Tierärztliche Zusatzbezeichnung Homöopathie – ein Offener Brief

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Richtig abstimmen – für das Tierwohl!

Uns ist leider erst recht spät bekannt geworden, dass eine Abstimmung über Erhalt oder Abschaffung der “tierärztlichen Zusatzbezeichnung Homöopathie” bei der Bayerischen Landestierärzteschaft ansteht. Wir schätzen hier die Chancen nicht so groß ein wie bei den KollegInnen der Humanmedizin, die bekanntlich im Oktober den Erwerb der Zusatzbezeichnung per Ärztekammerfortbildung mit  großer Mehrheit aus der Landesweiterbildungsordnung gestrichen haben. Obwohl die – guten – Argumente für eine Abschaffung von Fortbildung und Zusatzbezeichnung im Veterinärbereich ja gar keine anderen sind. Dass der Veterinärbereich inzwischen zum Tummelplatz homöopathischer Propaganda geworden ist, das ist den Lesern dieser Webseite sicherlich bekannt.

Dennoch entspricht es nicht unserem Selbstverständnis, mit gefalteten Händen zuzuschauen und ein Ergebnis pro Homöopathie als unabwendbares Schicksal hinzunehmen. Und so haben wir am heutigen Tage das nachfolgende Schreiben an die Delegierten (per Mail) gerichtet:

 


An die Delegierten
der Landestierärztekammer Bayern

Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege,
sehr geehrte Damen und Herren!

Am 2.12.2021 stimmt die Delegiertenversammlung der Landestierärztekammer Bayern über die Abschaffung oder den Erhalt der Zusatzbezeichnung Homöopathie ab. Sie haben damit die Chance, 12 humanmedizinischen Ärztekammern zu folgen und die Homöopathie aus der Weiterbildung zu streichen. Bitte nutzen Sie diese historische Chance und machen die die LTK Bayern zur Vorreiterin pro wissenschaftlicher Medizin in der organisierten Tierärzteschaft und stellen Sie sich gegen unsinnige und vielfach schädliche Pseudomedizin.

In der Humanmedizin hat die Landeärztekammer Bayern im Oktober als zwölfte von 17 Kammern die Homöopathie aus der ärztlichen Weiterbildungsordnung gestrichen. Die Argumente, die zu dieser Entscheidung geführt haben, gelten ohne jede Einschränkung auch für die Tiermedizin und lassen sich wie folgt zusammenfassen (nach einem Artikel von Dr. Christian Lübbers im Bayerischen Ärzteblatt im Vorfeld der Entscheidung des BayLÄTages):

“Die medizinische Irrelevanz von Homöopathie als spezifische Arzneimitteltherapie ist bei der vorliegenden Erkenntnislage unbestreitbar. Ist die Forderung, der Homöopathie Privilegien im Rahmen der ärztlichen Versorgung zu erhalten, angesichts dessen zu rechtfertigen?

Die Gesamtevidenz zur Homöopathie ist negativ, wie elf systematische Reviews seit 1991 ausnahmslos belegen. Dies entspricht dem, was nach wissenschaftlicher Validierung der homöopathischen Grundhypothesen empirisch zu erwarten ist. Inhaltlich übereinstimmend mit einer Vielzahl wissenschaftlicher und staatlicher Organisationen folgert der Beirat der Europäischen Wissenschaftsakademien (EASAC) in seiner Funktion als wissenschaftliche Beratungsinstanz der EU hieraus, dass die Behauptungen zur Homöopathie unplausibel sind und nicht mit etablierten wissenschaftlichen Konzepten übereinstimmen und die Anwendung von Homöopathie generell das Vertrauen der Patientinnen/Patienten und der Öffentlichkeit in die Natur und den Wert wissenschaftlicher Evidenz für die Entscheidungsfindung in der Gesundheitsversorgung untergräbt.

