Einführung
Studien zur Homöopathie werden nach wie vor veröffentlicht. In aller Regel sind dies solche, die keine sonderlichen Überraschungen bieten: Sind sie gut gemacht, zeigen sie keine über Placebo / Kontexteffekte hinausgehende Wirksamkeit. Wenn die Autoren jedoch eine Wirksamkeit feststellen konnten, dann findet man zumeist recht schnell methodische Schwachpunkte, Fehler in der Auswertung oder Ähnliches.
Im Oktober 2020 wurde hingegen eine Studie veröffentlicht, die dieser Erfahrung augenscheinlich widerspricht: gut gemacht und doch eine starke Wirkung der Homöopathie. Sie belegt vermeintlich außerordentlich deutliche Effekte einer homöopathischer Zusatzbehandlung auf die Überlebensdauer und die Lebensqualität von Lungenkrebspatienten. Also keine Effekte bei Beschwerden, die von auch selbst vergehen wie einem Schnupfen oder einer Durchfallerkrankung, sondern bei einem sehr schweren Krankheitsbild, das praktisch unausweichlich zum Tod führt.
Irrt die Physik also doch oder stimmt etwas mit der Studie nicht? Eine Arbeitsgruppe des INH und der Initiative für wissenschaftliche Medizin aus Wien hat die Arbeit daraufhin sehr gründlich untersucht. Hier veröffentlichen wir die leicht überprüfbaren Kernpunkte der Kritik, ein ausführlicher Bericht für unsere Homöopedia ist in Arbeit. Spoiler: Die Physik irrt nicht.
Weil nicht sein darf, wenns nicht so war:
Auseinandersetzung mit einer im Oktober 2020 veröffentlichten Studie zur homöopathischen Zusatztherapie bei nicht-kleinzelligem Lungenkrebs
Norbert Aust, Viktor Weisshäupl
Zusammenfassung
Die Ergebnisse der Studie zur zusätzlichen homöopathischen Therapie bei nicht-kleinzelligem Lungenkrebs erscheinen auf den ersten Blick als valide [1]. Jedoch:
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- Das Studienprotokoll zeigt zwar Festlegungen, die auch in großem Umfang in der Veröffentlichung zu finden sind. Das im Protokoll angegebene Datum vor Beginn der Studie ist jedoch falsch. Das Protokoll wurde erst ca. zwei Monate nach Abschluss der Datenerfassung durch Hochladen zu den Registrierungsdaten veröffentlicht.
- Gegenüber den Festlegungen in der vor Studienbeginn erfolgten Registrierung wurden erhebliche Veränderungen der Parameter vorgenommen, die in der Veröffentlichung weder erwähnt noch begründet oder diskutiert werden.
- Wesentliche Festlegungen mit Einfluss auf die Ergebnisse wurden erst mit dem Hochladen des Protokolls eingeführt, nämlich die drastische Verkürzung der Beobachtungszeit im Hauptkriterium sowie eine erhebliche Erweiterung der Ausschlusskriterien, die mithin erst einige Zeit nach dem Ende der Datenerfassung festgelegt wurden.
- Gründe für die zusätzlichen Ausschlusskriterien werden nicht angegeben und sind nicht erkennbar. Die Kriterien scheinen nicht nach nachvollziehbaren Erfordernissen der Untersuchung festgelegt worden zu sein.
- Die mittels dieser Kriterien ausgeschlossenen Patienten werden nicht erwähnt und erscheinen nicht im CONSORT-Diagramm.
- Die Ergebnisse zur Lebensdauer der Patienten zeigen Merkmale, wie sie entstehen, wenn sie aus zwei gleichwertigen Verläufen der Überlebensfunktionen alleine durch gezielten Ausschluss von unerwünschten Datenpunkten erzeugt werden.
