Was ist eigentlich „Allopathie“?

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Zusammenfassung

"Allopathie" ist eine Bezeichnung für die Standardmedizin ("heroische Medizin") zu Samuel Hahnemanns Zeiten. Mit der heutigen wissenschaftlichen Medizin hat diese Bezeichnung nichts zu tun.

Der Begriff „Allopathie“ taucht vielfach in Diskussionen über Homöopathie / Pseudomedizin auf, oft, um die vermeintlich sanfte und natürliche Pseudomethode von der „bösen Schulmedizin“ abzugrenzen. Wobei Schulmedizin seinerseits ein Kampfbegriff der Homöopathen vom Ende des 19. Jh. ist, der im 3. Reich dann auch noch mit dem Zusatz „verjudete Schulmedizin“ zusätzlich belastet wurde. Den sollten wir also sowieso nicht benutzen. Ist „Allopathie“ auch so etwas oder verbirgt sich dahinter etwas Sinnvolles? Auf den Seiten von Heilpraktikern und ihren Verbänden ist die „Allopathie“ allgegenwärtig. An vielen Apotheken steht zudem „Allopathie – Homöopathie“, manchmal gar „Allopathie – Homöopathie – Pharmazie“. Macht das irgendeinen Sinn?

Der Mythos der Allopathie

DIe Einführung des Begriffs „Allopathie“ durch Samuel Hahnemann ist deshalb noch heute ein Problem, weil er im Laufe der Zeit zu einem Synonym für die moderne wissenschaftliche Medizin geworden ist. Der Gebrauch des Begriffs „Allopathie“ ist so weit verbreitet, dass nicht selten gestandene wissenschaftsfundierte Mediziner ihn völlig unkritisch als Bezeichnung für sich selbst und ihre Tätigkeit verwenden. „Ich arbeite allopathisch“ – damit ist in der Regel gerade eine Abgrenzung von Pseudomedizin gemeint, aber im Grunde das Gegenteil gesagt. 

Das Wort leitete Hahnemann aus dem Griechischen „allos“ (όλα, anders, gegensätzlich) und „pathos“ (πάθος, krank, Erkrankung) ab. Er wollte damit eine Medizin beschreiben, die allein Symptome mit Mitteln behandelt, die diese unterdrücken oder ihnen entgegenwirken, also das Gegenteil eines „Simile“, eines „ähnlichen“ Mittels zur Krankheitsbekämpfung seien. Hier finden wir eine der Quellen für die ständige Behauptung der Homöopathen, die „Schulmedizin“ behandle nur Symptome, im Gegensatz zur Homöopathie, die die Ursachen angehe (die „Ursache“ ist dabei im Denken der Homöopathen die „verstimmte geistige Lebenskraft“, was diese so falsche wie gängige Behauptung von „nur Symptombehandlung“ als Narrativ innerhalb des homöopathischen Denkgebäudes entlarvt). 

Die Verwendung des Begriffs „Allopathie“ als Synonym für die moderne wissenschaftliche Medizin beinhaltet also den alten unsinnigen Vorwurf, nur die Homöopathie behandle „Ursachen“. Wir sehen, dass dieser Begriff sich nicht eignet, die moderne wissenschaftliche Medizin zu bezeichnen.

Zu Hahnemanns Zeiten mag der Begriff es durchaus getroffen haben, Gegenstand seiner Kritik waren ja seine ärztlichen Zeitgenossen, die durchweg unter der Annahme arbeiteten, das „Gleichgewicht der Säfte“ im Sinne von Galens Humoralpathologie müsse „wiederhergestellt“ werden (mit den bekannten drastischen Methoden der „heroischen Medizin“). Das aber ist medizinhistorische Vergangenheit – mit Rudolf Virchows Zellularpathologie hatte die mehr als tausend Jahre alte Humorallehre ausgespielt und es begann sich ein völlig neues Medizinkonzept zu entwickeln, das im Kern darauf aus ist, eben die Ursachen von Erkrankungen zu erkennen und dafür Behandlungsmöglichkeiten zu finden. Dass in vielerlei Hinsicht heute (noch) keine ursächliche Behandlung möglich, aber eine symptomatische Behandlung sinnvoll ist (von der Erkältung bis zum Diabetes), schränkt diesen Paradigmenwechsel nicht ein und ermöglicht auch hierdurch Lebenszeitgewinn und Lebensqualität, wie sie zu Hahnemanns Zeiten nicht vorstellbar waren.

