Wo ist das Problem?
Wir berichteten bereits über eine Veröffentlichung zur Tierhomöopathie im „Schweizer Archiv Tiermedizin“, die schon bei erster kritischer Durchsicht eine Vielzahl von Unzulänglichkeiten aufwies. Das INH hatte sich hierzu an die Redaktion des „Archivs“ gewandt. Dieser Vorgang ist derzeit noch nicht abgeschlossen.
In der Februarausgabe des Deutschen Tierärzteblattes, der Verbandszeitschrift der Bundestierärztekammer, erschien – im Editorial angekündigt und dort eingeführt durch einen Beitrag der 1. Vorsitzenden der Gesellschaft für ganzheitliche Tiermedizin e.V. – ein Artikel von Dr. Jürgen Deeg mit dem Titel: „Regulationsmedizin – Mehr als nur eine Alternative“. Hinter dem euphemistisch-verschleiernden (und durchaus unzutreffenden) Titel verbirgt sich nichts anderes als eine Verteidigungsschrift für die Homöopathie, die einen starken Bezug zum Artikel im „Schweizer Archiv Tiermedizin“ aufweist.
Ziel und Inhalt des Artikels war es, der Kritik an der „Regulationsmedizin“, nämlich eine „Scheinmedizin mit Placeboeffekt“ zu sein, zu begegnen und womöglich sogar den Beweis zu führen, dass Studien das Gegenteil belegen würden.
Der Artikel wird seitdem intensiv diskutiert. Es hagelte förmlich Leserbriefe dazu, von denen in den folgenden Ausgaben (seit März) zahlreiche abgedruckt wurden.
„Proporzwahrend“ wurden sowohl Leserbriefe pro als auch contra „Regulationsmedizin“ abgedruckt. Bemerkenswerterweise ähnelten sich viele der eingesandten „pro“-Briefe in ihrem Inhalt derart stark, dass das der Redaktion eigentlich hätte auffallen müssen. (s. Abb. 1)
Insgesamt füllen die Leserbriefe dazu bisher mehr Seiten im Deutschen Tierärzteblatt als der Artikel selbst. Mit Recht kann man von einem kontrovers diskutierten Thema sprechen. Außerhalb des Tierärzteblattes wurde ebenfalls Kritik am Artikel laut (1) (2)
Eine ausführliche Replik zum Artikel schaffte es allerdings nicht in das Deutsche Tierärzteblatt – sie sei für eine Veröffentlichung zu lang, hieß es von Seiten der Redaktion. (Einen Leserbrief des INH selbst mochte man auch nicht veröffentlichen, da er – ohne nähere Erläuterung – nicht den redaktionellen Richtlinien enspreche und im Übrigen „kein Anspruch auf Abdruck bestehe“.)
Verfasst war die Replik im Auftrag der Gruppe „Tierärzte“ auf Facebook, die aktuell 3.036 Mitglieder zählt. Unterschrieben wurde er von 173 Tierärztinnen und Tierärzten, die eine krisch-evidenzbasierte Position vertreten. Von diesen sind auch einige Mitglieder oder Freunde des INH, die für unsere Ziele eintreten.
Diese Replik veröffentlichen wir nachstehend in voller Länge. denn auch wir sind der Ansicht, dass (nicht nur) die Unterzeichnenden mit Recht erwarten dürfen, dass einer so grundlegende Stellungnahme zumindest die Öffentlichkeit verschafft wird, die der „Regulationsmedizin“-Artikel bereits hatte.
Im Deutschen Tierärzteblatt wird in Kürze – fünf Monate nach Erscheinen des Originalbeitrages – nun wenigstens ein Leserbrief erscheinen, der zumindest einen Link auf die vorliegende Veröffentlichung auf der Webseite des INH enthält. So ist jedem / jeder InteressentIn (vor allem denjenigen, die seinerzeit AdressatInnen des Artikels im Deutschen Tierärzteblatt waren) die Möglichkeit eröffnet, sich umfassend über die Gegenposition zum „Regulationsmedizin“-Artikel zu informieren.
[1] https://www.volksverpetzer.de/kommentar/tieraerzte-homoeopathie/ [2] https://dergoldenealuhut.de/homoeopathie-im-deutschen-tieraerzteblatt-ein-offener-brief-an-die-bundestieraerztekammer/
Regulationsmedizin – Wirklich eine Alternative?
