Wir haben hier am 8. Juni 2021 ausführlich über unsere gemeinsame (zusammen mit der österreichischen Initiative für wissenschaftliche Medizin) Analyse und Kritik der im Betreff genannten Studie berichtet. Mitte 2021 haben sowohl die Studienautoren als auch die MedUni Wien unsere Ergebnisse zur Prüfung und ggf. Stellungnahme erhalten. Einen Überblick über unsere Kritikpunkte verschafft neben unserm Blogbeitrag vom 08.06.2021 auch das Vortragsvideo von Dr. Norbert Aust, in dem er auf der virtuellen Skepkon der GWUP im letzten Jahr informierte.
Was seitens der Studienautoren erstaunlicherweise geschah, haben wir hier dokumentiert. Uns gegenüber haben sie bis heute keinerlei Stellungnahme oder Erklärung zu unseren Ergebnissen abgegeben.
Ebenso hat das veröffentlichende Journal, der Oncologist, von uns schon frühzeitig einen kritischen Leserbrief erhalten, da wir der Ansicht waren, in erster Linie müsse die Angelegenheit doch diejenigen interessieren, die die Studie publiziert haben. Bis heute jedoch hat der Oncologist in keiner Weise reagiert, auch nicht auf Nachfrage.
Die MedUni Wien hat unsere Analyse aufgegriffen. Sie ist immerhin in der Studie als Affiliation genannt und als solche auch in den Studiendatenbanken vermerkt und sieht sich daher als direkt Betroffene. Aufgrund unserer Ergebnisse hat die MedUni in der Folge die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) mit der Bitte um Begutachtung eingeschaltet. Die ÖAWI hat daraufhin eine Untersuchung wegen des Verdachts der Verletzung wissenschaftlicher Integrität eingeleitet.
Die ÖAWI – das Ergebnis
Das Gutachten der OÄWI liegt nun vor. Ein Fazit daraus lautet:
„Several of the results can only be explained by data manipulation or falsification. The publication is not a fair representation of the study.“
Das ist ein außerordentlich hartes, wenn nicht vernichtendes Urteil über die Studie. Die Analyse der ÖAWI folgt in weiten Teilen unserer Studienanalyse vom Juni 2021.
Im österreichischen „Profil“ ist am 23.20.2022 dazu ein Artikel der Wissenschaftsredaktion erschienen, der recht umfassend über diesen Fortgang der Dinge informiert. Ausgangspunkt für die MedUni und die ÖAWI war das Ergebnis unserer Analyse. Gerade wegen der herausragenden vorgeblichen Ergebnisse der Studie – ganz erhebliche Verbesserungen in Lebensqualität und Überlebenszeit der Patienten in der Homöopathiegruppe gegenüber der Placebo- und der Kontrollgruppe – bedarf sie angesichts des bisherigen Scheiterns der Homöopathie am Wirkungsnachweis einer besonders kritischen Betrachtung (nach Carl Sagan: Außergewöhnliche Behauptungen erfordern außergewöhnliche Belege). Es ist daher selbstverständlich, dass die Studie auf Herz und Nieren überprüft werden muss und vor allem, dass gegenüber jeglichen Auffälligkeiten und Unregelmäßigkeiten gerade in einem solchen Fall eine wissenschaftliche Nulltoleranz angezeigt ist.
Unsere Studienkritik ist also von einer hochrangigen wissenschaftlichen Begutachtungsstelle bestätigt worden.
Und nun?
Zunächst einmal ist dem Artikel im „Profil“! zu entnehmen, dass Prof. Frass als Hauptautor die Kritik an seiner Arbeit vollumfänglich zurückweist. Er könne nirgendwo einen Verstoß gegen wissenschaftliche Standards oder gar ein wissenschaftliches Fehlverhalten erkennen, Was die durchaus sensationellen Ergebnisse angeht, die als „außergewöhnliche Behauptungen“ mit Anlass für die genaue Betrachtung der Studie waren, so erklärt Prof. Frass diese eben mit der großen Wirkkraft der Homöopathie. Allerdings übersieht er wohl dabei, dass er hier einen geradezu klassischen Zirkelschluss vorträgt. Denn er versucht, dasjenige zum Beleg zu erklären, was es überhaupt erst zu beweisen gälte.
Dies steht nun im Raum. Damit fokussiert sich alles auf die Frage, ob die Veröffentlichung der Studie im Oncologist Bestand haben kann und ihr damit weiterhin der Anschein von Glaubwürdigkeit – oder mindestens Zitierfähigkeit – der Ergebnisse zuwächst. Nicht zuletzt war zu beobachten, dass die Studie in homöopathischen Kreisen zur „Vorzeigestudie“ avanciert ist.
Die ÖAWI hat dem Oncologist mitgeteilt, dass sie einen Retract. also ein förmliches Zurückziehen, für angebracht hält. Bislang gibt es vom Journal dazu noch keine Reaktion. Wir gehen davon aus, dass auch die MedUni Wien in dieser Richtung eigene Interessen vertritt.
Was folgt aus alledem?
