Offener Brief des INH zum Thema Patientensicherheit an den Patientenbeauftragten der Bundesregierung

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Die Patientensicherheit – ein zentrales Anliegen unserer Aufklärungsarbeit – ist zum zehnten Nationalen Gesundheitsziel erklärt worden. Dazu gab der Patientenbeauftragte der Bundesregierung einige Statements ab, u.a. beim Fachportal Univadis.

Die homöopathischen Interessenvertreter waren schnell dabei, sich des Themas zu bemächtigen und den vorgeblichen Vorteil der „Patientensicherheit“ auf dem Silbertablett zu präsentieren und spannten dafür sogar den Präsidenten der Bundesapothekenkammer ein. An letzteren erinnern wir uns ungern – oder besser: an seinen Schlussauftritt im Beitrag „Gefährliche Homöopathie und die Rolle der Apotheker“ von ARD Kontraste (19.05.2022). Dass ihn die damals leider gezeigte indifferente Haltung zum Testimonial pro Homöopathie prädestiniert, hat der Zentralverein Homöopathischer Ärzte erkannt.

Nun scheint es uns extrem zu kurz gegriffen, den Aspekt der Patientensicherheit bei homöopathischen Behandlungen auf ihre pharmazeutisch-toxische Inhaltslosigkeit zu verkürzen, so dass es eben auch kein Sicherheitsproblem gibt. Aber wer mit der wissenschaftsbasierten Homöopathiekritik einigermaßen vertraut ist, weiß, dass eine Reduzierung des Themas auf eine so vordergründige Betrachtung der Sache nicht annähernd gerecht wird. Auch die vielbeschworene Patientensicherheit durch die ärztliche Anwendung der Homöopathie, wo die Grenzen der Methode klar seien, sehen wir seit jeher kritisch. Zum einen ist die Grenzziehung bei TherapeutInnen, die die Homöopathie im Vertrauen auf ihre Wirksamkeit verwenden (und ihr gar für ernstere Erkrankungen das Wort reden) eine sehr problematische Sache, zum anderen liegt das Problem der Homöopathie zum großen Teil in der Selbstmedikation im Vertrauen darauf, dass es sich um bewährte und wirksame Medizin handele. Und dort gibt es bekanntlich beklagenswerte Defizite bei der Beratung in den Apotheken, wie der oben genannte TV-Beitrag drastisch deutlich machte.

Zur Klarstellung haben wir uns deshalb mit dem nachstehenden Offenen Brief an den Patientenbeauftragten der Bundesregierung gewandt, der aus gegebenem Anlass sicher der beste Adressat für dieses Anliegen ist.


An den
Beauftragten der Bundesregierung
für die Belange der Patientinnen und Patienten
Herrn Stefan Schwartze
Friedrichstraße 108
10117 Berlin

Per E-Mail: patientenrechte@bmg.bund.de

08.10.2022

Nationales Gesundheitsziel Patientensicherheit;
hier: Rolle der Homöopathie im öffentlichen Gesundheitswesen

Sehr geehrter Herr Schwartze!

Als freie Arbeitsgemeinschaft klären wir seit 2016 ehrenamtlich über die Irrtümer und Fehlinformationen zur Homöopathie auf und nehmen dabei im öffentlichen Diskurs eine wesentliche Rolle ein. Wir verstehen unsere Arbeit als aktiven Verbraucher- und Patientenschutz.

Die auch von Ihnen kürzlich zu Recht hervorgehobene Definition der Patientensicherheit [1] als zehntes nationales Gesundheitsziel nehmen wir zum Anlass, Ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken, was dies mit unserem Thema, der wissenschaftsfundierten Homöopathiekritik, verbindet.

Ein spezielles Anliegen bei unserer Aufklärungsarbeit sind die negativen Auswirkungen der Sonderstellung der Homöopathie in Arzneimittel- und Sozialrecht als „besondere Therapierichtung“. Diese sichert ihr nicht nur die Arzneimitteleigenschaft unter privilegierten Bedingungen (Verzicht auf wissenschaftliche Wirkungsnachweise), sondern auch den Glaubwürdigkeitsbonus der Apothekenpflicht und eröffnet – im Sozialgesetzbuch V – den gesetzlichen Krankenkassen Möglichkeiten zur Kostenerstattung.

