Stellungnahme des INH zur Veröffentlichung des DZVhÄ „Homöopathie kann zur Behandlung der Covid-19-Erkrankung beitragen“

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Das Bild zeigt Sisyphos beim Rollen des Steins den Abhang hinauf als Methaper für die Schwierigkeit des menschlichen Erkenntnisgewinns
Wissenschaftliche Ergebnisse sind per definitionem “belastbare Erkenntnisse” – und die sind nicht so leicht zu haben

Bei dem Portal „Homöopathie online“, betrieben vom Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte, ist ein längerer Beitrag in Form eines Interviews mit einem homöopathischen Arzt erschienen. Dort wird über die angeblichen Behandlungsmöglichkeiten der Covid-19-Erkrankung mit Homöopathie referiert.


Die umfangreichen Ausführungen dort stellen – wie so oft – die Homöopathie als Erfahrungsheilkunde dar, die sich auf frühere Erfolge und die Erfahrungen derzeit praktizierender Homöopathen gleichermaßen beruft. Auf diese vorgeblichen Erfahrungstatbestände wird der Anspruch gestützt, als praxisrelevante medizinische Methode aufzutreten und wahrgenommen zu werden.

Dabei besteht aber das Problem, dass die Erfahrung als Mittel zum Erkenntnisgewinn auch in die Irre führen kann. Beispielsweise galt der Aderlass über Jahrhunderte der Erfahrungsmedizin als probates Mittel für vielerlei Beschwerden, wobei wir heute wissen, dass dies nicht zutrifft. Eine auf Beobachtung aufbauende Erfahrung ist sehr anfällig für die verschiedenen Irrtümer und Fehlschlüsse, die ebenso aus Beobachtungsfehlern wie auch aus Voreingenommenheiten des Beobachters resultieren können. Erst die Berücksichtigung wissenschaftlicher Vorgehensweisen, deren eigentlicher Sinn darin besteht, so weit wie immer möglich solche Irrtümer und Fehlschlüsse zu erkennen und zu vermeiden, hat zu einer leistungsfähigen und verlässlicheren Medizin geführt.


Die Besonderheit bei der in Rede stehenden Veröffentlichung besteht darin, dass umfassend auf frühere angebliche Erfolge der Homöopathie bei Epi- und auch Pandemien verwiesen wird. Diese seien umfassend medizinisch dokumentiert und werden im Zusammenhang mit der klinischen Erfahrung praktizierender ärztlicher Homöopathen als ausreichender Beleg für die Behauptung angesehen, man könne zur Behandlung der Covid-19-Erkrankung „beitragen“.

Dies hat jedoch nichts mit wissenschaftlichem Vorgehen, erst recht nichts mit wissenschaftlichen Nachweisen für die Validität einer Therapie zu tun. Gültige wissenschaftliche Standards setzen strenge Maßstäbe für Verfahren (Studien), die geeignet sind, allgemeingültige Schlüsse aus Erfahrungstatbeständen hinsichtlich der Wirksamkeit (und der Unbedenklichkeit) medizinischer Interventionen zu liefern. Reine Erfahrungsmedizin ist schon sehr lange kein Standard mehr in der Medizin, man rechnet eine solche der vorwissenschaftlichen Ära zu.

Gültige wissenschaftliche Nachweisstandards werden von der Homöopathie nicht erfüllt. Die Berufung auf angebliche Erfolge in früheren Zeiten ändert hieran nichts, zumal es sich durchweg ohnehin nicht um Überlieferungen handelt, die auch nur annähernd dokumentiert und aussagefähig genug wären, um für die heutige Zeit praktische Konsequenzen zu begründen. Nähere Betrachtungen solcher Berichte haben immer wieder ergeben, dass auch tatsächlich berichtete „Erfolge“ homöopathischer Behandlungen auf eine Reihe von gut nachvollziehbaren Faktoren (Hygiene, Verzicht auf schwächende Einschränkungen wie z.B. auf reduzierte Flüssigkeitszufuhr) zurückzuführen sind, jedoch nicht spezifisch auf die Homöopathie.

