschen Ärztetag. Merken wir uns den 10. Mai 2024 – ein wohl historisches Datum für das Bemühen um eine rationale und ethisch vertretbare Medizin in Deutschland.
2 Antworten auf „Der Deutsche Ärztetag distanziert sich von der Homöopathie“
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