Einmal mehr verkündeten Teile der homöopathischen Szene (verbunden mit der Übertreibung, der Beitrag sei unmittelbar bei “Nature” erschienen) den ultimativen Durchbruch in dem Bemühen, Homöopathie „wissenschaftlich“ zu beweisen. Die italienische Tageszeitung La Repubblica verschaffte der Sache breitere Aufmerksamkeit mit einem Artikel, der sich zu der Aussage hinreißen ließ:
„Die in Scientific Reports veröffentlichten Untersuchungen bestätigen die Wirksamkeit homöopathischer Ultraverdünnungen: Die homöopathische Medizin wirkt und hat statistisch signifikante biologische Effekte bei der Linderung neuropathischer Schmerzen bei Ratten. Die Wirkung der dynamisierten Verdünnungen war ähnlich der Wirkung von Gabapentin [….].“
Man beachte den fehlenden Konjunktiv, auch den unkritischen Gebrauch des Begriffs „statistisch signifikant“, der als statistischer Wahrscheinlichkeitswert keinen Rückschluss auf die tatsächliche Effektgröße zulässt, was aber durch die Formulierung suggeriert wird. Kein Vorwurf gegen eine Tageszeitung, aber eine in der Homöopathie gern gesehene und nie richtiggestellte Suggestion für das Publikum.
Beweis der Wirksamkeit homöopathischer Hochpotenzen – eine kühne Feststellung, die in Anbetracht des Widerspruchs zur homöopathischen Studienlage nach dem Postulat „außergewöhnliche Behauptungen erfordern außergewöhnliche Beweise“ betrachtet werden muss.
Es ist zunächst einmal eine gänzlich unwissenschaftliche Folgerung, die Arbeit „bestätige die Wirksamkeit homöopathischer Ultraverdünnungen“. Eine einzelne Studie hat keinen Beweis-, sondern allenfalls einen Hinweiswert, zumal, wenn sie ein hoch unwahrscheinliches Ergebnis hervorbringt. Ein solches Ergebnis muss – am besten mehrfach – unabhängig repliziert werden, bevor der beschriebene Effekt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als tatsächlich vorhanden angenommen werden und weiterer wissenschaftlicher Diskussion zugeführt werden kann. An all dem fehlt es hier.
Ein erster Blick zeigt, dass es sich bei den in-vivo-Tests an den Ratten um insgesamt 40 Tiere handelte, die in fünf Versuchsgruppen (n=8) aufgeteilt wurden. Dies befremdet hinsichtlich der geringen Probandenzahl. Soll das „bahnbrechende“ Ergebnis der Studie ernsthaft auf die Daten einer Verumgruppe von acht Tieren gestützt werden? Dass eine – bei Interventionsstudien erforderliche – Fallzahlplanung [2] durchgeführt wurde, die ein Faktor für die Validität der späteren Ergebnisse ist, kann aus der Studie nicht entnommen werden. Vor allem, wenn Unterschiede – wie hier – in fünf unterschiedlich parametrisierten Gruppen (nicht nur Verum gegen Placebo bzw. Standardmittel) ermittelt werden sollen, ist die sorgfältige Festlegung einer ausreichenden und sinnvollen Probandenzahl alles andere als trivial.
Die Veröffentlichung zeigt zudem relativ leicht erkennbare Unsauberkeiten / Auffälligkeiten, die das Portal RESIS – Research Integrity Solutions – in einem Beitrag von Enrico Bucci von der Temple University in Philadelphia erläutert.
Das fängt damit an, dass grafische Darstellungen zu den in-vitro-Ergebnissen teils unrichtig beschriftet sind, teils wurden gleiche Grafiken zu unterschiedlichen Parametern veröffentlicht. Noch schwerer wiegt, dass unterschiedliche Effekt-/Zeitdiagramme (einmal bei einem Kälte-, einmal bei einem Hitzereiz in den Tierversuchen) in allen (!) dargestellten Datenpunkten (every experimental point) 1 : 1 übereinstimmen (was durch die unterschiedlich gewählten Achsengrößen nicht sofort sichtbar ist), so dass RESIS daraus den Schluss zieht, dass hier etwas elementar nicht stimmen kann – Zufall praktisch ausgeschlossen. Die Rohdaten sind nicht mit veröffentlicht – natürlich nicht. RESIS konstatiert: Wenn es sich wirklich um zwei verschiedene Experimente handelt, ist die gezeigte Koinzidenz der Daten schlicht unmöglich.
RESIS weist darauf hin, dass dies nicht die einzigen statistisch-numerologischen Ungereimtheiten sind und findet zu Recht, dass dies bereits genügt, um die Validität der Studie zu diskreditieren. Auch andere Portale bzw. Foren haben sich schon kritisch mit der Arbeit befasst, so z.B. PubPeer, wo die Diskutanten noch mehr kritisch ins Detail gehen.
Ein besonders befremdlicher Umstand, bei denen Journale in der Regel sehr empfindlich zu reagieren pflegen, kommt noch dazu. Einer der Autoren der indischen Forschergruppe benennt eine Mailadresse, die nachweislich in einer anderen Arbeit auch von einem Autor anderen Namens verwendet wurde. Dies ist nicht nur völlig unüblich, sondern entspricht auch in keiner Weise good practice und Integrität im Veröffentlichungswesen.
