Tierhomöopathie ist weit verbreitet und wird hoch gelobt. Bei Google erzielt der Begriff nahezu 65.000 Treffer (abgerufen 13.04.2021). Doch ist sie ein Gebäude, das erst von Hahnemanns Nachfolgern gezimmert worden ist. Von ihm selbst gibt es nur einen kurzen, von ihm nie veröffentlichten Text, in dem er die Idee andeutet, Arzneimittelprüfungen und Materia medica auch für Tiere durchzuführen bzw. aufzustellen. Er selbst ist nicht darauf zurückgekommen – seine Exegeten begannen aber mit der Tierhomöopathie bereits zu seinen Lebzeiten. Heute sind die Angebote von Tierhomöopathen und Homöopathie praktizierenden Tierheilpraktikern gleichwohl überall zu finden.
Wir dürfen wohl davon ausgehen, dass Hahnemann die nachstehenden Probleme im Kern bewusst waren und er deshalb die Einsicht hatte, auf die Etablierung einer Tierhomöopathie zu verzichten, was manchen seiner Nachfolger jedoch keineswegs davon abgehalten hat. Um Missverständnissen vorzubeugen – selbstverständlich ist die Homöopathie als Ganzes ein fehlgeleitetes Ideengebäude, hier geht es vor allem darum, die Unsinnigkeit des „Add-Ons“ Tierhomöopathie selbst im homöopathischen Rahmen aufzuzeigen.
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- Die Physiologie der Tiere ist von der des Menschen, zusätzlich auch noch innerhalb der Tierarten sehr unterschiedlich. Viele Erkrankungen im Tierreich kommen überhaupt nur arten- oder gar rassespezifisch vor, was eine ungeheure Differenzierung bei der Erfassung von Krankheitsbildern voraussetzt. Zu Hahnemanns Zeiten kannte man natürlich schon tierspezifische Erkrankungen, konnte sie aber noch nicht im Hinblick auf eine unterschiedliche Physiologie deuten.
- Deswegen hätte es einer völlig neuen Basis neben der homöopathischen Methode für Menschen bedurft: Arzneimittelprüfung an Tieren, tierspezifischer Materia Medica und homöopathischer Anamnese am Tier. Wäre das überhaupt – abgesehen davon, dass dies für jede Tierart und ggf. -rasse einzeln hätte geschehen müssen – nach den Anforderungen des Organon leistbar gewesen? Diese Frage wird man verneinen müssen. Gleichwohl – es wurden Arzneimittelprüfung am „gesunden Tier“ durchgeführt, bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Man mag sich kaum vorstellen, was dabei an Fehlgeleitetem produziert wurde.
- Wie soll bei Tieren, zumal bei völlig unterschiedlichen Arten und Rassen, eine homöopathische Anamnese als detailliertes Gesamtbild vom körperlichen, geistigen und seelischen Zustand des Patienten unter Einbeziehung aller kleinster Einzelheiten seiner Symptomatik durchführbar sein, wie sie im Organon gefordert wird? Gleiches gilt natürlich auch für die Arzneimittelprüfung, die ja nur ein Spiegelbild der Anamnese auf der Grundlage genauester Erfassung der kleinsten Befindlichkeitsstörung am Probanden ist. Immerhin ist das Tier nicht in der Lage, so detailliert Auskunft zu geben, wie es die Methode nun einmal erfordert. Viele Symptome bei Veterinärerkrankungen zeichnen sich ohnehin dadurch aus, dass sie sehr spät offen in Erscheinung treten.
- Die praktizierenden Tierhomöopathen zeigten – im Gegensatz zu ihrem spiritus rector – so wenig Einsicht in diese Problemlagen, dass man sich bis heute mit mehr als dünnen Hilfskonstruktionen zufriedengab. Und zwar insofern, als Arzneimittelprüfung wie auch anamnestische Erhebung in Ermangelung sprachlicher Kommunikation durch „Beobachtung“ des Tieres und gegebenenfalls Befragung des Tierhalters durchgeführt wurde und wird (moderner Ausdruck dafür: Anamnese by proxy). Es erschließt sich nicht, dass die Forderungen des Organon zur Methodik durch eine derartige „Krücke“ erfüllt werden könnten.
- Heute gibt es eine Unzahl von Methoden und Veröffentlichungen zur Arzneimittelprüfung und Anamnese an Tieren. Allein dieses Abgleiten ins Uferlose und Beliebige ist ein klares Zeichen für eine fehlgeleitete Methode. Und steht mal kein Nachschlagewerk für den Einzelfall zur Verfügung, so muss es der analoge Rückgriff auf die Repertorien zur menschlichen Behandlung tun, notfalls wieder die viel bemühte Erfahrung.
So kann es auch nicht verwundern, dass die Studienlage zur Wirksamkeit von Tierhomöopathie katastrophal ist – was sogar die Carstens-Stiftung einräumt.
Gleich ob bei Mensch oder Tier – die homöopathische Methode ist weder wirksam, noch schonend oder ganzheitlich. Homöopathie ist Nichtbehandlung – mit allen darin liegenden systemischen Risiken im Falle nicht selbstlimitierender Erkrankungen, ob bei Mensch oder Tier. Das Tier zudem kann sich nicht selbst versorgen, ist auf Gedeih und Verderb der Verantwortung seines Halters angewiesen. Dieser kann man nur gerecht werden, indem dem Tier evidenzbasierte Veterinärmedizin zugänglich gemacht wird. Alles andere ist unethisch, das Wort Tierquälerei durchaus am Platze.
Noch ein Wort zu Antibiotika in der (Massen-)Tierhaltung: Antibiotikagaben aus unspezifischen Gründen sind abzulehnen. Dazu gehört insbesondere die vorbeugende und regelmäßige Gabe aufgrund von unzureichenden Haltungsbedingungen. Antibiotika aus veterinärmedizinischen Gründen sind im Bedarfsfall aber selbstverständlich dem „Nichtstun“ durch Homöopathika vorzuziehen. Die zunehmende Vorstellung, der Einsatz von Homöopathika biete eine „Alternative“ zur Antibiose im Viehstall, ist ein verhängnisvoller Irrtum, der ein enormes Gefahrenpotenzial in sich birgt!
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Bild: UE für das INH
4 Antworten auf „Einwand: Tierhomöopathie funktioniert aber doch!“
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