Homöopathische „Impfungen“ und „Nosoden“

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Auch bei SARS-CoV19 (dem sogenannten Corona-Virus) ist jeglicher Versuch homöopathischer Vorbeugung oder gar Behandlung der Covid-19-Erkrankung völlig unwirksam und ersetzt weder eine  Impfung noch hat er sonst irgendeinen Nutzen!

3D-Darstellung von VIren - die sich für homöopathische Nosoden nicht im Mindesten interessieren
Nosoden? Interessieren uns nicht…

Der Suchbegriff „homöopathische Impfung“ erbringt bei Google mehr als 150.000 Treffer. Bei „Nosoden“ kommt man auf mehr als 100.000 (abgerufen am 5.11.2019). Bemerkenswert, bedenkt man, dass homöopathisches Impfen ein nutzloses bis gefährliches Unterfangen und „Nosode“ ein Kunstwort aus vorwissenschaftlicher Zeit ist.

TL:DR (Too long – didn’t read)

    • Homöopathische Impfungen sind wirkungslos und stellen, wenn man fälschlich auf einen Immunschutz vertraut, ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar. Das Prinzip und die Nosodenlehre stammen nicht von Hahnemann selbst. Sie widersprechen Grundannahmen der homöopathischen Lehre. Sie folgen dem isopathischen, nicht dem homöopathischen Prinzip (Heilung mit Gleichheit, nicht mit Ähnlichkeit). Hahnemann verwarf das isopathische Prinzip in der Auflage des Organon letzter Hand. Beide Prinzipien sind vorwissenschaftliche Spekulationen und spielen keine Rolle in der heutigen medizinischen Erkenntnislage.
    • Die Studienlage zeigt, dass methodisch korrekt durchgeführte Arbeiten keinerlei immunschützende Wirkung einer homöopathischen „Impfung“ mit Nosoden nachweisen konnten. Vielfach steht das Anbieten homöopathischer Impfungen und deren Nebenerscheinungen – wie z.B. homöopathische „Ausleitungen“ von Impfungen – impfkritischem Gedankengut nahe.

Worum geht es?

Aus der Homöopathieszene wird gelegentlich ins Feld geführt, Hahnemann und die Homöopathen hätten das Impfen nahezu „erfunden“, Hahnemann hätte Jenners Kuhpockenimpfung positiv und aufgeschlossen gegenübergestanden und es werde ja auch homöopathisch „geimpft“. Zur Begründung berufen sie sich auf das hahnemannsche Grundprinzip des Similia similibus curentur, Ähnliches möge Ähnliches heilen. Genau das geschehe doch bei der Impfung. Die „homöopathische Impfung“ verwendet dabei Mittel, die als „Nosoden“ bezeichnet werden, homöopathisch zubereitete Bestandteile von Krankheitsprodukten des Körpers.

Was ist dran?

Es gibt keine homöopathische Prophylaxe und es kann keine geben

Der Impfende „heilt“ nicht. Er betreibt medizinische Prophylaxe, Krankheitsvorbeugung. Das ist Hahnemanns Modell der Homöopathie völlig fremd.

Hahnemanns Homöopathie ist eine Arzneimittellehre, die nach Hahnemanns eigenen Worten „die Gesamtheit der Symptome hinwegnehmen“ soll. Einen darüber hinausgehenden Krankheitsbegriff, geschweige denn Vorstellungen von Krankheitsentstehung und -verlauf (Ätiologie), hatte Hahnemann nicht. Es kann nicht oft genug betont werden: die Homöopathie ist eine Symptomentherapie, ihre Erfassung einer „Ganzheitlichkeit“ des Patienten mittels der ausführlichen homöopathischen Anamnese (Symptombild) dient ausschließlich der Auswahl des „geeigneten“ Mittels aus den Repertorien (§ 17 und 18 des Organon).

Wo könnte in diesem Modell, das die akute Erkrankung voraussetzt, Platz für eine Prophylaxe, eine medizinische Vorbeugung von Erkrankungen sein? Es gibt ihn nicht. Homöopathie ist immer „Heilkunst“ am schon Erkrankten – per definitionem.