Eine Replik zu:
Deeg, J. Regulationsmedizin – Mehr als nur eine Alternative (Deutsches Tierärzteblatt 2021, 69 (2) S. 168-172)
Autoren: Malte Kubinetz und Rolf Wagels
Wenn sich ein Verfahren als wirksam erweist, wird es in die Medizin integriert. So etwas wie klassische Medizin vs. „Alternativmedizin“ gibt es nicht. Die Medizin ist offen für alles, was Heilung bringt. Und seien es Fliegenmaden in verschmutzten Wunden. Wenn es hilft, ist es Medizin. Aber was ist dann „Alternativmedizin“?
Das Unwirksame? Warum diskutieren wir beispielsweise nach über 200 Jahren immer noch über die Homöopathie? Werden wir der Sache nicht endlich überdrüssig?
Immerhin haben ausnahmslos alle homöopathischen Produkte eine Gemeinsamkeit: Ihnen fehlt der pharmakologische Wirkungsnachweis. Wir diskutieren also in erster Linie immer noch über Homöopathie, weil wir in einem Land leben, in dem es nicht verboten ist, Arzneimittel in den Verkehr zu bringen, die pharmakologisch gesehen wirkungslos sind und deren Hersteller daran ein großes Interesse bekunden. Der Gesetzgeber ermöglicht dies mit dem sogenannten Binnenkonsens [1], in Deutschland geht so etwas. Wir diskutieren deshalb immer noch über Homöopathie, weil wir Deutsche sind und Homöopathie eine deutsche Erfindung ist.
Neben dem ethischen Dilemma der Arznei ohne Wirkungsnachweis tut sich also gleich ein zweites auf. Die „Alternativmedizin” der Homöopathie ist nicht wie die klassische Medizin quasi der Gesamtkonsens der Mediziner weltweit, „der aktuelle Stand des Irrtums”, wie Hirschhausen zu sagen pflegt, sondern die historische Erfindung eines Einzelnen auf einem wackeligen Gerüst naturwissenschaftlicher Aberrationen: Nichts wird stärker, wenn man es verdünnt, Wasser speichert keine Informationen und auch keine kinetische Energie. Jeder, dem eine Coladose hinfällt, weiß: Nicht öffnen, sondern warten. Die durch den Sturz eingebrachte Energie verpufft entlang der Zeit. Ein wenig später verhält sich die Dose beim Öffnen wieder wie jede andere, die nicht geschüttelt wurde.
Behauptungen
Soweit die Fakten. Aber dann ist da ein einziger Erfinder, der genau das Gegenteil behauptet: Beim Schütteln ließen sich durch die eingebrachte Energie wahlweise Informationen oder Energie oder Schwingungen im Wasser speichern. Oder vielleicht sogar etwas noch gar nicht Entdecktes. Den Beweis für diese Behauptung blieb der Erfinder schuldig und seine Follower auch. Fortan ging es nicht mehr um Fakten, sondern um Behauptungen und subjektive Empfindungen, den Arzneiprüfungen beispielsweise. [2] Und darum, dass etwas richtig ist, wenn eine Reihe von Leuten die gleiche Erfahrung machen. Egal, welche Erfahrung die anderen machen. Plötzlich ist es nicht mehr wichtig, ob Erfahrungen statistisch relevant sind. Die „Alternativmedizin” erfindet die Fallbeobachtung, ist „Erfahrensmedizin”. So kreiert jeder Behandler seine eigene Wirklichkeit, basierend auf seinen eigenen guten Erfahrungen, die er mit der Methode gemacht hat. Für ihn wirkt‘s. Medizin geht anders. Der Goldstandard medizinischen Forschens ist die Studie mit relevant großen, ausgewogenen Probandengruppen, doppelt verblindet, placebokontrolliert. Und wenn man das sauber genug durchzieht, dann gelangt man auch schon mal zu unerwarteten Erfahrungen, beispielsweise, dass ACE-Hemmer bei der Behandlung der Kardiomyopathie des Hundes völlig unwirksam sind – nicht über den Placeboeffekt hinaus wirken. Das Tolle an der richtigen Medizin ist: solche Therapien verschwinden fortan aus den Leitlinien, obwohl Generationen von Tiermediziner*innen damit hervorragende Therapieerfolge erzielt haben. Soviel Selbstkritik muss sein.
Aber die vermeintliche Alternative ist doch viel ganzheitlicher?
Wirklich?
Ganzheitlichkeit wird im Studium gelehrt
Homöopathie ist nicht ganzheitlich: Sie schaut nur auf einzelne Symptome, echte Medizin nimmt viel mehr in ihre Betrachtungen auf: klinische Untersuchung, Blutwerte, Bildgebung, unzählige diagnostische Verfahren. Der Anspruch der Ganzheitlichkeit der Pseudomedizin ist ein Schlag ins Gesicht für jede sorgfältig arbeitende Kolleg*in. Übrigens: Keine der „Alternativmediziner*innen” hat ihre Profession im akademischen Studium gelernt. Nach wie vor speien unsere Hochschulen am Ende des Studiums tiptop klassisch gebildete Tiermediziner*innen aus. Die Haltung der akademischen Bildungsstätten auch in Deutschland zur „Alternativmedizin” ist eindeutig. Sie folgen lieber der Wissenschaft. Siehe unten.
