Nein, es ist noch längst nicht vorbei. Nein, wir lassen diesen Epic Fail von „Die Wahrheit über … Homöopathie“ nicht einfach so stehen, damit sich die Homöopathie-Lobby damit schmücken und den Beitrag von rbb Fernsehen wegen „guten Journalismus“ feiern kann – wie auf Twitter bereits geschehen.
Beiträge im Zusammenhang mit der rbb-Produktion sind bei uns schon einige erschienen, hier, hier und hier. Die Homöopedia des INH hat sich detailliert mit dem „Dossier“ beschäftigt, das der rbb – auch das noch! – auf seiner Webseite zum Filmbeitrag veröffentlicht hat. Eine ebensolche Auseinandersetzung mit dem Filmbeitrag selbst wird noch folgen, ist aber naturgemäß weit aufwändiger.
Uns ist daran gelegen, dass die zuständige (Wissenschafts-)Redaktion auch wirklich in Kenntnis über unsere Kritikpunkte gesetzt wird. Wir verbinden damit die leise Hoffnung, Einsicht in die aus kritischer Sicht weitestgehend fehlgehende Produktion zu wecken, wir bieten seitens des INH auch gern Austausch und Unterstützung zum Thema an, sollte dies erwünscht sein.
Bezugnehmend auf die Analyse des „Dossiers“ bei der Homöopedia hat das INH deshalb den nachfolgenden Offenen Brief an Radio Berlin Brandenburg gerichtet:
An den
Rundfunk Berlin Brandenburg
z.Hd. Frau Patricia Schlesinger
z.Hd. Herrn Christoph Singelnstein
z.Hd. Frau Ilona Marenbach
z.Hd. Frau Angelika Worthmüller
z.Hd. Herrn Sven Oswald
Masurenallee 8-14
14057 Berlin
21. Oktober 2020
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) klärt seit 2016 darüber auf, dass es sich bei der Homöopathie um eine Scheintherapie handelt, die weder jemals einen validen Wirkungsnachweis erbringen noch die Unvereinbarkeit ihrer Grundannahmen mit wissenschaftlich bestens belegten Grundlagen ausräumen konnte. Mit diesem Hintergrund sehen wir uns veranlasst, auf falsche und irreführende Darstellungen auf Ihren Webseiten Dossier zur Sendung „Die Wahrheit über… Homöopathie“ mit Stand vom 30.09.2020 aufmerksam zu machen.[1]
Wir sehen hier dringenden Korrekturbedarf, obwohl uns natürlich bewusst ist, dass diese Webseiten nach den eigentlich erforderlichen Änderungen nicht mehr zu dem begleitenden, einseitig homöopathiefreundlichen Fernsehbeitrag passen würden. Wir bereiten zur Zeit eine ausführliche Stellungnahme zu dieser Sendung vor. Das vorliegende Schreiben betrifft nur die Webseiten.
Zusammengefasst lautet unsere Kritik, dass Ihre Webseiten das Publikum über die Gesetzeslage und den Stand der Wissenschaft zur Homöopathie völlig in die Irre führen und obendrein falsche oder irreleitende Behauptungen von Homöopathievertretern als feststehende Tatsachen darstellen. Die „Wahrheit“ über die Homöopathie geben die Seiten nicht einmal annähernd wieder. Insofern muss es geradezu beschämend wirken, dass Sendung und begleitende Webseiten von einer Wissenschaftsredaktion verantwortet werden.
Zunächst kurz zum Thema der Seiten:
Die Homöopathie hat es in den über 200 Jahren seit Ihrer Erfindung nicht vermocht, in Studien eine arzneiliche Wirksamkeit über Placebo hinaus unter Beweis zu stellen, dies bei keiner Indikation. Eine Aussage wie z.B. „Es gibt positive Studien“ ist daher grob irreführend. Die Grundprinzipien der Homöopathie wie das „Ähnlichkeitsprinzip“ und die „Potenzierung“ haben in der Natur außerhalb der Homöopathie keine Gültigkeit – und innerhalb, ist man konsequent, demzufolge auch nicht. Sie entstammen einer Zeit, als viele physikalische, chemische und anatomische Gegebenheiten, die heute selbstverständlicher Schulstoff sind, schlicht noch nicht bekannt waren – wie etwa Bakterien, Viren, Hormone, Enzyme, die Funktionen des Blutes und sogar das Fieberthermometer. Und während sich Medizin und Naturwissenschaften in den letzten beiden Jahrhunderten rasant fortentwickelt haben und dies weiterhin tun, ist die Homöopathie auf dem Erkenntnisstand des frühen 19. Jahrhunderts stehengeblieben.
