Die dezidiert homöopathiefreundliche Sendung “Die Wahrheit … über Homöopathie” von rbb fernsehen, erstausgestrahlt am 25.6. und von tagesschau 24 am 20.08. wiederholt, haben wir ja schon mit der Veröffentlichung eines exzellenten Zuschauerbriefes eines unserer Follower gewürdigt. Die Sendung enthält im Detail jedoch so viele irreführende und teils falsche Aussagen, dass man dem in einem summarischen Beitrag gar nicht gerecht werden kann.
Eine besonders befremdende Aussage, aus dem Munde eines Professors der Medizin, kann nach unserer Ansicht nicht unhinterfragt bleiben. Prof. Tom Bschor verfügt über erhebliche Reputation, ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, war Chefarzt in renommierten Kliniken und langjähriges Mitglied der Arzneikommission der deutschen Ärzteschaft. Aussagen solcher Persönlichkeiten kommt Gewicht zu, zumal in einer öffentlich ausgestrahlten TV-Sendung, die auf die Wirkung prägnanter Statements hin angelegt ist.
Worum geht es genau?
Prof. Bschor trifft ab Min. 32:54 folgende Aussage:
„Aber ich halte es für kein überzeugendes Argument, zu sagen „da ist ja nichts drin und das kann ja gar nicht wirken.“ Das hat mich noch nie überzeugt. Vor 200 Jahren kannten wir auch die Radioaktivität nicht und konnten uns das nicht vorstellen, und trotzdem hat sie starke Wirkung gehabt …“
Wir unterstellen zunächst, obwohl dies im Kontext des letzten Satzes etwas schwerfällt, dass diese Aussage durch eine ungünstige Schnittführung verfälscht wurde und Prof. Bschor sich vielleicht ausschließlich auf eine psychologische Wirkung bezogen hat. Anders können wir uns nicht
erklären, wie eine solch absurde Aussage zustande kommt:
Wenn es tatsächlich so wäre, dass ein Stoff eine spezifische Wirkung hervorrufen könnte, auch wenn er nicht vorhanden ist, dann hätten wir über weite Teile unseres Lebens ein riesiges Problem. Nicht nur bei alkoholfreiem Bier oder koffeinfreiem Kaffee, bei denen Alkohol und Koffein entfernt wurden, damit sie nicht mehr wirken. Genau genommen ist dieses Konzept – ohne Wirkstoff keine Wirkung – eine wesentliche Grundlage unserer Existenz:
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- Unser Organismus scheidet unter anderem Schad- und Giftstoffe aus, damit sie keine schädliche Wirkung haben.
- Bei Mangelerkrankungen (Vitamine, Hormone …) müssen die fehlenden Stoffe zugeführt werden, weil sie sonst im Körper nicht oder nicht in ausreichendem Umfang vorhanden sind und daher nicht wirken.
- Bei Vergiftungen wird nach dem auslösenden Giftstoff gesucht. Ohne die Anwesenheit eines Giftstoffes gibt es keine Wirkung und somit auch keine Vergiftung.
- Bei Wasser für medizinische Zwecke wird die Menge der Fremdstoffe und der Keime reduziert, damit sie nicht wirken.
- Die Sicherheit unserer Arznei- und Lebensmittel wird unter anderem dadurch garantiert, dass gewisse Stoffe nicht enthalten sind und deshalb nicht wirken. Ein Ziel der Pharmazieforschung ist, durch Entfernen bestimmter Stoffe zu verhindern, dass sie unerwünschte Nebenwirkungen hervorrufen.
- In der Aufbereitung von Trinkwasser werden Stoffe abgeschieden, damit sie nicht wirken.
- Zur Luftreinhaltung werden Schadstoffe entfernt bzw. deren Emission verhindert, damit sie nicht wirken.
- Zur Reinhaltung der Gewässer dürfen bestimmte Stoffe nicht eingeleitet werden, damit sie nicht wirken.
- Im Klimaschutz soll die Emission von Kohlendioxid und Treibhausgasen stark reduziert werden, um deren Wirkung zu begrenzen.
- In der Pharmazie wird die Intensität der Wirkung eines Präparates durch die Menge an Wirkstoff gesteuert: weniger Wirkstoff = weniger Wirkung, kein Wirkstoff = keine Wirkung.
- Wenn man einer Suppe kein Salz zugibt, wirkt es nicht, und die Suppe bleibt fad.
- Die Werkstoffe aller unserer Produkte werden hergestellt, indem Stoffe, die die Eigenschaften verschlechtern könnten, entfernt werden, damit sie nicht wirken.
Wir denken, es gibt noch beliebig viele Beispiele aus Wissenschaft, Technik und täglichem Leben, die geradezu essenziell davon abhängen, dass ein Stoff in Abwesenheit keine spezifische Wirkung hervorrufen kann. Eine sinnvolle Medizin, die auf das Erkennen von Krankheitsursachen ausgerichtet ist, wäre nicht möglich und wir könnten bestenfalls zu den Beschwörungsriten früherer
schamanischer Tradition zurückkehren.
Ganz platt: Wie könnte man mit Genuss etwas essen oder trinken, wenn man ständig damit rechnen müsste, dass irgendein Stoff aus dem Universum in Abwesenheit plötzlich wirksam wird, mit möglicherweise unvorhersehbaren oder gar fatalen Folgen?
Es gibt nur ein einziges Gebiet, in dem dieser Grundsatz nicht gelten soll, sogar das Gegenteil als Grundlage der Verordnung propagiert wird: die Homöopathie. Somit handelt es sich dabei entweder um eine irrige Annahme, die das ganze darauf aufbauende Gedankengebäude zu einer
irrealen Wunschvorstellung werden lässt. Oder es müsste aufgezeigt werden können, durch welche der Homöopathie eigenen Verfahren dieses absonderliche Verhalten ausgelöst wird. Warum also hier Verdünnen und Schütteln zu einer Verstärkung der Wirksamkeit führen sollen –
und in allen anderen bekannten Fällen nicht.
Die Analogie zur Radioaktivität, die auch wirksam war, obwohl wir sie nicht kannten, ist also völlig fehl am Platz. Deren Auslöser waren sehr wohl vorhanden, wenn sie – völlig unabhängig von unserem Wissen über deren Existenz – wirksam wurde.
Wir wissen ziemlich genau und erleben es jeden Tag in großer Vielfalt, was beim Schütteln und Verdünnen passiert, nämlich eine Abschwächung der Wirkung und gerade kein Phänomen, das Homöopathika zu wirksamen Arzneimitteln werden ließe. Es ist nicht so, dass wir über diese alltäglichen Vorgänge zu wenig wissen – wir wissen im Gegenteil sehr viel darüber, was man damit erreichen kann und was nicht – und auch warum das so ist.
Wir sehen einen Dissens zwischen diesen Fakten und dem Statement von Prof. Bschor in der Sendung des rbb. Wir haben ihm unsere Argumentation daher mit der Bitte um Klärung / Erläuterung vorgelegt. Wie es weiterging und was abschließend dazu zu sagen ist, steht im Artikel Gilt im ganzen Universum – Nichts bewirkt nichts!
Bild von Amanda Elizabeth auf Pixabay