Der Pharmakologie-Professor Silvio Garattini, der auf dem Portal sanita24 weitere methodologische Mängel aufgedeckt hat, zieht als Fazit der ganzen Sache: „Die Homöopathie bleibt eine Methode ohne wissenschaftlichen Beweis, daran ändert auch nichts die angebliche Wirksamkeit, die durch die in Scientific Reports veröffentlichten Untersuchungen behauptet wird.“
Dem schließen wir uns an – und fragen uns gemeinsam mit RESIS, wie eine solche Arbeit ein peer review für ein Journal überstehen kann, auch angesichts der Verantwortung, die ein Journal gegenüber der Wissenschaftscommunity und der Öffentlichkeit hat. Was allerdings nicht heißen soll, das es keine Fehler im wissenschaftlichen Veröffentlichungswesen geben kann / darf, durchaus nicht. Man darf sich dabei aber auf die Selbstkontrolle der wissenschaftlichen Community verlassen, wie auch in diesem Falle. Immerhin trägt die Veröffentlichung bei Scientific Reports inzwischen eine Editor’s note, die auf die vorliegenden Einwände gegen die Arbeit hinweist und „geeignete redaktionelle Maßnahmen“ ankündigt, „sobald diese Angelegenheit geklärt ist“. Die Schnellschuss-Erklärung von Autoren der Studie, das möge ja alles sein, ändere aber nichts am Ergebnis, scheint auch die Herausgeber von Scientific Reports nicht mehr zufriedenzustellen.
Nachtrag, 11.10.2018, 15:00 Uhr:
Inzwischen berichtet auch “Nature”, die “Mutterzeitschrift” von Scientific Reports, über die Angelegenheit. Um Neutralität bemüht, aber doch mit eher kritischem Unterton.
Nachtrag, 11.06.2019:
Die Studie wurde soeben von Scientific Reports zurückgezogen, Rectraction Watch berichtet. Scientific Reports veröffentlichte am heute (11.06.2019) eine umfangreiche Retraction Note. Darin heißt es:
„Nach der Veröffentlichung erhielt die Zeitschrift Kritik an der Begründung dieser Studie und der Plausibilität ihrer zentralen Schlussfolgerungen. Expertenrat wurde eingeholt, und die folgenden Punkte wurden ermittelt, die das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Studie untergraben.
Das in vitro Modell unterstützt nicht die wichtigste Schlussfolgerung des Papiers, dass Rhus Tox Schmerzen reduziert. Die qualitative und quantitative Zusammensetzung des Rhus-Tox-Extrakts ist unbekannt. Die Figuren 1G und 1H sind Duplikate; und die Figuren 1I und 1J sind Duplikate. Die Mehrheit der in Abbildung 3 Panel A berichteten Versuchspunkte ist in Abbildung 3 Panel B dupliziert. Die Erhebung, Beschreibung, Analyse und Darstellung der Verhaltensdaten in Abbildung 3 ist unzureichend und kann nicht als zuverlässig angesehen werden.
Infolgedessen ziehen die Redakteure den Artikel zurück. Die Autoren sind mit dem Widerruf nicht einverstanden.“
Also all das, was vor acht Monaten bereits Hauptgegenstand der Kritik war. Man darf Nature bzw. Scientific Reports nicht für den Zeitraum kritisieren, der bis zum Zurückziehen vergangen ist, hier wird sorgfältigst geprüft und externer neutraler Sachverstand eingeschaltet. Umso schwerer wiegt ein vollständiger „Retract“. Bemerkenswert ist, dass der Hauptautor der Studie aber so gar nicht einverstanden mit dem Zurückziehen ist und seine Hinweise wiederholt, es handele sich um „typos“ (also Tipp-, Schreib- oder gar Druckfehler) und vielleicht ein wenig Lässigkeit bei der Publikation. Das kann man durchaus mit einem Kopfschütteln als Mischung zwischen massivem confirmation bias und Defensivstrategie verbuchen. Eher bleibt die Frage interessant, wie so eine Arbeit durch das Peer Review einer durchaus angesehenen Wissenschaftspublikation „rutschen“ konnte.
Unser Fazit:
Ein weiterer Fall aus dem bunten Kranz der berühmten „vielen Studien“, die „unbezweifelbar eine Wirksamkeit der Homöopathie belegen“, wie es einem tagtäglich entgegenschallt. Das Besondere gegenüber manch anderer ist ihr tiefer Fall: Immerhin wurde sie lautstark als der ultimative Beweis für die „Wirksamkeit homöopathischer Ultraverdünnungen“ gehandelt und damit gleich noch ein paar Etagen über den bekannten „Ergebnissen“ von Jacques Benveniste und Luc Montagnier – diese beiden hatten „nur“ postuliert, dass sie Unterschiede zwischen reinem Lösungsmittel und homöopathischen Hochpotenzen gefunden hätten. Hier im Fall der „Rattenstudie“ durfte es gleich die „Wirksamkeit“ sein…
Failed, wie die englische Sprache so schön sagt, einmal mehr. Die fehlende Evidenz der Homöopathie ist Fakt, sie hat eine solche weder für einzelne Indikationen noch als Methode belegen können. Mit Studien wie dieser trägt sie immerhin weiter zu ihrer Diskreditierung bei.
[1] ROS: Reactive Oxygene Species, bekannt als „freie Radikale“. Eine vermittelnde Rolle der ROS bei intra- und interzellulären Signalprozessen gilt als gesichert.
[2] https://www.aerzteblatt.de/archiv/77774/Fallzahlplanung-in-klinischen-Studien
5 Antworten auf „Homöopathische Studie: Die Legende von den fünfmal acht Ratten“
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