Zudem bleibt bei der Annahme, die Impfung sei der Homöopathie ähnlich und auch die Homöopathie könne impfen, das hahnemannsche Prinzip der individualisierten Therapie auf der Strecke. Grundlage des homöopathischen Ansatzes ist ja die individuelle „Verstimmung der geistigen Lebenskraft“ im einzelnen Patienten, gegen die es nur das eine, einzige Mittel gibt, das der „ächte Heilkünstler“ herauszufinden hat.

Wie sollte bei Krankheiten, die bei jedem Patienten in diesem Sinne individuell auftreten, geimpft oder vorgebeugt werden? Aus dem Gedanken der Individualität einer jeden Krankheitserscheinung (besser: der Gesamtheit der Symptome) heraus kritisiert Hahnemann in § 54 des Organon ja ausdrücklich die Allopathen scharf dafür, dass „man die Krankheiten für Zustände ausgab, die immer auf ziemlich gleiche Art wieder erschienen.“ Es ist einsichtig: Wenn es keine „auf ziemlich gleiche Art“ wiederkehrenden Krankheiten gibt, dann kann man ohnehin nicht vorbeugen, schon gar nicht vorbeugend impfen.

Die Unvereinbarkeit von Prophylaxe mit grundlegenden Prinzipien von Hahnemanns Lehre ist offenkundig.

Moderne Impfung  – missverstanden

Wer unter Bezug auf die Ähnlichkeitsregel eine Verbindung zur Impfung herstellt, hat den Impfmechanismus nicht oder falsch verstanden.

Das Vakzin, der Impfstoff, der verabreicht wird, wirkt selbst nicht schützend. Es löst vielmehr eine Immunreaktion im Körper aus, es veranlasst diesen, Antikörper gegen die potenzielle Erkrankung zu bilden. Wohlgemerkt: Antikörper. Nicht das „Simile“, die Impfdosis selbst, ist der „Wirkstoff“, sondern es sind die in einem zweiten Schritt, der Immunreaktion, gebildeten Antikörper, die im wahrsten Sinne des Wortes „Gegenmittel“ sind, keine „Simili“. Denen Hahnemann in § 23 des Organon eine klare Absage erteilte, was ihre Fähigkeit angeht, „anhaltende Krankheitssymptome aufzuheben und zu vernichten“. Und wie sollte ein „Impfsimilium“ wohl wirken – ist doch der Sinn der Mittelgabe in der Homöopathie, eine der bestehenden ähnliche „Kunstkrankheit“ auszulösen?

Und noch ein wichtiger Punkt: Die notwendige Impfdosis einer Schutzimpfung wird unter Berücksichtigung der Dosis-Wirkungs-Beziehung genau bestimmt. Eine „Dosierung“ gibt es bei Nosoden nicht. Sie werden üblicherweise als Potenzen D6 oder D8 verabreicht – also in Potenzstufen, bei denen die Verunreinigungen des Lösungsmittels bereits gegenüber den Resten der Ursubstanz überwiegen.

Der richtig betrachtete Impfmechanismus ist deshalb kein Zeuge und auch kein Bundesgenosse der Homöopathie, sondern einer der zahlreichen Kronzeugen gegen sie.

Hahnemann und Jenner

Gelegentlich weisen die Hahnemann-Jünger auch auf die Erwähnung der Jennerschen Pockenimpfung im Organon hin. Dies lässt jedoch keine weiteren Schlüsse zu.

Hahnemann waren die frühen Versuche, mit Kuhpockensekret zu impfen, durchaus bekannt. Er erwähnt Jenner und seine Erfolge in der Tat, erkennt aber nicht den darin steckenden Ansatz einer sinnvollen Ätiologie und verfolgt Jenners Gedanken nicht weiter, greift sie vielmehr zugunsten eines ganz anderen Themas auf, einer fragwürdigen Begründung seiner Ähnlichkeitsregel mit „Heilung durch Krankheit“. Hahnemann führt in § 46 des Organon Jenners Impfung als ein Beispiel (unter mehreren) für seine These an, dass durch eine „neue Krankheit“ Heilung oder Linderung von Symptomen geschehe, die der ausgebrochenen Krankheit ähnlich sind, aber schon vorher da waren. (Er versteht also Jenners Vaccination als Auslösung einer Krankheit – bleibt damit exakt in seinem homöopathischen Denkmuster.)