- Es ist nicht glaubhaft, dass eine derartig starke Wirksamkeit homöopathischer Mittel, wie sie hier festgestellt worden ist, in den bisher vorliegenden Studien und Übersichtsarbeiten unentdeckt geblieben sein soll.
In Anbetracht dieser Faktenlage erscheint es naheliegender, von einer nachträglichen Anpassung der Ergebnisse im Sinne eines gewollten Resultats als von einer validen Studie auszugehen. Ein Zurückziehen der Arbeit scheint angebracht.
Im Einzelnen
In diesem Artikel wird gezeigt, dass die herausragend erscheinenden Ergebnisse der im Oktober 2020 veröffentlichten Studie zur homöopathischen Zusatzbehandlung von Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs [1], deretwegen diese Arbeit in Kreisen der Homöopathie Begeisterung hervorruft, sehr wahrscheinlich nicht auf einer streng nach wissenschaftlichen Kriterien durchgeführten Untersuchung beruhen. Vielmehr ist zu vermuten, dass durch nachträgliche Anpassung wichtiger Studienparameter das Ergebnis in eine bestimmte Richtung verzerrt wurde. Wir werden dies anhand folgender im Internet allgemein zugänglicher Informationen belegen:
All diese Daten sind ohne weiteres im Internet abrufbar und der Leser kann somit jede einzelne unserer Aussagen überprüfen.
Wir haben einen Leserbrief an das veröffentlichende Journal eingereicht, der jedoch bislang (Stand 6. Juni 2021) noch nicht veröffentlicht ist.
Die Studie
Die Studie erfüllt auf den ersten Blick in geradezu hervorragender Weise alle Anforderungen an einen validen Nachweis der Wirksamkeit:
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- Es gibt ein Studienprotokoll, das auf den 11. Januar 2011 datiert ist, also weit vor Beginn der Untersuchungen, in dem bereits die wesentlichen Bedingungen festgelegt sind, wie sie sich auch in der später veröffentlichten Studie finden.
- Die Studie wurde bei clinicaltrials.gov registriert, ebenfalls bevor die Rekrutierung der Patienten begonnen hatte.
- Die dargestellten Verfahren zur Randomisierung und Verblindung sind ohne jeden Zweifel geeignet, die Anforderungen an ein niedriges Risiko eines Bias zu erfüllen.
- Die Darstellung in der Veröffentlichung selbst folgt den im CONSORT-Statement festgelegten Prinzipien zur Ergebnispräsentation.
- Die Studie ist in einem renommierten Journal mit Peer Review veröffentlicht worden.
Dabei zeigt die Studie durchweg hervorragende Ergebnisse zugunsten der Homöopathie: In der Gruppe, die die homöopathische Zusatztherapie erhielt, besserte sich die Lebensqualität kontinuierlich, während es den Patienten der Placebogruppe immer schlechter ging und bei ihnen zudem auch noch die mittlere Überlebenszeit nur gut halb so lang war wie bei homöopathischer Zusatzbehandlung.
Der Eindruck einer validen Studie hält jedoch, wie wir hier zeigen werden, einer näheren Betrachtung nicht stand.
Veränderungen der Studienparameter
Zwischen der ersten Registrierung im Januar 2012 (Link) bzw. dem kurz darauf erfolgten Start der Studie im Februar 2012 und der Veröffentlichung im Oktober 2020 sind wichtige Studienparameter stark verändert worden.
Registrierung Januar 2012 |
Veröffentlichung Oktober 2020 |
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Zahl der Teilnehmer | 600 | 150 |
Zahl der Studienarme | 2 | 3 |
Zahl der Ausschlusskriterien | 1 | 20 |
Beobachtungszeit Lebensqualität | 104 Wochen (*) | 18 Wochen |
Zahl der Krebsarten | 3 | 1 |
(*) Abgeleitet aus der Angabe „Time Frame: 7 Years“ abzüglich der Rekrutierungszeit von 5 Jahren |
Besonders hervorzuheben ist die drastische Verkürzung der Beobachtungsdauer für die Lebensqualität der Patienten, die als das Hauptzielkriterium für die Studie definiert wurde, sowie die erhebliche Erweiterung der Ausschlusskriterien für Studienteilnehmer. Beide Aspekte sollen im Folgenden genauer betrachtet werden.