Homöopathie ist nach weltweitem wissenschaftlichem Urteil jedoch eine vorwissenschaftliche, letztlich esoterisch grundgelegte Methode, die weder mit gesichertem naturwissenschaftlichem Wissen vereinbar noch überhaupt widerspruchsfrei ist. Ihre wahrgenommenen Wirkungen beruhen ausschließlich auf jeder Behandlung und Zuwendung immanenten Kontexteffekten (u.a. Placebo), die sich wesentlich aus dem besonderen Behandlungssetting und dem Zeitaufwand für den Patienten herleiten.

Fakt ist: Keine einzige Studie belegt belastbar eine über den Placeboeffekt / andere Kontexteffekte hinausgehende Wirksamkeit der Homöopathie bei irgendeiner Indikation.

Das Wissen darüber ist für eine letztlich risikobehaftete individuelle Entscheidung pro oder contra Homöopathie Grundvoraussetzung. Die Allgemeinheit wird aber durch die öffentliche Reputation, den „guten Ruf“ der Homöopathie – ganz wesentlich aufgrund ihrer Privilegierung im Gesundheitswesen – seit Jahrzehnten über die zutreffende Einordnung als unspezifische Scheinmethode regelrecht hinweggetäuscht, wodurch eine Reihe von Risiken entsteht.

Mit Sorge nehmen wir wahr, dass die Befürworter der Homöopathie das Gesundheitsziel der Patientensicherheit aktuell für sich und ihre Methode explizit in Anspruch nehmen.

Selbstverständlich geht von Globuli oder homöopathischen Tinkturen keine unmittelbare Gefahr aus, da sie auf jeden Fall viel zu geringe Mengen an Wirkstoffen enthalten, als dass sie eine physiologische Wirkung (mithin auch keine Neben- oder Wechselwirkung) entfalten könnten. Durch das „Potenzieren“ wird der eingesetzte Urstoff extrem verdünnt, bis hin zu den als besonders wirksam geltenden „Hochpotenzen“, die überhaupt keine Bestandteile aus den Ursubstanzen mehr enthalten. Jedoch ist längst klar, dass eine Reduzierung des Problems auf diesen pharmakologisch-toxischen Aspekt – wie dies die homöopathischen Interessenvertreter unter dem Label „Patientensicherheit“ tun – Wesentliches außer Acht lässt:

  • Der einzelne Patient hat das hohe Risiko, durch ungerechtfertigtes Vertrauen auf eine Wirksamkeit von Homöopathie auf wirksame Behandlungen zu verzichten oder sie zumindest relevant zu verschieben, dadurch unnötige Symptome und Belastungen zu erleiden und bei progredienten Leiden wie z.B. einer Krebserkrankung Heilungschancen verstreichen zu lassen.
  • Für die individuelle Patienten-Arzt-Beziehung ist das Risiko eines Vertrauensverlustes ebenso wenig zu vernachlässigen wie die weitreichenden Konsequenzen von Verletzungen medizinethischer Grundfesten bei der Anwendung einer Scheintherapie.
  • Für das Gesundheits- und Sozialsystem wurde und wird von Vertretern der Homöopathie behauptet, Homöopathie würde, da ihre Mittel im Vergleich zu konventionellen Medikamenten billig seien, finanzielle Ressourcen einsparen. Das Gegenteil ist nachweislich der Fall.[2] [3] Die Aufwendungen für die Versichertengemeinschaft steigen bereits bei reiner Berechnung der direkten Kosten, nicht einberechnet indirekte und intangible Kosten durch zu späte Behandlungen.
  • Spätestens in der Corona-Pandemie ist sehr deutlich geworden, dass unwissenschaftliche Überzeugungen in der Medizin, der Glaube an Konzepte, die mit gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis nicht vereinbar sind, sowie der daraus resultierende Vertrauensverlust in wissenschaftliche Erkenntnisse allgemein und die wissenschaftliche Medizin im Besonderen [4] nicht nur zu finanziellen Belastungen, sondern zur Gefährdung von menschlichem Leben führt.

