Das „Wassergedächtnis“ aus chemischer Sicht

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Zusammenfassung

Zur Historie der und zum naturwissenschaftlichen Urteil über die Wassergedächtnis-Hypothese

On the history and scientific judgment about the water memory hypothesis

Ein Gastbeitrag von Dr. Carolin Sage

Das Bild zeigt eine Fotomontage aus der Abbildung einer Gehirnstruktur und Wassertropfen als augenzwinkernde Anspielung auf das "homöopathische Wassergedächtnis".
Sensation! Wassergedächtnis erstmals fotografiert!

Der „Klassiker“ unter den Versuchen, einen Wirkmechanismus homöopathischer Mittel zu deklarieren. Auch andernorts gelegentlich beliebt, z.B. bei Edward Bachs Blütenessenzen, wo es die „kosmischen Schwingungen“ seiner Gewächse via Sonnenbestrahlung (wahlweise auch durch schnödes Abkochen) aufnehmen und weitergeben soll. Wenn man es recht bedenkt, werden hier plötzlich die Vertreter der „geistigen Arzneikraft“ zu schnöden Materialisten, wenn sie vorgeben, Wasser würde in materiellen Strukturen andere materielle Strukturen als „Abdruck“ eingeprägt bekommen wie ein Eurostück in der Münzpresse (das Lösungsmittel beim Potenzieren ist allerdings meist eine Wasser-Alkohol-Lösung, beim Verreiben Milchzucker, es müsste also auch ein Milchzuckergedä… na, lassen wir das beiseite, sonst kommen wir auch noch bis zu den Globuli ganz am Ende der Gedächtniskette. …

Der Hinweis, dass eine dauerhafte Speicherung und ein anschließendes Auslesen von Informationen sei wegen des flüssigen Aggregatzustandes von Wasser ausgeschlossen, findet sich an mehreren Stellen auf unseren Webseiten. Man kann aber noch tiefer einsteigen in die wundersame Welt des Wassers, was die homöopathische Hypothese noch weiter hergeholt erscheinen lässt.

Wir bedanken uns bei Dr. Carolin Sage, Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin, die uns hierzu den nachstehenden Gastbeitrag zur Verfügung gestellt hat. Auf ihre informative Webseite “Consider Science” weisen wir gern hin-


Das “Wassergedächtnis” aus chemischer Sicht

Zum Thema „Wassergedächtnis“ haben schon einige Wissenschaftler trauriges Renommee erlangt. In den 60er Jahren machten Fedyakin, Deryagin und das „Polywasser“ Furore: Die russischen Forscher führten Untersuchungen an Wasser in dünnen Glaskapillaren durch und hatten herausgefunden, dass sich die Eigenschaften dieses Wasser mit der Zeit veränderten. Der Schmelzpunkt war deutlich erniedrigt, während Siedepunkt und die Dichte im Vergleich zu herkömmlichem Wasser erhöht waren. Sie waren sicher, dass sich die Struktur des Wassers selbst verändert hatte. Die Ergebnisse konnten von anderen Forschern jedoch nicht zuverlässig reproduziert werden und einige Jahre nach der spektakulären Bekanntmachung des Polywassers wurde die Theorie einer veränderten Wasserstruktur durch spektroskopische Untersuchungen von Lippincott und Stromberg widerlegt.

Ähnlich verhielt es sich mit den Arbeiten des französischen Biomediziners Jacques Benveniste in den späten 1980er Jahren. Er untersuchte stark verdünnte Lösungen von Antikörpern. Mit seiner Behauptung, Wasser könne ein immunologisches Gedächtnis ausbilden, schaffte es Benveniste sogar bis ins Fachjournal Nature. Die Aufmerksamkeit der Forschungsgemeinschaft war groß und Benveniste musste sich einem Untersuchungskomitee stellen. Weder unter Aufsicht dieser Kommission noch durch andere WissenschaftlerInnen konnten die zuvor erzielten Ergebnisse zuverlässig reproduziert werden.

Erneute zwanzig Jahre später präsentierte der französische Biophysiker Rey seine Arbeiten mit in deuteriertem Wasser – Deuterium ist eines der schweren Isotope des Wasserstoffs – gelösten Lithiumchlorid in extrem hohen Verdünnungen. Anhand von Untersuchungen der Thermolumineszenz schien für Rey bewiesen zu sein, dass auch dann Signale des Lithiumsalzes zu finden waren, wenn gar kein Salz mehr enthalten war. Die Geschichte wiederholt sich ein weiteres Mal: Die revolutionären Arbeiten hielten der Begutachtung der Methode und der Laborpraxis nicht stand, die Ergebnisse waren wissenschaftlich nicht haltbar. Diesmal blieb auch von vorherein ein Aufschrei der wissenschaftlichen Community aus.

Etwa zur gleichen Zeit stellte der amerikanische Bioingenieur Pollack erneut eine Theorie zum Wassergedächtnis auf. Aufgrund von Wechselwirkungen an Oberflächen bestimmter fester Trägermaterialien definierte er eine sogenannte Ausschlusszone (engl. Exclusion Zone), in welcher sich die Wassermoleküle zu einer definierten Struktur ordnen. In dieser Struktur sollen hexagonale Schichten übereinandergestapelt vorliegen und mit der veränderten Struktur sollen veränderte Eigenschaften wie Dichte, Ladung, Fähigkeit zur Informationsspeicherung etc. einhergehen. Die Theorie des sogenannten hexagonalen Wassers ermutigt seither die pseudomedizinische Szene zu allerlei Spekulation über Heilwirkungen aller Art. Stets bezugnehmend auf seriöse wissenschaftlicher Forschung. Und in der Tat finden sich zahlreiche Veröffentlichungen von Pollack in durchaus seriösen Fachzeitschriften. Doch um das Wassergedächtnis geht es dabei nie, dieses „Wissen“ veröffentlicht er in Magazinen wie Edgescience oder auf Symposien z. B. bei der deutschen Gesellschaft für Energie- und Informationsmedizin.