Im Gegensatz zu einem für eine wissenschaftlich valide Studie erforderlichen Vorgehen werden diese Veränderungen in der veröffentlichten Arbeit nicht erwähnt und es wird schon gar nicht begründet, warum sie notwendig wurden. Der Einfluss auf das Ergebnis wird ebenfalls nicht diskutiert.
Das Studienprotokoll
Bei den Daten der Registrierung ist ein Studienprotokoll hinterlegt, das am 18. September 2019 erstmals hochgeladen wurde (Link), also rund zwei Monate nach dem Ende der Datenerfassung. Dieses Dokument trägt selbst das Datum vom 11. Januar 2011, also rund ein Jahr, bevor die Studie registriert wurde. Dieses Datum ist jedoch offensichtlich unzutreffend, denn es gibt erhebliche Diskrepanzen zwischen den im Protokoll festgelegten Parametern und den ein Jahr später bei der Registrierung angegebenen Daten:
Protokoll, angeblich Januar 2011 |
Registrierung Januar 2012 |
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Zahl der Teilnehmer | 300 | 600 |
Zahl der Studienarme | 3 | 2 |
Zahl der Ausschlusskriterien | 9 | 1 |
Beobachtungszeit Lebensqualität | 18 Wochen | 104 Wochen (*) |
Zahl der Krebsarten | 1 | 3 |
(*) Abgeleitet aus der Angabe „Time Frame: 7 Years“ abzüglich der Rekrutierungszeit von 5 Jahren |
Es ist keine schlüssige Erklärung dafür vorstellbar, dass die Festlegungen des Studienprotokolls zwar Angaben aus der späteren Veröffentlichung enthalten, diese aber bei der nur kurz nach dem Protokoll erfolgten Registrierung nicht angegeben wurden. Diese Diskrepanz kann nur zu dem Schluss führen, dass dieses Protokoll nicht zu dem angegebenen Datum verfasst wurde, sondern wesentlich später. Dieser Eindruck wird dadurch gestützt, dass das Protokoll Informationen enthält, die zum angegebenen Datum noch gar nicht verfügbar waren, auf Seite 10 etwa die Bezugnahme auf die Version 25 des zur Auswertung benutzten Softwarepakets SPSS, von dem zum angegebenen Datum erst die Version 19 aktuell war.
Es gibt noch einen zweiten Hinweis. Ebenfalls auf Seite 10 des Protokolls werden die Fragebögen zur Erhebung der Lebensqualität beschrieben, darin steht “(EORTC-QLQ-C30 remaining dimensions; SF-36; subjective well-being)25 “. Die 25 sieht aus wie ein Literaturverweis und ist es auch, aber nicht im Protokoll selbst, denn das hat kein Literaturverzeichnis. In der veröffentlichten Studie hingegen verweist die 25 auf eine Arbeit über eben diesen Fragebogen SF-36. Es scheint also angemessen, davon auszugehen, dass die Texte der veröffentlichten Studie und des Protokolls zumindest zeitweise parallel bearbeitet wurden und dass die fragliche Stelle im Protokoll die Folge einer etwas missglückten Copy&Paste-Aktion ist.
Der Zeitpunkt der Fertigstellung des Protokolls kann daher in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Hochladen (September 2019) vermutet werden, mithin also erst deutlich nachdem die Datenerfassung abgeschlossen war.
Durch die offensichtlich unzutreffende Datumsangabe im Studienprotokoll entsteht der Eindruck, die Studienparameter seien schon ein Jahr vor Studienbeginn festgelegt und dann konsequent im Verlauf der Studie beibehalten worden, was allerdings, wie bereits gezeigt wurde, nicht der Fall ist.