Die Hürden für eine homöopathische Therapie in der [tier]ärztlichen Praxis sind folglich davon bestimmt, dass sie der Patientenschaft nicht als wissenschaftlich valide dargestellt werden kann. Anderes käme einer aktiven Täuschung gleich, wozu nicht noch die mögliche Fehlannahme beitragen darf, die Therapeutin/der Therapeut sei durch den Erwerb der „Ärztlichen Zusatzbezeichnung“ besonders qualifiziert – für eine Therapieform, die weder ein konsistentes System darstellt, noch belegen kann, über Kontexteffekte hinauszugehen.

Hürden bestehen auch für einen Einsatz als Placebo. Sie wären nur zu überwinden, wenn eine informierte Übereinstimmung zwischen [Tier]Ärztin/Arzt und Patient vorläge. Hierzu bedürfte es der ärztlichen Aufklärung, dass nach gültiger wissenschaftlicher Erkenntnis nicht mehr als ein Placeboeffekt zu erwarten sei und eines verstehenden Einvernehmens dazu auf der rezipierenden Seite [seitens der Tierhalter, Anm. der Verfasser]. Dies erscheint praktisch unerreichbar angesichts der weit verbreiteten Wahrnehmung der Homöopathie als medizinisch relevante Methode von der mehr zu erwarten sei als ein Placeboeffekt.

Wenn [tier]ärztliche Therapeuten die Weiterbildungsinhalte zur Homöopathie als spezifische Arzneimitteltherapie ernst nehmen (weshalb sonst sollten sie das Procedere absolvieren), werden sie selbst auch nicht von einer Placebo-Gabe ausgehen. Dies aber widerstreitet der belegten negativen Gesamtevidenz der Methode und induziert eine objektiv nicht begründbare Therapieentscheidung. Dies setzt die [Tier-]Ärztekammer und ihre Weiterbildungsordnung dem Vorhalt aus, den eigenen Anspruch auf wissenschaftliche Objektivierbarkeit ihrer Weiterbildungsangebote zu diskreditieren. Insgesamt stellt sich dies als unauflöslicher Dissens dar.

Umso mehr, als es „die“ Homöopathie im Sinne eines anerkannten Kanons bekanntlich nicht gibt, stattdessen Varianten, interne Differenzen und offene Widersprüche innerhalb des Lehrgebäudes, die die homöopathische Gemeinschaft offenbar nicht willens und imstande ist, in einem wissenschaftlichen Kontext aufzulösen. Was allein schon die Relevanz und die Tragfähigkeit von „Weiterbildungen“ hierzu tiefgreifend in Frage stellt und offenbleibt, was an fachlich und ethisch validen Standards überhaupt vermittelt werden könnte.

Dem Einwand, Homöopathie müsse aus Gründen der Patientensicherheit in [tier]ärztlicher Hand verbleiben, ist schon dadurch zu begegnen, dass dann auch etliche andere Pseudotherapien in den [tier]ärztlichen Kanon inkorporiert werden müssten. Zudem ist gerade ihre Etablierung in der [Tier]Ärzteschaft, zum Beispiel über Weiterbildungen und die [tier]ärztliche Zusatzbezeichnung, ein wesentlicher Grund für die verbreitete Fehlannahme, Homöopathie sei eine reale, bewährte und zuverlässige Therapieoption. Es gilt vielmehr, durch eine kritische Positionierung der [Tier]Ärzteschaft genau dieser Annahme entgegenzuwirken. Patientensicherheit wird vor allem erreicht, wenn homöopathische Therapien gar nicht angeboten werden – gleich wo.