Wir halten die Folgerungen aus dieser Angelegenheit für gravierend. Sie richtet den Blick einmal mehr auf die stets ambivalente Haltung der Homöopathen zur Wissenschaft. Mal sei sie unerheblich für ihre Erfahrungsheilkunde, könne die homöopathische Praxis nicht abbilden und dergleichen, mal werden aufwändig eigene Studien und Reviews durchgeführt, die entweder ignoriert (wie die Ergebnisse der Münchner Kopfschmerzstudie) oder umgedeutet werden (wie die Reviews von Robert Mathie), die nie Konsequenzen für die therapeutische Praxis haben oder eben als Aushängeschild dienen. Wie eben die hier in Rede stehende Arbeit. Und das ist der Punkt: es geht stets darum, der Homöopathie ein positives – wissenschaftliches – Renommee zu verschaffen, es geht um Selbstvergewisserung und es geht darum, die Homöopathiedebatte aufrechtzuerhalten – unter der Flagge der Wissenschaftlichkeit. Wie die Russische Akademie der Wissenschaften dazu schrieb:
Die Fortexistenz der Homöopathie trotz des Fehlens von zuverlässigen wissenschaftlichen Beweisen für ihre Wirksamkeit über mehr als zwei Jahrhunderte hinweg wird auch durch die Tatsache erklärbar, dass ständig der Anspruch erhoben wurde, es gebe angeblich anwendbare wissenschaftliche Ansätze zu erkunden. Der Abgleich des „externen Szientismus“ der Homöopathie auf der einen Seite mit dem gemeinsamen System der heutigen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis auf der anderen Seite ermöglicht es uns aber, die Homöopathie als eine pseudo- wissenschaftliche Disziplin zu qualifizieren.
Der Wissenschaftlichkeitsanspruch der Homöopathie-Szene ist in letzter Zeit offensichtlich in den Vordergrund gerückt (obwohl die erwähnte Ambivalenz bestehen bleibt). Hier wird man auch die Studie Frass 2020 und ihre intensive Rezeption in der homöopathischen Szene einordnen müssen. Im Rahmen der Gesamtdiskussion ist dies also ein wichtiger Punkt.
Unsere konkrete Studienkritik versteht sich daher als ein Baustein der generellen Kritik an der Homöopathie und ihrer Rolle im Gesundheitswesen. Gerade der Anschein von Wissenschaftlichkeit lässt Entscheidungsträger in Politik und Gesundheitswesen vor Konsequenzen immer wieder zögern, notwendige Konsequenzen für das Gesundheitssystem zu ziehen. Ebenso wird auch der Ruf der Homöopathie bei den KonsumentInnen davon mitbestimmt, dass die Diskussion auch immer wieder über „die Studien“ aufrechterhalten wird. Die Widerlegung einer so „populären“ Studie wie die von Frass et al. 2020 sollte ein wesentlicher Beitrag dazu sein, diese unzutreffende Sichtweise endlich nachhaltig zu korrigieren. Abgesehen davon, dass es hier um wissenschaftliche Integrität und die Verlässlichkeit des Wissenschaftssystems selbst, mithin um einen gesellschaftlich hoch relevanten Sachverhalt geht.
Ein solches Urteil über eine Studie von einer hochrangingen wissenschaftlichen Prüfstelle und wahrscheinlich ein Zurückziehen der Studie durch das veröffentlichende Journal sind keine Kleinigkeiten – sie sind der Alptraum jedes publizierenden Wissenschaftlers. Von daher befremdet die doch eher unbeteiligt erscheinende Stellungnahme von Prof. Frass gegenüber dem „Profil“. Auch, wenn solche homöopathischen Forschungen in der Sphäre der wissenschaftlichen Medizin nicht wirklich ernst (oder überhaupt zur Kenntnis) genommen werden, darf dies aber aus den genannten Gründen nicht dazu führen, dass Homöopathie-Studien, wenn sie es denn in respektable Journale schaffen, einfach ignoriert werden und unkommentiert stehen bleiben. Der US-amerikanische Skeptiker und Neurologe Steven Novella beklagt seit langem den „Missbrauch“ wissenschaftlicher Methodik der Evidenzbasierten Medizin für Zwecke der Legitimation von Pseudomedizin. So schreibt er u.a.:
Es ist nicht verwunderlich, dass Befürworter zweifelhafter Therapiemethoden das Konzept der Plausibilität nicht mögen. Sie sonnen sich im Licht der (primär medizinstatistisch ausgerichteten, Anm. INH) Evidenzbasierten Medizin, wo sie sich nicht für extreme wissenschaftliche Unplausibilität verantworten müssen […].
CAM-Fürsprecher versuchen, Plausibilität als bloße Verzerrung darzustellen, die uns nur von einer effektiven Behandlung abbringen wird. […] CAM-Fürsprecher neigen dazu, mit der Überzeugung zu beginnen, dass ihre Behandlungen funktionieren, und versuchen, eine wissenschaftliche Begründung zu finden, die ihnen hilft, ihre Behandlung zu vermarkten.
Und genau darum geht es hier. Die völlige Unplausibilität der Homöopathie „verschwindet“ hinter scheinbar beeindruckenden medizinstatistischen Daten, die nach unseren Analysen nicht auf wissenschaftlich korrekte Weise zustande gekommen sein können.
Insofern ist dies zunächst ein weiterer Zwischenbericht. Es bleibt abzuwarten, was mit der Publikation nun geschieht. Wir hoffen darauf, dass es in diesem Zusammenhang zu einer Erweiterung des Bewusstseins, bei Entscheidungsträgern wie in der Allgemeinheit, über den pseudomedizinischen Charakter der Homöopathie kommt, die sich – je nach Bedarf – entweder mit wissenschaftlichen Federn zu schmücken sucht oder sich auf ihre Rolle als „Erfahrungsheilkunst“ zurückzieht, die wissenschaftlichen Methoden nicht zugänglich sei.1
[1] Diese Ambivalenz wurde aktuell (24.10.2022) einmal mehr von einem Homöopathievertreter in einer Diskussionsrunde auf SWR2 nachdrücklich demonstriert.
Die Initiative für wissenschaftliche Medizin hat auf ihrer Webseite zusätzlich eine Chronologie der Ereignisse veröffentlicht.
3 Antworten auf „Verbesserungen beim Überleben von Lungenkrebspatienten mit homöopathischer Komplementärbehandlung (Frass et al. 2020) – Update zur Studienkritik (Oktober 2022)“
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