Verbesserungen beim Überleben von Lungenkrebspatienten mit homöopathischer Komplementärbehandlung (Frass et al. 2020) – Pressemitteilung des INH (31.10. / 03.11.2022)

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Pressemitteilung – Update

Unabhängige wissenschaftliche Prüfstelle: Gefeierte Homöopathie-Studie beruht auf Datenmanipulation und -fälschung

31.10.2022 / 03.11.2022


Update 03.11.2022

Das veröffentlichende Journal, The Oncologist, hat heute einen Expression of concern zu der in Rede stehenden Studie Frass et al. (2020) veröffentlicht. Mit einem Expression of concern teilt die Herausgeberschaft (hier: Oxford University Press) mit, dass Zweifel an der Validität der Veröffentlichung bestehen. The Oncologist führt nun eine eigene Prüfung der Ermittlungsergebnisse der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität durch. Bis zum Abschluss dessen und einer endgültigen Entscheidung über ein Zurückziehen der Studie seien ihre Ergebnisse möglicherweise als unzuverlässig („not reliable“) anzusehen.
https://academic.oup.com/oncolo/advance-article/doi/10.1093/oncolo/oyac221/6782256


Die ursprüngliche Pressemitteilung vom 31.10.2022:

„Einige Ergebnisse sind nur durch Manipulation oder Fälschung erklärbar“. Mit dieser Beurteilung hat die Österreichische Agentur für Wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) jetzt die Befunde einer Arbeitsgruppe aus Deutschland und Österreich bestätigt, die eine Studie zur Homöopathie bei Lungenkrebspatienten untersucht hatte. Damit ist diese Studie endgültig widerlegt, die seit ihrer Veröffentlichung im Oktober 2020 als  überzeugender Nachweis einer Wirksamkeit über Placebo hinaus gefeiert wurde – und die Homöopathieforschung hat einen neuen Tiefpunkt erlebt.

 

Was war geschehen?

Im Oktober 2020 erschien in dem renommierten medizinischen Fachjournal „The Oncologist“ eine klinische Studie zur homöopathischen Zusatzbehandlung von Patienten mit weit fortgeschrittenem Lungenkrebs. Auf den ersten Blick schien sie hochqualitativ zu sein und kam zu sensationellen Ergebnissen: Homöopathisch behandelte Patienten lebten etwa 70 % länger als Placebobehandelte. Homöopathiepatienten gewannen auch deutlich an Lebensqualität, den anderen ging  es immer schlechter.

Eine eingehende Analyse durch eine deutsch-österreichische Arbeitsgruppe erbrachte zahlreiche Hinweise, dass die Daten manipuliert und verfälscht worden sein könnten, unter anderem:

  • Das Studienprotokoll wurde erst erstellt, nachdem die Versuchsergebnisse bekannt waren, mit der Datierung vor Studienbeginn sollte offenbar der Eindruck erzeugt werden, die Festlegungen zur Studienausführung und Auswertung seien vor Beginn der Untersuchung getroffen worden. Mit einer nachgereichten zweiten Version des Protokolls wird dieser Befund noch verstärkt.
  • Ausschlusskriterien für Patienten wurden erst nach Vorliegen der Daten festgelegt, womit die für ein gewünschtes Ergebnis unpassenden Datensätze entfernt worden sein können. Die festgestellten Überlebenskurven passen zu einer derartigen Manipulation.
  • Die Beobachtungszeit für die Lebensqualität wurde erst nach Vorliegen der Daten von zwei Jahren auf 18 Wochen reduziert.

