… lautet die nächste These aus der Homöopathiekritik, der das Homeopathy Research Institute den vierten Teil seiner dreizehnteiligen Serie widmet, um sie zu widerlegen. Das HRI bezieht sich dabei auf die angeblichen Belege aus der „Grundlagenforschung zur Homöopathie“ dafür, dass Globuli eben „mehr“ seien als „Zuckerkugeln“.
Um das Fazit vorwegzunehmen – die Globuli sind und bleiben in der Tat bei genauer Betrachtung Zuckerkügelchen. Es ist zwar korrekter, zu formulieren, dass in den Globuli „nichts Wirksames“ enthalten ist, im Folgenden wird aber dargelegt, dass die Bezeichnung „Zuckerkugeln“ gleichwohl den Kern der Sache trifft.
„Laborexperimente haben nachgewiesen, dass homöopathische Mittel nicht nur Zuckerkügelchen sind.“
… dies teilt uns das HRI mit. Aber was sind sie denn nun stattdessen – und vor allem, was hat das mit irgendeinem Nachweis der Gültigkeit der Homöopathie zu tun? Was ist denn eigentlich die Aussage, wenn uns das HRI sinngemäß mitteilt: „Die Versuchsergebnisse zeigen, dass Homöopathika kein reines Wasser bzw. reiner Zucker sein können. Weil das ganz offensichtlich so ist, ist eine Wirksamkeit der Homöopathika möglich.“ Das ist ein logischer Zirkelschluss, aber kein Beweis.
Damit kann erst einmal festgehalten werden: Der Versuch, physikalisch-chemische Veränderungen in Hochpotenzen auf irgendeine Art nachweisen zu wollen, hat mit der Frage eines Nachweises der Richtigkeit von Hahnemanns Homöopathie unabhängig von etwaigen Ergebnissen gar nichts zu tun – hauptsächlich deswegen, weil eine Vorstellung davon, wie dies denn nun mit einer arzneilichen Wirkung der Homöopathie kausal zusammenhängen soll, komplett fehlt. So etwas ist vielmehr ein scheinrationaler Rettungsversuch des homöopathischen Gebäudes, nachdem das Konzept einer „geistigen Lebenskraft“ in einem wissenschaftlichen Kontext nicht mehr vermittelbar ist – zu Recht.
Hinzu kommt: Die zitierten Arbeiten halten einer kritischen Betrachtung weder bei der Interpretation der Ergebnisse noch hinsichtlich des Designs und der Durchführung stand. Sie sind entweder sehr umstritten (Antikörper auf weiße Blutkörperchen, offenbar handelt es sich hier um die bekannte Arbeit von Benveniste [1] – Stichwort Wassergedächtnis [2]) oder sind nur von sehr kleiner Effektstärke und widersprechen sogar eigentlich der homöopathischen Lehre (Endler); näheres zu Letzterem enthält der ausführliche Artikel zum Thema auf Dr. Norberts Austs Blog „Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie“.[3] [4] Dass diese beiden Arbeiten vom HRI als die Spitzenergebnisse in Sachen Homöopathie-Grundlagenforschung präsentiert werden, spricht schon für sich.
Wie weit weg die homöopathische Grundlagenforschung und die Apologie des HRI auch in einem anderen Punkt von der Homöopathie entfernt sind, zeigt der nachfolgende Exkurs:
Geistige Arzneimittelkraft oder materieller Wirkungsnachweis?
Man sollte sich auch darüber klar sein, dass Hahnemanns geschlossenes Konzept der Homöopathie sich gar nicht mit der Suche nach oder dem Nachweis einer „materiellen“, also mit physikalisch-chemischen Methoden erfassbaren Effekten in Hochpotenzmitteln vereinbaren lässt. Hahnemann konstituierte als tragende Säule seiner Homöopathie die „geistige Lebenskraft“ (vis vitalis) und als Gegenstück die „geistige Arzneikraft“ im Heilmittel.
