Vor gut einem Jahr begann die Diskussion über Homöopathie im Gesundheitswesen in Frankreich, ausgelöst vom Zusammenschluss von 124 Ärzten (der #NoFakeMed-Initiative), die mit einer eindeutigen Stellungnahme an die Öffentlichkeit traten. Schnell gingen die Wogen hoch, die öffentliche Debatte entbrannte, #NoFakeMed-Mitglieder wurden gar vor der Ärztekammer – und wohl auch vor ordentlichen Gerichten – verklagt wegen der Unbotmäßigkeit, gegen die unwissenschaftliche und spezifisch wirkungslose Homöopathie aufzustehen. Die französische Gesundheitspolitik, in Person von Gesundheitsministerin Buzyn, hielt sich zunächst ziemlich bedeckt („schadet ja nichts, nützt ja sogar, wenn dadurch ‚giftige“ Medikamente vermieden werden“), geriet dann aber unter Druck, als sich die zentrale französische Ärztekammer gegen die Homöopathie positionierte. Frau Buzyn spielte auf Zeit, indem sie eine Expertise der französischen medizinischen wissenschaftlichen Akademie anforderte. Wir berichteten auf dieser Webseite – hierund hier.
Seit gestern (25. März 2019) liegt diese Expertise vor. Und mehr: Es kam zu einem gemeinsamen Kommuniqué der medizinischen und der pharmazeutischen Akademie. Le Figaro berichtet.
In einer gemeinsamen Erklärung (an die Regierung gerichtet) forderten die Vorstände (der Akademien) ein Ende der Erstattung der Homöopathie (im Rahmen des öffentlichen Gesundheitswesens) und ein Ende ihrer Lehre an den Fakultäten für Medizin und Pharmazie.
„Beenden Sie die Erstattung der Homöopathie durch die gesetzliche Sozialversicherung. Beachten Sie, dass es sich um ein Placebo handelt, und informieren Sie die Patienten entsprechend; machen Sie auf auf der Verpackung kenntlich, dass keine Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen ist; akkreditieren Sie keinen eigenen Universitätsabschluss (zur Homöopathie) mehr an einer medizinischen Fakultät oder an Bildungseinrichtungen für Apotheker oder Veterinäre. Mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung des Forums (#NoFakeMed) in Le Figaro Santé durch 124 Ärzte, das eine Debatte wieder in Gang brachte, die so alt ist wie die Therapie selbst, stimmte die Medizinische Akademie am heutigen Dienstagnachmittag mit 58 Ja-Stimmen (16 Nein-Stimmen, 8 Enthaltungen) für ein Kommuniqué, das gemeinsam mit der Pharmazeutischen Akademie unterzeichnet wurde, um ihre Positionen zur Homöopathie zu bekräftigen.“
Was die Medizinische Akademie bereits 1984, 1987 und 2004 und dann über ihre Beteiligung am Wissenschaftlichen Beirat der Akademien der europäischen Wissenschaften 2017 (EASAC) schon deutlich gemacht hatte, wiederholt die am Dienstag verabschiedete Pressemitteilung: „Der Stand der wissenschaftlichen Daten erlaubt es nicht, eines der Prinzipien der Homöopathie (Ähnlichkeit und hohe Verdünnungen) zu verifizieren“ (gemeint ist, dass diese Prinzipien unwissenschaftliche Grundlagen haben), und „Metaanalysen konnten keine Wirksamkeit homöopathischer Präparate nachweisen“.
