Gerade erst konnten wir vermelden, dass die Landesärztekammer Thüringen als vierzehnte von 17 LÄK nun auch die Homöopathie aus ihrer Landesweiterbildungsordnung verbannt hat. Ein weiterer Erfolg für die wissenschaftsbasierte Homöopathiekritik.
Dass ein Ende der Homöopathie in Medizin und Gesundheitswesen damit aber noch nicht erreicht ist, sollte klar sein. Dass die Vertreter der Homöopathie recht aktiv sind, sieht man z.B. daran, dass eine solide Einrichtung wie die Evangelische Akademie Bad Boll auf ihrer Webseite eine Veranstaltung für den 15. März ankündigt, die unter dem Motto “Globuli, Wissenschaft und Patientenwunsch – Über den Stellenwert der Homöopathie im Gesundheitssystem” steht. Dies erstaunt auch deshalb, weil eine solche Veranstaltung, soweit ersichtlich, dem üblichen Themenkreis der Akademie fremd ist.
Ein näherer Blick in die Ankündigung lässt sowohl wegen mancher Teilnehmer als auch wegen inhaltlicher Aussagen befürchten, dass hier eine öffentliche Inszenierung pro Homöopathie stattfinden soll. Unvermeidlich, dass man sich auch an die in Baden-Württemberg nach wie vor schwelende Auseinandersetzung zwischen dem Gesundheitsminister und der Landesärztekammer zur Homöopathie in der Landesweiterbildungsordnung erinnert sieht.
So fühlt man Absicht – und ist verstimmt, um hier einmal auf den Dichterfürsten zurückzugreifen.
Auch hier ist es nicht unsere Sache, dem tatenlos zuzuschauen. Viel können wir nicht tun, aber die Verantwortlichen der Akademie darauf hinzuweisen, wie problematisch der Ansatz ihrer Veranstaltung ist, das können wir schon. Und haben es mit der nachstehenden Mail auch getan:
An die
Ev. Akademie Bad Boll
73087 Bad Boll
Sehr geehrter Herr Dr. Merz (Studienleitung), sehr geehrte Frau Böld (Tagungsorganisation), sehr geehrte Damen und Herren!
Mit Interesse haben wir von der Ankündigung Ihrer Veranstaltung
Globuli, Wissenschaft und Patientenwunsch – Über den Stellenwert der Homöopathie im Gesundheitssystem
am 15.03.2023 in Stuttgart Kenntnis genommen.
Als eine Organisation, die den homöopathiekritischen Diskurs seit 2016 wesentlich mitbestimmt, erlauben wir uns hierzu einige Anmerkungen. Wir möchten uns dabei auf die drei Begriffe beschränken, die den Titel ihrer Veranstaltung gemeinsam dominieren und in denen wir in dieser Kombination von vornherein einen Dissens erkennen.
Globuli
Der Begriff steht hier natürlich als Synonym für die Therapieform Homöopathie. Diese ist nach der nahezu einhelligen Position der medizinischen Wissenschaft, nach den Ergebnissen aller großen systematischen Arbeiten der letzten 30 Jahre (Homöopedia 2019) und nach dem Urteil einer Vielzahl von wissenschaftlichen Institutionen und Gesundheitsbehörden medizinisch irrelevant, da spezifisch unwirksam (z.B. UK Science and Technology Committee 2009; Australian National Health and Medical Research Council 2015; French Academies of Medicine and Pharmacy 2019). Hervorgehoben sei das Urteil des Beirates der Vereinigung der europäischen Wissenschaftsgemeinschaften, des wissenschaftlichen Beratungsgremiums der EU, zu der auch die deutsche Leopoldina gehört (EASAC 2017):
Scientific mechanisms of action—where we conclude that the claims for homeopathy are implausible and inconsistent with established scientific concepts.
Clinical efficacy—we acknowledge that a placebo effect may appear in individual patients but we agree with previous extensive evaluations concluding that there are no known diseases for which there is robust, reproducible evidence that homeopathy is effective beyond the placebo effect. There are related concerns for patient-informed consent and for safety, the latter associated with poor quality control in preparing homeopathic remedies.
