“Nach den bekannten Gesetzen der Aerodynamik kann eine Hummel nicht fliegen. Die Hummel versteht nichts von Aerodynamik – und fliegt trotzdem”…
…und deshalb, das soll das Argument wohl ausdrücken, ist die Wissenschaft auch nicht geeignet zu beurteilen, ob Homöopathika wirken können. Schließlich weigert sie sich, wie dieses Beispiel klar zeigt, das Offensichtliche zur Kenntnis zu nehmen und beharrt dogmatisch auf ihren augenscheinlich falschen Naturgesetzen. Wirklich?
Die Hummel kann selbstverständlich fliegen und hat (vermutlich) keine Ahnung von Aerodynamik, soweit ist das richtig, aber die Behauptung ist falsch, dass ersteres den Gesetzen der Aerodynamik widerspräche.
Was würde passieren, wenn die Aussage stimmen würde? Wenn die Erkenntnisse der Physik in diesem Punkt falsch oder grob unvollständig wären? Wenn sich ein so offensichtliches Phänomen nicht erklären ließe?
Ganz einfach: Es würde ein riesiger Wettlauf darum entstehen, welcher Physiker als Erster die Geheimnisse des Hummelflugs lüftet, wer als Erster die Ursachen des Phänomens richtig beschreiben kann. Das ist es nämlich, wonach jeder Wissenschaftler strebt: Als Erster Neuland betreten, seinen Namen auf ewig mit einer neuen Erkenntnis verbinden. Das ist es, wofür Nobelpreise verliehen werden. Damit erreicht man Reputation, was den Marktwert des Forschers darstellt.
Dass dieser Wettlauf derzeit nicht stattfindet, liegt daran, dass es einfach nicht stimmt, dass die “Gesetze der Aerodynamik” dem Hummelflug widersprächen. Es führt hier zu weit, die Grundsätze der Tragflügeltheorie bei vergleichsweise niedrigen Reynoldzahlen (das heißt, bei kleinen Abmessungen und niedrigen Geschwindigkeiten) zu erläutern, aber da ist nichts Geheimnisvolles. Die Hummel schlägt mit den Flügeln und kann die Flügelform dabei laufend so verändern, dass sie Luft in eine bestimmte Richtung in Bewegung setzt, was auf die Hummel eine Kraft in die entgegengesetzte Richtung erzeugt. Man kann sich das in Hochgeschwindigkeits-Zeitlupen ansehen (Video Youtube ab Min 1:30). (Das sind zwar Bienen, aber Flügel von Hummeln und Bienen sind nicht sehr unterschiedlich).
Grundlage für die auch gerne von Motivationstrainern genutzte Sentenz ist offensichtlich eine kleine, an sich unbedeutende Begebenheit, die vergessen wäre, hätte sich daraus nicht in den 1930er Jahren in Göttingen ein Studentenulk entwickelt. Die Aerodynamische Versuchsanstalt (AVA) in Göttingen war zu dieser Zeit eine der weltweit führenden Forschungseinrichtungen, was der Sache durchaus eine gewisse Bedeutung gegeben hat.
Ausgangspunkt soll eine Begegnung eines Biologen und eines Aerodynamikers in einer Gaststätte gewesen sein. Der Biologe habe beim Essen am Beispiel der Hummel wissen wollen, wie das Fliegen funktioniert. Der Aerodynamiker machte eine kurze Überschlagsrechnung auf einer Serviette oder einem Bierdeckel. Er berechnete (offensichtlich), dass die Flügel (Fläche 0,7 cm²) bei der Fluggeschwindigkeit (10 km/h) nicht genügend Auftrieb entwickeln würden, um das Gewicht der Hummel zu tragen (1,2 g). Dem Aerodynamiker ist dabei der Fehler unterlaufen, dass er Gleichungen benutzt hat, die für den Fall gelten, dass die Flügel wie starre Tragflächen wirken, die vom Fahrtwind angeströmt werden. Es ist gut vorstellbar, dass der Biologe dies zum Anlass nahm, sich zur Überlegenheit der Natur über die menschliche Technik auszulassen. Als der Aerodynamiker seinen Fehler bemerkte und korrigierte, war das natürlich weniger spektakulär und hat wesentlich weniger Aufsehen erregt. (Quelle)
Das ist der Hintergrund für dieses Scheinargument: Ein Irrtum eines einzelnen Menschen beim Essen in einer Kneipe. Es ist nicht überliefert, welche Rolle Wein und Bier dabei gespielt haben. Da ist mitnichten eine ganze Wissenschaftsdisziplin involviert, kein Physiker hat je behauptet, dass der Flug einer Hummel unmöglich sei.
Das Argument, der Hummelflug widerspreche physikalischen Gesetzen, zeugt eher vom mangelnden Sachverstand desjenigen, der dieses Argument benutzt und zwar sowohl hinsichtlich Physik und Aerodynamik, als auch wie Wissenschaft überhaupt funktioniert. Eine Wahrscheinlichkeit für das “Funktionieren” von Homöopathie wohnt diesem “Argument” nicht im Mindesten inne.
Bildnachweis: Bild von Rudy and Peter Skitterians auf Pixabay