Homöopathie in der Apotheke – ein Münsteraner Memorandum

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Symbolbild: Homöopathische Remedien vor dem Hintergrund des Apotheken-Logos

Die Apotheke ist der Ort, an dem die PatientInnen “direkt” mit den Arzneimitteln in Kontakt kommen und sich auf die Fachkenntnis und Kompetenz des dort tätigen Personals verlassen. Dies bedingt fraglos eine besondere Verantwortung gegenüber den ratsuchenden PatientInnen.

Im Falle der Homöopathie liegt dem allerdings ein Spannungsverhältnis zugrunde: Einerseits sind Homöopathika Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes und unterliegen damit uneingeschränkter Apothekenpflicht. Andererseits beruht diese Arzneimitteleigenschaft auf einem, Sonderstatus, die sie von Wirksamkeitsnachweisen auf wissenschaftlicher Basis suspendiert. All das ist wohl den wenigsten ApothekenkundInnen bekannt.

Zudem ist die indikationsbezogene Werbung für nur registrierte Homöopathika (das ist die Mehrzahl) nach dem Heilmittelwerbegesetz untersagt. Dem Gesetzgeber war durchaus bewusst, dass es für solche Präparate keine Wirkungsnachweise, erst recht nicht in Bezug auf bestimmte Beschwerden bzw. Krankheitsbilder, gibt. Insofern wollte er zwar diesen Mitteln die Arzneimitteleigenschaft nicht versagen, andererseits aber die PatientInnen “vor den Folgen falscher Selbstmedikation schützen”. Das ist nach unserer Ansicht nicht gerade konsistent, aber der Schutzgedanke darin sogar durch höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt.  All dies ist für eine Information der PatientInnen auch und gerade in der Apotheke sicher nicht unerheblich. Und auch das Personal in der Apotheke verfügt ja nicht über “höhere Einsichten” zur Wirkung solcher Mittel bei bestimmten Indikationen.

Dass sich der Bereich der Apotheken insgesamt der sich hieraus ergebenden Problematik gestellt hätte, ist bislang nicht sichtbar geworden. Ein erster Vorstoß der Berliner Apothekerkammer zum Apothekertag 2022, die Kammern mögen auf spezifische Weiterbildungsangebote im Bereich der Homöopathie angesichts der wissenschaftlichen Faktenlage verzichten, fand kein Echo – mit der Begründung, die ABDA (Bundesvereinigung der deutschen Apothekenverbände) befasse sich bereits auf Expertenbasis mit dem Thema. Spürbar davon ist bislang allerdings nichts. Öffentliche Positionierungen einzelner Apothekerinnen und Apotheker sind nach wie vor rare Einzelfälle.

Der Münsteraner Kreis sah sich – nicht nur deshalb – veranlasst, das Thema “Homöopathie und Apotheken” aufzugreifen. Eine Kurzfassung des soeben erschienenen Memorandums veröffentlichen wir nachstehend:

Homöopathie in der Apotheke

Norbert Aust1,2, Iris Hundertmark2, Sabine Breiholz2, Oliver R. Scholz1, Edzard Ernst1,2 

1 Münsteraner Kreis
2 Informationsnetzwerk Homöopathie


Bekanntlich existiert kein solider wissenschaftlicher Nachweis dafür, dass Homöopathika eine spezifische Wirkung entfalten können [1,2], auch wenn dies von den Anhängern anders dargestellt wird. Dennoch gelten für Homöopathika im Arzneimittelrecht Sonderregelungen, nach denen sie durch eine einfache Registrierung den Status eines Arzneimittels erreichen können [3]. Selbst eine Zulassung beruht nicht auf den sonst erforderlichen Studien der Phasen I bis III, sondern bedarf lediglich des Beschlusses der Kommission D des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte, dass das Erkenntnismaterial im Rahmen der homöopathischen Lehre als ausreichend angesehen wird [3]. Die Wirksamkeit folgt quasi aus einem Verwaltungsakt und nicht aus einem validen Nachweis der Wirksamkeit. Eine Folge davon ist, dass Homöopathika wie nachgewiesenermaßen wirksame Medikamente nur in Apotheken an die Kunden abgegeben werden dürfen. Daraus wiederum erwächst für die Apotheken die Verpflichtung, Homöopathika auf Verlangen des Kunden zu liefern.