Im weitestmöglichen Widerspruch zu diesen Fakten und basierend auf einem populären, aber falschen Verständnis davon, was klinische Studien überhaupt zu leisten imstande sind, behaupten die Webseiten eine (gar nicht vorhandene) positive Studienlage und verweisen dazu auf fünf handverlesene Einzelstudien. Von diesen sind vier indes methodisch schlecht oder grob fehlerhaft, was wir wissenschaftlich belegen können, während es in einer weiteren sogar wörtlich heißt (Übersetzung durch uns): „Das Ziel dieser Studie war es jedoch nicht, die Wirksamkeit der homöopathischen Arzneimittelbehandlung zu untersuchen“, wozu sie, wie die Studienautoren also auch selbst schreiben, methodisch gar nicht geeignet war.
Dieser Punkt ist von grundsätzlicher Bedeutung: Wenn man in Vergleichsstudien Mittel ohne Wirkstoff (Homöopathika) mit anderen Mitteln ohne Wirkstoff (Placebos) vergleicht, werden die Ergebnisse der Studien „um die Nulllinie“ herum schwanken, d.h. es werden zwangsläufig auch ein paar „positive“ Studien dabei herauskommen.
Es ist falsch, um nicht zu sagen manipulativ, der Öffentlichkeit eine kleine Auswahl dieser (in Wirklichkeit falsch-positiven) Studien als repräsentativ für den Stand des medizinischen Wissens zu präsentieren.
Gleichzeitig findet sich nicht einmal im Ansatz ein Hinweis auf die maßgebliche Gesamtstudienlage, wie sie sich u.a. in aktuell elf indikationsübergreifenden Systematischen Reviews manifestiert, darunter vier von Homöopathen finanziert und durchgeführt: Belastbare und stabil reproduzierbare Nachweise einer Wirksamkeit über Placebo fand keiner davon, dies im Einklang mit der naturwissenschaftlichen Unplausibilität der Homöopathie. Berücksichtigen Sie dabei bitte, dass klinische Vergleichsstudien zwischen wirkungslosen Mitteln kein schlechteres Ergebnis zeitigen können als „es zeigt sich keine Wirkung über Placebo“.
Im Gegenteil suggerieren die Seiten sogar, es gebe gar „nicht genügend“ viele Studien und dass keine finanziellen Mittel dafür zur Verfügung stünden. Beides ist einfach falsch.
Bei den beiden Metastudien von 2005 und 2015, die Ihre Seiten tatsächlich erwähnen, folgen Sie dem ins Verschwörungstheoretische changierenden Narrativ der homöopathischen Interessenvertreter, die Ergebnisse seien von den Autoren zugunsten eines „negativen“ Ergebnisses manipuliert worden. Auch dies ist belegbar falsch.
Diesbezüglich nicht vorgebildete Leserinnen und Leser werden der Berichterstattung durch eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt höchstwahrscheinlich Vertrauen schenken. Es ist irritierend und enttäuschend, dass Ihre Webseiten im Widerspruch zu dem Ihnen obliegenden Bildungsauftrag der faktenfernen Selbstdarstellung der Homöopathie eine Plattform bieten, nicht zuletzt dadurch, dass Sie als weiterführende Informationsquellen ausschließlich Homöopathen benennen und keine einzige kritische Quelle wie die EASAC (der Rat der europäischen Wissenschaftsakademien)[2] oder etwa die Freiburger Erklärung des Informationsnetzwerks Homöopathie.[3]
Nicht einmal die wenigen Erwähnungen kritischer Stimmen sind korrekt. Vielmehr werden ihnen Äußerungen „in den Mund gelegt“, die völlig an der wissenschaftlichen Position der Kritik vorbeigehen. So fordern „Kritiker“ keineswegs den Einsatz der Homöopathie als begleitende „Therapie“ (welchen Sinn sollte das bei Mitteln ohne Wirkungsnachweis haben?). Ebensowenig führen „Kritiker“ mögliche Einsparungen im Gesundheitswesen als Argument für die Abschaffung der Kostenerstattung durch die Krankenkassen an.