Promotion of homeopathy—we note that this may pose significant harm to the patient if incurring delay in seeking evidence-based medical care and that there is a more general risk of undermining public confidence in the nature and value of scientific evidence.
Homöopathie wird also nach allgemeinem Urteil außerhalb von Medizin und nicht als Teil von öffentlichen Gesundheitssystemen verortet. Die Behauptung, für die Homöopathie seien spezifische medizinische Wirkungen wissenschaftlich nachgewiesen, trifft nicht zu und muss jedenfalls dann als ethisch problematisch angesehen werden, wenn dies gegenüber der Öffentlichkeit so dargestellt wird.
Wissenschaft
Die eben genannten Urteile hochrangiger Wissenschaftsorganisationen gehen davon aus, dass das wissenschaftliche Urteil zur Homöopathie abschließend ist. Homöopathische Forschung – ob als klinische oder als sogenannte Grundlagenforschung – wird zwar publiziert, jedoch in der wissenschaftlichen Diskussion außerhalb der homöopathischen Szene so gut wie nicht rezipiert, da ihr keine Bedeutung beigemessen wird. Die Homöopathie selbst zeigt eine sehr ambivalente Haltung zur Wissenschaft, da sie auf die „eigenen Forschungsergebnisse“ pocht und sich gleichzeitig dem breiten Konsens verweigert, dass die Homöopathie weder mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen vereinbar ist noch empirisch belastbar einen realen Nutzen nachweisen konnte. Da die Homöopathie so einen wissenschaftlichen Anspruch erhebt, diesen aber nach allgemeinem Urteil nicht einlösen kann, ist sie als eine Pseudowissenschaft zu qualifizieren (RAS 2017, Mukerji/Ernst 2022). Dies wäre in der Ankündigung erwähnte „Resonanz“ aus der wissenschaftlichen Welt, wenn man von einer solchen sprechen will. Wir erlauben uns die Frage: Kann dies Gegenstand einer akademischen Erörterung „des Stellenwertes der Homöopathie im Gesundheitssystem“ sein?
Patientenwunsch
Dieser letzte Begriff im Kontext Ihres Veranstaltungstitels muss erstaunen. Ist Medizin eine Wunschveranstaltung? Zumal innerhalb eines öffentlichen Gesundheitssystems? Wir vermuten, der primäre Wunsch von Hilfesuchenden, die sich in eine ärztliche Behandlung begeben, ist, wirksam und nach dem aktuellen Stand der Erkenntnisse behandelt zu werden. Der informierte Patient dürfte kaum den Wunsch nach einer Methode hegen, die nach überwältigendem Konsens in der medizinischen Wissenschaft keine spezifische – über Kontexteffekte hinausgehende – Wirksamkeit aufweist. Es geht also nicht um Patientenwünsche, sondern um medizinethisch unabdingbare Information und Aufklärung von Patienten, die diese in die Lage versetzt, ihre vorgeblichen Wünsche und Präferenzen selbst richtig einschätzen zu können.
Patientenbeteiligung an der Entscheidungsfindung zu einem Therapievorschlag und Entscheidungsautonomie dabei sind sehr hohe Güter, die zu den entscheidenden Fortschritten in der Medizin der letzten Jahrzehnte gehören. Keineswegs ist dies aber so zu verstehen, dass sich medizinische Versorgung entscheidend nach Wünschen und Vorstellungen von PatientInnen richten könne oder gar solle. Medizin beruht auf der Anwendung möglichst objektivierbaren Wissens, deshalb gibt es die ärztliche Profession. Nicht auf Glauben an mehr oder weniger populäre Mythen und Irrtümer, wie sie vielfach sogenannten Patientenwünschen zugrunde liegen und auf denen die vorgebliche „Beliebtheit“ der Homöopathie beruht. Aus diesem Grunde bleibt uns seit jeher unzugänglich, was eigentlich mit den wiederkehrenden Umfragen bezweckt werden soll, die vielfach eine solche „Beliebtheit“ nachzuweisen bemüht sind.
