„Es gibt mehr Ding‘ im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt.“
Hamlet, 1. Akt, 5. Szene, William Shakespeare, ca. 1602
Dieser Satz von Shakespeare wird gerne in Diskussionen über die Homöopathie zitiert. Damit soll gemeinhin ausgedrückt werden, dass Wissenschaft und „Schulmedizin“ eben auch nicht der Weisheit letzter Schluss seien. Aber was soll das nun konkret heißen? Unabhängig davon, ob Naturwissenschaften ein vollständiger Blick auf die Welt sind oder ob die existenzialistischen Fragen lieber der Philosophie überlassen bleiben sollten, hilft das Eingeständnis, dass wir noch nicht alles wissen, der Homöopathie nicht weiter.
Denn Hahnemann behauptet im Organon, die Homöopathie sei ein empirisches Verfahren. Er habe sie durch Beobachtung der Natur entwickelt, schreibt er. Sie fällt entsprechend in den Zuständigkeitsbereich der Naturwissenschaften, nimmt dies gar explizit für sich in Anspruch.
Meist kommt das Hamlet-Zitat an der Stelle, wo über die Unsinnigkeit einer „Wirkungsverstärkung durch Verdünnung“ (Potenzierung) diskutiert wird. Die Naturwissenschaft sagt aber klar: Beim Verdünnen geht etwas verloren – Schütteln hilft da auch nicht. Die Erkenntnisse, auf denen diese Aussage beruht, reichen tief in unser Wissen über Atome und molekulare Vorgänge hinein. Ein Wissen, das wir in zahlreichen technischen Anwendungen auch nutzen und das sich im Alltag ständig bewährt.
Die Homöopathie widerspricht diesem sich ständig bewährenden Wissen, denn ohne die Annahme, beim Verdünnen entstünde etwas Neues, Bleibendes und sich Verstärkendes, kommt sie nicht aus. Deshalb steht sie im Widerspruch zum sich bewährenden Wissen und zu bekannten Naturgesetzen. Bedenken Sie – geht es hier keineswegs um etwas, das wir uns „nicht träumen lassen“, sondern um eine klare Unvereinbarkeit homöopathischer Grundprinzipien mit gesichertem, alltagsbewährten Wissen.
Ein Naturgesetz ist der Versuch der Beschreibung und Erklärung natürlicher Tatsachen, nicht deren Setzung. Dass ein Apfel vom Baum nach unten und nicht nach oben fällt, folgt Mechanismen, die Wissenschaftler ergründet und beschrieben, aber nicht geschaffen haben. Naturgesetze sind nicht verhandelbar und auch nicht umgehbar. Wir sind an sie gebunden, da wir selbst ein Teil der Natur sind. Sie können auch nicht falsch sein – nur unser Wissen darüber kann unvollständig oder sogar falsch sein.
Naturgesetze und Wissenschaft sind Erkenntnisgrundlagen, keine Beschränkungen!
Die Homöopathie behauptet also nun (stellt die Hypothese auf), dass sie (über einen Placebo-Effekt hinaus) wirkt. Sie kann es aber nicht nachweisen – im Gegenteil, die meisten seriösen Studien und sämtliche umfassenden Reviews und Metaanalysen zeigen, dass ihre Wirkung dem Placebo-Effekt entspricht. Darüber hinaus kann die Homöopathie nach den Maßstäben unserer heutigen Wissenschaft noch nicht mal sagen, wie sie wirken könnte. Schlimmer noch, sie setzt Dinge voraus, die nach bestem heutigen Wissen teilweise extrem unwahrscheinlich, teilweise – da gegen Naturgesetze verstoßend – konsequent ausgeschlossen sind.
Medizin ist Wissenschaft
Die Homöopathie möchte Teil der Medizin sein und ist es mit dem Sonderstatus „besondere Therapierichtung“ in Deutschland derzeit – jedenfalls formal – auch noch.
Die Medizin richtet sich in ihrem Erkenntnisgewinn nach wissenschaftlichen Methoden. Die Homöopathie jedoch verweigert sich
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- erstens komplett seit jeher einer strukturierten Weiterentwicklung,
- zweitens einer ernsthaften wissenschaftlichen Prüfung (die meisten Homöopathie-Anwender halten sie sogar für überflüssig) und
- drittens dem Ziehen von Konsequenzen aus vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen und den wissenschaftlichen Fortschritten seit Hahnemanns Zeiten.
Dass die Mehrzahl aller gut gemachten Studien ein negatives Ergebnis für die Homöopathie ergibt, wird entweder bestritten, verfälscht oder negiert. Wenn in der Medizin Fehler passieren, falsche Entscheidungen getroffen werden oder manipulierte Studien auftauchen (was alles die wissenschaftliche Medizin selbst zutage bringt und Konsequenzen daraus zieht), ist die Empörung groß – bei der Homöopathie wird geflissentlich darüber hinweggesehen.