Soweit der historische Überblick. Beleuchten wir das Wasser nun aus strukturchemischer Sicht. Was ist dran an der Fähigkeit Netzwerke zu bilden? Wie sehen solche Netzwerke aus und wie könnte darin Information gespeichert werden?

Die Abbildung 1 zeigt ein Symbolbild (sogenanntes Kapselmodell" eines Wassermoleküls aus zwei Wasserstoff- und einem Sauerstoffatom.
Abb.1:  Das Wassermolekül: ein elektrischer Dipol

Das Wassermolekül H2O ist ein Dipol. D. h, die unterschiedliche Elektronegativität der Elemente Sauerstoff (O) und Wasserstoff (H) bewirkt, dass im Wassermolekül eine ungleichmäßige Ladungsverteilung vorherrscht. Das Sauerstoffatom ist deshalb in der Lage, zusätzlich zu seinen „eigenen“ in chemischen Bindungen fixierten Wasserstoffatomen weitere Wasserstoffatome aus anderen Wassermolekülen anzuziehen. Das ist ein Resultat der unterschiedlichen Partialladungen von Sauerstoff (negativ, da hohe Elektronegativität) und Wasserstoff (positiv, da geringe Elektronegativität). Diese anziehende Wechselwirkung nennt man Wasserstoffbrückenbindung. Es ist anzumerken, dass die Wasserstoffbrücke, also die anziehende Wirkung eines Wassermoleküls auf ein anderes, nur etwa ein Zehntel einer „echten“ Bindung ausmacht.

An die Fähigkeit, Wasserstoffbrücken zu bilden, knüpft die Vorstellung an, Wasser könne aufgrund dessen eine definierte Struktur ausbilden, innerhalb derer gelöste Stoffe eine Art Abdruck hinterlassen würden. Es ist richtig, dass gelöste Stoffe, sofern sie denn polar sind, d. h. selbst Ladung tragen oder Ladungsunterschiede aufweisen, mit Wasser in Wechselwirkung treten. Diese Wechselwirkung beeinflusst auch die lokale Wasserstruktur. Aber (!): Wasserstoffbrücken haben eine sehr kurze Lebensdauer. Diese liegt im Pikosekundenbereich. Eine Pikosekunde (10-12 Sekunden) ist der millionste Teil einer Millionstel Sekunde. Wasser kann also tatsächlich als Netzwerk betrachtet werden, aber dieses fluktuiert unglaublich schnell. Eine definierte Struktur kann deshalb nicht ausgebildet werden.

Die Abbildung 2 zeigt ein chemisches Kapselmodell einer mehrfachen Wasserstoffbrückenbildung
Abb.2: Verkettung von Wasser­molekülen über Wasserstoff­brücken­bindungen zu einem Mini-Cluster

Auch in Teilbereichen ist das nicht möglich. Es gibt zahlreiche neue Arbeiten aus der Wasserforschung, die zeigen, dass man zwar kleine Cluster aus etwa 5-6 Wassermolekülen messen kann, die aber auch nur für sehr kurze Zeit bestehen bleiben. Quantenchemische Rechenmethoden stützen diese Messungen und leisten wichtige Beiträge zur Abschätzung der Energien dieser Teilchen.

BefürworterInnen des Wassergedächtnisses argumentieren häufig damit, dass man bei anderen Speichermedien wie einer CD durch Speicherung von Daten auch keine veränderte chemische Zusammensetzung finde. Das ist natürlich richtig. Es geht ja aber gar nicht um eine Elementaranalyse, sondern um eine Strukturanalyse. Eigenschaften von Stoffen sind, bis auf wenige Ausnahmen wie Brennbarkeit oder Ähnliches, strukturabhängig. Das ist leicht einsichtig, wenn man sich überlegt, ob eine geschmolzene, also flüssige CD wohl immer noch Daten speichern kann.

Fazit: Die Möglichkeit von Informationsspeicherung ist zentral an eine definierte stabile, nicht fluktuierende Struktur von Atomen oder Molekülen in einem Material geknüpft. Und eine solche Struktur gibt es in Wasser nicht.


Wir fügen hinzu: Selbst wenn es eine solche Struktur gäbe, wäre sie immer noch wenig bis gar nicht relevant für den homöopathischen Herstellungsprozess, wie unsere Homöopedia erläutert. Für die arzneiliche Relevanz der Homöopathie hätte ein Wassergedächtnis gar keinen Erklärungswert.


Literatur:

Rademacher, Die Mär vom Wasser mit Gedächtnis, Chem. Unserer Zeit, 47: 24-31, 2013.

K. Roth, H2O – Jo mei!, Chem. Unserer Zeit, 47: 108-121, 2013.

W. Mäntele, Elektrosmog und Ökoboom, Ein naturwissenschaftlicher Blick auf populäres Halbwissen, Springer Verlag, Berlin 2021.

G. H. Pollack: Wasser, viel mehr als H2O, VAK Verlags GmbH, Kirchzarten 2014.

R. Ludwig, Wasser: von Clustern in die Flüssigkeit, Angew. Chem., 113: 1856-1876, 2001.

R. Ludwig, D. Paschek, Wasser: Anomalien und Rätsel, Chem. Unserer Zeit, 39: 164-175, 2005.


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Bildnachweis:

Beitragsbild: Gemeinfrei / eigenes Bild

Abb. 1: H2O (water molecule).jpg by Solkoll. Corrected by Plenz, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2512664

Abb. 2: 3D model hydrogen bonds in water.jpg, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=14929959

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