„Für mich besteht die Medizin nicht nur aus Wissenschaft, sondern auch aus Heilkunst. Erst beides zusammen ist gute Medizin. Leider fehlt bei konventionellen Ärzten oft die Kunst. Und bei der Alternativmedizin fehlt oft die Wissenschaft. Beides ist schlecht, weil es für den Patienten nicht optimal ist.“ (Edzard Ernst)
Viele Homöopathen machen sich dafür stark, dass Homöopathie und Medizin sinnvoll miteinander kombiniert werden müssten, dass sie Hand in Hand zusammenarbeiten sollten und sich gut ergänzen würden. Auch viele Patienten wünschen sich, dass Homöopathie und „Schulmedizin“ doch endlich das Kriegsbeil begraben und sich beide gemeinsam um sie kümmern mögen.
Sogar der ehemalige Ärztepräsident Hoppe meinte noch in den 1990er Jahren, es müsse eben das Beste aus „zwei Welten“ kombiniert werden, wir bräuchten einen „Pluralismus in der Medizin“ und gerade zur Beurteilung der Homöopathie sei die Wissenschaft eben „noch nicht weit genug“ – bis das der Fall sei, müsse man Toleranz walten lassen. Oft klingt es auch von anderer Stelle so, als gäbe es eben zwei Meinungen: Die einen hätten die Wunder der Homöopathie am eigenen Leib erlebt und zweifelten deshalb nicht an ihrem Erfolg und ihrer Wirksamkeit, die anderen hätten diese Erfahrung „noch“ nicht gemacht und wären deshalb dagegen. Vor diesem Hintergrund zu begreifen, dass die Frage „Wirkt die Homöopathie oder wirkt sie nicht?“ längst beantwortet ist und dass es heute wirklich nicht mehr um eine Kombination von Homöopathie und Medizin im Sinne der Annäherung von „Meinungen“ gehen kann, ist nicht leicht.
Natürlich hat die Homöopathie eine Wirkung, auch Kritiker bezweifeln dies keineswegs.. Jedoch, und das ist ganz entscheidend, es gibt keine Wirkung, die spezifisch und kausal durch die Inhalte der Globuli, durch Medikamentenbild und Lebenskraft bestimmt wäre. Es wirken psychologische Momente, es wirkt die Zeit, die bekanntlich vieles heilt, es gibt glückliche Zufälle und es gibt Effekte, die durch den Glauben und die Hoffnung an eine Wirksamkeit zu einer Heilung beitragen können (Placebo- und Kontexteffekte). Es treten Suggestionen und Autosuggestionen beim Therapeuten und beim Patienten auf. Manchmal sogar beides in Personalunion vereint, wenn man sich selbst homöopathisch behandelt. Das alles aufzudröseln ist viel komplexer als zu sagen: „Ich hab halt die Erfahrung gemacht, dass es nach den Globuli besser war. Also muss die Homöopathie ja wirken. Punkt!“.
Und während die Homöopathen Kritikern und Wissenschaftlern gerne vorwerfen, sie wollten sich nicht weiter mit „den Fakten“ beschäftigen, man „sehe“ doch, dass Homöopathie wirke, so müssten sie sich hier mal an die eigene Nase fassen. Kritiker gestehen der Homöopathie durchaus eine Wirkung zu und können diese auch mit dem heutigen Wissen aus der Psychologie, der Kognitionspsychologie und der modernen Placeboforschung schlüssig und ausreichend erklären. Das haben Homöopathen in 200 Jahren Homöopathie-Geschichte nicht geschafft – und auch gar nicht versucht. Homöopathen behaupten seit Hahnemanns Zeiten bis heute einfach, dass es an etwas anderem liegen müsse, das noch nicht gefunden sei („Energie“, „Information“, „Wassergedächtnis“). Dabei übersehen sie, dass so etwas nicht gefunden werden kann. Auch in Zukunft nicht. Warum? Siehe z.B. hier und hier.