Eine entsprechende Suche im Internet und auch die Anschauung im realen Leben zeigt jedoch, dass es nicht nur seltene Einzelfälle sind, in denen Apotheken über diese Verpflichtung weit hinaus gehen und Homöopathika als Arzneimittel bewerben, vielfach sogar solche Präparate selbst herstellen und unter eigenem Namen vertreiben. Oftmals wird durch große Schriftzüge an den Gebäuden auf das Angebot an Homöopathika besonders hingewiesen, in Schaufenstern werden die Mittel auffällig präsentiert, im Internet werden spezielle Leistungen angeboten, etwa die Herstellung sogenannter Nosoden aus körpereigenen Geweben oder Ausscheidungen des Kunden, um damit eine persönliche und von daher vermeintlich besonders wirksame Arznei zur Verfügung zu haben. In den Verkaufsgesprächen wird Kunden zur Anwendung von homöopathischen Präparaten geraten, bisweilen sogar anstelle ärztlich empfohlener oder gar verordneter wirksamer Mittel der wissenschaftlich orientierten Medizin [4].

Dies ist erstaunlich, denn Apotheker und Pharmazeutisch-Technische Assistenten (PTA) müssen eine umfangreiche Ausbildung durchlaufen und mit einer staatlich geregelten Prüfung den Nachweis erbringen, dass sie über hinreichende Fachkenntnisse der Pharmazie verfügen, um Kunden und Patienten sachgerecht nach dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zu informieren und zu beraten. Aufgrund dieser Fachkenntnisse muss es dem pharmazeutischen Personal ohne weiteres erkennbar sein, dass Homöopathika keine spezifische Wirkung entfalten können. Es gibt kein pharmakologisches Wirkprinzip, nach dem ein im fertigen Präparat nicht mehr vorhandener Ausgangsstoff einen Effekt hervorrufen könnte. Insbesondere nicht die vielfältigen und sehr spezifischen Wirkungen, die Homöopathika in Abhängigkeit von marginal unterschiedlichen individuellen Ausprägungen des Patienten zugeschrieben werden.

Schon einfachste Betrachtungen lassen die Widersinnigkeit der Homöopathie deutlich zutage treten. Wenn die Grundlage der Homöopathie, das Ähnlichkeitsgesetz, tatsächlich gelten würde, dann wäre die Homöopathie, insbesondere in der Selbstmedikation, ausgesprochen gefährlich. Schließlich wären die Mittel in diesem Fall in der Lage, abhängig von marginalen Unterschieden körperlicher, geistiger und seelischer Ausprägungen die Symptome auch schwerster Krankheiten hervorzurufen, die sie anderenfalls nach der homöopathischen Lehre angeblich erfolgreich therapieren können. Eine freie Abgabe an Patienten müsste unterbunden werden, die Einnahme der Mittel dürfte nur unter strengster ärztlicher Aufsicht erfolgen, um Leib und Leben der Patienten nicht zu gefährden.

Wenn die gesetzlichen Bestimmungen zur Mindestverdünnung eingehalten wurden und die Herstellung der Präparate nach den Vorgaben des homöopathischen Arzneibuchs erfolgte, sind die Präparate natürlich selbst vollkommen harmlos. Eine fehlerhafte Einnahme kann auf keinen Fall zu nachteiligen Wirkungen führen. Aber dennoch verfügt die Homöopathie über ein ausgeprägtes sekundäres Schadenspotenzial. Wird die Anwendung einer wirksamen Therapie zugunsten einer homöopathischen Behandlung zurückgestellt, entsteht ein Zeitverlust beim Abwarten einer Wirkung, insbesondere, wenn eine nach der homöopathischen Lehre mögliche “Erstverschlimmerung” in Betracht gezogen wird, wonach eine Verschlechterung des Befindens als Bestätigung für das Einsetzen einer Wirkung interpretiert werden kann.