„Von schädlichen Einwirkungen auf den gesunden Organism, durch die feindlichen Potenzen […] kann unsere Lebenskraft als geistartige Dynamis nicht anders denn auf geistartige (dynamische) Weise ergriffen und afficirt werden und alle solche krankhafte Verstimmungen (die Krankheiten) können auch durch den Heilkünstler nicht anders von ihr entfernt werden, als durch geistartige (dynamische, virtuelle) Umstimmungskräfte der dienlichen Arzneien auf unsere geistartige Lebenskraft […]. Demnach können Heil-Arzneien, nur durch dynamische Wirkung auf das Lebensprincip, Gesundheit und Lebens-Harmonie wieder herstellen.“ (Hahnemann, Organon der Heilkunst, § 16)
Vehement verurteilte er die „Atomisten“ und „Materialisten“, die schon zu seiner Zeit darauf bestanden, dass ein Wirkungsmechanismus nur dann angenommen werden könne, wenn er auf materiellen Wechselwirkungen beruht. Den „Beweis“ für sein Konzept einer eben nicht materiell wirkenden Arzneikraft glaubte er in der Anwendung des Magnetismus als homöopathischem Mittel gefunden zu haben (er behandelt dies ausführlich in der 6. Auflage seines „Organon“). Was nun mit der vom HRI ins Feld geführten Forschung zu materiell nachweis- und messbaren Effekten von Hochpotenzen so gar nicht übereinstimmen will:
„Wie wollen sie endlich mit ihren atomistischen, materiellen Begriffen von den Wirkungen der Arzneien reimen, daß ein gut zubereiteter magnetischer Stahlstab, […], so eine gewaltige Umstimmung unseres Befindens erzeugen könne, daß wir heftige krankhafte Beschwerden davon erleiden, oder, was eben so viel, daß ein Magnetstab die heftigsten Übel, denen er als Arznei angemessen ist, schnell und dauerhaft heilen könne, selbst auf obige Art verdeckt, dem Körper genähert, selbst nur auf kurze Zeit genähert? Atomist! dich für weise in deiner Beschränktheit dünkender Atomist! sage an, welcher wägbare Magnettheil drang da in den Körper, um jene, oft ungeheuern Veränderungen in seinem Befinden zu veranstalten? Ist ein Centilliontel eines Grans (ein Gran-Bruch, welcher 600 Ziffern zum Nenner hat) nicht noch unendlich zu schwer für den ganz unwägbaren Theil, für die Art Geist, der aus dem Magnetstabe in diesen lebenden Körper einfloss? …“ (Hahnemann, Reine Arzneimittellehre, 2. Auflage, II. Teil, S. 212).
Mehr als Verdünnen?
Die doch sehr „materialistische“ Sicht der „Grundlagenforschung“ wird gern als „Fortschrittlichkeit“ oder „Weiterentwicklung“ dargestellt. Dass dies untaugliche Rationalisierungsversuche sind, zeigt sich jedoch an anderer Stelle deutlich: Am Hahnemannschen Dogma, dass die Verschüttelung eine „Information“ (die „geistartige Arzneikraft“) auf das Lösungsmittel übertrage und insofern mehr darstelle als eine zunehmende Verdünnung der Ursubstanz (bis zu dem Punkt, bis nur noch Lösungsmittel mit Lösungsmittel verschüttelt wird) halten die Homöopathen unbeirrt fest. Zitat HRI:
„Welche physikalisch-chemischen Veränderungen das Verschütteln genau hervorruft, und wie diese es dem Wasser ermöglichen, die Information der darin verdünnten Stoffe aufzunehmen, sind die großen Fragen, die die Forscher zu beantworten suchen.“
Es ist wohl mehr so, dass hier keine Antwort gefunden werden kann, weil von falschen und unsinnigen Fragen ausgegangen wird. Richtig wäre zu fragen, ob es solche Phänomene gibt, erst dann macht es überhaupt Sinn, nach dem Wie zu fragen. So aber steckt in dieser Frage bereits die Prämisse, die unbelegte Vorannahme, dass es tatsächlich Wirkungen in Hochpotenz-Verdünnungen („Möglichkeit des Wassers, Informationen über darin verdünnte Stoffe aufzunehmen“) gibt, die „nur noch“ der Erforschung bedürften.
Dies ist die unzulässige Argumentation mit der „falschen Prämisse“, die man in eine Diskussion als gegeben „einschmuggelt“, um eine darauf aufbauende Scheindebatte führen zu können. Die hier in Rede stehende Prämisse, dass das Wasser zur Aufnahme von Informationen per homöopathischer Potenzierung fähig sei, ist unbewiesen, es gibt dafür keine Belege, nicht einmal eine Plausibilität. Damit ist eine darauf aufbauende Argumentation von vornherein nicht stichhaltig. Sehr wohl aber gibt es dagegen die ständig in Alltag und Technik bewährten physikalisch-chemischen Grundlagen, die uns sagen, dass eine Verdünnung eine Verdünnung ist und bleibt und nicht zu einer ominösen „Informationsübertragung“ mutiert, weil eine homöopathische Ursubstanz im Spiel ist. Ein spezifischer Effekt, der „Informationen“, „Schwingungen“, „Frequenzen“ oder „Energien“ auf das Wasser übertragen könnte, ist nicht bekannt. [5]
Insofern muss man den Hinweis des HRI auf das Bemühen der „Forscher“ als rhetorisch-argumentativen Trick ansehen, mit dem der Debatte eine unbewiesene und unplausible Prämisse untergeschoben wird.