Veränderung der Ausschlusskriterien
Mit dem zwei Monate nach Abschluss der Datenerfassung veröffentlichten Protokoll wurde die Zahl der Ausschlusskriterien von ursprünglich einem (Schwangerschaft) auf zunächst neun, in der endgültigen Veröffentlichung sogar auf 20 Kriterien erhöht. Letzteres erfolgte mit Sicherheit erst nach dem Hochladen des Protokolls, also lange nachdem die Datenerfassung beendet war. In der Studie wird keine Begründung für diese Maßnahme geliefert. Es finden sich auch keine Angaben, wie viele Patienten auf diese Weise ausgeschlossen wurden und zu welchem Zeitpunkt dies geschehen ist.
Im Flussdiagramm in Abb. 3 der Studie erscheinen – im Gegensatz zur üblichen Vorgehensweise und zu den Vorgaben des CONSORT-Statements – diese Patienten nicht. Sie sind einfach nicht existent. Dass es sie aber gegeben haben muss, ist naheliegend: Wofür legt man im Verlauf der Untersuchungen und vielfach sogar nach deren Abschluss sonst eine Vielzahl von Ausschlusskriterien fest, wenn diese nicht angewendet werden sollen?
Nach Lage der Dinge ist also davon auszugehen, dass eine unbekannte Zahl von Patienten erst zu einem Zeitpunkt aus der Studie ausgeschlossen wurde, als die Datenerfassung bereits beendet war. Immerhin elf der Ausschlusskriterien wurden offensichtlich erst nach dem Hochladen des Protokolls festgelegt, also mit Sicherheit nachdem die Ergebnisse der Patienten vorlagen.
Dies wirft die Frage auf, warum diese zahlreichen Ausschlusskriterien ohne eine Erklärung der Notwendigkeit überhaupt eingeführt wurden. Man sollte vermuten können, dass eine Therapie, die bei Lungenkrebspatienten in späten Stadien eingesetzt werden soll, auch unter den Gegebenheiten wirksam sein sollte, die bei solchen Patienten üblicherweise vorliegen. Bei Patienten in fortgeschrittenem Lebensalter, wie in dieser Studie, dürfte es zu erwarten sein, dass auch ohne die Krebserkrankung gesundheitliche Probleme vorliegen. Ist es dann sinnvoll, Patienten, die an Nieren- oder Lebererkrankungen, Erkrankungen des Blutes, koronarer Herzerkrankung oder Rheuma als Autoimmunerkrankung leiden, auszuschließen? Zumal die Homöopathie ja für sich in Anspruch nimmt, den Patienten als Ganzes sehr individuell therapieren zu können – wovon man am Anfang der Studie offensichtlich auch ausging, denn dass Patienten in fortgeschrittenem Lebensalter Komorbiditäten mitbringen, dürfte auch damals bekannt gewesen sein.
Überraschenderweise wurden aber nicht alle mit höherem Alter einhergehenden Beschwerden ausgeschlossen, etwa Diabetes, Bluthochdruck, Magen- und Darmerkrankungen oder auch COPD waren keine Gründe, dass ein Proband nicht an der Studie hätte teilnehmen dürfen.
Nur für wenige der Kriterien ist nachvollziehbar, dass die Patienten nicht teilnehmen könnten, beispielsweise, wenn sie mit der Teilnahme an der Studie nicht einverstanden waren.
Auswirkungen auf die Überlebenszeit
Wir beschränken uns hier auf den Vergleich zwischen den Behandlungsgruppen, die Homöopathika bzw. Placebo erhielten. Die Ergebnisse des dritten Studienarms ohne Zusatzbehandlung werden nicht betrachtet.
