In dieser Woche hat die französische Gesundheitsministerin Agnès Buzyn die Entscheidung der französischen Regierung bekannt gegeben, die Homöopathie bis 2021 vollständig aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zu streichen. Für ein Übergangsjahr soll der Erstattungssatz für Homöopathika von bisher 30 auf 15 Prozent halbiert werden. Nach Bekunden von Mme Buzyn will sie dieses „Übergangsjahr“ auch zu verstärkter Aufklärung über Homöopathie nutzen und damit eine größere Akzeptanz für die Entscheidung erreichen, bis sie sich 2021 voll auswirkt.
Dieser endgültigen Entscheidung ging innerhalb der letzten 15 Monate die umfassendste Evaluierung der Homöopathie voraus, die es in Frankreich jemals gegeben hat. Am Ende stand die eindeutige Stellungnahme der Haute Autorité Santé: Der Homöopathie mangelt es an einer spezifischen Wirksamkeit, die über reine Kontexteffekte hinausgeht und rechtfertigt damit keine Stellung als erstattungsfähiges Arzneimittel in der öffentlichen Gesundheitsversorgung.
Die Entscheidung der französischen Regierung fußt ausdrücklich auf den unbestreitbaren wissenschaftlichen Fakten, die der Homöopathie nicht mehr Relevanz zugestehen als jeder anderen Scheintherapie und stellt andere Aspekte wie z.B. das „Beliebtheitsargument“, die „marginalen“ Kosten im Gesundheitswesen aber auch wirtschaftliche Interessen von Herstellern bewusst zurück. Damit hat die französische Regierung sich auch dafür entschieden, sich nicht weiter an der Aufrechterhaltung einer öffentlichen Reputation der Homöopathie zu beteiligen.
Die Erkenntnisse, die dieser Entscheidung zugrunde liegen, sind lange bekannt und validiert. Im Grunde ist interessanter, dass und warum die Homöopathie trotz alledem ihre Reputation und ihre Sonderstellung begründen und bislang aufrechterhalten konnte. Die Entwicklung in Frankreich wirft nochmals ein Schlaglicht auf die Faktoren, die dabei eine Rolle spielten.
In Deutschland wie auch anderswo entspringt der Aufstieg der Homöopathie zu einem regelrechten Industriezweig den späten 1970er Jahren mit ihrer „New Age“-Affinität, die eine falsch verstandene Naturnähe ebenso wie einen unbestimmten „Neomystizimus“ propagierte. In dieser Ära gelang es, die Methode nachhaltig mit dem Label einer „natürlichen, sanften und nebenwirkungsfreien“ Alternative zur Medizin zu etikettieren und sie damit in die Nähe von Naturheilkunde zu rücken. Dies beeinflusste schnell und nachhaltig die öffentliche Wahrnehmung. Mit der EU-Arzneimittelrichtlinie und den nationalen Regelungen wie dem deutschen „Binnenkonsens“ im Arzneimittelgesetz bekam all dies eine Legitimation. Damit begann auch eine neue Ära der „homöopathischen Forschung“, getrieben von dem Wunsch, nicht nur formale, sondern auch wissenschaftliche Legitimation zu erlangen.
Dieser damals gezogene „Wechsel auf die Zukunft“ konnte nicht eingelöst werden. Ende der 1970er Jahre mag mancher Verteidiger der „besonderen Therapierichtungen“ persönlich davon überzeugt gewesen sein, dass sich Beweise für Wirksamkeit und Wirkungsweise für die Homöopathie schon noch würden finden lassen. Nach 42 Jahren Binnenkonsens und Suche nach wissenschaftlicher Legitimation ist dies nachweislich gescheitert.
Es gibt keine wissenschaftlich haltbaren Anhaltspunkte für einen plausiblen Wirkungsmechanismus der Homöopathie, dementsprechend ist es auch nicht verwunderlich, wenn alle in den letzten 30 Jahren durchgeführten Metaanalysen und Reviews zur Wirksamkeit keinerlei belastbare Evidenz für irgendeine Indikation ergeben haben. Das ist der faktische Stand von heute. Und das ist die Grundlage der überfälligen Infragestellung der Homöopathie als Teil von Medizin und als Teil von Medizingesetzgebung, deren Legitimation unhaltbar geworden ist.
