Offener Brief von GWUP-Wissenschaftsrat und INH an Staatsministerin Huml, Freistaat Bayern

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Die CSU-Fraktion im bayerischen Landtag veröffentlichte am 13.12.2018 eine Pressemitteilung unter dem Titel „Naturheilkunde soll an Bayerischen Universitäten stärker verankert werden“. Dies korrespondierte sowohl mit einem entsprechenden parlamentarischen Antrag von Mitte des Jahres als auch ohne Zweifel mit dem Beschluss der Landesregierung Baden-Württemberg zur Einrichtung eines Lehrstuhls für „Naturheilkunde und integrative Medizin“ in Tübingen.  

Die Pressemitteilung macht deutlich, dass es konkret weitaus eher um Homöopathie ging statt um Naturheilkunde – die bekanntermaßen völlig falsche Gleichsetzung beider Begriffe grundierte das ganze Treffen außerdem. Zwei Vertreterinnen der Homöopathie – die Vorsitzende der Hahnemann-Gesellschaft und eine von der Stiftung Natur und Medizin (früher Carstens-Stiftung) mitfinanzierte klinische Pratikerin aus einer Einrichtung der LMU München hatten bei der Fraktion vorgesprochen und fanden bei ihrem Lobbying pro Homöopathie („so beliebt bei den Menschen“) anscheinend ein offenes Ohr. Die bayerische Staatsministerin für den Gesundheitsbereich, Frau Melanie Huml, war ebenfalls anwesend.

Dieser Vorgang hat den Wissenschaftsrat der GWUP und das INH veranlasst, der Staatsministerin und den Fraktionen im bayerischen Landtag den nachfolgenden Offenen Brief zukommen zu  lassen:


Frau Staatsministerin
Melanie Huml
Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege
Haidenauplatz 1
81667 München

E-Mail: poststelle@stmgp.bayern.de

(Nachrichtlich an die gesundheitspolitischen Sprecher aller Fraktionen und als Offener Brief auf www.netzwerk-homoeopathie.info)

Homöopathie in Gesundheitswesen und Hochschule – Pressemitteilung der CSU-Fraktion vom 13.12.2018

Sehr geehrte Frau Staatsministerin,

aus der oben bezeichneten Pressemitteilung der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag entnehmen wir, dass dort – in Ihrer Anwesenheit – Vertreterinnen der Pseudomethode „Homöopathie“ vorstellig geworden sind, um Repräsentanten der bayerischen Landespolitik für eine Förderung ihrer Methode mit dem Ziel einer stärkeren Verankerung in Gesundheits- und Hochschulpolitik einzunehmen.

Wir, der Wissenschaftsrat der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), halten die dort ins Auge gefasste Zielrichtung sowohl gesundheits- als auch hochschulpolitisch für verfehlt.

Die Homöopathie ist nach weltweitem wissenschaftlichem Konsens eine Scheintherapie, die weder jemals einen validen Wirkungsnachweis erbringen, noch die Unvereinbarkeit ihrer Grundannahmen mit wissenschaftlich bestens belegten Grundlagen ausräumen konnte. Deshalb ist es unser Anliegen, dass der Homöopathie keine öffentliche Glaubwürdigkeit und auch kein Platz im öffentlichen Gesundheitswesen mehr eingeräumt wird und ihr an den Hochschulen nur noch einen Platz im medizinhistorischen Teil der Curricula zukommt.

Eine „Therapie“, die nicht mehr vorzuweisen hat als die Kontexteffekte (insbesondere Placebo), die bei jeder Art von – auch nichtmedizinischer – Zuwendung auftreten, kann nicht als medizinische Therapierichtung gerechtfertigt werden. Darüber darf auch nicht hinwegtäuschen, dass Homöopathie von ihren Vertretern unzutreffend als spezifisch wirksame Arzneimitteltherapie angeboten und beworben wird.

Zur Verdeutlichung dieser international breit anerkannten Position verweisen wir beispielhaft auf das Urteil der EASAC, des Beirats der Vereinigung der Europäischen Wissenschaftsakademien, zur Homöopathie von 2017:

„(Wir schließen aus unseren Untersuchungen,) dass die Behauptungen zur Homöopathie unplausibel sind und im Widerspruch zu den etablierten wissenschaftlichen Grundlagen.
Wir erkennen an, dass bei einzelnen Patienten ein Placebo-Effekt auftreten kann, aber wir stimmen früheren ausführlichen Untersuchungen zu und schließen daraus, dass keine Krankheiten bekannt sind, für die es robuste und replizierbare Nachweise gäbe, dass die Homöopathie über diesen Placebo-Effekt hinaus wirksam sei.“

Die internationale Studienlage ist eindeutig. Inzwischen zehn systematische Reviews, darunter auch solche von Homöopathie-Vertretern, haben gezeigt, dass für keine einzige Indikation eine belegbare Evidenz pro Homöopathie existiert. Wie könnte es bei einer teilweise gegen naturgesetzliche Gegebenheiten verstoßenden Methode auch anders sein.