Wenn die Überlebenskurven der Arbeit durch nachträglichen Ausschluss von Teilnehmern entstanden sind, dann lässt sich das unter gewissen Umständen an den Daten erkennen. Hierzu haben wir einen Modellversuch mit an den typischen Verlauf von Lebensdauerkurven angepassten zufälligen Verteilungen durchgeführt.
Hierzu wurden aus zwei gleichverteilten Zahlenmengen (jeweils n = 80) im Wertebereich von 0 bis 200 hypothetische Lebensdauerkurven modelliert (dünne Linien). Beide stimmen gut überein und zeigen die gleiche mediane Überlebensdauer von 27 Wochen. Streicht man bei der einen Kurve 15 der 20 Teilnehmer mit den kürzesten Überlebenszeiten (“Hom”) bzw. den längsten Überlebenszeiten bei der anderen (“Plac”), dann ergeben sich die dick gezeichneten Kurven.
Die neu entstandenen Kurven zeigen charakteristische Veränderungen:
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- Der Median der roten Kurve sinkt um 8 Wochen auf 19 Wochen.
- Der Median der blauen Kurve steigt stärker, um 12 Wochen auf 39 Wochen.
- Der Unterschied der beiden Kurven entsteht in den ersten 12 Wochen: Nach der blauen Kurve versterben 8, nach der roten Kurve 23 Patienten bis zum Ende der Woche 12, im weiteren Verlauf bis T = 80 W sterben in beiden Gruppen etwa gleich viele Patienten (blau 36, rot 37).
Danach nehmen die Unterschiede wieder ab, denn zu einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt werden alle Teilnehmer verstorben sein.
Genau diese Charakteristika findet man in den in der Studie wiedergegebenen Überlebenskurven:
Wenn man davon ausgeht, dass die Homöopathie wirkungslos geblieben ist, dann müsste sich in beiden Gruppen der bei standardmäßiger Behandlung zu erwartende Verlauf ergeben, wofür in der Studie ein Median von 10,1 Monaten = 303 Tagen Überlebenszeit angegeben wird. Davon abweichend zeigen die Studienergebnisse:
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- Der Median der Placebogruppe liegt mit 257 Tagen 46 Tage unter dem zu erwartenden Wert unter standardmäßiger Behandlung.
- Der Median der Homöopathiegruppe liegt mit 435 Tagen um 132 Tage darüber.
- Der Vorteil der Homöopathiegruppe resultiert alleine aus den ersten neun Wochen: In der Homöopathiegruppe versterben nur 2 Teilnehmer (von 51), unter Placebo hingegen 11 (von 47). Bis zum Ende der Beobachtungszeit versterben in beiden Gruppen dann etwa gleich viele Patienten: 26 in der Homöopathiegruppe, 25 in der Placebogruppe.
Das zwangsläufige spätere Zusammenlaufen der Kurven liegt hier offensichtlich außerhalb des Betrachtungszeitraums.
Die Studienergebnisse zur Lebensdauer zeigen also Merkmale, wie sie zu erwarten sind, wenn die Überlebensfunktionen ausgehend von ähnlichen Verläufen durch gezielten Ausschluss unerwünschter Datenpunkte entstanden sind. Ohnehin lässt die in beiden Gruppen praktisch gleichlaufende Entwicklung, obwohl die Zusatzbehandlung die gesamte Beobachtungszeit weitergeführt wurde, auf eine mangelnde Wirksamkeit der Homöopathie im Vergleich zu Placebo schließen. Schließlich müssten die Kurven in der Zeit, in denen die Homöopathika eine positive Wirkung ausüben, divergieren.
Abkürzung der Beobachtungszeit
In der Studie wurde die Lebensqualität als primäres Ergebniskriterium definiert. Bei der Registrierung wurde festgelegt, dass die Patienten während der gesamten Laufzeit der Studie von sieben Jahren beobachtet werden, was bei Berücksichtigung der Rekrutierungsdauer von fünf Jahren eine Beobachtungszeit von zwei Jahren bzw. 104 Wochen ergibt. Nach den Angaben in der Studie wurde dies auch so durchgeführt: Zwei Jahre lang bzw. bis zu ihrem Tod wurden die Patienten alle neun Wochen einbestellt und die Fragebögen zur Ermittlung der Kennzahlen für die Lebensqualität ausgefüllt. Demnach liegen diese Daten also vor.