Die Arbeitsgruppe der medizinischen Akademie achtet laut Le Figaro darauf, die Homöopathie an keiner Stelle ihres Textes als „Medizin“ zu bezeichnen. Ja, sie will nicht einmal die Bezeichnung „alternative Medizin“ gelten lassen (völlig zu Recht, wie wir finden). Die Arbeitsgruppe räumt zwar ein, dass laut Umfragen die Franzosen an die Homöopathie „glauben“ (croient en l’homéopathie) und sie anwenden, Ärzte verschreiben sie, Krankenhäuser integrieren sie in ihr Versorgungsangebot. „Gesellschaftliche Daten“, die die beiden Akademien „nicht ignorieren können“ – aber „die sich durch mangelndes Wissen und/oder Unterschätzung des Placebo-Effekts mit der Erwartung einer Wirkung erklären lassen – die einzig mögliche, aber auch ausreichende Erklärung für Wirkungen der Homöopathie nach dem Stand der Wissenschaft“. Die Homöopathie sei demnach höchstens „initial“ für den Placebo-Effekt und eine Konditionierung des Patienten (nach scheinbaren vorherigen Erfolgen), der Patient habe aber einen Anspruch darauf, dass ihm klare und belegbare Informationen zur Verfügung gestellt werden.
„Wir freuen uns, dass beide Akademien klar positioniert sind. Es ist an der Zeit, dass die Regierungs- und Verwaltungsbehörden dies zur Kenntnis nehmen“, sagt Dr. Jérémy Descoux, Kardiologe und Präsident des Kollektivs Fakemed, das aus dem im vergangenen März an die Öffentlichkeit getretenen Forum #NoFakeMed hervorgegangen ist. Descoux persönlich hätte sich einen noch prägnanteren Diskurs gewünscht, der die ethischen Implikationen homöopathischer Verordnungen stärker in den Mittelpunkt gestellt hätte. „Homöopathie zu verschreiben und abzugeben bedeutet, die Prämissen der Homöopathe letztlich zu akzeptieren; und wenn wir einem Patienten Homöopathie anbieten, sind wir zumindest mehrdeutig in unserem ärztlichen Ethos ihm gegenüber“, meint er.
Einige Mitglieder der Akademie erklärten, sie hätten gegen das Kommuniqué gestimmt – aber keineswegs aus Uneinigkeit in der Sache, sondern aus Sorge um einen Text der immer noch „mehrdeutig ist, angesichts unserer Pflicht, die Behörden eindeutig und entschieden zu informieren“.
Nun, muss man das noch im Hinblick auf die deutsche Gesundheitspolitik kommentieren, auch darauf, dass sich weder die organisierte Ärzteschaft noch andere große Organisationen des Gesundheitswesens in ähnlicher Form geschlossen positioniert haben? Wir sind dankbar für eine Vielzahl einzelner Stimmen aus diesen Kreisen, die unsere Kritik an der Homöopathie teilen, „offiziell“ konstatieren wir nach wie vor aber ein Vakuum. Dieses Vakuum nutzt die Homöopathie-Lobby dazu, mit ihren unbelegten Behauptungen zur Wirksamkeit der Methode und ihren bedeutungslosen Appellen an die „Beliebtheit“ in der Bevölkerung politischen Kredit zu gewinnen. Die neueste Aktivität ist gar eine Petition für die – rein versicherungs- und gesetzestechnisch bedingte – Abschaffung der Homöopathie-Wahltarife bei der GKV, die noch ganze 562 Personen im ganzen Bundesgebiet betrifft. Mit dieser Groteske (man kann es nicht anders nennen) wurden schon rund 77.000 Unterzeichner erreicht. Man darf wohl bezweifeln, dass deren Mehrheit den Hintergrund dieses propagandistischen Bemühens durchschaut. Werden es die Adressaten tun? Wir hoffen es sehr. Und wir hoffen auf mehr – auf die Einkehr von Vernunft und Redlichkeit in Sachen Homöopathie und Gesundheitswesen.
Uns bleibt Anerkennung und auch Dank an die Adresse die französischen Skeptiker, der kleinen NoFakeMed-Gemeinschaft, die den Anstoß zu der Entwicklung in ihrem Land gegeben und trotz heftiger Anfeindungen den Fakten zum Sieg verholfen hat. Hoffen wir nun auf Einsicht der deutschen Gesundheitspolitik, bevor sich Deutschland als Land der Homöopathie mit Ewigkeitsstatus lächerlich macht!
Bildnachweis: Académie Nationale de Médecine