Jeder „alternativmedizinisch” tätige Kollege, jede esoterisch praktizierende Kollegin hat demnach irgendwann nach ihrer akademischen Ausbildung begonnen, eigene Wahrheiten abseits des wissenschaftlichen Mainstreams zuzulassen. „Über den Tellerrand” haben sie geschaut. Dass einige dort hängengeblieben sind, verdanken wir eben nicht unserem akademischen Studium, sondern der postgradualen Weiterbildung, deren Höhepunkt sich im
Schwimmen mit Delfinen, der Kunst der Tierkommunikation mit Zecken oder dem Erwerb der Zusatzbezeichnung „Homöopathie” findet.
Tiermedizin ist hintendran
Unsere Humankolleg*innen sind da schon weiter: Von 17 Ärztekammern haben bisher 11 Kammern die Zusatzweiterbildung „Homöopathie” aus den Weiterbildungsordnungen entfernt, weitere 3 Kammern entscheiden in diesem Jahr. In der Tiermedizin denkt keine einzige Kammer auch nur darüber nach. Im Deutschen Tierärzteblatt erscheint ein Artikel über die Integration „alternativer” Medizin in der täglichen Praxis, der Fortbildungskalender ist gespickt mit Schwurbelkram. Die Vorsitzende der „Gesellschaft für ganzheitliche Tiermedizin e.V.”, die gleichzeitig im ATF Vorstand sitzt, schreibt ein Tutorial dazu. Dabei wurde in den letzten 200 Jahren viel und ausführlich vor allem über die Homöopathie, aber auch über den Unsinn anderer alternativer Verfahren wie Bachblüten, Bioresonanz oder Schüssler-Salzen geforscht. Mit klarem Urteil. Müssen wir also immer noch weiter über die Wirksamkeit der Homöopathie forschen und diskutieren?
Die Studienlage ist absolut eindeutig. Homöopathie wirkt nicht über den Placeboeffekt hinaus. Und das ist auch nicht im Studiendschungel verborgen, sondern in sowohl Metastudien, als auch Handlungsempfehlungen der Akademien der Wissenschaften weltweit veröffentlicht.
Nicht über den Placeboeffekt hinaus
Eine gute Aufstellung der systematischen Reviews findet sich in Homöopedia. Fazit: „Bei keinem der Reviews kommen die Autoren zu der Schlussfolgerung, dass ein überzeugender Nachweis für die Wirksamkeit der Homöopathie über Placebo hinaus geglückt sei, weder für die Homöopathie als ganzes Therapiegebäude noch für einzelne Krankheitsbilder. Die Gesamtlage aller Studien mag durchaus in Richtung einer gewissen Wirksamkeit zeigen, bezieht man aber deren Qualität in die Betrachtung mit ein, dann erweist sich dieses Ergebnis als nicht belastbar. Positive Effekte ergeben sich demnach, indem man Studien auswertet, bei denen mangelnde Qualität zu ins Positive überzeichneten Ergebnissen geführt haben können. Bemerkenswert ist, dass dieses Ergebnis in allen Reviews auftritt, auch in denen, die von Wissenschaftlern ausgeführt wurden, die sicher nicht gegen die Homöopathie voreingenommen waren, etwa die vier Arbeiten von Mathie, der für das Homeopathy Research Institute in England arbeitet (Stand Juli 2019) … Demzufolge kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass es derzeit tatsächlich keine belastbaren Nachweise einer über Placeboeffekte hinausgehenden
Wirksamkeit der Homöopathie bei der Behandlung von kranken Menschen gibt.
Weitere Seiteneffekte, die jedoch ebenfalls keine methodische Wirksamkeit widerspiegeln sind z.B. die körpereigene Heilung durch das Immunsystem, wellenförmiger Krankheitsverlauf, Regression zur Mitte, Stressabbau, Besserung der Lebensumstände etc. Umstände, die der erfahrene Tierarzt als Therapieeffekte nutzen kann. Nicht nur der Homöopath.