Dass nur die ersten 18 Wochen in die Auswertung einfließen, wurde erstmals in dem nach Abschluss der Datenerfassung hochgeladenen Protokoll beschrieben, also vermutlich auch erst nach Abschluss der Datenerfassung entsprechend festgelegt. Durch diese neue Festlegung wurden über 80 % der vorliegenden Daten ausgeschlossen.
Das unvollständige Berichten von Ergebnissen, insbesondere wenn am Anfang der Studie ein größerer Umfang festgelegt wurde, gilt als ein ganz erheblicher Qualitätsmangel für klinische Studien: Mag sein, dass die Patienten durch welchen Effekt auch immer anfänglich eine Verbesserung ihrer Lebensqualität erlebt haben – aber waren die Befunde nach dieser Anfangsphase vielleicht deutlich schlechter als in der Vergleichsgruppe? Erwies sich die Therapie in der weiteren Folge vielleicht sogar als nachteilig? Das wäre ein wesentlicher Aspekt zur Beurteilung der Wirksamkeit, der aber hier fehlt. Mithin beruhen die Aussagen zur Lebensqualität – immerhin dem primären Ergebniskriterium – nur auf einem vergleichsweise kleinen zeitlichen Ausschnitt. Dies auf die Gesamtdauer der Studie zu übertragen, wäre jedenfalls nicht zu rechtfertigen. Auch im täglichen Leben kann eine solche Vorgehensweise in die Irre führen, sonst könnte man beispielsweise bei einem Fußballspiel nach 15 Minuten den Sieger festlegen und man brauchte sich nicht die gesamte restliche Spieldauer anzusehen.
Eine genauere Betrachtung der Ergebnisse zur Lebensqualität erübrigt sich aus diesem Grund, zumal sie sicher auch durch die mögliche Korrektur durch die zusätzlichen Ausschlüsse beeinflusst sein dürften.
Einordnung der Studienergebnisse
Die bisherige Gesamtevidenz zur Wirksamkeit der Homöopathie ist dürftig. Die Quintessenz aller bisherigen die Homöopathie insgesamt betrachtenden systematischen Reviews ist etwa, dass zwar, wenn man alle Studien unabhängig von ihrer Qualität in die Betrachtung einbezieht, ein marginaler Effekt erkennbar ist, dieses Ergebnis aber wegen der durchwegs unbefriedigenden Qualität der zugrunde liegenden Studien nicht belastbar ist (Link). Die jeweilige qualitative Bewertung der Studien hat deshalb zur Folge, dass die systematischen Reviews keine belastbare Evidenz zum Ergebnis haben. Zudem konnte bislang noch kein Krankheitsbild identifiziert werden, bei dem die Homöopathie einen klar erkennbaren Therapiegewinn bewirkt.
Die vorliegende Arbeit stellt indes einen geradezu krassen Gegenpol dieser langjährig gewachsenen und immer wieder bestätigten Gesamtevidenz dar. Bei den Patienten, die tatsächlich die verordneten Homöopathika erhielten, besserte sich die Lebensqualität während des stark verkürzten Betrachtungszeitraums in allen Punkten – inklusive der finanziellen Situation – praktisch kontinuierlich von Sitzung zu Sitzung, während bei den Placebopatienten die genau gegenteilige Entwicklung zu beobachten ist. Die mittlere Überlebenszeit ist bei den Homöopathiepatienten um rund zwei Drittel höher als in der Placebogruppe.