Der amerikanische Public-Health-Experte William T. Jarvis bezeichnete die Verwendung des Begriffs „Allopathie“ für moderne Medizin und die sie vertretende Ärzteschaft als „clevere Rhetorik“, die implizit die alte Unterstellung beinhalte, es gehe nach wie vor in der „nicht-alternativen“ Medizin nur um Symptombehandlung. Er meint, dabei gehe es denen, die „Allopathie“ bewusst verwenden, darum, den fundamentalen Unterschied zwischen überholten Thesen wie dem „Vitalismus“ (der „Allbelebtheit“ aller Materie als Quelle der Lebenskraft) und wissenschaftlichen Fakten auf die Ebene eines Streites zwischen Weltanschauungen herunterzuziehen. In der Tat könnten wir so manche Äußerung von Homöopathen anführen, die genau dies versucht.

Jarvis weist nachdrücklich auf die früher offensive Verwendung von „Allopathie“ als „Kampfbegriff“ hin: “ … ein Begriff verbaler Kriegsführung … buchstäblich als pejorativ (abwertend) verwendet von den Pseudomedizinern des 19. Jahrhunderts und als höchst beleidigend angesehen von den Adressaten.“

Im frühen 20. Jahrhundert wehrte sich die wissenschaftsorientierte Ärzteschaft dann massiv. Jarvis zitiert aus einem medizinischen Lehrbuch für Studierende aus dem Jahre 1902: „Vergessen Sie nicht, dass „Allopathie“ eine falsche Zuschreibung ist und von wissenschaftsorientierten Medizinern nicht verwendet werden sollte. Der Begriff wurde schlau geprägt und in abwertender Absicht von Hahnemann in seinem Kreuzzug gegen die damals etablierte Medizin eingesetzt. Er wird seither von den Gegnern wissenschaftlicher Medizin mit allen impliziten Unterstellungen und Herabwürdigungen gegen uns verwendet. „Allopathie“ angewandt auf wissenschaftsbasierte Medizin ist so falsch wie übergriffig.“ 

Und der US National Council of Health Fraud wies 2000 darauf hin, dass eine „mehrdeutige Benutzung des Begriffs ‚Allopathie‘ nur denen entgegenkommt, die das Bild der modernen Medizin verunklaren wollen, und dass deswegen der Begriff nicht mehr als Referenz, weder für die moderne Medizin noch für die sie praktizierenden Ärzte, verwendet werden sollte“.

Deshalb ist die einzige Antwort auf die Verwendung des Begriffs „Allopathie“ für die moderne Medizin die Frage, was bitte „Allopathie“ denn überhaupt sei? Viele wissen es einfach nicht, deshalb erklären wir es hier ja auch. Aber wir sollten – aus Gründen – den Begriff „Allopathie“ nur für das akzeptieren, was er wirklich bezeichnet: die Methoden der „heroischen Medizin“ zu Hahnemanns Zeiten. Und liebe Apotheker, ändert mal eure Beschilderung. Denn ihr wollt doch sicher nicht gefragt werden, ob ihr Aderlassbestecke, Haarseile oder besonders kräftige Brechmittel vorrätig haltet?! Könnte passieren, solange ihr „Allopathie“ bewerbt …


Mehr zum Thema, insbesondere zu den Hahnemannschen Gedankengängen: https://onkelmichael.blog/2022/05/25/der-begriff-allopathie-eine-erlauterung/


William T. Jarvis, PhD, Misuse of the term  „Allopathy“, Text bei „Quackwatch“ (englisch), der umfassenden pseudomedizinkritischen Webseite von INH-Unterstützer Stephen Barrett:
https://quackwatch.org/ncahf/articles/a-b/allopathy/ 


Bild von mohamed Hassan auf Pixabay

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