Nein, Hahnemann kann bei alledem ganz sicher nicht als einer der Väter der modernen Schutzimpfungen gesehen werden. Im Gegenteil – er hat Jenners Erfolge durchaus nicht richtig aufgenommen und auch nicht weitergedacht. Möglicherweise, weil das mit seinem Grundgedanken, es gebe keine typisierbaren „Krankheiten“, sondern nur individuelle „Symptomenbündel“, nicht zusammenging.

Der Gedanke einer Vorbeugung durch Homöopathie stammt deshalb auch nicht von Hahnemann selbst, sondern von frühen Exegeten.

Ist nicht das Immunsystem mit Hahnemanns „geistartiger Lebenskraft“ gleichzusetzen?

Ein klares Nein. Zunächst einmal ist das Immunsystem nichts „Geistartiges“, sondern ganz handfest materiell, und interagiert – auch bei der Impfung – auf materieller Basis. Es ist eine sehr komplexe Teilfunktion des physischen Körpers, die keineswegs die Eigenschaften hat, die Hahnemann in seiner Vorstellung dem „Princip der geistigen Lebenskraft“ zuschrieb, in vitalistischer Tradition:

Der materielle Organism, ohne Lebenskraft gedacht, ist keiner Empfindung, keiner Thätigkeit, keiner Selbsterhaltung fähig; nur das immaterielle, den materiellen Organism im gesunden und kranken Zustande belebende Wesen (das Lebensprincip, die Lebenskraft) verleiht ihm alle Empfindung und bewirkt seine Lebensverrichtungen.“ (§ 10 Organon)

Die Nosodenlehre und die Isopathie

Der Begriff „Nosode“ stammt von dem Homöopathen Constantin Hering (1800 –1880), bekannt auch durch seine „Hering’sche Regel“. Sein Grundgedanke war, Körperstoffe, die durch die Krankheit hervorgebracht wurden, (griech. nosos = Krankheit) im homöopathischen Sinne zu verwenden, also potenziert. Als erste potenzierte Nosode stellte er 1830 aus Krätzeeiter das Psorinum her, das sich heute noch in den homöopathischen Repertorien findet. Die von Hering dokumentierten Behandlungen von Krätzepatienten damit waren allerdings wenig erfolgreich. Bemerkenswert ist, dass diese Gedanken Herings letztlich doch auf so etwas wie „typisierende Krankheiten“ hinauslaufen – einer der vielen kleinen Brüche in Theorie wie in Praxis der Homöopathie.

Der nächste, der die Idee aufnahm, war Johann Joseph Wilhelm Lux (1773–1849), als Tierarzt tätig in Leipzig und dort in Berührung mit der hahnemannschen Homöopathie gekommen. Seine 1833 veröffentlichte Hauptschrift trug den selbsterklärenden Titel „Isopathik der Contagionen, oder: Alle ansteckenden Krankheiten tragen in ihrem eigenen Ansteckungsstoff das Mittel zu ihrer Heilung„. Nun ist aber Isopathie nicht Homöopathie, nicht das Simile-, sondern das Gleichheitsprinzip war Lux‘ Grundidee: „Aequalia aequalibus curentur – Gleiches möge durch Gleiches geheilt werden.“ Was Lux nicht hinderte, sich homöopathischer Prinzipien, nämlich der Potenzierung, praktisch zu bedienen (wie dies heute die Anthroposophen auch für ihre ansonsten von der Homöopathie konzeptionell verschiedenen Mittel tun); er verwendete seine Mittel in der Hochpotenz C30.

Entscheidend ist, dass auch Lux überhaupt nicht die Idee einer Vorbeugung ins Spiel brachte, sondern seine isopathischen Nosoden kurativ, also bei akut Kranken, einzusetzen gedachte.