Völlig ausgeschlossen ist, dass die von ihren Verfechtern behauptete sehr starke Leistungsfähigkeit nachgewiesen worden wäre, die für die Homöopathie reklamiert wird. Aussagen, die die Homöopathie als zur konventionellen Medizin gleichwertige, wenn nicht gar als eine überlegene Therapieform hinstellen, basieren auf reinem Wunschdenken bzw. Täuschung und Selbsttäuschung, keinesfalls auf wissenschaftlich gesichertem Wissen.
Streng wissenschaftlich betrachtet ist das Fehlen eines Nachweises für die Wirksamkeit kein Nachweis für das Fehlen der Wirksamkeit. Allerdings deutet dieses mehrfach bestätigte Ergebnis durchaus in diese Richtung, denn vermutlich sind viele der den Reviews zugrundeliegenden Einzelstudien alleine zu dem Zweck entstanden, eine Rechtfertigung für die Existenz der Homöopathie zu liefern.
Um Homöopathika in Deutschland als Arzneimittel in Verkehr zu bringen, sind gemäß Arzneimittelgesetz keine Wirksamkeitsnachweise erforderlich. Eine Erprobung der Wirksamkeit in klinischen Studien ist kein Bestandteil der homöopathischen Lehre – und wird von vielen ihrer Vertreter sogar als sinnlos oder unmöglich abgelehnt. Wozu sollen diese Arbeiten also sonst dienen, als den Vorwurf der Unwirksamkeit aus Medizin und Naturwissenschaften werbewirksam zu widerlegen – was nach den Ergebnissen aller zusammenfassenden Betrachtungen bislang allerdings misslungen ist?“ [3]
Keine belastbare Evidenz
Weil wir in Deutschland diskutieren: Die europäischen Akademien der Wissenschaften, zu der auch die deutsche Leopoldina gehört, haben im Jahr 2017 zur Homöopathie ein Statement verfasst:
“Our Statement examines the following issues:
Scientific mechanisms of action—where we conclude that the claims for homeopathy are implausible and inconsistent with established scientific concepts.
Clinical efficacy—we acknowledge that a placebo effect may appear in individual patients but we agree with previous extensive evaluations concluding that there are no known diseases for which there is robust, reproducible evidence that homeopathy is effective beyond the placebo effect. There are related concerns for patient-informed consent and for safety, the latter associated with poor quality control in preparing homeopathic remedies.
Promotion of homeopathy—we note that this may pose significant harm to the patient if incurring delay in seeking evidence-based medical care and that there is a more general risk of undermining public confidence in the nature and value of scientific evidence.
Veterinary practice—we conclude similarly that there is no rigorous evidence to substantiate the use of homeopathy in veterinary medicine and it is particularly worrying when such products are used in preference to evidence-based medicinal products to treat livestock infections. [4]
Diese Handlungsempfehlungen, die quasi einer übergeordneten Leitlinie gleichkommen, richten sich explizit an die rund 400 Tierärzt*innen, die bisher die Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ erworben haben, auch wenn sie gerade „anderer Meinung“ sein mögen. Mit welchem Recht also therapieren sie seit mehr als 3 Jahren weiterhin entgegen dem Rat der Gesamtheit europäischer Wissenschaftler? Anders ausgedrückt: handeln sie entgegen dieser Empfehlungen nicht sogar vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig? Großbritannien hat umgehend reagiert.[5] Deutschland nicht. Bleiben demnach hierzulande noch Fragen?
Einzelmeinung schlägt Wissenschaftsrat?
Offenbar. Denn was steht Anderes in „WissHom”, einem Papier, das kurz nach diesem Statement erschienen ist, aber überraschenderweise jetzt, also rund 3 Jahre später, im Deutschen Tierärzteblatt diskutiert wird? Eigentlich nichts.
Wir zitieren von der Webseite des Informationsnetzwerkes Homöopathie:
„Der Forschungsstand wird für homöopathische Verhältnisse zwar recht treffend beschrieben, aber wieso dieser nun plötzlich ausreichend Beleg sein sollte für eine spezifische Wirkung der homöopathischen Arzneimittel, ist nicht nachvollziehbar.
Drei Artikel befassen sich mit den angeblichen Belegen für eine Wirksamkeit:
• Teut schreibt über die Ergebnisse der Versorgungsforschung und stellt deutlich dar, dass aus den positiven Ergebnissen keine kausalen Schlüsse auf die Wirksamkeit der Therapie möglich sind.