Die Anwendung der Homöopathie in Selbstmedikation führt bei selbstlimitierenden Beschwerden unvermeidlich dazu, dass die Besserung der Wirkung der Homöopathika zugeschrieben wird, was wiederum zu einer erhöhten Bereitschaft führt, die Homöopathie auch bei schwereren Befunden bevorzugt anzuwenden. Da die Homöopathie oftmals als die sanfte Alternative zur als bedrohlich dargestellten und in der Hauptsache durch Nebenwirkungen und unqualifizierte Ärzte gekennzeichnete “Schulmedizin” und als Gegenpol zur “Pharmamafia” mit ihren “Chemiekeulen” positioniert wird, fördert dies die Abwertung der Errungenschaften des Gesundheitswesens. Eine Ablehnung etwa des Impfens, das Misstrauen gegenüber wissenschaftlichen Vorgehensweisen und Erkenntnissen und darauf aufbauenden Maßnahmen etwa zum Seuchenschutz können daraus entstehen. Die sogenannte Querdenkerbewegung ist die bislang deutlichste Ausprägung einer solchen Haltung, deren Verfechter einer rationalen faktenbasierten Argumentation kaum mehr zugänglich sind.

Letztendlich bildet die Homöopathie auch die Brücke zum Heilpraktikerwesen, wo mit sehr ähnlichen Argumentationsweisen wie bei der Homöopathie wirklich gefährliche Verfahren propagiert werden.  Etwa die “Neue Germanische Medizin” nach Hamer, bei der Krebsleiden auf unbewältigte Konflikte zurückzuführen seien und folglich keiner medizinischen Therapie bedürfen, wobei unter anderem “Heilgesänge” angewandt werden, um diese Bewältigung voranzutreiben. Oder “Mineral Miracle Supplement” nach Humble, wonach Chlorbleiche oral eingenommen oder auch als Einlauf verabreicht gegen schwerste Krankheiten eingesetzt werden und etwa die ausgeschiedenen verätzten Darmschleimhäute als Beleg für eine erfolgreiche Beseitigung von vermeintlichen Darmparasiten gelten.

Warum handeln Apotheker gegen ihr besseres Wissen, nehmen mögliche Schäden für die Patienten und negative Einflüsse auf die Gesellschaft in Kauf? Warum wird gegen eine berufliche Ethik verstoßen, die zwar in Deutschland nirgendwo expressis verbis festgeschrieben ist, jedoch selbstverständlich sein sollte, indem Schäden für Patienten und Gesellschaft zugunsten eines eigenen wirtschaftlichen Vorteils toleriert werden, der zudem mit einem Anteil von etwa 0,5 % am Umsatz eher weniger bedeutsam ist?

Es ist kaum denkbar, dass es außerhalb einer homöopathischen Behandlung Situationen gibt, in denen eine stärkere Überzeugungskraft zum Nutzen der Homöopathie transportiert werden kann, als in direkter individueller Beratung durch den gegebenenfalls langjährig persönlich bekannten Apotheker, der nicht nur fachlich qualifiziert ist, sondern auch die persönlichen Umstände des Kunden zumindest ungefähr kennt. Dass in dieser Situation der Patient noch nicht einmal das homöopathische Erstgespräch erfährt, das ja als wesentlicher Baustein für einen Therapieerfolg gilt, sei nur am Rande vermerkt.

Der Münsteraner Kreis, ein interdisziplinärer Zusammenschluss zur Auseinandersetzung mit der Alternativ- und Komplementärmedizin um die Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert, appelliert daher an die Apotheker und das in den Apotheken tätige Personal, die Ausbreitung der Homöopathie weder durch werbewirksame Präsentation noch bei der persönlichen Beratung weiter zu fördern [5]:

    • Informieren Sie Ihre Patienten zutreffend darüber, dass Homöopathika keinerlei pharmazeutische Wirksamkeit haben und sie daher keinen realen Beitrag zur Überwindung der Beschwerden des Patienten leisten können. Das gesamte pharmazeutische Personal ist in diese Regelung einzubeziehen.
    • Unterlassen Sie jedwede Werbung pro Homöopathie oder ähnlicher dubioser Heilmittel (z.B. Schüßler-Salze, Bachblüten, anthroposophische Präparate), indem Sie diese Produkte aus den Schaufenstern und dem Sichtbereich in der Apotheke verbannen.
    • Stellen Sie Ihre Räume nicht für Werbeveranstaltungen der Homöopathie-Hersteller zur Verfügung.
    • Stellen Sie keine Homöopathika oder ähnliche Präparate in Eigenregie her.

Zusammengefasst: Korrumpieren Sie sich nicht länger, besinnen Sie sich auf die Grundlagen Ihres Berufes, handeln Sie nach dem ethischen Berufsbild der Apotheker und verzichten Sie auf jede Art der aktiven Förderung für Homöopathika!

Der Münsteraner Kreis appelliert ebenfalls an die Apothekerkammern:

    • Nehmen Sie ethische Richtlinien in Ihre Berufsordnungen für Apotheker auf, geben Sie Orientierungspunkte für ein ethisch korrektes Handeln, insbesondere wenn zwischen wirtschaftlichen Interessen und dem Wohl des Patienten abzuwägen ist.
    • Folgen Sie dem Beispiel der Ärztekammern und verbannen Sie die Homöopathie aus dem Weiterbildungsangebot für Apotheker.
    • Bieten Sie stattdessen Weiterbildungen an, die die Apotheker befähigen, die zum Teil befremdlichen Argumente der Verfechter dieser Lehre in einer für den Patienten verständlichen und einprägsamen Form zu widerlegen.
    • Ähnliches gilt auch für die Träger der Weiterbildung von Pharmazeutisch-Technischen Assistenten.
  • Der Münsteraner Kreis möchte ferner darauf hinwirken, dass die Präparate sowie das gesamte Werbematerial, die einschlägigen Druckwerke und Webseiten, einen deutlich sichtbaren Hinweis enthalten müssen, dass es keine Nachweise einer Wirksamkeit gibt, die wissenschaftlichen Standards auch nur nahekommen, und es nach dem heute gesicherten Wissen undenkbar ist, dass Homöopathika Beschwerden lindern oder heilen können.

Literatur

    1. European Academies Science Advisory Council (EASAC): Homeopathic products and practices: assessing the evidence and ensuring consistency in regulating medical claims in the EU; EASAC September 2017, Link: https://easac.eu/publications/details/homeopathic-products-and-practices/
    2. Stellvertretend für eine Vielzahl von systematischen Reviews:
      Mathie RT, Lloyd SM, Legg LA et al.: ”Randomised placebo-controlled trials of individualised homeopathic treatment: systematic review and meta-analysis”, Systematic Reviews 2014;3:142. Link: https://systematicreviewsjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/2046-4053-3-142
      National Health and Medical Research Council. 2015. ”NHMRC Information Paper: Evidence on the effectiveness of homeopathy for treating health conditions ”, Canberra: NHMRC;2015, Link: https://www.nhmrc.gov.au/file/14826/download?token=CwhjCeTl
      Antonelli M, Donelli D: „Reinterpreting homeopathy in the light of placebo-effects to manage patients who seek homeopathic care: A systematic Review“, Health Soc Care Community (2018) doi:10.1111/hsc.12681
    3. Bundesministerium der Justiz: Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG), Stand 03.06.2021,
      https://www.gesetze-im-internet.de/amg_1976/
    4. Betsch T., Chalupny J., Grünewald S. et al.: Das Geschäft mit den Globuli – Wird in deutschen Apotheken evidenzbasiert beraten? Skeptiker 1/2018 S. 9-13
    5. Memorandum auf der Webseite des Münsteraner Kreises:

Münsteraner Memorandum Homöopathie in der Apotheke

Sämtliche Links abgerufen im Dezember 2022


Bildnachweis: Pixabay / eigene Montage

 

 

 

 

 

 

 

 

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