Unter den Bedingungen seiner Zeit wurde Lux‘ Idee teils lebhaft aufgenommen, man kannte ja Jenners Erfolge mit der Pocken-Vakzine und stellte die gedankliche Verbindung durchaus her – allerdings ohne den entscheidenden Unterschied zwischen kurativ und prophylaktisch ausreichend in Rechnung zu stellen. Anderenteils wurden die Thesen von Lux von homöopathischer Seite vielfach vehement zurückgewiesen. In der „Allgemeinen Homöopathischen Zeitung“ konnte man 1833 lesen: „Somit sind denn zugleich auch die von dem Herrn Thierarzt Lux für seine Isopathik sprechensollenden Beweise widerlegt. Denn Wer wird z. B. Schnee und eiskaltes Wasser mit kalter Luft für aequal, für absolut identisch halten …“. Und in einem Rückblick des Jahres 1849 wird ein Dr. Thorer aus Görlitz damit zitiert, dass Lux‘ Isopathielehre eine „vorübergehende Verwirrung, ein Zweifeln an der Richtigkeit des homöopathischen Lehrsatzes“ hervorgerufen habe, aber widerlegt sei, weil sie der Homöopathie „den Rang nicht streitig“ habe machen können (Hygea, Zeitschrift für Heilkunst, Band 3). Man war sich nicht einig – nun, was Wunder, keine Seite hatte Recht.

Ein interessantes Detail ist, dass Lux‘ berichtete Behandlungserfolge die Tierarzneischule in Berlin veranlassten, Versuche zur Reproduktion (Wiederholung) anzustellen: Die allererste Prüfung von potenzierten Mitteln an einer Hochschule. Leider zeigte sich kein positives Ergebnis, die Reproduktionsversuche von Lux‘ Behandlungen schlugen fehl.


Lux‘ Bemühungen stand Hahnemann selbst – sagen wir einmal – recht distanziert gegenüber. Er sah Isopathie als Irrweg an, zunächst vor allem deshalb, weil die Prüfung des Arzneimittels am Gesunden in Lux‘ System keine Rolle spielte. Im Organon äußerte er sich entsprechend:

„Dies Heilen-Wollen durch eine ganz gleiche Krankheits-Potenz (per idem) widerspricht allem gesunden Menschenverstande und daher auch aller Erfahrung.“ (§ 56 Organon,  Anmerkung, 6. Auflage).

Der Text an dieser Stelle lautet in der 5. Auflage des Organon, weit früher also,  allerdings anders:

„Man möchte gern eine vierte Anwendungsart der Arzneien gegen Krankheiten erschaffen, durch Isopathie, wie man’s nennt, nämlich mit gleichem Miasm eine gleiche vorhandne Krankheit heilen. Aber, gesetzt auch, man vermöchte diess, was dann allerdings eine schätzbare Erfindung zu nennen wäre, so würde sie die Heilung, da sie das Miasm nur hoch potenzirt, und so, folglich, gewisser Massen verändert dem Kranken reicht, dennoch nur durch ein Simillimum dem Simillimo entgegen gesetzt, bewirken.“ (§ 56 Organon, Anmerkung, 5. Auflage).

Hier, in der 5. Auflage, macht Hahnemann ein entscheidendes Zugeständnis: Er postuliert, dass die Potenzierung des „Miasms“, also des Krankheitsauslösers, das Miasm selbst „verändert“, ein „neues“ Miasm erzeugt, dass dann wiederum als Similium, als Ähnliches und nicht „mehr“ als Gleiches „wirken“ könne. Eine kühne Konstruktion, die eine Reihe von Fragen mit Blick auf das Ähnlichkeitsprinzip und die Arzneimittelprüfung am Gesunden aufwirft und das Gebäude der Homöopathie noch inkonsistenter erscheinen lässt als dies ohnehin schon der Fall ist. Was Hahnemann in diesem Fall möglicherweise erkannt haben dürfte und den Gedanken in der 6. Auflage des Organon an gleicher Stelle mit der oben schon zitierten Formulierung verwarf.

