Gut gemeint ist nicht gut gemacht
Rezension des Films “Homöopathie unwiderlegt?” von Erik Lemke
“Lass doch die Homöopathen einfach mal reden. Wenn sie ihre Lehre selbst vorstellen und beschreiben, dann merkt doch jeder, was das für ein Unfug ist.” Das hört man oft aus Kreisen der Kritiker der Homöopathie. Jetzt hat der Dresdener Filmemacher Erik Lemke genau dies getan und daraus einen Film gedreht, der ab Ende Januar 2022 in ausgewählten Kinos deutscher Großstädte gezeigt wird. Der Autor, der bislang noch nicht als Kritiker der Alternativmedizin bekannt ist und sich in seinen Filmen auch noch nicht mit wissenschaftlichen Themen auseinandergesetzt hat, möchte nach Möglichkeit bei den Vorführungen anwesend sein, um sich der Diskussion mit dem Publikum zu stellen.
In dem 85 Minuten langen Film kommen ausschließlich Befürworter der Homöopathie zu Worte. Etwa zwanzig Personen, zumeist approbierte Ärzte und Psychologen, aber auch Wissenschaftler anderer Disziplinen, dürfen ihre Sicht auf die Homöopathie darlegen. Darunter sind einige in Skeptikerkreisen durchaus bekannte Leute – Jens Behnke, Harald Walach, Cornelia Bajic, Heinrich Hümmer und andere – aber auch bisher eher unbekannte Homöopathen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland. Heilpraktiker treten nicht auf.
Der Autor befragt die Teilnehmer jeweils zu einem sehr weit gespannten Feld und deckt damit den Themenkomplex Homöopathie recht umfassend ab. Das reicht von der Geschichte über die rechtlichen Grundlagen, die Herstellung der Mittel, die Studien, Erklärungsmodelle, die Patientenpräferenzen etc. Insgesamt sind es 16 Gliederungspunkte, die durch kurze grafische Sequenzen abgegrenzt werden. Man vermisst keinen Aspekt, der in der Diskussion um die Homöopathie eine Rolle spielt. Zu jedem der Themen kommen mehrere der befragten Personen zu Wort.
Der Autor wollte damit ein “Debattenstück ohne Gegner” schaffen, um zu zeigen, was von der Homöopathie bleibt, “wenn man sie ihrer schönen Bilderwelt beraubt, wenn es plötzlich nicht mehr menschelt in berührend erzählten Schicksalen…”. Dabei soll “… die strenge Konzentration auf Sprache und Ausdrucksweise … daran erinnern, dass wir als denkende Menschen Betrug erkennen können.” So ist es der Filmankündigung zu entnehmen.
Soweit ein durchaus ehrenwertes Anliegen mit einem interessanten neuen darstellerischen Ansatz, mit dem aufgezeigt werden soll, dass “wenn alle Homöopathen unterschiedliche Beobachtungen machen und diese für wahr halten, [dann] braucht es keine Kritiker mehr, um die Diskussion spannend zu machen.”
Und die Protagonisten tun dem Autor den Gefallen und schwurbeln je nach Naturell mehr oder weniger abgehoben los – und es gäbe reichlich Ansatzpunkte, den Widersinn und die Absurdität der homöopathischen Lehre deutlich zu machen – aber hier versagt die Regie total: Wenn man die Filmankündigung nicht gelesen hat, dann könnte man den Film auch als eine Werbung PRO Homöopathie auffassen. Insbesondere, wenn man sich noch nicht mit der Lehre beschäftigt hat – oder gar ein Anhänger Hahnemanns ist.