Es erscheint nach Jahrzehnten empirischer Forschung zur Homöopathie nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin kaum vorstellbar, dass eine derartig starke Wirksamkeit der Homöopathika, die, was die Wahl der Mittel angeht, in großer Vielfalt eingesetzt wurden, als realer Effekt in den bislang vorliegenden Studien noch nicht aufgefallen sein sollte. Die Verdunstungsrückstände und Verunreinigungen von geschütteltem Lösungsmittel sollen so starke Effekte hervorrufen können, dass sie prinzipiell tödlich verlaufende pathologische Prozesse deutlich verlangsamen können? Die aber bislang trotz der fieberhaften Suche nach Wirknachweisen für die Homöopathie nicht zu beobachten waren?
Es erscheint wesentlich plausibler, folgende Sachverhalte anzunehmen:
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- Die Überlebenszeiten der Placebogruppe sind deutlich schlechter ausgefallen, als es den von den Autoren zitierten Literaturangaben entspricht. Dies kann daher rühren, dass durch die Ausschlusskriterien Patienten mit positiven Verläufen entfallen sind.
- Die Überlebenszeiten der Homöopathiegruppe sind erheblich besser ausgefallen, als es den Literaturwerten entspricht. Dies kann ebenfalls durch die Ausschlusskriterien bedingt sein, indem Patienten mit schlechten Verläufen entfallen sind.
- Es widerspricht einer Wirksamkeit der Homöopathie, dass die hohen Unterschiede beider Gruppen alleine aus den ersten neun Wochen stammen, sich beide Gruppen danach aber trotz fortgeführter Behandlung praktisch gleich weiterentwickelt haben. Dies könnte jedoch eine Folge davon sein, dass die Vorteile der Homöopathie lediglich durch den Ausschluss unerwünschter Daten zustande gekommen sind.
- Bei der Lebensqualität (immerhin kein „hartes“ Kriterium, sondern auf Auskünften der Studienteilnehmer beruhend) können sich diese Maßnahmen ebenfalls positiv im Sinne der Homöopathie ausgewirkt haben, wobei dann der Bericht abgebrochen wurde, als die anfänglich positive Entwicklung zu Ende ging.
In der Quintessenz scheint also die Vermutung berechtigt, dass mit den bis zur Veröffentlichung erfolgten umfangreichen Veränderungen wesentlicher Studienparameter die Ergebnisse in eine bestimmte Richtung verschoben wurden. Entsprechend unserer These zu Anfang ist in der Studie nicht gewährleistet, dass die Ergebnisse möglichst wenig durch äußere Gegebenheiten oder Eingriffe in den Studienablauf beeinflusst oder entsprechende unvermeidliche Vorgänge in der Veröffentlichung transparent gemacht wurden.
Kurz: Die Studie stellt auf keinen Fall eine nach strengen wissenschaftlichen Regeln durchgeführte Untersuchung dar und die Ergebnisse sind daher nicht valide. Ein Zurückziehen der Studie erscheint angebracht.
Dr.-Ing. Norbert Aust
Informationsnetzwerk Homöopathie, Schopfheim, Deutschland
https://netzwerk-homoeopathie.info
Dr. med. Dr. phil. Viktor Weisshäupl
Initiative für wissenschaftliche Medizin, Wien, Österreich
http://www.initiative-wissenschaftliche-medizin.at/
Quelle
[1] Frass M, Lechleitner P, Gründling C et al. Homeopathic Treatment as an Add-On Therapy May Improve Quality of Life and Prolong Survival in Patients with Non-Small Cell Lung Cancer: A Prospective, Randomized, Placebo-Controlled, Double-Blind, Three-Arm, Multicenter Study. The Oncologist 2020;25:e1930–e1955Ein erstes Update (vom 09.08.2021) zu diesem Beitrag gibt es hier.
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8 Antworten auf „Verbesserungen beim Überleben von Lungenkrebspatienten mit homöopathischer Komplementärbehandlung ? (Frass et al. 2020) – Eine Studienkritik“
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