Im Mai 2021 verfasste die Arbeitsgruppe einen bislang nicht veröffentlichten Leserbrief an das Journal und informierte die Forschungsrektorin der Medizinischen Universität Wien, an der die Studie federführend durchgeführt worden war. Diese schaltete umgehend die ÖAWI (Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität) ein, um dem Verdacht eines „wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ nachzugehen, was ein schwerwiegender Vorwurf wäre. Im Oktober 2022 legte die ÖAWI ihren Bericht vor, der die Verdachtsmomente weitgehend bestätigte. Die Schlussfolgerung lautet:

„Several of the results can only be explained by data manipulation or falsification. The publication is not a fair representation of the study.“

Damit hätte die Forschung zur Homöopathie einen neuen Tiefpunkt erreicht. Dies geht weit über bisher verzeichnete Fehler oder Ungenauigkeiten, Wunschdenken oder Fehlinterpretationen hinaus. Eine aktive Manipulation oder Verfälschung von Daten war bisher noch nie so deutlich erkennbar.


Hintergrund

Die Homöopathie ist eine Heilslehre aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert,. Im Gegensatz zu den Werbeaussagen ihrer Vertreter  gibt es weder eine plausible Erklärung dafür, wie eine Wirkung über Placebo hinaus zustande kommen könnte, noch gibt es valide experimentelle Nachweise aus klinischen Studien, die eine solche Wirkung belegen. Klinische Studien mit positiven Ergebnissen für die Homöopathie sind aber durchwegs von unzureichender Qualität, die Effekte können durch Fehler in der Studienplanung, der Datenerfassung, der Auswertung oder auch der Interpretation der Ergebnisse erklärt werden. Die hier betrachtete Studie hätte, wenn sie Bestand gehabt hätte, diese Argumentation widerlegen können und der ganzen Lehre zu mehr öffentlicher Glaubwürdigkeit verhelfen können.


Beteiligte

Das Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) ist eine unabhängige offene Arbeitsgruppe der GWUP, der Gesellschaft für die wissenschaftliche Untersuchung von Parawissenschaften. Deren Mitglieder, Ärzte, Apotheker, Wissenschaftler und andere interessierte Personen, haben es sich zum Ziel gesetzt, die Öffentlichkeit über die Homöopathie zu informieren und so den einseitig positiv überzeichneten Informationen der Anwender und Hersteller zutreffende Informationen entgegenzusetzen.
www.netzwerk-homoeopathie.info

Die Initiative für wissenschaftliche Medizin ist eine österreichische Internetinitiative zweier Ärzte mit dem Ziel, die Unterstützung von Pseudomedizin durch die Österreichische Ärztekammer und das österreichische Gesundheitsministerium zu beenden.
https://www.initiative-wissenschaftliche-medizin.at/


Detaillierte Informationen auf den Webseiten der beteiligten Organisationen:

·         Erste Analyse:

https://netzwerk-homoeopathie.info/studienkritik-zu-lungenkrebsstudie-frass-et-al-2020/

https://www.initiative-wissenschaftliche-medizin.at/index.php?id=202#c201

·         Erstes Update mit der Reaktion der Autoren:

https://netzwerk-homoeopathie.info/forschung-auf-homoeopathisch/

https://www.initiative-wissenschaftliche-medizin.at/index.php?id=208

·         Ergebnis der ÖAWI

https://netzwerk-homoeopathie.info/frass-et-al-2020-update-zur-studienkritik/

https://www.initiative-wissenschaftliche-medizin.at/index.php?id=237

·         Verfügbar auch in englischer Sprache:

https://edzardernst.com/2021/06/a-thorough-analysis-of-prof-m-frass-recent-homeopathy-trial-casts-serious-doubts-on-its-reliability/

https://edzardernst.com/2021/08/an-update-on-the-dubious-cancer-study-by-frass-et-al/

https://edzardernst.com/2022/10/michael-frass-research-into-homeopathy-for-cancer-numerous-breaches-of-scientific-integrity/


Ansprechpartner:

Dr.-Ing. Norbert Aust, Schopfheim
aust@netzwerk-homoeopathie.info

Dr. med. Dr. phil. Viktor Weisshäupl, Wien
weisshaeupl@initiative-wissenschaftliche-medizin.at

Schopfheim / Wien, 31.10.2022 / 03.11.2022


Pressemitteilung hier als PDF herunterladen

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