Diese klare Absage an die Isopathie wurde allerdings, da erst in der 6. Auflage des Organon enthalten, erst mit der Veröffentlichung dieser Fassung durch Richard Haehl im Jahre 1921 bekannt, vorher war das Manuskript unter Verschluss. Nichts hinderte bis dahin (auch danach nicht) einen Teil von Hahnemanns Exegeten daran, die Nosodenlehre unter Berufung auf den § 56 der 5. Auflage weiter zu etablieren. Und auf noch etwas glaubten die Nosoden-Exegeten sich berufen zu können: Zwar redete Hahnemann nirgends einer Prophylaxe ausdrücklich das Wort, im Zusammenhang mit Jenners Kuhpockenimpfung sprach er aber von einer „vorweggenommenen Heilung“. Damit war im Gebäude der Homöopathie genug an Bruchsteinmaterial vorhanden, um mit der Prophylaxe per homöopathischer Nosode eine weitere innere Widersprüchlichkeit der homöopathischen Lehre nach und nach zu etablieren.

Hahnemann hatte schon recht mit seiner Ablehnung wegen der fehlenden Arzneimittelprüfung. Denn was müsste eine Gabe eines „wirksamen“ homöopathischen „Mittels“ beim Gesunden – wie es ja bei einer „Impfung“ geschieht, auslösen? Richtig – die Symptome, die beim Kranken bekämpft werden sollen… Damit entgleitet das homöopathisch-isopathische Nosoden-Konzept vollends jeder Logik und verschwindet in den Selbstwidersprüchen dieser vorwissenschaftlichen Lehren.


Die homöopathische Nomenklatur unterscheidet heute

    • Nosoden nach der ursprünglichen Idee von Constantin Hering, hergestellt aus den Erregern oder Ausscheidungen infektiöser Krankheiten, als klassische homöopathische Präparate; diese werden für das sogenannte „homöopathische Impfen“ verwendet.
    • Autonosoden (in der Homöopathie und auch im Homöopathischen Arzneibuch als „Sarkoden“ bezeichnet, was auf die Herkunft aus Körpergewebe herrührt), die aus Körperstoffen des individuellen Patienten zubereitet werden, vielleicht am bekanntesten sind die Plazentanosoden. Krankhaft veränderte Körperstoffe wie bei den Hering’schen Nosoden spielen dabei bis auf wenige Ausnahmen keine Rolle. Hier sehen wir eigentlich isopathische Mittel in Reinform. Ihre Anwendung zeigt eine große Bandbreite, die sich nicht auf Pathologien beschränkt.
    • Impfnosoden, hergestellt aus Impfstoffen (nicht Krankheitserregern), als klassisch-homöopathische Mittel, die gegen Beschwerden eingesetzt werden, die nach Impfungen auftreten („Ausleitung“), was sich am ehesten mit der klassischen Homöopathie vereinbaren lässt und auch nichts mit Prophylaxe zu tun hat. Es sei nur die Frage aufgeworfen, woher die Impfnosode weiß, was „Beschwerden“ und was die erwünschten Reaktionen des Immunsystems im Patienten sind.

Was sagt die wissenschaftsbasierte Forschung?

Ist es überhaupt zu rechtfertigen, für so abstruse Thesen wie eine Immunisierung durch Nosoden klinische Studien durchzuführen? Nach heutigen Maßstäben  wäre dies ethisch nicht vertretbar, da nach den Maßstäben bekannten Wissens nicht mit einem Nutzen, einem Erkenntnisgewinn zu rechnen wäre, der die immanenten Risiken rechtfertigen würde. Natürlich ist es unter keinen Umständen denkbar, Studien mit Vergleichsgruppen durchzuführen, von denen eine geimpft und die andere ungeimpft ist, und dann im Zeitverlauf oder gar nach einer gezielten Infektion die auftretenden Krankheitsfälle zu registrieren.