Eine umfassende Analyse der verfügbaren historischen Daten zum Einsatz der Homöopathie bei Epidemien findet sich bei der Homöopedia, dem quellenbasierten Online-Lexikon des INH.


Vollends inkonsistent wird die Argumentation des Interviews, wenn es um das „Wie“ eines homöopathischen Behandlungsansatzes geht, weil dort die Uneinigkeit der homöopathischen Szene – und damit ihre Irrelevanz – deutlich wird. Der im „Organon der Heilkunst“ von Samuel Hahnemann beschriebene Vorgang zur Findung des sogenannten „Genius epidemicus“ (die Suche nach den typisierenden Merkmalen einer Epidemie in Ermangelung bisher bekannter Symptome) wird vom Interviewten verworfen. Dies führt zu der  Frage, wie sich das mit der Tatsache vereinbaren lassen soll, dass seit Beginn der Corona-Krise in der Homöopathie stets die Suche nach dem „Genius epidemicus“ als „dem“ Lösungsansatz der Hahnemannschen Lehre beschworen wurde, auch der Zentralverein homöopathischer Ärzte selbst tat dies in einer seiner Publikationen. Es gibt Homöopathen, die sogar glauben, „fündig“ geworden zu sein.

Es handelt sich bei beiden Positionen um nicht mehr als um das vergebliche Bemühen, widerlegte Vorstellungen der vorwissenschaftlichen Zeit zu diskutieren. Am Text Hahnemanns lässt sich leicht zeigen, dass er bei der Idee eines „Genius epidemicus“ beim Begriff der „Epidemien“ nicht einmal von Infektionsverbreitungen ausging, ganz anders als wir heute dies zwangslos assoziieren. Viren und Bakterien waren ihm nicht bekannt. Medizinische Relevanz kann jedenfalls keiner Position dieses homöopathieinternen Dissenses zugesprochen werden.

Vielmehr ist schon allein der Umstand, dass es diesen Dissens überhaupt gibt, dass ein Methodenstreit (!) innerhalb der Homöopathie schon zur Art der Mittelfindung geführt wird, ein Beleg für die Inkonsistenz und medizinische Irrelevanz des erhobenen Anspruches, Homöopathie könne zur Behandlung der Covid-19-Erkrankung beitragen. Ein Dissens über derart grundlegende Fragen ist für eine Methode, die praktische Relevanz im medizinischen Alltag beansprucht, vernichtend. Hier wird über Gedankengänge aus dem 19. Jahrhundert spekuliert, die durch eine Vielzahl längst gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse gegenstandslos geworden sind. Es muss erstaunen, wie akademisch ausgebildete Mediziner sich gleichzeitig wissenschaftlichen Kriterien und solchen überholten Denkmustern verpflichtet sehen können.


Es bleibt dabei: Homöopathie scheitert sowohl an der Unvereinbarkeit ihrer Grundlagen mit gesichertem naturwissenschaftlichem Wissen als auch an einem belastbaren Nachweis dafür, dass sie überhaupt in der medizinischen Praxis Wirkungen über Kontexteffekte hinaus hat.


Mehr zu wissenschaftlicher Methodik zur Gewinnung von belastbarem Wissen aus Erfahrungstatbeständen auf dieser Webseite:

Wissenschaft und Studien in Medizin und Pseudomedizin

Aber es gibt doch Studien, die zeigen, dass Homöopathie wirkt!

Mehr zu Homöopathie und historischen Epidemien auf dem Blog “Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie” von Dr. Norbert Aust:

Homöopathie bei der Bekämpfung von Epidemien

Homöopathie und die Cholera in Wien 1831/32


Bild von Elias Sch. auf Pixabay

 

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