Oft ist zu hören, dass die im Rahmen der Evidenzbasierten Medizin erwähnten „Patientenpräferenzen“ als Rechtfertigung dafür dienen sollen, bestimmte Therapieformen zu präferieren. Dies geht fehl. Die evidenzbasierte Medizin setzt keineswegs, wie man sich bei Sackett (Sackett et al. 1997) leicht überzeugen kann, die Patientenpräferenzen gleichwertig zur primären „besten externen Evidenz“ (best available external clinical evidence from systematic research) , sondern stellt dieser Evidenz die individuelle ärztliche Expertise (proficiency and judgment that individual clinicians acquired through clinical experience and clinical practice) und die – vertretbaren – Patientenpräferenzen (z.B. auch eine Ablehnung von Behandlungen) als ggf. notwendiges Korrektiv an die Seite, um im Einzelfall möglicherweise nicht anwendbarer klinischer Evidenz Rechnung tragen zu können und eine „Schablonenmedizin“ zu verhindern.
Eine Fehl- und Überinterpretation des Begriffs der Patientenautonomie als „Wunschmedizin“ verbietet sich auch deshalb, weil längst Klarheit darüber herrscht, dass auch im toxischen Sinne ungefährliche, aber medizinisch unwirksame Interventionen ein Schadenpotenzial beinhalten: vor allem das der Verzögerung oder gar der Vermeidung notwendiger wirksamer Behandlungen. Es liegt auf der Hand, dass dieses Risiko umso größer ist, je tiefer eine falsche Überzeugung von der Wirksamkeit einer bevorzugten Methode verankert ist. Es kann daher nur ärztliche Aufgabe sein, dem entgegenzuwirken. Neben dem EASAC (siehe den ersten Abschnitt) hat sich auch der Weltärztebund (WMA 2020) dazu positioniert. Hier verbinden sich die generellen Anforderungen an die Medizin mit dem individuellen Erfordernis eines „informed consent“ zwischen Therapeut und Patient zu einer Therapieentscheidung auf der Basis des bestverfügbaren Wissens (NHS 2022).
Fazit
Mit einer Vielzahl von Einwänden und Positionsbestimmungen wird von interessierter Seite trotz alledem ständig versucht, für die Homöopathie (und die anderen „besonderen Therapierichtungen“ nach dem Arzneimittelgesetz) einen Platz in Medizin und im Gesundheitswesen zu rechtfertigen. Eröffnet doch das Arzneimittelgesetz den Mitteln der „besonderen Therapierichtungen“ das einzigartige Privileg eines Zugangs zum Arzneimittelmarkt ohne Wirksamkeitsnachweise nach wissenschaftlichen Kriterien.
Jedoch lässt sich der Gesamtkomplex, den wir hier exemplarisch anhand der Leitbegriffe Ihrer Veranstaltung umrissen haben, auf einen sehr einfachen Nenner bringen: Grundlage moderner Medizin ist die nach wissenschaftlichen Kriterien nachgewiesene Wirksamkeit von Interventionen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass dies auch das entscheidende Kriterium für ein modernes, nachhaltiges Gesundheitssystem sein muss, das auch die Gesundheitskompetenz der Allgemeinheit befördern soll. Dies lässt sich auch gesundheitsökonomisch begründen (Salomon 2019). Hiermit sehen wir den „Stellenwert“ der Homöopathie als einer Methode, der es an den zentralen Kriterien sowohl der Vereinbarkeit mit gesichertem naturwissenschaftlichem Wissen als auch valider klinischer Evidenz mangelt, für das Gesundheitssystem als notwendig und hinreichend definiert an.