Leider stand und steht einem Einschreiten gegen die gesetzlichen Privilegien der Homöopathie noch immer vielfach die Sichtweise gegenüber, dass man den Menschen ihre „harmlosen Zuckerkügelchen“ nicht streitig machen solle, wenn sie diese wünschen. Fakt ist: kein Patient möchte eine unwirksame Therapie. Übersehen wird dabei auch, dass hier ein Dissens zwischen dieser scheinbar toleranten Haltung und der Forderung nach Transparenz im Gesundheitssystem vorliegt, ohne die eine eigenverantwortliche Entscheidung der Bürger in Gesundheitsfragen und ein Aufbau von Gesundheitskompetenz nicht denkbar ist.

Eine Abschaffung der Homöopathie fordern wir selbstverständlich nicht. Es ist das Recht eines jeden Bürgers, im Falle einer Krankheit seine Behandlungsmethoden zu wählen, solange damit keiner anderen Person ein Schaden entsteht. Im Sinne dieser Selbstbestimmtheit darf es aber aus dem Gesundheitssystem heraus nicht zu Fehlanreizen kommen, wie sie im Falle der Homöopathie durch deren Sonderstellung impliziert werden.

Auch der Weltärztebund sah sich in einer Deklaration aus dem Jahre 2020[5] veranlasst, einer Geringschätzung der Risiken einer Toleranz gegenüber pseudomedizinischen Methoden [6] klar entgegenzutreten.

So erklärte er:

Pseudowissenschaften und Pseudotherapien stellen ein komplexes System von Theorien, Annahmen, Behauptungen und Methoden dar, die fälschlicherweise als wissenschaftlich angesehen werden. Sie können dazu führen, dass Patienten eine Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen Pseudotherapien und der Besserung wahrnehmen. Sie können daher sehr gefährlich sein und sind unethisch. […]

In vielen Ländern fehlt der regulatorische Rahmen zur Einhegung dieser Pseudotherapien, was ihre Verbreitung ermöglicht hat. In der Vergangenheit wurden sie von der Ärzteschaft wegen ihrer Nebenwirkungsfreiheit als harmlos angesehen, aber heute gibt es genügend Belege dafür, dass sie ein Risiko für die Patientensicherheit darstellen können.

Wir wünschen uns für Deutschland eine gerechte Regelung, die für die Homöopathie die gleichen Anforderungen an Wirksamkeitsnachweise wie bei Medikamenten stellt und – solange diese nicht gegeben sind – eine für den Laien transparente Unterscheidbarkeit gegenüber geprüften und zugelassenen Medikamenten.

Über einen Dialog würden wir uns freuen und stellen gern unsere Expertise und unsere Hintergrund- und Evidenzanalysen zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Informationsnetzwerk Homöopathie

Dr.-Ing. Norbert Aust (Sprecher)Dr. Christian W. Lübbers (SprecherUdo Endruscheit (Sprecher)Prof. Dr. Jutta Hübner (wiss. Beirätin)

[1] https://www.univadis.de/viewarticle/b28640be-e481-31e9-9a46-1bf993d3b7b8

[2] Ostermann JK, Reinhold T, Witt CM. Can Additional Homeopathic Treatment Save Costs? A Retrospective Cost-Analysis Based on 44500 Insured Persons. PLoS One. 2015 Jul 31;10(7):e0134657. doi: 10.1371/journal.pone.0134657. PMID: 26230412; PMCID: PMC4521756.- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26230412

[3] Julia K. Ostermann, Claudia M. Witt, Thomas Reinhold, A retrospective cost-analysis of additional homeopathic treatment in Germany: Long-term economic outcomes Published: September 15, 2017 –https://doi.org/10.1371/journal.pone.0182897

[4] European Academics Science Advisory Council (2017), Homeopathic products and practices: assessing the evidence and ensuring consistency in regulating medical claims
https://easac.eu/fileadmin/PDF_s/reports_statements/EASAC_Homepathy_statement_web_final.pdf

[5] WMA Declaration on Pseudoscience and Pseudotherapies in the Field of Health (2020)
https://www.wma.net/wp-content/uploads/2020/12/wmj_4_2020_WEB.pdf S. 23 f.

[6] Mukerji, N., Ernst, E. Why homoeopathy is pseudoscience. Synthese 200, 394 (2022).
https://doi.org/10.1007/s11229-022-03882-w


Bildnachweise: Pixabay Lizenz / Screenshot Twitter DZVhÄ

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