• Von Ammon et al. versuchen sich an einem systematischen Review
zur Wirksamkeit von Hochpotenzen in individueller Verordnung. Aus den Angaben in der Diskussion folgt, dass sie nicht eine wirklich hochwertige Arbeit gefunden haben, die signifikante Vorteile der Homöopathika gegenüber Placebo belegen könnte. Insofern ein Punkt für die Skeptiker, nicht für die Homöopathen.• Behnke gibt eine Übersicht über die angeblich durchweg positiven vorliegenden Ergebnisse von Meta-Analysen – er meint wohl systematische Reviews – ,lässt dabei aber wesentliche Arbeiten weg, nämlich die Reanalyse von Linde aus dem Jahr 1999 und die Analyse der australischen Gesundheitsbehörde NHMRC aus dem letzten Jahr (gemeint ist 2016), die seinem positiven Fazit zuwiderlaufen. [6]
Die WissHom behauptet zwar den wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit von Homöopathie, diese Aussage findet sich aber in der Zusammenfassung ihres Papiers überhaupt nicht wieder…
Die WissHom räumt zu den angeführten klinischen randomisierten Studien von vornherein deren Relativierbarkeit selbst ein. Zu den angeblich so bedeutenden Meta-Analysen wird eingeräumt, dass deren Signifikanz stark von der Auswahl der Selektionskriterien für die Einzelstudien abhängig ist. Dies geht einher mit einer Diskreditierung missliebiger Autoren, deren Arbeit „nicht immer wissenschaftlichen Standards“ entspräche oder sogar das Sakrileg begehen, „sich ausdrücklich auf eine postulierte Implausibilität der Wirksamkeit hochpotenzierter Arzneimittel“ zu berufen. So betreibt man Bestätigungsforschung …
Zudem: Es gibt keine Grundlagenforschung zur Wirkung homöopathischer Arzneimittel, die nachvollziehbar wissenschaftliche Evidenz aufweist. Es bleibt hier bei den bekannten Ergebnissen, die entweder als wissenschaftliche Unredlichkeit gelten können oder als nicht reproduzierbare Pseudoergebnisse erwiesen sind bzw. als Inanspruchnahmen nicht- oder halbverstandener Forschungsergebnisse aus fachfremden Forschungsbereichen … .
Man beruft sich auf Meta-Analysen wie die von Linde u. a. aus dem Jahr 1997 und „vergisst“ zu erwähnen, dass Linde 2005 im Lancet geschrieben hat: „Unsere Meta-Analyse von 1997 wurde unglücklicherweise von Homöopathen als Beleg für die Wirksamkeit der Homöopathie missbraucht. Wir stimmen zu, dass die Homöopathie höchst unplausibel ist und dass die Belege aus placebokontrollierten Studien nicht überzeugend sind.“ [7]
Oder man bemüht die Meta-Analyse von Mathie von 2014 – „vergisst“ jedoch wieder zu zitieren, was die der Homöopathie alles andere als negativ
gegenüberstehenden Autoren letztlich schreiben: „Die niedrige oder unklare Qualität der vorliegenden Evidenz erfordert Vorsicht bei der Interpretation der Befunde. Neue methodisch hochwertige randomisierte kontrollierte Studien sind erforderlich, um eindeutigere Interpretationen zu ermöglichen.“ [8]
…
Nun sind wir vom Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) zwar nicht der Meinung, dass man neue Studien (RCTs) benötigt, um den Glaubenskrieg um die Homöopathie endlos weiterzuführen. Die Schlacht ist geschlagen, seit 200 Jahren, zuletzt noch einmal umfassend im Jahr 2015, als die australische Gesundheitsbehörde ihre mehrere hundert Seiten starke, aber von der WissHom ignorierte Analyse der Nachweislage vorgelegt hat. Dort sind, ebenso wenig wie in irgendeiner anderen der von der WissHom angeführten Übersichtsarbeiten, keinerlei hinreichende Belege gefunden worden, die eine Anwendung der Homöopathie für irgendeine Indikation rechtfertigen würden.“
Homöopathie in der Tiermedizin
Auch in der Tiermedizin sieht es beim Wirksamkeitsnachweis nicht besser aus. Eine Zusammenfassung, in der auch einige vom Autoren J. Deeg genannte Punkte widerlegt werden, findet sich wiederum auf Homöopedia. [9] Dort wird beispielsweise auf die Veröffentlichung zu Durchfall beim Mastferkel eingegangen, diese weist grundsätzliche methodische und statistische Mängel auf, die der Autor verschweigt. Nach Durchsicht der vorliegenden Studien und Reviews kommt man auch hier zu dem Schluss: Placebokontrollierte Studien liefern für den Bereich der Tiermedizin keine Belege, dass homöopathische Behandlungen einen besseren Behandlungserfolg erzielen als Placebos.