Die Vertreter der Homöopathie kommen allesamt durchaus sympathisch und auf ihre Weise kompetent rüber. Das sind beileibe keine Dummköpfe, die da auftreten. Vielen kann man ein Charisma nicht absprechen und es ist durchaus verständlich, warum sich kranke Menschen ihnen anvertrauen. Es kann kein Zweifel darin bestehen, dass diese Ärzte sich für ihre Patienten einsetzen und dabei Wärme und Verständnis aufbringen. Insofern stellen sie Persönlichkeiten dar, wie man sich seinen Arzt wünscht, der unaufgeregt und geduldig spricht und auch die eigene Lehre mit einer gewissen Distanz hinterfragt.
Dabei ist das Spektrum weit gefächert: Da ist die promovierte Medizinerin, die sich selbst als Schamanin bezeichnet, in den homöopathischen Mitteln geistartige Wesen sieht, deren Wirksamkeit sie mit ihrer Intention verstärkt, um die Menschen “von einem Ort des Entweder-Oder zu einem Ort des Sowohl-Als-Auch zu führen.” Oder die Psychotherapeutin, die den Ansatz ganz faszinierend findet, die Entwicklung der Pflanzen auf den Menschen zu übertragen, um damit die Treffsicherheit ihrer Mittelwahl zu verbessern. Es sind aber auch Ärzte dabei, die ihre Arbeitsgrundlagen kritisch untersuchen, etwa die Durchgängigkeit der Repertorien hinterfragen, oder zugeben, dass viele Informationen darin unzuverlässig sind und folglich die verdächtigen Mittel aussortieren. Oder auch zugeben, dass man aus der Besserung beim Patienten nicht auf die Wirksamkeit des eingesetzten Mittels schließen kann.
Kurz: Da ist für jeden Zuschauer, der der Homöopathie nahesteht, der passende Typ dabei, der einen anspricht und dessen Aussagen folglich schlüssig klingen. Den Rest versteht man eben nicht oder ignoriert ihn ganz einfach. Spätestens am Ende des Films wird man sich nur an die Passagen erinnern, die die eigene Auffassung bestätigt haben. Wie die Beispiele von studierten Medizinern ja deutlich zeigen, die der homöopathischen Lehre anhängen, kann man auch als intelligenter und gebildeter Mensch ganz gut gleichzeitig Auffassungen teilen, die sich gegenseitig eigentlich ausschließen.
Der Autor tut auch praktisch nichts, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf die wesentlichen Aspekte zu lenken und beispielsweise die Widersprüche hervorzuheben. Er beschränkt sich darauf, widersprüchliche Aussagen in direkter Folge zu zeigen, aber nichts hebt diese Stellen aus den gleichmäßig dahinplätschernden Statements hervor. Eine Sprecherin führt aus, dass die Krankheitssymptome nicht das Entscheidende seien, vielmehr wie der Mensch sich fühlt, und welche Themen für ihn relevant seien. Direkt darauf folgt ein anderer Sprecher, der darauf Wert legt, dass die Symptome genau anzeigen würden, welches Mittel der Patient braucht. Aber: Wer im Publikum kriegt das mit? Wer hat angesichts des fortlaufenden Films die Zeit, dies sacken zu lassen, darüber nachzudenken und sich zu wundern? Einer schwört scheinbar auf Konstitutionstypen, für den anderen ist das Unfug – aber ist das wichtig? Muss man sich das merken? Hier hätte der Autor gut daran getan, nachzufassen und etwa nachzufragen, was der jeweilige Sprecher von den gegenteiligen Aussagen seiner Kollegen hält. Das hätte die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf diesen Punkt gelenkt. Hier wäre dann auch der Widerspruch deutlich zutage getreten und es hätte Raum zur Reflexion gegeben..