Daran können auch Scheinargumente nichts ändern, wie sie immer wieder zugunsten der Homöopathie vorgetragen werden. Weder ist eine „Beliebtheit“ der Homöopathie in der Bevölkerung eine Rechtfertigung für unwissenschaftliche und spezifisch unwirksame Methoden im Gesundheitswesen und in universitären Curricula, noch kann die Methode der Naturheilkunde zugerechnet werden. Letzteres ist eine regelrechte „urban legend“, die seit Jahrzehnten von interessierter Seite gezielt propagiert wird. Dies stellt wohl den am stärksten verankerten Irrtum über die Homöopathie in der Öffentlichkeit dar. Homöopathie ist ein denkbar „künstliches“ Gedankenkonstrukt, das u.a. auf den esoterischen Vorstellungen der Wirkung „geistiger Kräfte“ beruht. Sie widerspricht damit den Grundgedanken der Naturheilkunde, die von einer realen Einwirkung natürlicher Entitäten (Licht, Luft, Sonne, Kräuterextrakte…) ausgeht.

Wir sehen uns deshalb veranlasst, unsere Stimme gegen jede Einflussnahme zu erheben, die aufgrund derartiger Fehlinformationen den Stellenwert der Homöopathie in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung stärken könnte, wie es die Einrichtung eines Lehrstuhls ohne Zweifel wäre. Vielmehr sind wir der Ansicht, dass sowohl ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem als auch die künftige Hochschulausbildung von Medizinern darauf angewiesen sind, sich an den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin zu orientieren und unwissenschaftliche Methoden nicht zu fördern. Alles andere wäre ein Rückschritt, zudem eine Ressourcenverschwendung und das Gegenteil einer sich als modern verstehenden Gesundheitspolitik.

Die Medizin ist pragmatisch und offen für neue Erkenntnisse, wie jede gute Wissenschaft. Dies führt dazu – und hat seit jeher dazu geführt -, dass Methoden, ungeachtet ihrer Herkunft oder ihres Alters, in den Kanon der Medizin aufgenommen werden, wenn sie eine spezifische Wirksamkeit nach wissenschaftlichen Kriterien nachweisen können. Können sie dies nicht, kommt ihnen auch mit den Attributen „alternativ“, „komplementär“ oder auch „integrativ“ das Prädikat „Medizin“ nicht zu. Außerdem ist davor zu warnen, „Naturheilkunde“ mit diesen Begrifflichkeiten gleichzusetzen.

Bedeutungsvoll erscheint uns in diesem Zusammenhang die Erfahrung an der medizinischen Universität Wien, die das Fach Homöopathie eingeführt hatte, um einen kritischen Umgang mit der Methode zu lehren. Dies hat sich nicht bewährt, ist vielmehr sogar ins Gegenteil umgeschlagen. Das Auftreten von Vertretern der Homöopathie als Vortragende (und vorgeblich „Sachkundige“) führte dazu, dass bei der Lehre die konkrete Anwendung der Methode statt der wissenschaftlich-kritische Blick in den Vordergrund geriet. Aus unserer Sicht wäre einer kritischen Auseinandersetzung mit den Lehren der „Alternativmedizin“ durchaus Genüge getan, wenn man in den Grundlagenfächern aufzeigt, wie sehr solche Heilslehren zu der dem Hochschulwesen immanenten kritisch-rationalen wissenschaftlichen Sicht im Widerspruch stehen.

Wir verweisen darauf, dass die MedUni Wien kürzlich die Konsequenzen hieraus gezogen und die Homöopathie-Vorlesungen gestrichen hat. Universitätsrektor Markus Meier distanzierte sich in diesem Zusammenhang von unwissenschaftlichen Verfahren und Scharlatanerie. Dies nur als Beispiel – einen zunehmend kritischen Umgang mit Homöopathie gibt es international auf breiter Front, auch und vor allem in EU-Partnerländern.

Unter diesem Blickwinkel ist unseres Erachtens auch die Vorstellung zu sehen, es bedürfe eines Lehrstuhles explizit für „integrative“ oder „komplementäre“ Medizin, wie dies im Beschlussantrag zum Bayerischen Landtag vom 10.07.2018 (Drucksache 17/23310) mit artikuliert wird.

Wir möchten Sie als gesundheitspolitisch verantwortliche Ministerin des Freistaates Bayern zu diesem Thema sensibilisieren. Die verstärkten – insbesondere politischen -Aktivitäten der Homöopathie-Lobby, die offenbar auf die zunehmende, berechtigte Kritik an der homöopathischen Methode zurückgehen, bereiten uns Sorge. Ein Festhalten, gar eine weitere Stärkung der Scheinmethode Homöopathie wäre nach unserer Ansicht fatal, sowohl im Hinblick auf eine gute allgemeine Gesundheitsversorgung als auch im Hinblick auf die Stärkung der Kompetenz der Bevölkerung in Gesundheitsfragen, derer es zweifellos in hohem Maße bedarf.

Wir danken für Ihre Aufmerksamkeit.

Mit freundlichen Grüßen,
der Wissenschaftsrat der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften und das Informationsnetzwerk Homöopathie

Dr.-Ing. Norbert Aust
Prof. Dr. Michael Bach
Lydia Benecke
Prof. Dr. Dr. Ulrich Berger
Prof. Dr. Peter Brugger
Udo Endruscheit
Prof. Dr. Edzard Ernst
Thomas Fraps
Prof. Dr. Dittmar Graf
Dr. Natalie Grams
Prof. Dr. Wolfgang Hell
Prof. Dr. Dieter B. Herrmann
Prof. Dr. Johannes Köbberling
Prof. Dr. Martin Lambeck
Dr. Nikil Mukerji
Dr. Rainer Rosenzweig
Prof. Dr. Dr. Gerhard Vollmer
Prof. Dr. Barbro Walker
Dr. Christian Weymayr
Dr. habil. Rainer Wolf

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