Insgesamt bedeutet dieses Ergebnis, dass die Forderung der EU-Verordnung 2092/91, Punkt 5.4 a, homöopathische Erzeugnisse nur dann einer medizinischen Behandlung vorzuziehen, sofern sie tatsächlich eine therapeutische Wirksamkeit auf die betreffende Tierart und die zu behandelnde Krankheit haben, für kein Krankheitsbild und keine Tierart erfüllt ist. Das gilt analog für die EU-Verordnung 889/2008, die die Anwendung in der biologischen Tierzucht ebenso an therapeutische Wirkung bei der betreffenden Tierart und der zu behandelnden Krankheit koppelt.
Schmähkampagne
Wer über Homöopathie aufklärt, wie zum Beispiel Dr. Natalie Grams, bekommt als Reaktion auf lobbyfreie Aufklärungsarbeit Drohbriefe, Hasskommentare in sozialen Netzwerken, wird bei öffentlichen Diskussionen von
Homöopathiebefürwortern niedergebrüllt oder von der betroffenen Pharmaindustrie juristisch verfolgt.
Aufklärung über Homöopathie gibt es genug. Nicht nur in den Hochschulen, auch in den Medien. Neben dem INH bemühen sich Prof. Dr. Harald Lesch in Terra X und Leschs Kosmos, Mai Thi Ngyuen–Kim in Quarks und Co. sowie Mailab um Klartext. Personen, die für ihre saubere journalistische Arbeit und Neutralität bekannt sind, teilweise dafür ausgezeichnet wurden. Der Satiriker Jan Böhmermann produzierte 2019 für das ZDF Neo Magazin Royale nach dem Hevert-Skandal ein Video mit dem Titel „Homöopathie wirkt nicht über den Placeboeffekt hinaus”, das allein auf Youtube 3,3 Millionen Mal angeschaut wurde. {10]
Aufklärer gibt es genug. Nur will sie nicht jeder hören. Mediziner und Tiermediziner nicht ausgenommen. Die Medizin ist immer auch ein Spiegel der Gesellschaft.
Die Spaltung der tiermedizinischen Gesellschaft
Unsere heutige moderne Gesellschaft ist in vielerlei Hinsicht gespalten: in Arme und Reiche, in Nationalisten und Weltoffene, in Populisten und Realisten, in Klimaretter und –leugner, in Team Drosten und Coronaleugner, aber auch in böse Chemie und Naturheilkunde.
„Pseudomedizin vs. Medizin” führt eben nicht zu erhoffter Integration, sondern zu weiterer Spaltung. Dieser Spaltung können wir nicht begegnen, indem wir uns einfach alle alternativen Richtungen einverleiben. Hier ist schon ein klarer Standpunkt gefragt. Medizin arbeitet evidenzbasiert. Und da hapert‘s. Siehe oben. Faktenfeindlichkeit führt zur Spaltung. Wenn wir uns als Gesellschaft nicht mehr einig sind, dass wir aufgrund von Fakten Entscheidungen treffen, dann wird es sehr schwierig.
Wir dürfen es als Tiermediziner*innen nicht zulassen, wenn unsere Kolleg*innen Allergien wahlweise mit dem Pendel oder der Bioresonanzmaschine diagnostizieren und hernach „ausleiten”. Man muss auch mal den Mut aufbringen, diesen Kolleg*innen zu sagen, dass ihre Bioresonanzgeräte rein gar nichts messen. Der Leberkästest beweist, dass sie leider rund 10.000 Euro für ein unbrauchbares Gerät investiert haben. [11] Solche Methoden kann man nicht in die Tiermedizin integrieren. Wir geben uns damit vor unseren Kunden allesamt der Lächerlichkeit preis.
Wir dürfen es als Tiermediziner*innen auch nicht zulassen, dass die Verordnung eines Arzneimittels gegen Wurmbefall als etwas Böses empfunden wird, aber vor allem, dass ein Tier nicht „bio” sein darf, wenn es medizinisch behandelt werden musste. Kolleg*innen aus der Fleischbeschau erkennen mitunter am Band stehend anhand des Infektionsgeschehens im Schlachtkörper, wann die Bioschweine an der Reihe sind. Von Tierwohl während der Krankheit keine Spur.
Das Problem der „Alternativmedizin” ist ein nicht nur standespolitisches, sondern ein gesellschaftspolitisches. Wollen wir Tierwohl und mithin auch das Recht des Schweines auf Medizin oder wollen wir bloß Biofleisch?
Das Umsetzen der EU-Bioverordnung in nationales Recht darf nicht die Büchse der Pandora öffnen, sondern muss beides ermöglichen. Globuli sind dabei nur sehr oberflächlich betrachtet die einfache Lösung!