Natürlich gibt es – und wird es immer geben – eine Vielzahl von Mitteln und Methoden, die außerhalb von Medizin und öffentlichen Gesundheitswesen Anwendung finden. Es gehört aber zur Verantwortung von Medizin und Gesundheitspolitik, für die Allgemeinheit und im Interesse von deren Gesundheitskompetenz klar sichtbar die Scheidegrenze zur nachgewiesen wirksamen wissenschaftsbasierten Medizin zu ziehen. Konzessionen an „Patientenwünsche“, die nicht mit der bedeutsamen Rolle wohlverstandener Patientenautonomie verwechselt werden dürfen, gehören sicher zum Letzten, was in einem wissenschaftsorientierten Medizinsystem Platz hat.
Die Ankündigung Ihrer Veranstaltung lässt für uns zumindest offen, ob die vorstehend genannten Gesichtspunkte dort gebührende Berücksichtigung finden. Das bedauern wir und haben uns deshalb zu dieser kurzen Stellungnahme veranlasst gesehen, von der wir hoffen, dass Sie zumindest zur Reflexion anregt.
Mit freundlichen Grüßen
Informationsnetzwerk Homöopathie
Prof. Dr. Jutta Hübner (Wiss. Beirätin)
Dr.-Ing. Norbert Aust (Sprecher)
Dr. med. Christian W. Lübbers (Sprecher)
Udo Endruscheit (Sprecher)
Referenzen:
EASAC 1017 – Homeopathic products and practices: assessing the evidence and ensuring consistency in regulating medical claims in the EU
https://easac.eu/fileadmin/PDF_s/reports_statements/EASAC_Homepathy_statement_web_final.pdf
Homöopedia 2019 – Systematische Reviews zur Homöopathie – Übersicht
https://www.homöopedia.eu/index.php?title=Artikel:Systematische_Reviews_zur_Homöopathie_-_Übersicht
Mukerji/Ernst 2022 – Mukerji, N., Ernst, E. Why homoeopathy is pseudoscience. Synthese 200, 394 (2022). https://doi.org/10.1007/s11229-022-03882-w
NHS 2022: Consent to treatment. https://www.nhs.uk/conditions/consent-to-treatment/
„Consent to treatment means a person must give permission before they receive any type of medical treatment, test or examination.
This must be done on the basis of an explanation by a clinician.
Consent from a patient is needed regardless of the procedure, whether it’s a physical examination or something else.
The principle of consent is an important part of medical ethics and international human rights law.“
RAS 2017 – Russian Academy of Sciences, Commission on Pseudoscience and Research Fraud: Memorandum #2
Homeopathy as Pseudoscience
http://klnran.ru/en/2017/02/memorandum02-homeopathy/
Sackett 1997 – Sackett, David L., et al.: „Evidence based medicine: what it is and what it isn’t.“, BMJ (1996): 71-72.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2349778/pdf/bmj00524-0009.pdf
Salomon 2019 – Salomon, T. Von wegen, so okay, Herr Spahn!
https://netzwerk-homoeopathie.info/von-wegen-so-okay-herr-spahn-ein-gastbeitrag-von-pharmaoekonomin-prof-dr-tina-salomon/
WMA 2020 – WMA Declaration on Pseudoscience and Pseudotherapies in the Field of Health. Adopted by the 71st WMA General Assembly (online), Cordoba, Spain, October 2020
https://www.wma.net/wp-content/uploads/2020/12/wmj_4_2020_WEB.pdf
„Pseudoscience and Pseudotherapies may have significant potential risks and harms for various reasons:
There is a risk that patients abandon effective proved-to-be effective medical treatments or prevention measures in favour of practices that have not demonstrated therapeutic value, sometimes leading to treatment failure for critical conditions that may even lead to death.
There are frequent likelihood of dangerous delays and loss of opportunity in the application of medicines, procedures and techniques recognised and endorsed by the scientific medical community as evidence-based effective interventions.
They may cause patients to suffer financial damages psychological-physical traumas, and go against the dignity of people, threatening their moral integrity.
Unproven therapies may contribute to the rising costs of healthcare procedures.“
Bild von Arek Socha auf Pixabay
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