In der Praxis – wovon reden wir überhaupt?
Man sollte sich neben diesen grundsätzlichen Überlegungen ruhig einmal vergegenwärtigen, was eigentlich die realen Größenordnungen sind, in denen sich der Versuch der homöopathischen Grundlagenforschung bewegt, spezifische Effekte nachzuweisen. Auch wer mit dem System der homöopathischen Potenzierung vertraut ist, dürfte überrascht sein, wenn man die Sache einmal unter der praktischen Fragestellung betrachtet, welche Produktmengen mit welcher Potenzierung hergestellt werden können.
Beim Potenzieren nimmt die Konzentration des Arzneistoffes rapide ab. Wie schon erwähnt, weisen selbst Niederpotenzen Wirkstoffkonzentrationen auf, die für physiologische Reaktionen durchweg nicht ausreichen. Schon eine Niederpotenz von D6 enthält mehr unvermeidbare Verunreinigungen des Trägerstoffs (selbst in der höchsten verfügbaren Reinheitsstufe) als Ursubstanz. 100 kg D6-Globuli (Reinheit 99,6 %) enthalten 400 g zufällige Verunreinigungen und 0,001 g (!) Urtinktur-Wirkstoff.
Rechnen wir mit einem einfachen Dreisatz weiter. Aus einem Gramm Urtinktur kann man 100 Tonnen Globuli D6 herstellen. Man braucht fünf Sattelschlepper mit je 20 to Tragkraft, um diese Menge zu transportieren:
Bei D12 entstehen aus einem Gramm Urtinktur so viele Globuli, dass 1.250 Schüttgutfrachter der PANAMAX Klasse (mit je 80.000 to Kapazität) diese so gerade eben aufladen können – alle zusammen mit einem Wirkstoffgehalt, der einem Drittel eines Stückes Würfelzucker entspricht.
Und da sind wir noch längst nicht bei dem angekommen, was die Homöopathen im eigentlichen Sinne als „Hochpotenzen“ bezeichnen, gemeinhin sind damit die Potenzierungen ab C30 gemeint.
Fazit
In der Tat – die Globuli ab D6 sind reiner Zucker, in dem Sinne, als dass die stets auftretenden Verunreinigungen im Material weitaus höher sind als der Gehalt an dem, was als homöopathisch spezifische Substanz vorhanden sein soll. Dies gilt bereits bei Potenzen weit unterhalb des Bereichs, der von der Homöopathie als Hochpotenz bezeichnet wird.
Keine Grundlagenforschung zur Homöopathie hat bisher ein Ergebnis geliefert, das diesen Standpunkt widerlegt. Selbst wenn man die vorgelegten Ergebnisse als korrekt ansehen würde, stellen diese keine Grundlage dafür dar, eine Wirksamkeit oder einen Wirkungsmechanismus der Homöopathie zu belegen – es fehlt an einer auch nur plausiblen Kausalitätsvorstellung.
Mehr als 20 Jahre intensiver Forschung in mehreren Einrichtungen, mit dem ausdrücklichen Ziel, die Homöopathie „beweisen“ zu wollen („Bestätigungsforschung“), – ohne dass bisher irgendetwas gefunden wurde, was irgendwie als Ursache für die angeblich durchgreifende Wirksamkeit der Homöopathika angesehen werden könnte? Das sollte man redlicherweise nicht noch positiv darstellen.
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Jacques_Benveniste
[2] Widerlegung in: Memory in water revisited, Nature (1994), Abstract: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/8255290?dopt=Abstract
[3] http://www.beweisaufnahme-homoeopathie.de/?p=2093
[4] http://www.beweisaufnahme-homoeopathie.de/?p=2131
[5] Zu Verschüttelung / Potenzierung ausführlich in der Homöopedia: http://www.homöopedia.eu/index.php/Artikel:Schütteln
Ein detaillierter Artikel zu der hier besprochenen These des HRI ist auf dem Blog Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie von Dr. Norbert Aust erschienen.
Bisher erschienen beim INH in der Serie „Zur Kritik an der Homöopathiekritk“:
Teil I – Wissenschaftliche Nachweise
Teil II – „Positive Studien fehlen“
Teil III – „Wissenschaftler sagen, Homöopathie ist nicht möglich“
Bildnachweise:
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3 Antworten auf „Die Kritik an der Homöopathiekritik – Teil IV: „Das sind nur Zuckerkügelchen!““
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