So wie jeder Mensch Recht auf Zugang zu guter und vollständiger Medizin haben muss, darf auch bei Tieren auf Biohöfen das Recht auf Behandlung mit wirksamen und sicheren Medikamenten nicht einem anthroposophischen Credo geopfert werden. Medizinischer Sachverstand sollte hier den Unterschied zwischen Schädlingen und Krankheitserregern definieren – nicht die Richtlinien eines Biobauernverbandes.
Dass die Homöopathielobby es nur allzu gern sähe, wenn in einem deutschen Gesetzestext die Gleichwertigkeit der bisher so geschmähten Homöopathie gegenüber der Medizin verankert würde, ist nur allzu verständlich.
Die Tierärzteschaft tut aber nicht gut daran, auf echte Medizin zu verzichten, nur um der Bioszene ein Angebot unterbreiten zu können. Im Gegenteil. Tierärzt*innen müssen für ihre wahre Profession kämpfen, ihre Medizin erklären, verteidigen, betreiben und weiterentwickeln zum Wohle der Tiere und der Verbraucher. Wie Anamnese geht, haben sie in der Propädeutik gelernt, nicht bei Hahnemann. Wie Diagnose geht, haben sie semesterlang gelernt, das ist mit einem Pendelkurs nicht zu toppen. Die Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ ist das akademische Pendant des Jodeldiploms. [12] Es wird Zeit, die Urkunde in die Schublade zu legen.
Malte Kubinetz, prakt. Tierarzt
Dr. Rolf Wagels, Fachtierarzt für Informatik und Dokumentation
als Autoren
sowie die mitunterzeichnenden TierärztInnen:
Bernhard Guehne | Anke Meeuw | Dr. Stephan von Berg |
Sieglinde Bauer | Michaela Kunz | Jennifer Onnasch |
Christoph Tenhaven | Louise Barz | Mascha Sauskojus |
Dr. Alyssa Petersen | Anne Wendt | Gesa Neudecker |
Steffen Ziesing | Georg Petry | Theresa Kern |
Dr. Bettina Teutenberg-Riedel | Alexander Choucair | Anita Schernthaner |
Dr. Silja Laberke Dipl. ECVIM-CA (Onc); EBVS & RCVS | Karen Grote | Christian Protz |
Marlene Rohrmann | Lisa Krahn | Elisabeth Koldt |
Sebastian Pietsch | Sarah Wickfelder | Mareike Gipper |
Cornelia Horch | Cornelia Günther | Jan-Philip Kriewitz |
Dr. Frauke Erhorn | Claus Meyer (Zusatzbez. Zahnheilkunde u. HNO-Heilkunde der Kleintiere) | Philipp Schürmann |
Kerstin Maxheim | Jana Scheffel | Jonas Steinel |
Nora Brunner | Dr. Susanne Busko | Pauline Gunther |
Ralf Michling | Kerstin Wichelhaus | Dr. Johanna Pföhler |
Ralph Rückert | Dr. Katharina Grewe | Amelie Krause |
Corinna Gocht | Jeanette Klemmt | Guntrun Jannsen-Sinn |
Stephanie Ledwon-Pechel | Dr. Lena Theile | Dr. Jessica Sieg FTA Kleintiere |
Katrin Ebert | Dr. Christian Wüst | Dr. Sabine Schmitt |
Paul Deutschmann | Zete Márton | Lene Bungenstock |
Gerrit Büttelmann | Jana Waldmann | Annemarie Böhm |
Linda Geske | Dr. Katharina Ziesch | Dr. Sonja Küster |
Cathrin Mreyen-Weber | Anne Stang | Eva Pittendörfer |
Dr. Sirka Bade | Dr. Katja Wiencierz | Maria Francesca Saxler |
Andrea Burkert | Dr. Carsten Plischke | Dr. Ina Göngröft |
Sabine Wisura | Dr. Jörg Ehrhardt | Christine Lührs |
Pauline Mahlo | Lisa Schäfer | Jana Czernutzky |
Valerie Flach | Heike Korter | Stefanie Behrens |
Roland Zeidler | Johanne Bernick | Verena Baumgartner |
Dr. Roland Stirl, FTA Kleintiere | Dr. Susann Ulusans | Sven Botterweck |
Dr. Alexandra Laube | Ann-Katrin Maier | Dr. Luise Prestel |
Serena Werle | Dr. Manuela Büttcher | Elfi Kannengießer |
Dr. Christina Wolf | Maren Bestmann-Auchter | Thomas Widder |
Jörg Thul | Dr. Petra Fischer | Gitte Anders |
Maren Heinrich | Lena Peters | Dr. Jessica Strauß |
Stephanie Bothien | Dr. Petra Wirth | Dirk Schandien |