Und deshalb ist es – Frankreich demonstriert es soeben – hoch an der Zeit, aus der als falsch und ungerechtfertigt erwiesenen Sonderstellung der Homöopathie in Medizin und Arzneimittelrecht die Konsequenzen zu ziehen. Der Kredit der Methode ist aufgebraucht. Was könnte dies mehr deutlich machen als die mit großer Ernsthaftigkeit in Frankreich nochmals vorgenommene umfassende Evaluation der wissenschaftlichen Erkenntnislage – mit „vernichtendem“ Ergebnis, wie sich die französischen Medien wiederholt ausdrückten?
In der aktuellen Diskussion über ein Ende der offiziellen Legitimierung der Homöopathie rekurrieren deren Vertreter entweder auf die unhaltbar gewordenen Positionen der 1970er Jahre („Pluralismus in der Medizin“), beschönigen, verzerren oder leugnen gar die eindeutige wissenschaftliche Erkenntnislage („es gibt hunderte Studien..:“, „die homöopathische Grundlagenforschung…“) oder bringen völlig irrelevante Aspekte vor, die mit dem Kernproblem nichts zu tun haben („Einschränkung der Therapiefreiheit“, „Bevormundung des mündigen Patienten“, das „Peanutsargument“ und mehr). All dies ist irrelevant für die Zielsetzung der Homöopathiekritik, im öffentlichen Gesundheitswesen den Prinzipien der evidenzbasierten patientenorientierten Medizin zum Durchbruch zu verhelfen. Frankreich geht einen ersten Schritt mit dem Entzug der Erstattungsfähigkeit, Spanien und England sind schon weiter, indem sie im Begriff sind, Homöopathika die Arzneimittelschaft zu nehmen. Es ist Zeit, auch in Deutschland die Konsequenzen daraus zu ziehen, dass sich die Einräumung von Sonderrechten für die „besonderen Therapierichtungen“ im Arzneimittelgesetz, die aus der Situation zur Zeit der Beratung dieses Gesetzes zumindest teilweise erklärbar (wenn auch nicht richtig) erscheinen, längst als Irrweg und Sackgasse erwiesen hat.
Die Homöopathie ist derzeit in Deutschland noch ein großes Hindernis, das einer konsequenten Umsetzung evidenzbasierter Medizin im öffentlichen Gesundheitswesen entgegensteht. Sie ist der Anker der Pseudomedizin innerhalb des Arzneimittelrechts. Damit ist sie eine Art Legitimation für eine Vielzahl anderer, oft ausgesprochen gefährlicher pseudomedizinischer Methoden. Es ist keineswegs auszuschließen, dass der Ruf nach ebensolchen Sonderrechten, wie sie derzeit noch der Homöopathie zugebilligt werden, auch aus anderer Richtung kommen könnte. Dem wird man angesichts einer bestehenden Privilegierung der Homöopathie argumentativ wenig entgegen setzen können.
Aus alledem entspringt die Legitimität der Forderung, die besondere Stellung der Homöopathie in Medizin und öffentlichem Gesundheitswesen zu beenden. Diese Forderung ist keine Marginalie, forciert von irgendwelchen „fanatischen Gegnern“, ebensowenig – wie jüngst suggeriert wurde – eine Kampagne „wirtschaftlich interessierter Kreise“. Diese Forderung ist ein Ruf nach Redlichkeit und Ehrlichkeit in der Medizin und nach einem Schritt hin zu einem verlässlichen und nachhaltigen öffentlichen Gesundheitssystem.
Nach der Entscheidung in Frankreich ist Deutschland innerhalb der EU das einzige Land, das an der Erstattungsfähigkeit in der GKV auf der Grundlage einer Sonderstellung der Homöopathie im Arzneimittelrecht noch festhält.
Warum?
Unsere bisherigen Berichterstattungen zur Entwicklung in Frankreich finden Sie hier:
Frankreich: Ärztekollektiv #FakeMed – eine glasklare Stellungnahme zur Pseudomedizin
Frankreich: Auf der Überholspur in Sachen Homöopathie
Frankreich: Wissenschaftsakademien positionieren sich gegen Homöopathie
Frankreich: Negative Stellungnahme der Obersten Gesundheitsbehörde zur Homöopathie vorgelegt
Eine Antwort auf „Entscheidung zur Homöopathie in Frankreich – und in Deutschland? Ein Zwischenfazit“
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