Beides ist grundfalsch und geht an der wissenschaftlich-kritischen Argumentation gegen die Privilegierung der Homöopathie vorbei. Diese fehlleitende Darstellung gipfelt jenseits jeder sachlichen Darstellung darin, den „Kritikern“, zu denen immerhin eine weit überwiegende Mehrheit von Ärzten und Wissenschaftlern und eine zunehmende Zahl von akademischen und staatlichen Einrichtungen, Gesundheitsbehörden und Ärztekammern in Deutschland und weltweit gehören, die Vernunft abzusprechen.
Kaum ein Satz auf diesen Webseiten hält einer kritischen Prüfung stand, beginnend beim angeblich „riesigen Potential“ der Homöopathie – nach hunderten ergebnislosen Studien (würde man einem 35-jährigen Drittligaprofi ein „riesiges Potential“ attestieren?) über die zweifellos vorhandene Beliebtheit (Tabakkonsum und Falschparken sind auch beliebt) und nicht endend bei den „vielen guten Erfahrungen“ von Patienten. Vom fehlenden Hinweis auf den „Danach, also deswegen“-Fehlschluss ganz abgesehen: Über die schlechten Erfahrungen wird natürlich nicht berichtet.
Eine detaillierte Gegenüberstellung der Aussagen des „Dossiers“ mit den wissenschaftlichen Fakten finden Sie in der Online-Enzyklopädie des INH, darin auch einige Vorschläge für korrekte Formulierungen zu den einzelnen Überschriften.[4]
Wir unterstützen Sie gerne beim Verfassen einer verbesserten Webseite. Folgen Sie dem Beispiel anderer öffentlich-rechtlicher und privater Medienhäuser, die wissenschafts- und faktenbasiert über die Homöopathie berichten. Tun Sie Ihrem Bildungsauftrag Genüge und bereiten Sie Faktenleugnern nicht den Weg. Mehr denn je ist es angesichts der aktuellen Herausforderungen (Stichwort Corona) geboten, Mythen und Legenden keinen unkritischen medialen Raum zu geben.
Wir danken Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und stehen Ihnen gern in jeder Ihnen genehmen Form für einen Austausch zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Für das Informationsnetzwerk Homöopathie:
Prof. Dr. Jutta Hübner | Dr.-Ing. Norbert Aust | Dr. med. Christian W. Lübbers | Udo Endruscheit |
Leiterin und Sprecherin | Initiator und Sprecher | Sprecher | Sprecher |
Referenzen:
[1] https://www.rbb-online.de/wahrheit/2020/homoeopathie0/homoeopathie.html [2] https://easac.eu/fileadmin/PDF_s/reports_statements/EASAC_Homepathy_statement_web_final.pdf [3] https://netzwerk-homoeopathie.info/freiburger-erklaerung-zur-homoeopathie/ [4] https://www.homöopedia.eu/index.php/Artikel:Fernsehbeiträge_zur_Homöopthie_-_Die_Webseite_des_rbbWir klären auf – Sie haben die Wahl, so lautet unser Motto. Damit haben wir allerdings nicht die Wahl gemeint, bei der sich rbb Fernsehen als Vertreterin der Medienwelt für eine wissenschaftsferne, der Agenda der Homöopathen folgende mediale Darstellung entschieden hat. Jedoch wollen wir auch an dieser Stelle aufklären und unsere Unterstützung anbieten.
Eine Antwort auf „Offener Brief des INH an die Wissenschaftsredaktion von rbb Fernsehen – zum Dossier „Wahrheit über … Homöopathie““
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