Als experimentelle Tierversuche im Labor gibt es so etwas aber durchaus. Jonas SB: Do homeopathic nosodes protect against infection? An experimental test (Altern Ther Health Med. 1999 Sep;5(5):36-40) ist ein solcher Versuch. Die Applikation von sechs verschiedenen Nosoden-Dilutionen (Potenzierungen) an einer Gesamtheit von 142 Labormäusen „ergab einen teilweisen Schutz durch eine Tularämie-Nosode in Verdünnungen, die unter den erwarteten Schutzwirkungen liegen, aber nicht so groß sind wie die der Standardimpfung.“ (Tularämie ist eine hauptsächlich in den USA und Australien, seltener auch in Europa vorkommende hochinfektiöse Zoonose bei Nagern.)

Und woraus leitet man dieses einigermaßen nichtssagende Zwischenfazit ab? Statt nun eine Alltagsbedingungen entsprechende Infektion auszulösen, wurde den „immunisierten“ Mäusen eine potenziell letale Dosis (a potentially lethal dose of F tularensis) injiziert und die Wirkung der Nosoden im Hinblick auf die Mortalitätsrate und die Überlebenszeit bewertet. Überschwemmt man den Körper jedoch mit einer sicher letalen Erregerlast, überfordert also gezielt das Immunsystem, lässt sich wohl kaum ein Effekt der Impfung messen, da es eine „Chance“ für die Impfimmunität nicht gab. Auch nicht in der Mortalitätsrate, weil die von den verschiedensten Faktoren abhängen kann.

Interessant ist hier, dass Impf“skeptiker“ ihrerseits gern mit dem Argument antreten, schon vor der Einführung von Flächenimpfungen sei die Mortalitätsrate zurückgegangen, diese sei daher eben kein Effekt der Impfung – hier nun wird mit dem gegenteiligen Effekt versucht, einen Impfeffekt zu „beweisen“.

Zudem wurde der Kontrollgruppe ein Placebo (reines Lösungsmittel) verabreicht statt der Standardtherapie – Placebo wurde also mit Placebo verglichen. Als Outcome wurde der „Mittelwert“ (mean) der Überlebenszeiten in den einzelnen Versuchsreihen bestimmt, ein Verfahren, das ohne Kenntnis der exakten Datenreihen wenig Rückschlüsse zulässt. Und so wundert auch das mehr als vorsichtige Gesamtfazit der Forscher nicht:

Wenn homöopathische Nosoden den Schutz vor Infektionserregern induzieren können, für die derzeit keine Impfung möglich ist, können sie eine vorläufige Methode zur Verringerung der Morbidität oder Mortalität durch diese Erreger darstellen.“

Im Grunde muss man konstatieren, dass dies überhaupt nicht als Fazit aus der Studie angesehen werden kann. Die Autoren ziehen sich damit ins gänzlich Unbestimmte zurück. Homöopathische Forschung – wie gehabt.


Man kann auch anders vorgehen, wenn man es ernst meint. Der vielversprechendste Ansatz wäre, wie es auch bei der klinischen Prüfung zur Entwicklung neuer Impfstoffe geschieht, eine Zeitlang nach der Impfung den Titer, also die Vermehrung der erwünschten Antikörper im Blut der Probanden, als ein starkes Indiz für eine Wirksamkeit festzustellen. Tatsächlich gibt es auch Arbeiten dieser Art.

Die Arbeit von Loeb et al aus dem Jahre 2018 (A randomized, blinded, placebo-controlled trial comparing antibody responses to homeopathic and conventional vaccines in university students. PMID: 30352746 DOI: 10.1016/ j.vaccine. 2018.08.082) untersuchte drei Gruppen aus einer Population von 150 jungen Erwachsenen: solche, die in der Kindheit durchgeimpft worden waren, solche, die eine „homöopathische“ Impfung erhalten hatten, und eine letzte Gruppe, die keinerlei Impfungen bekommen hatte.

Loeb et al. kommen zu dem wenig überraschenden wie eindeutigen Ergebnis:

Homöopathische Impfstoffe lösen keine Antikörperreaktionen aus und erzeugen eine Reaktion, die der von Placebo ähnlich ist. Im Gegensatz dazu bieten herkömmliche Impfstoffe bei den meisten Geimpften eine robuste Antikörperreaktion.