Der Glaube spielt in Medizin und Wissenschaft keine Rolle
Der Glaube und die subjektive Überzeugung der Homöopathen, dass ihre Methode wirke, reicht nicht dafür aus, sie als Medizin zu betrachten. In der Medizin hat die Homöopathie also mit dem Anführen ihrer auf Erfahrung und Glauben beruhenden Überzeugung keine Chance. Hier gelten einfach sachliche und nachvollziehbare Argumente, Fakten und Daten. Zum Glück, denn kennen Sie einen Menschen, der gern ein Medikament einnehmen möchte, das der Arzt ihm ohne genaue Diagnose nach Gutdünken verschreibt – und der kein grundsätzliches Problem darin sieht, womöglich bald nach einem „besser passenden“ zu suchen? Oder der sich von einem Chirurgen operieren lassen möchte, der ihm versichert, dass seine Operationsmethode in Zukunft schon noch irgendwann anerkannt werde, weil es ja Dinge zwischen Himmel und Erde gebe… na, sie wissen schon?
Hamlet erweist sich also als echter Naturwissenschaftler
Dass es eine Menge Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, von denen wir heute noch nichts wissen (und vielleicht nie etwas wissen werden) – das sei als Selbstverständlichkeit gern zugestanden. Das bedeutet aber keineswegs, dass man gutgläubig jede Behauptung in diese Lücke einschieben kann. Das würde auch dem Hamlet-Zitat durchaus nicht gerecht werden. Dem Anspruch der Wissenschaft auf „gesicherte Erkenntnis“ ebensowenig.
Das Zitat stammt aus dem ersten Akt von Shakespeares Hamlet, wo der Held auf die Erscheinung des Geistes seines Vaters reagiert: „There are more things in heaven and earth, Horatio, than are dreamt of in your philosophy“.
Hamlet sagt es, nachdem der Geist ihm aufgetragen hat, den Mord an seinem Vater zu rächen. Aber er spekuliert hier durchaus nicht, an dieser Stelle sind seine Worte nur Ausdruck eines (noch) unreflektierten Erstaunens. Erinnern wir uns: Er verlangt am Ende des 2. Aktes nach „Grund, der sichrer ist“. Er zieht in Betracht, dass die Erscheinung des Geistes seines Vaters „eine Täuschung“ sein könnte, die ihn auch „zum Verderben“ bringen könnte. Ja, er berücksichtigt sogar, dass er bei seiner „Schwachheit und Melancholie“ besonders leicht einer solchen Täuschung unterliegen könnte. Und er kommt auf die Idee, sich mittels der Schauspieltruppe Gewissheit darüber zu verschaffen, ob die Botschaft des Geistes den Tatsachen entspricht.
Das Hamlet-Zitat ist also keineswegs eine Bekräftigung dafür, dass man sich ganz nach Belieben auf das „Unbekannte“ zurückziehen, es nach eigenen Gusto mit Vorstellungen füllen und dafür einen Wahrheitsanspruch geltend machen kann. Ganz im Gegenteil – man könnte Hamlets Spruch viel eher wissenschaftsfreundlich deuten, als Aufforderung, sich zu vergewissern, kritisch zu sein selbst gegenüber seiner eigenen Wahrnehmung, kurz, die skeptische Frage zu stellen: Wo ist der Beweis? Hamlet erweist sich also als echter Naturwissenschaftler: Für seine Entscheidung will er eine handfeste Grundlage, die er sich über einen aussagekräftigen Test der Behauptung holt.
Ein Ausflug „zwischen Himmel und Erde“ ist in unserem Falle aber gar nicht angezeigt. Wenn es um Homöopathie geht, reden wir nämlich durchaus nicht von irgendwelchen exotischen Vorgängen spekulativer Art weit jenseits unserer Alltagswelt. Wir reden vielmehr über uns bestens vertraute und bekannte Vorgänge: Verdünnen und Schütteln. Wir haben nicht den geringsten Hinweis darauf, dass unsere Physik das Verdünnen falsch verstanden hat. Und das darf man mit Recht anführen. Zumal sich dies mit der Gesamtstudienlage zur Homöopathie und deren inneren Widersprüchen zu einem stimmigen Gesamtbild ergänzt: Homöopathie hat keine spezifische arzneiliche Wirkung und kann keine haben.
Wer die Homöopathie außerhalb der Medizin für sich privat anwenden möchte, dem sei das unbenommen. Es sollte aber bewusst bleiben, dass homöopathisches Potenzieren absurder ist als die Erwartung, nach oben zu fallen.
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