Homöopathie in der S3-Leitlinie zur Komplementärmedizin in der Onkologie – ein Erfolg?

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Zwei Spatzen auf einer Leitung als Symbol für Minimales
Eigentlich gar nichts los hier …

Tatsächlich: In der neuen S3-Leitlinie zur Komplementärmedizin bei der Behandlung von Krebserkrankungen wird die Homöopathie erwähnt. Verständlich: In diesen für die Homöopathie trüben Zeiten freuen sich die Homöopathen, als hätten sie den Nobelpreis, das Bundesverdienstkreuz und den Oscar gleichzeitig gewonnen. Kann man ja nachfühlen, dass man sich über Minimalerfolge freut. Sicher wird man das in Zukunft als Monstranz vor sich hertragen und beständig polieren – und genauso wahrscheinlich vergessen zu erwähnen, wie armselig dieser Erfolg eigentlich ist.

Man kann sich darüber als Homöopath sicher freuen – solange man sich nicht fragt:

Was bedeutet diese Empfehlung eigentlich? Und was steht denn wirklich in der Leitlinie?

Zunächst bedeutet die Empfehlung keinen Nachweis einer Wirksamkeit der Homöopathie über Placebo hinaus. Dieser müsste schließlich in nach strengen wissenschaftlichen Methoden durchgeführten und replizierten Studien erfolgen. Das Einzige, was diese Empfehlung zweifelsfrei zeigt, ist, dass es medizinische Fachgesellschaften gibt, die Ärzte und Medizinprofessoren in eine Leitlinienkommission entsenden können, die ihrerseits die Grundlagen ihres Faches soweit vergessen haben oder bewusst ignorieren, dass sie die Homöopathie als eine wirksame Heilmethode ansehen und über eine gewisse Durchsetzungskraft verfügen, um erfolgreiche Lobbyarbeit betreiben zu können.

Mehr nicht.

Allerdings: So richtig toll ist das ja nun gar nicht, was da in der Leitlinie steht.

Man bedenke, mit welcher Verve die Homöopathie als eine der konventionellen Medizin ebenbürtige oder gar überlegene Therapie beworben wird, wie sich z.B. einzelne Homöopathen zu Krebsheilern hochstilisieren, ohne in ihren Reihen auf Widerspruch zu stoßen.  Was gibt es nicht für Literatur, Internetseiten und Reportagen, die die Fähigkeit der Homöopathie beschwören, einen wesentlichen Beitrag bei der Krebsbehandlung liefern zu können. Man schaue sich auch einmal die Programme der jährlich in erstaunlicher Vielzahl stattfindenden Homöopathie-Kongresse an, wo regelmäßig „homöopathische Behandlungsoptionen“ auch für Krebs vorgestellt und mit Beifall bedacht werden. In einer Leitlinie, die genau diesen Themenkreis zum Inhalt hat, müsste es doch von entsprechenden Empfehlungen nur so wimmeln.

Dem steht genau eine Empfehlung gegenüber: Man „kann“ die Homöopathie zur Verbesserung der Lebensqualität als Zusatz zur konventionellen Tumorbehandlung „in Erwägung ziehen.“ Das ist alles, wenn man darüber hinwegsieht, dass in weiteren Punkten darauf hingewiesen wird, dass es für Einzel- und Komplexmittel keine ausreichenden Daten für eine entsprechende Empfehlung gibt.

Um das mal in die richtige Perspektive zu rücken: Die Lebensqualität ist nur einer der insgesamt 32 in der Leitlinie im Zusammenhang mit Krebs behandelten Problemkreise, von „Angst/Ängstlichkeit“ über „Mukositis“ (Entzündung der Mundschleimhaut) und „Schmerz“ bis zu „zerebralen Ödemen“ (Schwellung des Gehirns). Für keines dieser Problemfelder sollte man entsprechend der Leitlinie die Homöopathie auch nur „in Erwägung“ ziehen. Also keinerlei Empfehlung, über die Homöopathie als Krebstherapie oder zur Behandlung von Nebenwirkungen der konventionellen Behandlung auch nur im Mindesten nachzudenken.  Lediglich bei der sicher sehr subjektiv bewerteten Lebensqualität  wird die Homöopathie erwähnt.

Mit der „Kann“-Empfehlung bei der Lebensqualität steht die Homöopathie auf dem gleichen Niveau wie etwa Meditation, Tai Chi oder Yoga. Das ist alles, was man der Homöopathie zutraut. Das soll eine leistungsfähige Therapieform sein, für deren Wirksamkeit umfassende wissenschaftliche Evidenz vorliegt, wie die Carstens-Stiftung und der DZVhÄ immer wieder gerne behaupten? Viel größer kann der Kontrast zu der üblicherweise behaupteten Wirksamkeit der Homöopathie bei Krebs doch gar nicht sein!

Wenn das Erfolge sind – wie sehen denn dann Niederlagen aus?

Zumal die Autoren der Leitlinie auch die zugrundeliegenden Studien durchaus kritisch gewertet haben:

    • Von den sechs gefundenen randomisierten Studien, in denen die Homöopathie im Zusammenhang mit Krebserkrankungen untersucht wird, wurden gleich fünf wegen starker methodischer Defizite aussortiert, weswegen sie nicht als Grundlage für Leitlinienempfehlungen geeignet waren.
    • Für die einzige verbliebene Studie von Frass aus dem Jahr 2015 wurden ebenfalls zwei wichtige Kritikpunkte angeführt: Erstens stellt die hohe Ausfallrate der Patienten, deren fehlende Daten durch statistische Verfahren ergänzt („imputiert“) wurden, ein großes Biasrisiko dar. Zweitens hat die Kontrollgruppe in dieser unverblindeten Studie keinerlei mit der Verumgruppe vergleichbare Behandlung bekommen, was ebenfalls zu Verzerrungen geführt haben dürfte
    • Die Studie von Frass aus dem Jahr 2020, von der anzunehmen ist, dass die Daten nachträglich verändert wurden (siehe die auf diesen Seiten veröffentlichte Studienanalyse) kam zu spät, um während der Konsultationsphase berücksichtigt zu werden. Auch die Autoren der Leitlinie sehen die kurze Beobachtungszeit zur Lebensqualität als kritisch an und wundern sich über das grottenschlechte Abschneiden der Kontrollgruppe. Sie sahen aufgrund dieser Studie keine Notwendigkeit, die ausgearbeitete Empfehlung zu überdenken, also – um es deutlich auszudrücken – wegen dieser Arbeit keinerlei Anlass, die auf der insgesamt negativen Gesamtevidenz beruhende Einschätzung der Homöopathie als Behandlungsmethode in Frage zu stellen.

Die vom DZVhÄ berichtete Forderung aus der Leitlinie, wonach die „Aus–, Fort– und Weiterbildung auf diesem Gebiet gefördert und Versorgungsstrukturen verbessert werden“ bezieht der DZVhÄ wohl zu Unrecht auf sich.


Man fühlt sich an Wilhelm Busch erinnert:


Bildnachweis: Michal Jarmoluk auf Pixabay / gemeinfrei

 

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