Wie sollte es auch anders sein?


Aktuell (November 2019) ist eine Replik zur Arbeit von Loeb et al erschienen, die sich kritisch zum Ergebnis äußert und methodische Fehler entdeckt zu haben glaubt (Dutta S et al., The Concept of ‚Homeopathic Vaccines‘ Is Not Rational and Lacks Evidence: A Commentary on the Paper by Loeb et al, 2018; Homeopathy. 2019 Nov;108(4):298-299. doi: 10.1055/s-0039-1696969). Welche methodischen Fehler? Nun, es wird beanstandet, dass die Tests der Studie nicht nach den Grundsätzen der individualisierten Homöopathie nach Anamneseerhebung und individueller Mittelfindung durchgeführt worden seien…

Das macht nun vollends sprachlos. Besser kann man nicht demonstrieren, dass homöopathische Prophylaxe im Kern ein vollendeter Widerspruch zu Hahnemanns Lehre ist. Es soll also per homöopathischer Anamnese die Art der Verstimmung der Lebenskraft bestimmt werden, an Menschen, die gesund sind, also gar keine „verstimmte Lebenskraft“ aufweisen? Ungewollt wird unsere Ausgangsthese, dass und warum Prophylaxe der Homöopathie wesensfremd ist (eben weil sie unvereinbar mit dem homöopathischen Individualitätsprinzip ist), durch diese Absurdität schlagend bestätigt. Zwar wurde die Problematik der Verletzung des Individualitätsprinzips durch die homöopathische Impfung richtig erkannt, aber mit einem bemerkenswerten confirmation bias nicht der einzig logische Schluss gezogen, dass homöopathische Prophylaxe ein Unding ist, sondern man verfällt auf die Absurdität, dass die widerlegende experimentelle Studie nicht in Ordnung sein kann. Jede Logik wird dem blinden Festhalten an „homöopathischen Prinzipien“ geopfert. Ein exemparisches Beispiel des „Was nicht sein kann, das nicht sein darf“. Wir danken für diese Veröffentlichung.


Abschließend sei noch auf eine Arbeit kanadischer Wissenschaftler hingewiesen, die ausdrücklich gegen zunehmende Fehlinformationen in der kanadischen Alternativmedizinszene über die angebliche Wirksamkeit homöopathischer Impfungen gerichtet ist. Dem Titel der Arbeit ist eigentlich nichts hinzuzufügen: „Nosoden sind kein Ersatz für Impfungen“. Punktum. (Rieder MJ, Robinson JL, ‚Nosodes‘ are no substitutes for vaccines, . 2015 May; 20(4): 219–220. doi: 10.1093/pch/20.4.219)

Nein – Homöopathie und Impfung gehören nicht zusammen

Die Homöopathie kann weder die „Erfindung“ der Impfung für sich reklamieren, noch hält die Behauptung, es könne homöopathisch „geimpft“ werden, kritischer Betrachtung stand. Nicht nur homöopathische Grundprinzipien, auch die Irrungen und Wirrungen in der Geschichte der Nosodenlehre sind schlagende Belege dafür, dass Impfen und Homöopathie nur bei oberflächlichster Betrachtung Gemeinsamkeiten zu haben scheinen. Homöopathische Impfungen und Nosodenlehre bereichern nur das Repertoire der inneren und äußeren Widersprüche des homöopathischen Gedankengebäudes. Zumal sich diese Postulate sehr gefährlich an Denkmustern bewegen, die in der Impfgegnerszene verbreitet sind.

Vertrauen Sie nicht „homöopathischen Impfungen“, die heute sogar für Tropenkrankheiten offeriert werden. Sie erhalten nichts anderes als das homöopathische „Nichts“ anstelle des erwünschten Immunschutzes – was böse Folgen haben kann. Und „homöopathische Ausleitungen“ oder „Behandlungen“ von „Impfbeschwerden“ mit Nosoden sind wirkungslos und überflüssig.


Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

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