In die gleiche Richtung fällt, dass bis auf eine wohltuende Ausnahme der Autor nicht nachhakt und etwa nachfragt, wie es sein kann, dass in der Homöopathie offensichtlich andere Gesetzmäßigkeiten herrschen als in der restlichen Welt. Warum gilt überall eine Beziehung zwischen der Größe der Dosis und der Stärke der von ihr hervorgerufenen Wirkung, nur in der Homöopathie ist das anders? Oder wie man in der Vorstellung des jeweiligen Sprechers “Magnetischen Südpol” auf Zuckerkügelchen bekommt? Nur einmal blitzt so etwas auf: Ein Sprecher erklärt, dass es die Homöopathie nach zweihundert Jahren nicht mehr geben würde, wenn sie Quatsch wäre, worauf der Autor nachhakt “Genauso wie Tarotkarten legen, Beten oder Astrologie?”. Dies blieb übrigens ohne Antwort. Ansonsten konnte jeder den blühendsten Unsinn erzählen, und es bleibt alleine dem Zuschauer überlassen, diesen als solchen zu erkennen.
Erschwerend kommt hinzu, dass Lemke grundsätzlich aus einer gewissen Innensicht der Homöopathie heraus seine Fragen stellt. Etwa Fragen, wie viele Miasmen es gibt, wie man als Patient einen seriösen Homöopathen finden könnte oder warum die von den Homöopathen beobachteten starken Phänomene sich so schwer in Studien zeigen lassen. Das alles unterstellt eben unterschwellig auch, dass es diese Miasmen tatsächlich gibt, genauso wie seriöse Homöopathen und starke Effekte homöopathischer Mittel real sein können. Durch keinerlei sprachliche Mittel wird der Zweifel des Autors an der realen Existenz dieser Dinge ersichtlich. Da die Gesprächspartner durchaus eloquent sind, können sie sich zumeist mit ein paar Floskeln herausreden – die dann unhinterfragt bleiben.
Wenn der Autor zeigen wollte, wie widersprüchlich die innere Struktur der Homöopathie ist, dann hat er nicht unbedingt immer die geeigneten dramaturgischen Mittel dazu eingesetzt. Ganz im Gegenteil, oftmals entsteht der Eindruck, dass die Protagonisten sich weitgehend einig sind. So werden die Themenkomplexe des Chinarindenversuchs, des Simileprinzips, des Potenzierens und andere durch kurze Statements mehrerer Sprecher beleuchtet, die durchaus sinnvoll aufeinander folgen. Wo sind da Unstimmigkeiten? Klar, es gibt Detailfragen, etwa, wie viele Miasmen es gibt, da ist man sich nicht ganz einig – aber sonst? Man möchte meinen, dass bei einem Internisten-Kongress die Differenzen zu bestimmten Themen größer sind. Die Homöopathie sieht da recht geschlossen aus.
Kurz: Lemke überlässt die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Inhalt voll und ganz seinen Zuschauern, die aber vermutlich in der raschen Folge der Themen dazu gar nicht die Zeit haben und vielleicht auch nicht die Sachkenntnis und Sensibilität eines Homöopathiekritikers, dem bestimmte Reizwörter und Ungereimtheiten sofort auffallen.
Und um das Ganze abzurunden: In der letzten Einstellung darf ein Kinderarzt ausführen, er behandle als Inhaber einer normalen Praxis 80 % seiner Patienten homöopathisch. Wären die Homöopathika nur Placebos, dann schließt er daraus, dass “in normalen Kinderarztpraxen 80 % der Kinder unnötigerweise behandelt werden, überbehandelt werden und ggf. schädigenden Nebenwirkungen ausgesetzt werden.” Und mit diesen Worten, endet der Film, genau jetzt wird das Bild schwarz und der Abspann folgt.
Das soll ein Film sein, der irgendwie eine kritische Haltung zur Homöopathie fördern soll?
Man hat eher den Eindruck, da wird ein Homöopathie-Werbefilm als Kritik getarnt. Vermutlich werden alle Homöopathieanhänger, die den Film sehen, sich bestätigt fühlen, zwar nicht alle von den gleichen Aussagen, aber der Film gibt jedem Recht. Insofern ist wohl kaum damit zu rechnen, dass es nach den Vorführungen zu Diskussionen mit dem Publikum kommt, schon gar nicht mit Anhängern der Homöopathie.
Rezensent: Dr. Norbert Aust