Der Weltärztebund führt in der „WMA Declaration on Pseudoscience and Pseudotherapies in the Field of Health” (2020) aus:

„Mit Unterstützung der relevanten Organisationen und Behörden, die an der Leitung und Regulierung des ärztlichen Berufsstandes beteiligt sind, müssen Ärzte die Medizin […] basierend auf der Anwendung kritischer wissenschaftlicher aktueller Erkenntnisse, fachlicher Fähigkeiten und ethischem Verhalten ausüben. […] Ärzte sollten darin geschult werden, Pseudowissenschaft/Pseudotherapien, logische Irrtümer und kognitive Verzerrungen zu erkennen und ihre Patienten entsprechend zu beraten.“

Eine Weiterbildung, die die Anwendung von Homöopathie als reale therapeutische Option zu vermitteln vorgibt, leistet eben dies genau nicht.

[Tier]ÄrztInnen genießen bei ihrer Berufsausübung viele Freiheiten – dazu gehört aber nicht, den wissenschaftlichen Kontext ihrer Profession nach Belieben zu verlassen und sicher nicht, dies über Weiterbildungsangebote und [tier]ärztliche Zusatzbezeichnungen auch noch zu institutionalisieren.“

(Das Literaturverzeichnis zu diesem Text kann im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.)

Den Ausführungen zum Placebocharakter der Homöopathie und der dadurch bestimmten Möglichkeiten und Grenzen einer homöopathischen Behandlung sei für die Veterinärmedizin noch hinzugefügt, dass es sich im tiermedizinischen Bereich um die Anwendung einer unwirksamen Methode an nicht selbst einwilligungsfähigen Lebewesen handelt, was aus praktischen und ethischen Gründen eine nahezu unüberwindbare Hürde für die Rechtfertigung einer solchen Methode aufrichtet.

Speziell für die Veterinärmedizin findet sich hier eine Übersicht der Studienlage mit einer großen Anzahl von Quellen.
https://www.homöopedia.eu/index.php/Artikel:Tierhomöopathie

Fazit hier:

“Placebokontrollierte Studien liefern keine Belege, dass homöopathische Behandlungen bei Tieren einen besseren Behandlungserfolg erzielen als Placebobehandlungen.

Insgesamt bedeutet dieses Ergebnis, dass die Forderung der EU-Verordnung 2018/848, Abschnitt 1. 5. 2. „Tierärztliche Behandlung“,[63] dass homöopathische Erzeugnisse nur dann einer medizinischen Behandlung vorzuziehen sind, sofern sie tatsächlich eine therapeutische Wirksamkeit auf die betreffende Tierart und die zu behandelnde Krankheit haben, für kein Krankheitsbild und keine Tierart erfüllt ist.

Auch an anderer Stelle weist die Homöopedia darauf hin, dass es nicht den rechtlichen Vorgaben entspricht, Homöopathika (und Anthroposophika) als primäre Behandlungsoptionen in der Tiermedizin anzusehen und sich dabei auf eine Fehlinterpretation der EU-Bestimmungen zu berufen:

“Da die EU-Verordnung 2018/848 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen im Abschnitt 1. 5. 2. „Tierärztliche Behandlung“ explizit eine Anwendung der Homöopathie nur dann bevorzugt sehen will, „sofern ihre therapeutische Wirkung bei der betreffenden Tierart und der zu behandelnden Krankheit gewährleistet ist“, bedeutet dieses Ergebnis, dass diese gesetzliche Voraussetzung durch die Datenlage nicht erfüllt ist.”

Diese längst nicht mehr bestreitbaren Fakten sollten bei der Abstimmung berücksichtigt werden.

Nutzen Sie Ihre historische Chance! Vielen Dank!

 

Für das Informationsnetzwerk Homöopathie

Dr. Rolf Wagels – Veterinärmedizinische Sektion
Dr. Norbert Aust – Sprecher
Dr. Christian W. Lübbers – Sprecher
Udo Endruscheit – Sprecher


Weitere wichtige Beiträge auf unserer Webseite zu Homöopathie in der Veterinärmedizin:

Das Deutsche Tierärzteblatt und die Homöopathie

Einwand: Tierhomöopathie funktioniert aber doch!

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