Kathleen Höhns | Sophie Strodtbeck | Juliane Radtke |
Stephanie Haudek-Rice | Mariana Göritz-Kanisch | Barbara Schneider |
Anke Stöhr | Claudia Windhövel | Dr. Susanne Alteneder |
Mitja Malunat | Christian Brändle | Susanne Bachmann |
Dr. Martina Löffelmann | Janine Arens | Johann Knauff |
Jennifer Bormann | Martina Schild | Aurelia Gehrke |
Dr. Iris Polzin | Dr. Oliver Stadler | Dr. Janaína Hagel |
apl. Prof. Dr. Uwe Gille | Ewa Huber | Andrea Knörr |
Dr. Simone Heitmann | Katharina Ziesch | Franziska Lindner |
Julie Antoine | Katharina Cosmar | Dr. Martina Rufer |
Franziska Mönnig | Christine Noga | Hanne Engels |
Synilo Andre | Jochen Engels | Dr. Caroline Fink |
Ines Siegl | Annika Mitzscherling | Roger Horch Drs. (NL) Dipl.-Ing. Agrar |
Birga Brandner | Elke Seier | Dr. Juliane Neumaier |
Melanie Wolff | Dr. Claudia Küneweg | Dr. Klaus Sommer, FTA Kleintiere, GPCERT (SAS) |
Dr. Michaela Meyer | Kati Dieks | Anna Maria Gartner |
Dr. Laura Schröder | Ulrike Sydow | Annika Kraetzig |
Kathrin Schwerdtfeger | Dr. Annika Kollikowski | Dr. Nicole Ryba |
Katharina Hertwig | Verena Haase | Dr. Kay Schmerbach |
Maik Rothe, VoR | Elisabeth Kaiser | Claudette Cubillos |
Jessica Natalie Schwenke | Sophia Körner | Silke Habrock |
Birgit Weigl | Dr. Kim Peters | Dr. Gesche Pinke |
Allana Kasperczyk | Dr. Uwe Zimmermann, Tierklinik Lüneburg |
Literatur:
[1] Binnenkonsens: Was ist das eigentlich?https://netzwerk-homoeopathie.info/binnenkonsens-was-ist-das-eigentlich/ [2] Homöopathische Arzneimittelprüfung https://www.homöopedia.eu/index.php/Artikel:Homöopathische_Arzneimittelprüfung [3] Systematische Reviews zur Homöopathie – Übersicht https://www.homöopedia.eu/index.php/Artikel:Systematische_Reviews_zur_Homöopathie_-_Übersicht [4] Homeopathic products and practices: assessing the evidence and ensuring consistency in regulating medical claims in the EU https://easac.eu/fileadmin/PDF_s/reports_statements/EASAC_Homepathy_statement_web_final.pdf [5] Royal College of Veterinary Surgeons: Homöopathie arbeitet ohne anerkannte Evidenz, Redaktion wir-sind-tierarzt.de, 9.11.2017,
https://www.wir-sind-tierarzt.de/2017/11/royal-college-of-veterinary-surgeons-homoeopathie-arbeitet-ohne-anerkannte-evidenz/ [6] NHMRC Statement on Homeopathy
https://www.nhmrc.gov.au/about-us/resources/homeopathy [7] Linde, K., Jonas, W. Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Lancet 2005; 366, 2081-2. [8] Mathie, R.T., Lloyd, S.M., Legg, L.A. et al. Randomised placebo-controlled trials of individualised homeopathic treatment: systematic review and meta-analysis. Syst Rev 3, 142 (2014). https://doi.org/10.1186/2046-4053-3-142 [9] Homöopedia: Tierhomöopathie, https://www.homöopedia.eu/index.php/Artikel:Tierhomöopathie [10] Böhmermann, J. Homöopathie wirkt
https://www.youtube.com/watch?v=pU3sAYRl4-k&t=403s [11] Dorsch, W., Kolt, A. Einfache Testverfahren zur Überprüfung der Aussagekraft von Bioresonanz-basierten medizinischen Befunden — der Leberkäse-Test. Allergo J 28, 22–30 (2019). https://doi.org/10.1007/s15007-019-1859-0 [12] Das Jodeldiplom ist ein fiktiver Bildungsabschluss (Jodeln mit Jodel-Diplomabschluss) aus einem Sketch von Loriot. Mit dem Jodeldiplom spielt Loriot auf die zahlreichen Titel von Volkshochschulen und Universitäten an, die den gesellschaftlichen Status von Absolventen erhöhen, ohne dass das für ihre Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt eine Rolle spielt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Jodeldiplom