Bekanntermaßen ist die Homöopathie beliebt als „Alternative“ zum zeitknappen medizinischen Alltag. Homöopathen fragen Dinge, die Patienten noch nie gefragt worden sind und geben ihnen damit das Gefühl, verstanden zu werden, als Menschen, als „Ganzes“. Das Anamnesegespräch, das in der homöopathischen Lehre nur der Findung des „einen, einzigen Mittels“ dient, erweckt den Anschein einer Art Psychotherapie-light (jedoch ohne die Professionalität eines ausgebildeten Psychotherapeuten). Patienten fühlen sich meist warm verstanden und schon dadurch geht es ihnen besser. Heute besteht jedoch kein Zweifel: Neben den Suggestionen aus dem intensiven Kontakt mit dem empathischen Homöopathen und den Globuli als eine Art „Träger“, einem „Botschafter“ dieser (Auto-)Suggestionen, bietet die Homöopathie nichts, das wir als Medizin bezeichnen könnten. Schon gar nicht ist sie eine Arzneitherapie, als die sie von den homöopathischen Verbänden propagiert wird. Es gibt inzwischen über 300 klinische Studien zur Homöopathie, die den Standards der evidenzbasierten Medizin einigermaßen entsprechen und die besten dieser Studien zeigen: Homöopathie wirkt nicht besser als Placebo. Es gibt jedoch auch eine gute Studie, die untersucht hat, ob dabei wirklich die Globuli „wirken“ oder ob es nicht vielmehr das therapeutische Setting der Homöopathie ist. Was, glauben Sie, kam heraus?
Die Medizin könnte von der Homöopathie durchaus lernen – und zwar in der Art, wie sie mit Patienten umgeht. Medizin ist nicht nur Wissenschaft, sie ist auch Heilkunst. Erst beides zusammen ergibt gute Medizin. Gute Medizin besteht nicht mehr aus Humbug und unhaltbaren Heilsversprechen, sondern gründet sich auf aktuelles Wissen und einen guten Umgang mit Patienten. Patienten haben Anspruch auf beides und nicht auf ein Entweder-Oder. Wirkt etwas nachweislich, so wird es in die normale Medizin aufgenommen. Dafür braucht die Medizin nicht verunklarende Begriffe wie „alternativ“, „komplementär“ oder „integrativ“. Wirkt es nicht, so hilft es Patienten auch nicht wirklich weiter. Tut Patienten etwas gut, das nichts mit einer pharmakologischen Wirksamkeit (Medizin) zu tun hat, so sollte uns das interessieren. Und das tut es ja auch. Viele psychologische Zusammenhänge erklären heute gut, warum sich Patienten bei der Homöopathie gut aufgehoben fühlen, warum sie Erfolge wahrzunehmen meinen und warum dies der Sehnsucht entspricht, die Menschen in Notsituationen und bei Krankheiten noch mehr haben als sonst: der Sehnsucht, es möge sich jemand gut um sie kümmern.
Homöopathie ist eine Methode, die ausschließlich auf Placebo- und anderen Kontext-Effekten beruht. Homöopathen sind oft sehr gut im Maximieren dessen, was als die Kunst in der Medizin bezeichnet wird. Die Homöopathie kann jedoch niemals eine optimale Behandlungsform sein, die doch stets aus Kunst und Wissenschaft bestehen muss. Um es krass auszudrücken und auf den Punkt zu bringen: Wer ausschließlich auf Kunst zurückgreift, bringt seine Patienten um einen (den) wesentlichen Bestandteil des ihm zustehenden therapeutischen Effekts: die kurative Behandlung seiner Beschwerden nach dem Stand der Wissenschaft. Letztlich verstößt ein solches Verhalten gegen die medizinische Ethik.
Die Autoren Prof. em. Edzard Ernst und Dr. med. Natalie Grams sind beide Ärzte. Dr. Grams ist voll ausgebildete und ehemals praktizierende Homöopathin, Prof. Ernst hat als Homöopath praktiziert und danach viele Jahre die Homöopathie beforscht. Sie kennen „beide Welten“ und wundern sich häufig, warum Homöopathen nicht bereit sind, sich dem Wissen der heutigen Zeit anzuschließen und damit wirklich gut für ihre Patienten zu sorgen.
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